Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Aug. 2011 - XII ZB 187/10

bei uns veröffentlicht am03.08.2011
vorgehend
Landgericht Baden-Baden, 3 O 521/09, 04.12.2009
Oberlandesgericht Karlsruhe, 8 W 1/10, 27.04.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 187/10
vom
3. August 2011
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
EuGVVO (= Brüssel I-VO) Artt. 34 Nr. 2, 45; EuZVO 2000 Art. 8

a) Art. 34 Nr. 2 EuGVVO stellt nicht auf die formal ordnungsgemäße Zustellung des
verfahrenseinleitenden Schriftstücks nach Art. 8 EuZVO 2000, sondern auf die tatsächliche
Wahrung der Verteidigungsrechte ab. Diese gelten als gewahrt, wenn
der Beklagte Kenntnis vom laufenden Gerichtsverfahren erlangt hat und deswegen
seine Rechte geltend machen konnte (im Anschluss an EuGH Slg. 2009,
I-3571 und Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2007
- XII ZB 240/05 - FamRZ 2008, 586).

b) Im Hinblick auf den Zweck des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO, das rechtliche Gehör des
Beklagten zu gewährleisten, gilt als Einlassung im Sinne der Vorschrift jedes Verhandeln
, aus dem sich ergibt, dass der Beklagte von dem gegen ihn eingeleiteten
Verfahren Kenntnis erlangt und die Möglichkeit der Verteidigung gegen den Angriff
des Klägers erhalten hat, es sei denn, sein Vorbringen beschränkt sich darauf,
den Fortgang des Verfahrens zu rügen, weil das Gericht unzuständig sei oder weil
die Zustellung nicht so erfolgt sei, dass er sich verteidigen könne. Ein Beklagter,
der sich auf das Verfahren eingelassen hat, kann sich zumindest dann nicht mehr
auf das Vollstreckungshindernis berufen, wenn er Gelegenheit zur Verteidigung
erhalten hat (im Anschluss an EuGH NJW 1993, 2091).

c) Grundsätzlich ist die Rüge eines Verstoßes gegen den verfahrensrechtlichen
ordre public dann ausgeschlossen, wenn der Antragsgegner des Vollstreckbarkeitsverfahrens
im Erkenntnisverfahren nicht alle nach dem Recht des Ursprungsstaates
statthaften, zulässigen und zumutbaren Rechtsmittel ausgeschöpft hat (im
Anschluss an den Senatsbeschluss BGHZ 182, 188 = FamRZ 2009, 1816). Weil
dadurch die Rechtsposition des Beklagten nicht unerheblich eingeschränkt wird,
setzt dies voraus, dass der Beklagte nicht nur von der Existenz eines Urteils, sondern
auch von dessen genauem Inhalt Kenntnis erlangt hat.
BGH, Beschluss vom 3. August 2011 - XII ZB 187/10 - OLG Karlsruhe
LG Baden-Baden
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. August 2011 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Dose, Dr. Klinkhammer, Schilling
und Dr. Günter

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 27. April 2010 wird auf Kosten des Antragsgegners verworfen. Beschwerdewert: bis 2.000 €

Gründe:

I.

1
Die Parteien streiten um die Vollstreckbarkeit der Unterhaltspflicht des Antragsgegners aus dem Urteil des polnischen Amtsgerichts S. vom 26. November 2008.
