Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Okt. 2019 - XII ZR 101/19

bei uns veröffentlicht am16.10.2019
vorgehend
Landgericht Leipzig, 4 O 2363/18, 18.04.2019
Oberlandesgericht Dresden, 5 U 1065/19, 01.08.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZR 101/19
vom
16. Oktober 2019
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2019:161019BXIIZR101.19.0

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Oktober 2019 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Botur und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Der Antrag des Beklagten, die vorläufige Zwangsvollstreckung aus dem Schluss-Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 1. August 2019 in Verbindung mit dem Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 18. April 2019 in der Fassung des Teilurteils des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 3. Juli 2019 einstweilen einzustellen, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Beklagten unter anderem verurteilt, die von ihm aufgrund eines zwischenzeitlich ordentlich gekündigten Mietvertrags in Besitz gehaltenen Geschäftsräume zum Betrieb einer Apotheke zu räumen und an die Klägerin herauszugeben. Das Oberlandesgericht hat seine Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Räumung und Herausgabe gerichtet hat, nachdem es durch Teilurteil ausgesprochen hatte, dass der Beklagte die Zwangsvollstreckung aus dem Räumungsausspruch gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 40.000 € abwenden kann, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Revision hat es nicht zugelassen.
2
Nach Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beantragt der Beklagte, die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des Oberlandesgerichts in Verbindung mit der Räumungs- und Herausgabeverpflichtung aus dem Urteil des Landgerichts einstweilen einzustellen.
3
Am 26. September 2019 ist die Räumung im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgt.

II.

4
Der Antrag des Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist nicht begründet.
5
Wird Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht gemäß §§ 544 Abs. 5 Satz 2, 719 Abs. 2 ZPO auf Antrag an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Die besonderen Voraussetzungen für eine solche Einstellung sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
6
1. Der Senat hat bereits wiederholt entschieden, dass die Verpflichtung zur Räumung für sich gesehen keinen "nicht zu ersetzenden Nachteil" im Sinne des § 719 Abs. 2 Satz 1 ZPO darstellt, auch wenn die Vollstreckung das Prozessergebnis vorwegnimmt (vgl. Senatsbeschluss vom 20. September 2017 - XII ZR 76/17 - NJW-RR 2017, 1355 Rn. 5 mwN).
7
2. Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich ein über die Vorwegnahme des Prozessergebnisses hinausgehender nicht zu ersetzender Nachteil vorliegend auch nicht dadurch, dass dem Beklagten durch die Räumung die Geschäftsräume zum Betrieb seiner Apotheke entzogen würden. Der Beklagte hat nicht glaubhaft gemacht, dass es ihm seit Zugang der ordentlichen Kündigung am 29. Juni 2017 nicht möglich gewesen sein sollte, in Leipzig Ersatzräume zum Betrieb der Apotheke zu finden. Im Übrigen ist im Mietvertrag vom 12. Oktober 2000 ausdrücklich geregelt, dass das Mietverhältnis,das sich nach Ablauf einer Befristung von 10 Jahren ohne Kündigung jeweils um ein Jahr verlängert, unter Einhaltung der vertraglich näher bestimmten Kündigungsfrist jederzeit ordentlich gekündigt werden kann.
8
3. Der Einstellung der Zwangsvollstreckung mit oder ohne Sicherheitsleistung steht zudem ein überwiegendes Interesse der Klägerin entgegen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass beide Tatsacheninstanzen zu ihren Gunsten entschieden haben. Zudem wurde die Klägerin, die ihrerseits nur Hauptmieterin des Anwesens ist, in dem sich auch die vom Beklagten angemietete Ladeneinheit befindet, durch weiteres Urteil des Landgerichts auf Antrag des Hauptvermieters (neben dem Beklagten) zur Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Geschäftsräume verpflichtet.
9
4. Schließlich kommt eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung auch deshalb nicht in Betracht, weil die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte.
Dose Klinkhammer Schilling Botur Krüger
Vorinstanzen:
LG Leipzig, Entscheidung vom 18.04.2019 - 4 O 2363/18 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 01.08.2019 - 5 U 1065/19 -

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Okt. 2019 - XII ZR 101/19

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Okt. 2019 - XII ZR 101/19

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Okt. 2019 - XII ZR 101/19 zitiert 3 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 719 Einstweilige Einstellung bei Rechtsmittel und Einspruch


(1) Wird gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der Einspruch oder die Berufung eingelegt, so gelten die Vorschriften des § 707 entsprechend. Die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil darf nur gegen Sicherheitsleistung einges

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Okt. 2019 - XII ZR 101/19 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Okt. 2019 - XII ZR 101/19 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Sept. 2017 - XII ZR 76/17

bei uns veröffentlicht am 20.09.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZR 76/17 vom 20. September 2017 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2017:200917BXIIZR76.17.0 Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. September 2017 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schi

Referenzen

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Wird gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der Einspruch oder die Berufung eingelegt, so gelten die Vorschriften des § 707 entsprechend. Die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil darf nur gegen Sicherheitsleistung eingestellt werden, es sei denn, dass das Versäumnisurteil nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist oder die säumige Partei glaubhaft macht, dass ihre Säumnis unverschuldet war.

(2) Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Die Parteien haben die tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.

(3) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss.

5
1. Die Interessen des Schuldners werden nach der in § 719 Abs. 2 Satz 1 ZPO getroffenen gesetzlichen Wertentscheidung grundsätzlich hintangestellt , da seine Rechte durch ein in zwei Tatsacheninstanzen geführtes Erkenntnisverfahren hinreichend gewahrt erscheinen. Demgegenüber gebührt den Interessen des Gläubigers, dem das Gesetz die Vollstreckung aus einem erwirkten Titel gestattet, auch wenn dieser noch nicht rechtskräftig ist, in der Regel der Vorrang (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Juli 1994 - XII ZR 150/94 - juris Rn. 8 mwN). Die Einstellung der Zwangsvollstreckung kommt hiernach nur in eng begrenzten Ausnahmefällen als letztes Hilfsmittel des Vollstreckungsschuldners in Betracht (Senatsbeschluss vom 24. November 2010 - XII ZR 31/10 - NJW-RR 2011, 705 Rn. 7; BGH Beschluss vom 25. April 2012 - I ZR 136/11 - NJW-RR 2012, 1088 Rn. 5). Dabei ergibt sich allein aus dem Umstand, dass die Vollstreckung das Prozessergebnis vorwegnehmen würde, kein unersetzlicher Nachteil im Sinne des § 719 Abs. 2 Satz 1 ZPO (BGH Beschluss vom 4. September 2014 - I ZR 30/14 - ZUM 2015, 53 Rn. 9 mwN). Nach der Rechtsprechung des Senats stellt daher die Verpflichtung zur Räumung für sich genommen keinen unersetzlichen Nachteil i.S.v. § 719 Abs. 2 Satz 1 ZPO dar (vgl. zu § 712 Abs. 1 ZPO Senatsbeschluss vom 31. Juli 2013 - XII ZR 114/13 - GuT 2013, 217 Rn. 8).