Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Nov. 2014 - XII ZB 44/12

bei uns veröffentlicht am20.11.2014
vorgehend
Amtsgericht Hamm, 30 F 144/10, 14.06.2011
Oberlandesgericht Hamm, 12 UF 197/11, 21.12.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB44/12
vom
20. November 2014
in der Familiensache
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. November 2014 durch
den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Günter,
Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 2 und 3 wird der Beschluss des 12. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 21. Dezember 2011 aufgehoben. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 3 wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamm vom 14. Juni 2011 abgeändert. Der Antrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt. Wert: 2.000 €

Gründe:

I.

1
Die Antragstellerin hat als Behörde gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB die Vaterschaft des Beteiligten zu 1 zu dem Beteiligten zu 2 angefochten. Das Amtsgericht hat antragsgemäß festgestellt, dass der Beteiligte zu 1 nicht der Vater des Beteiligten zu 2 sei. Das Oberlandesgericht hat die dagegen eingelegte Beschwerde der Beteiligten zu 3, der Mutter des Beteiligten zu 2, sowie dessen Anschlussbeschwerde zurückgewiesen.
2
Dagegen hat die Beteiligte zu 3 die zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt , mit der sie die Zurückweisung des Anfechtungsantrags verfolgt. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2013 (FamRZ 2014, 449), durch die die Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit von § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB festgestellt worden sind, hat die Antragstellerin ihren Anfechtungsantrag zurückgenommen. Der Beteiligte zu 2 hat der Rücknahme zugestimmt, nicht aber die Beteiligten zu 1 und 3.

II.

3
1. Die von der Antragstellerin erklärte Antragsrücknahme erfordert, weil bereits eine Endentscheidung ergangen ist, gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 FamFG die Zustimmung der übrigen Beteiligten des Anfechtungsverfahrens nach § 172 FamFG. Als Endentscheidung im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 2 FamFG ist die Entscheidung in erster Instanz anzusehen (vgl. Keidel/Sternal FamFG 18. Aufl. § 22 Rn. 13 f.; Horndasch/Viefhues/Reinken FamFG 3. Aufl. § 22 Rn. 5; BGH Beschluss vom 20. August 1998 - I ZB 38/98 - NJW 1998, 3784 zum Zivilprozess ). Mangels Zustimmung der Beteiligten zu 1 und 3 ist die Antragsrücknahme nicht wirksam geworden und bedarf es somit einer Entscheidung über die Rechtsbeschwerde.
4
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
5
Nachdem das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2013 (FamRZ 2014, 449) die Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit der Regelung in § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB festgestellt hat, fehlt es für die behördliche Vaterschaftsanfechtung an einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfG Beschluss vom 15. Oktober 2014 - 1 BvR 3210/10 - Juris).
6
Demnach ist auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3 die angefochtene Entscheidung des Oberlandesgerichts aufzuheben. Auf die zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 3 ist der Anfechtungsantrag zurückzuweisen.
Dose Klinkhammer Günter Nedden-Boeger Botur
Vorinstanzen:
AG Hamm, Entscheidung vom 14.06.2011 - 30 F 144/10 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 21.12.2011 - II-12 UF 197/11 -

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Referenzen - Gesetze

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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1600 Anfechtungsberechtigte


(1) Berechtigt, die Vaterschaft anzufechten, sind:1.der Mann, dessen Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 und 2, § 1593 besteht,2.der Mann, der an Eides statt versichert, der Mutter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben,3.die Mutter und4

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 172 Beteiligte


(1) Zu beteiligen sind1.das Kind,2.die Mutter,3.der Vater. (2) Das Jugendamt ist in den Fällen des § 176 Abs. 1 Satz 1 auf seinen Antrag zu beteiligen.

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 22 Antragsrücknahme; Beendigungserklärung


(1) Ein Antrag kann bis zur Rechtskraft der Endentscheidung zurückgenommen werden. Die Rücknahme bedarf nach Erlass der Endentscheidung der Zustimmung der übrigen Beteiligten. (2) Eine bereits ergangene, noch nicht rechtskräftige Endentscheidung

Referenzen

(1) Berechtigt, die Vaterschaft anzufechten, sind:

1.
der Mann, dessen Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 und 2, § 1593 besteht,
2.
der Mann, der an Eides statt versichert, der Mutter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben,
3.
die Mutter und
4.
das Kind.