2
Der am 14. Juni 2007 nichtehelich geborene Antragsteller lebt bei seiner Mutter in Polen. Die Klageschrift in dem polnischen Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft, Zahlung von Kindesunterhalt und weiterer, mit der Vaterschaft verbundener Ansprüche wurde dem Antragsgegner am 7. Dezember 2007 auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten vom 29. Mai 2000 (im Folgenden: EuZVO 2000) an seinem Wohnort in Deutschland zugestellt. Mit Zustellung der Klageschrift wurde dem Antragsgegner ein Formular nach Art. 8 EuZVO 2000 ausgehändigt, wonach er die Annahme des Schriftstücks verweigern darf, wenn es nicht in einer in dieser Vorschrift genannten Sprache, also der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats oder einer Sprache des Übermittlungsmitgliedstaats, die der Empfänger versteht, abgefasst ist. Noch am gleichen Tag erschien der Antragsgegner bei der deutschen Empfangsstelle und gab die zugestellten Unterlagen mit dem Bemerken zurück, er habe mit dieser Sache nichts zu tun. Er kenne weder das Kind noch die Mutter. Er wohne an der angegebenen Adresse , sein Geburtsdatum stimme aber nicht mit dem der "wohl gemeinten" Person überein. Unter Hinweis auf die verweigerte Entgegennahme der Klageschrift sandte das deutsche Amtsgericht das Ersuchen an das polnische Amtsgericht zurück.
3
In der Folgezeit wurde zur Frage der Vaterschaft des Antragsgegners ein DNA-Gutachten eingeholt. Die Blutprobe des Antragsgegners wurde im Wege der Rechtshilfe entnommen und dem polnischen Sachverständigen übersandt. Das Gutachten gelangte zu dem Ergebnis, dass der Antragsgegner mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit Vater des Antragstellers ist. Mit Urteil vom 26. November 2008 wurde die Vaterschaft festgestellt und der Antragsgegner verurteilt, an den Antragsteller ab dem 14. Juni 2007 monatlichen Unterhalt in Höhe von 600 PLN zu zahlen. Dem Antragsgegner wurden die Gerichtskosten , die Kosten für Übersetzungen in Höhe von 383,84 PLN und die Kosten für die Erstellung des DNA-Gutachtens in Höhe von 1.863 PLN auferlegt.
4
Das Landgericht hat die Unterhaltspflicht des Antragsgegners aus dem Urteil des polnischen Amtsgerichts S. vom 26. November 2008 für in der Bundesrepublik Deutschland vollstreckbar erklärt. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Antragsgegners gegen diesen Beschluss zurückgewiesen.
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners, mit der er seinen Abweisungsantrag weiterverfolgt.

II.

5
Die Rechtsbeschwerde ist nach Art. 44 i.V.m. Anhang IV der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (EuGVVO = Brüssel I-VO) i.V.m. § 15 Abs. 1 AVAG und § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch wegen grundsätzlicher Bedeutung oder zur Rechtsfortbildung erforderlich.
6
1. Zutreffend sind die Instanzgerichte davon ausgegangen, dass sich die Vollstreckbarkeit des polnischen Unterhaltstitels in der Bundesrepublik Deutschland nach den Vorschriften der EuGVVO richtet. Die Verordnung ist für die Bundesrepublik Deutschland am 1. März 2002 in Kraft getreten und gilt für Polen seit dem 1. Mai 2004. Die neue Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen vom 18. Dezember 2008 (EuUnthVO) und das zur Ausführung erlassene Gesetz zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Verkehr mit ausländischen Staaten (Auslandsunterhaltsgesetz - AUG) sind erst zum 18. Juni 2011 in Kraft getreten (Art. 76 EuUnthVO und Art. 20 des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung vom 23. Mai 2011 BGBl. I 898, 919) und gelten nicht für die bei ihrem Inkrafttreten bereits eingeleiteten Vollstreckbarkeitsverfahren (Art. 75 Abs. 1 EuUnthVO und § 77 Nr. 1 AUG; vgl. insoweit Heger/Selg FamRZ 2011, 1101 ff. und Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 9 Rn. 675 ff.).
7
2. Ebenfalls zu Recht hat das Oberlandesgericht die inländische Vollstreckbarkeit nicht nach Art. 45 Abs. 1 i.V.m. Art. 34 Nr. 2 EuGVVO versagt.
