Bundesgerichtshof Urteil, 11. Apr. 2000 - 1 StR 55/00
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in fünf Fällen, wegen gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Sachbeschädigung und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Vom Vorwurf der Vergewaltigung zum Nachteil der Nebenklägerin in zwei Fällen hat es den Angeklagten freigesprochen. Gegen dieses Urteil richten sich die zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft undder Nebenklägerin, die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützt sind. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg. I. Die Revision der Staatsanwaltschaft
1. Die Staatsanwaltschaft beantragt, das Urteil "im Rechtsfolgenausspruch" aufzuheben. Sie wendet sich jedoch im einzelnen dagegen, daß der Angeklagte in den Fällen II. 1 bis 4 der Urteilsgründe nicht wegen gefährlicher Körperverletzung und im Fall II. 5 nicht wegen versuchter Nötigung verurteilt worden ist. Sie rügt auch im vollen Umfang den Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung in zwei Fällen. Das Revisionsvorbringen ist damit in sich widersprüchlich ; es ist mit Rücksicht auf das ersichtlich erstrebte Ziel dahin auszulegen , daß über den gestellten Antrag hinaus auch der Schuldspruch in den Fällen II. 1 bis 5 der Urteilsgründe und der Freispruch angegriffen ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1997 - 4 StR 226/97; Hanack in LR, StPO 25. Aufl. § 344 Rdn. 10).
2. Die Verfahrensrüge, die Strafkammer habe zwei am 26. Juli 1999 "hilfsweise und schriftlich" gestellte Beweisanträge der Nebenklägerin weder in der Hauptverhandlung noch in den Urteilsgründen beschieden, hat keinen Erfolg. Wie sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt, ist die Behauptung unzutreffend. Die Beweisanträge sind in der Hauptverhandlung durch verkündeten Beschluß beschieden worden.
3. Soweit die Staatsanwaltschaft mit der Sachbeschwerde rügt, das Landgericht habe den Angeklagten in den Fällen II. 1 bis 4 und 6 der Urteilsgründe zu Unrecht nur wegen einfacher und nicht wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, läßt die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zugunsten des
Angeklagten erkennen. Die Strafkammer hat nicht sicher feststellen können, wie lange und intensiv der Angeklagte jeweils ein Kissen oder eine Decke auf das Gesicht der Geschädigten gedrückt hat. Sie hat – sachverständig beraten – die vom Tatopfer geschilderte Atemnot für sich allein zur Annahme einer lebensgefährdenden Behandlung nicht als ausreichend angesehen. Die Wertung , Atemnot bedrohe ohne nähere Feststellungen zur Dauer nicht in jedem Fall das Leben des Opfers einer Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. BGHR StGB § 223a Abs. 1 Lebensgefährdung 1, 7 und 8). Das ergänzende Vorbringen der Beschwerdeführerin zu den Verletzungen am Körper des Tatopfers und zu möglichen Gründen, die den Angeklagten veranlaßt haben könnten, das Kissen oder die Decke wieder vom Gesicht der Geschädigten zu entfernen, zeigt nicht auf, weshalb die Strafkammer zu einem anderen Beweisergebnis hätte kommen müssen.
4. Im Fall II. 5 der Urteilsgründe liegt nach dem festgestellten Sachverhalt nicht nur eine gefährliche Körperverletzung, sondern auch eine versuchte Nötigung vor. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht hätte anders verteidigen können. Der Strafausspruch kann jedoch bestehen bleiben. Der Senat schließt aus, daß das Landgericht auf eine höhere Strafe erkannt hätte.
5. Soweit das Landgericht den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung in zwei Fällen freigesprochen hat, hält die Beweiswürdigung rechtlicher Überprüfung stand. Die Beschwerdeführerin rügt ohne Erfolg, das Landgericht habe sich trotz der vergleichbaren Tatbilder nicht näher mit der "Teilglaubwürdigkeit der Zeugin" auseinandergesetzt.
a) Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, daß die Strafkammer zunächst im einzelnen dargelegt hat, weshalb sie die Aussagen der Geschädigten zu den angeklagten Vergewaltigungen nicht in gleichem Maße wie bei den Körperverletzungen als glaubhaft angesehen hat. Da objektive Beweisanzeichen zu diesen Taten fehlen und der Angeklagte die Vergewaltigungen bestreitet, hat das Landgericht die Entstehung und die Entwicklung der Aussage der Geschädigten einer kritischen Prüfung unterzogen. Die Aussagegenese zu den beiden Fällen hat der Strafkammer Anlaß zu Zweifeln gegeben, weil die Geschädigte sämtliche vom Angeklagten an ihr verübten Gewalttaten erst eineinhalb Jahre später angezeigt und – nach anwaltlicher Beratung - erstmals in einer noch späteren Vernehmung vor der Staatsanwaltschaft angegeben hat, auch zweimal vergewaltigt worden zu sein. Indes hat sie als Zeugin in der Hauptverhandlung trotz detaillierten Erinnerungsvermögens im übrigen auch nach mehrfachem Nachfragen keine genauen Angaben über die Tatzeitpunkte machen können. In diesem Zusammenhang war für die Zweifel der Strafkammer maßgeblich, daß die Geschädigte trotz der wiederholten Übergriffe und massiven Verletzungen die Beziehung zum Angeklagten aufrecht erhalten hat und daß sie erst nach der endgültigen Trennung "nur noch die für den Angeklagten negativen Aspekte schildert und hervorhebt". Was die Beschwerdeführerin gegen diese Urteilsfeststellungen vorbringt, läuft im wesentlichen darauf hinaus, die Umstände abweichend zu werten. Dies ist im Revisionsverfahren nicht zulässig.