(2) Die Anfechtung nach Absatz 1 Nr. 2 setzt voraus, dass zwischen dem Kind und seinem Vater im Sinne von Absatz 1 Nr. 1 keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder im Zeitpunkt seines Todes bestanden hat und dass der Anfechtende leiblicher Vater des Kindes ist.

(3) Eine sozial-familiäre Beziehung nach Absatz 2 besteht, wenn der Vater im Sinne von Absatz 1 Nr. 1 zum maßgeblichen Zeitpunkt für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt oder getragen hat. Eine Übernahme tatsächlicher Verantwortung liegt in der Regel vor, wenn der Vater im Sinne von Absatz 1 Nr. 1 mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat.

(4) Ist das Kind mit Einwilligung des Mannes und der Mutter durch künstliche Befruchtung mittels Samenspende eines Dritten gezeugt worden, so ist die Anfechtung der Vaterschaft durch den Mann oder die Mutter ausgeschlossen.

(1) Ein Antrag kann bis zur Rechtskraft der Endentscheidung zurückgenommen werden. Die Rücknahme bedarf nach Erlass der Endentscheidung der Zustimmung der übrigen Beteiligten.

(2) Eine bereits ergangene, noch nicht rechtskräftige Endentscheidung wird durch die Antragsrücknahme wirkungslos, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung bedarf. Das Gericht stellt auf Antrag die nach Satz 1 eintretende Wirkung durch Beschluss fest. Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

(3) Eine Entscheidung über einen Antrag ergeht nicht, soweit sämtliche Beteiligte erklären, dass sie das Verfahren beenden wollen.

(4) Die Absätze 2 und 3 gelten nicht in Verfahren, die von Amts wegen eingeleitet werden können.

(1) Zu beteiligen sind

1.
das Kind,
2.
die Mutter,
3.
der Vater.

(2) Das Jugendamt ist in den Fällen des § 176 Abs. 1 Satz 1 auf seinen Antrag zu beteiligen.

(1) Ein Antrag kann bis zur Rechtskraft der Endentscheidung zurückgenommen werden. Die Rücknahme bedarf nach Erlass der Endentscheidung der Zustimmung der übrigen Beteiligten.

(2) Eine bereits ergangene, noch nicht rechtskräftige Endentscheidung wird durch die Antragsrücknahme wirkungslos, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung bedarf. Das Gericht stellt auf Antrag die nach Satz 1 eintretende Wirkung durch Beschluss fest. Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

(3) Eine Entscheidung über einen Antrag ergeht nicht, soweit sämtliche Beteiligte erklären, dass sie das Verfahren beenden wollen.

(4) Die Absätze 2 und 3 gelten nicht in Verfahren, die von Amts wegen eingeleitet werden können.

(1) Berechtigt, die Vaterschaft anzufechten, sind:

1.
der Mann, dessen Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 und 2, § 1593 besteht,
2.
der Mann, der an Eides statt versichert, der Mutter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben,
3.
die Mutter und
4.
das Kind.

(2) Die Anfechtung nach Absatz 1 Nr. 2 setzt voraus, dass zwischen dem Kind und seinem Vater im Sinne von Absatz 1 Nr. 1 keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder im Zeitpunkt seines Todes bestanden hat und dass der Anfechtende leiblicher Vater des Kindes ist.

(3) Eine sozial-familiäre Beziehung nach Absatz 2 besteht, wenn der Vater im Sinne von Absatz 1 Nr. 1 zum maßgeblichen Zeitpunkt für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt oder getragen hat. Eine Übernahme tatsächlicher Verantwortung liegt in der Regel vor, wenn der Vater im Sinne von Absatz 1 Nr. 1 mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat.

(4) Ist das Kind mit Einwilligung des Mannes und der Mutter durch künstliche Befruchtung mittels Samenspende eines Dritten gezeugt worden, so ist die Anfechtung der Vaterschaft durch den Mann oder die Mutter ausgeschlossen.