8
a) Soweit der Antragsgegner einwendet, der Antrag in dem polnischen Ausgangsverfahren sei ihm nicht so rechtzeitig zugestellt worden, dass er sich gegen die Klage verteidigen konnte, hat das Oberlandesgericht dies mit zutreffender Begründung zurückgewiesen.
9
aa) Die Zustellung der Klageschrift in dem polnischen Ausgangsverfahren erfolgte am 7. Dezember 2007 nach den Vorschriften der EuZVO 2000. Die neue Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten ("Zustellung von Schriftstücken" ) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates, vom 13. November 2007 (EuZVO 2007), ist nach ihrem Art. 26 erst zum 13. November 2008 in Kraft getreten und galt deswegen bei den hier relevanten Zustellungen noch nicht.
10
Die Erwägungsgründe 2 der EuZVO 2000 führen zum Zweck der Verordnung Folgendes aus: „Für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts muss die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Ziviloder Handelssachen, die in einem Mitgliedstaat zugestellt werden sollen, zwischen den Mitgliedstaaten verbessert und beschleunigt werden." Nach dem Erwägungsgrund 7 erfordert die gebotene schnelle Übermittlung "den Einsatz aller geeigneten Mittel, wobei bestimmte Anforderungen an die Lesbarkeit und die Übereinstimmung des empfangenen Schriftstücks mit dem Inhalt des ver- sandten Schriftstücks zu beachten sind. Aus Sicherheitsgründen muss das zu übermittelnde Schriftstück mit einem Formblatt versehen sein, das in der Sprache des Ortes auszufüllen ist, an dem die Zustellung erfolgen soll, oder in einer anderen vom Empfängerstaat anerkannten Sprache."
11
Um die Interessen des Empfängers zu wahren, erfolgt die Zustellung nach Erwägungsgrund 10 „in der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des Orts, an dem sie vorgenommen wird, oder in einer anderen Sprache des Übermittlungsmitgliedstaats, die der Empfänger versteht." Entsprechend ist nach Art. 8 EuZVO 2000 der Empfänger davon in Kenntnis zu setzen, dass er die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks verweigern darf, wenn dieses in einer anderen als der genannten Sprache abgefasst ist. Insoweit ist in Erwägungsgrund 8 der EuZVO 2000 allerdings ausdrücklich ausgeführt: "Um die Wirksamkeit dieser Verordnung zu gewährleisten, ist die Möglichkeit, die Zustellung von Schriftstücken zu verweigern, auf Ausnahmefälle beschränkt."
12
Bei der Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen Möglichkeit zur Verweigerung der Annahme nach Art. 8 EuZVO 2000 kann auch der weitere Zweck der Verordnung, eine Vollstreckbarkeit der nachfolgenden Entscheidungen in anderen Mitgliedstaaten zu ermöglichen, nicht außer Betracht bleiben (vgl. EuGH FamRZ 2009, 1471 Rn. 50 ff.). Die insoweit hier anwendbare EuGVVO will für die Vollstreckbarkeit ein angemessenes Gleichgewicht schaffen zwischen dem gegenseitigen Vertrauen in die Justiz einerseits, das es rechtfertigt, die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in einem anderen Mitgliedstaat grundsätzlich von Rechts wegen anzuerkennen und zu vollstrecken, und der Wahrung der Verteidigungsrechte andererseits, die dem Schuldner einen in einem streitigen Verfahren zu prüfenden Rechtsbehelf ermöglichen, wenn er einen Grund für die Versagung der Vollstreckung geltend macht.