b) Rechtsfehlerfrei hat die Strafkammer bei der Prüfung des Vorwurfs der Vergewaltigung eine Gesamtschau der Aussage der Geschädigten vorgenommen. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den
Fall Aussage gegen Aussage sogar geboten (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13; § 267 Abs. 1 Satz 1 Beweisergebnis 8; ausführlich Sander StV 2000, 45 ff.). Daß das Landgericht den Angeklagten wegen der Körperverletzungsdelikte verurteilt hat und sich im übrigen von der Schuld des Angeklagten letztlich nicht hat überzeugen können, ist daher hinzunehmen.
6. Die nach § 301 StPO veranlaßte Überprüfung des Urteils zugunsten des Angeklagten hat Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben.
II. Die Revision der Nebenklägerin
1. Die Nebenklägerin rügt ohne Erfolg einen Verstoß gegen § 244 Abs. 3 StPO. Das Landgericht hat die am 26. Juli 1999 gestellten Beweisanträge vor der Urteilsberatung rechtsfehlerfrei wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit abgelehnt. Aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos sind Indiztatsachen, wenn zwischen ihnen und dem Gegenstand der Urteilsfindung keinerlei Sachzusammenhang besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen könnten (BGH StV 1997, 567, 568; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 244 Rdn. 56). So war es hier. Gegenstand der Aussagen von Zeugen aus dem persönlichen Umfeld sollte sein, der Angeklagte habe die Geschädigte nach Trennungen immer wieder zur Rückkehr gedrängt. Das Landgericht hat den Ablehnungsbeschluß damit begründet, es sei nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer hätten ”kaum nachvollziehbare, sehr ambivalente Verhältnisse” bestanden. Entgegen der Auffassung der Nebenklägerin stellt es keine unzuläs-
sige Beweisantizipation dar, daß die Strafkammer aus den Aussagen dieser Zeugen keine Schlüsse über die generelle Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin hätte ziehen wollen.
2. Unbegründet ist deshalb auch die mit demselben Beweisziel erhobene Aufklärungsrüge nach § 244 Abs. 2 StPO. Die Strafkammer war nicht gedrängt , die Zeugen unter Aufklärungsgesichtspunkten zu hören. Sie hat in dem Ablehnungsbeschluß auch ausgeführt, es habe nicht zuletzt nach den Aussagen des Angeklagten und der Nebenklägerin festgestanden, daß es nach heftigen Auseinandersetzungen immer wieder zu Kontaktaufnahmen zwischen beiden gekommen sei.
3. Auch die Nebenklägerin greift die Beweiswürdigung des Landgerichts ohne Erfolg an:
a) Sie rügt, die den Freispruch tragenden Urteilsgründe verstießen gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Zögerliches Anzeigeverhalten dürfe nicht als Indiz gegen das Vorliegen einer Vergewaltigung gewertet werden; die Strafkammer habe nicht berücksichtigt, daß es sich bei diesem Verhalten um eine typische Schamreaktion eines Vergewaltigungsopfers handele. Ungenaue und wechselnde Angaben seien ein typisches Indiz für Vergewaltigungen in einer längeren Beziehung. Dem Verhalten dürfe daher kein Indizwert beigemessen werden; es müsse vielmehr als Bestätigung erheblicher Traumatisierung und Destabilisierung nach erheblichen Körperverletzungen gewertet werden. Dies trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Es gibt keine empirisch abgesicherten Erfahrungssätze über das Anzeigeverhalten von Vergewaltigungsopfern in Fällen der vorliegenden Art, die es verbieten, die feststellbaren Umstän-
de zur Aussagegenese und –entwicklung zu bewerten und im Einzelfall Schlüsse zu ziehen. Steht bei diesen Delikten nach Durchführung der oft schwierigen Beweisaufnahme Aussage gegen Aussage, so muß sich das Gericht bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der widersprechenden Angaben vielmehr in besonderem Maße mit der Entstehung und der Entwicklung einer Aussage auseinandersetzen. Dies hat das Landgericht ohne Rechtsfehler getan.
b) Schließlich rügt die Nebenklägerin auch vergeblich, die Beurteilung von Aussagen und Indizien, aufgrund derer das Landgericht ihre Aussagen zu den Vergewaltigungen als nicht glaubhaft angesehen habe, beruhe auf widersprüchlichen und lückenhaften Tatsachenfeststellungen. Mit ihrem Vorbringen setzt die Nebenklägerin aber nur ihre eigene Wertung der festgestellten Tatsachen an die Stelle der Auffassung des Landgerichts.
Schäfer Granderath Nack Boetticher Schluckebier
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Annotations
(1) Wer die Körperverletzung
- 1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, - 2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, - 3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls, - 4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder - 5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
(2) Der Versuch ist strafbar.
(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.