13
Art. 34 Nr. 2 EuGVVO stellt nicht mehr auf die formal ordnungsgemäße Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks ab, wie dies noch in Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ der Fall war, sondern auf die tatsächliche Wahrung der Verteidigungsrechte. Diese gelten als gewahrt, wenn der Beklagte Kenntnis vom laufenden Gerichtsverfahren erlangt hat und deswegen seine Rechte geltend machen konnte (EuGH Slg. 2009, I-3571 Rn. 73, 75; Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2007 - XII ZB 240/05 - FamRZ 2008, 586 Rn. 27). Diese Änderung stützt zugleich die Auslegung des Begriffs eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks, das den Beklagten zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs von dem gegen ihn gerichteten gerichtlichen Verfahren in Kenntnis setzen soll. Durch die rechtzeitige Zustellung soll der Beklagte in die Lage versetzt werden, seine Rechte in einem gerichtlichen Verfahren des Übermittlungsstaats geltend zu machen. Einem solchen Schriftstück müssen sich deswegen zumindest Gegenstand und Grund des Antrags sowie die Aufforderung entnehmen lassen, sich vor Gericht einzulassen (EuGH NJW 2008, 1721 Rn. 66 ff., 73; vgl. auch Kropholler/von Hein Europäisches Zivilprozessrecht 9. Aufl. Art. 34 EuGVO Rn. 30 und Geimer/Schütze Europäisches Zivilverfahrensrecht 3. Aufl. § 34 EuGVVO Rn. 91).
14
bb) Unter Berücksichtigung dessen hat das Oberlandesgericht mit zutreffenden Gründen eine berechtigte Annahmeverweigerung im Sinne von Art. 8 EuZVO 2000 i.V.m. Art. 34 Nr. 2 EuGVVO wegen fehlender Übersetzung der Klageschrift verneint.
15
Zwar steht die erst nachträgliche Rückgabe der Klageschrift durch den Antragsgegner einer berechtigten Annahmeverweigerung nach Art. 8 EuZVO 2000 nicht entgegen. Denn die Entscheidung, die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks wegen fehlender Übersetzung zu verweigern, muss nicht sofort bei Übergabe fallen. Insbesondere im Falle einer Ersatzzustellung durch Einle- gung in den Briefkasten nach § 180 ZPO muss dem Zustellungsempfänger die Möglichkeit verbleiben, eine Zustellung in angemessener Frist auch nachträglich zu verweigern (vgl. Schlosser EU-Zivilprozessrecht 3. Aufl. Art. 8 EuZVO Rn. 4).
16
Eine nach Art. 8 EuZVO 2000 zulässige Annahmeverweigerung wegen nicht ausreichender Übersetzung liegt hier schon nicht vor. Ausweislich des Vermerks der Empfangsstelle hat der Antragsgegner die Annahme nicht wegen fehlender Übersetzung, sondern deswegen verweigert, weil er behauptet hat, mit dem Verfahren nichts zu tun zu haben. Er kenne weder das Kind noch die Mutter und sein Geburtsdatum stimme, trotz richtig angegebener Adresse, nicht mit dem Geburtsdatum des Beklagten in der Klageschrift überein. Diese Begründung der Annahmeverweigerung ist dem polnischen Amtsgericht vom Rechtshilfegericht auch mitgeteilt worden. Auf dieser Grundlage ist das polnische Gericht von einer Einlassung des Antragsgegners zur Sache ausgegangen und hat nicht im Versäumnisverfahren entschieden. Aufgrund seiner Einlassung hatte das polnische Ausgangsgericht auch keine Veranlassung mehr, die jetzt behauptete fehlende Übersetzung nachzureichen. Denn schon auf der Grundlage der EuZVO 2000 konnte der Mangel einer nicht ausreichenden Übersetzung dadurch geheilt werden, dass die geforderte Übersetzung nachgereicht wird (EuGH NJW 2006, 491 Rn. 37 ff.). Die an die Stelle der hier anwendbaren EuZVO 2000 getretene neue EuZVO 2007 sieht eine solche Heilungsmöglichkeit nunmehr sogar ausdrücklich in Art. 8 Abs. 3 vor.
17
Weil der Antragsgegner sich nicht nach Art. 8 EuZVO 2000 i.V.m. Art. 34 Nr. 2 EuGVVO auf eine fehlende Übersetzung berufen hat, kommt es nicht darauf an, ob eine solche Übersetzung in die deutsche Sprache tatsächlich fehlte. Dagegen spricht allerdings, dass das polnische Amtsgericht dem Antragsgeg- ner die konkret bezifferten Kosten für Übersetzungen in dem Ausgangsverfahren auferlegt hat.
18
cc) Der Antragsgegner, der die Annahme der Klageschrift im polnischen Ausgangsverfahren nicht wegen fehlender Übersetzung verweigert hatte, hat sich stattdessen in jenem Verfahren zur Sache eingelassen. Auch dies steht nach Art. 45 Abs. 1, 34 Nr. 2 EuGVVO einem Vollstreckungshindernis entgegen. Denn der Schutz des § 34 Nr. 2 EuGVVO beschränkt sich ausdrücklich auf solche Beklagte, die sich auf das Verfahren nicht eingelassen haben.
19
Der Begriff der Einlassung ist dabei unionsrechtlich autonom zu bestimmen. Im Hinblick auf den Zweck der Vorschrift, das rechtliche Gehör des Beklagten zu gewährleisten, gilt als Einlassung im Sinne der Vorschrift jedes Verhandeln , aus dem sich ergibt, dass der Beklagte von dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren Kenntnis erlangt und die Möglichkeit der Verteidigung gegen den Angriff des Klägers erhalten hat, es sei denn, sein Vorbringen beschränkt sich darauf, den Fortgang des Verfahrens zu rügen, weil das Gericht unzuständig sei oder weil die Zustellung nicht so erfolgt sei, dass er sich verteidigen könne (Kropholler/von Hein Europäisches Zivilprozessrecht 9. Aufl. Art. 34 EuGVO Rn. 27; Geimer/Schütze Europäisches Zivilverfahrensrecht 3. Aufl. Art. 34 EuGVVO Rn. 109 ff.; Schlosser EU-Zivilprozessrecht 3. Aufl. Art. 34-36 EuGVVO Rn. 20). Entsprechend hatte der Europäische Gerichtshof bereits zur Vorgängerregelung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ entschieden, dass sich ein Beklagter, der sich auf das Verfahren eingelassen hat, zumindest dann nicht mehr auf das Vollstreckungshindernis berufen kann, wenn er Gelegenheit zur Verteidigung erhalten hat (EuGH NJW 1993, 2091 Rn. 36 ff.).
20
Auf die Rechtsfrage, ob eine das Vollstreckungshindernis des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO ausschließende Einlassung auch dann vorliegt, wenn die Ein- lassung zur Sache neben der Rüge einer unwirksamen Zustellung oder der Unzuständigkeit des Gerichts erfolgt, kommt es hier nicht an (zum Streit vgl. EuGH Slg. 1981, 1671 Rn. 14, EuGH Slg. 1981, 2431 und OGH Wien ZfRV 2000, 112). Denn der Antragsgegner hat im Ausgangsverfahren nicht eine fehlende Übersetzung der Klageschrift gerügt, sondern sich darauf beschränkt, in der Sache vorzutragen. Seine Einlassung, er kenne weder das Kind noch die Mutter und sei nicht als Beklagter gemeint, zielt auf eine fehlende Passivlegitimation und richtet sich somit gegen die Begründetheit der Klage (vgl. Zöller/Greger ZPO 28. Aufl. vor § 253 Rn. 25).
21
Auch die weitere Frage, ob eine Einlassung des Beklagten im Sinne des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO darin zu erblicken ist, dass er durch Abgabe einer Blutprobe an der vom Gericht angeordneten Beweisaufnahme durch Einholung eines DNA-Gutachtens mitgewirkt hat, kann hier dahinstehen. Denn der Antragsgegner hatte sich bereits zuvor entschieden, nicht die unterbliebene Übersetzung nach Art. 8 EuZVO 2000 zu rügen, sondern sich in der Sache selbst einzulassen.
22
b) Schließlich entfällt ein Vollstreckungshindernis nach Art. 45 Abs. 1, 34 Nr. 2 EuGVVO auch deswegen, weil der Antragsgegner gegen das Ausgangsurteil des polnischen Amtsgerichts kein Rechtsmittel eingelegt hat, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre.
23
Grundsätzlich ist die Rüge eines Verstoßes gegen den verfahrensrechtlichen ordre public dann ausgeschlossen, wenn der Antragsgegner des Vollstreckbarkeitsverfahrens im Erkenntnisverfahren nicht alle nach dem Recht des Ursprungsstaates statthaften, zulässigen und zumutbaren Rechtsmittel ausgeschöpft hat (Senatsbeschluss BGHZ 182, 188 = FamRZ 2009, 1816 Rn. 40 mwN). Für die Rüge einer nicht rechtzeitigen Zustellung des verfahrenseinlei- tenden Schriftstücks ist dies in § 34 Nr. 2 EuGVVO ausdrücklich geregelt. Diese Regelung lässt sich damit rechtfertigen, dass über Verfahrensfehler möglichst sachnah im Ursprungsstaat entschieden werden soll. Zudem ist die prozessuale Lage, auf der das Vollstreckungshindernis des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO beruht, wenn der Beklagte das verfahrenseinleitende Schriftstück zwar nicht rechtzeitig erhalten, von der anhängigen Klage aber in einem späteren Stadium, z. B. durch Zustellung des Urteils, erfahren hat, durch die weitere Entwicklung überholt. Dadurch wird die Rechtsposition des Beklagten allerdings nicht unerheblich eingeschränkt. Erforderlich ist deshalb, dass der Beklagte nicht nur von der Existenz eines Urteils, sondern auch von dessen genauem Inhalt Kenntnis erlangt (Kropholler/von Hein Europäisches Zivilprozessrecht 9. Aufl. Art. 34 EuGVO Rn. 42; Geimer in Geimer/Schütze Europäisches Zivilverfahrensrecht 3. Aufl. Art. 34 EuGVVO Rn. 94 ff.; Schlosser EU-Zivilprozessrecht 3. Aufl. Art. 34-36 EuGVVO Rn. 19). Selbst wenn der Beklagte erst im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 42 Abs. 2 EuGVVO vom Inhalt der Entscheidung Kenntnis erlangt, ist er verpflichtet, die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung im Ausgangsstaat einzulegen (vgl. BGH Beschlüsse vom 17. Dezember 2009 - IX ZB 124/08 - NJW-RR 2010, 571 und vom 21. Januar 2010 - IX ZB 193/07 - NJW-RR 2010, 1001).
24
Gegen das Urteil des polnischen Amtsgerichts war nach Art. 367 des polnischen Zivilverfahrensgesetzbuches (ZVGB) eine Berufung zulässig. Nach dem Inhalt der Entscheidung und der ausdrücklichen Stellungnahme des Bezirksgerichts im Vollstreckbarkeitsverfahren hatte das Amtsgericht berücksichtigt , dass der Antragsgegner auf die Zustellung der Klageschrift in der Sache geantwortet hatte und deswegen nicht in Form eines Versäumnisurteils entschieden. Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsgegner nach Art. 1135 § 1 und 2 ZVGB keine weiteren Zustellungen zugegangen sind und ihm auch das Urteil des Amtsgerichts nicht zugestellt wurde, liegen nicht vor (vgl. insoweit Senatsbeschluss BGHZ 182, 188 = FamRZ 2009, 1816 Rn. 41 ff.). Zwar sind die Versagungsgründe des § 34 EuGVVO im Vollstreckbarkeitsverfahren von Amts wegen auch ohne eine entsprechende Rüge des Beklagten zu prüfen. Dabei besteht allerdings keine Verpflichtung des Beschwerdegerichts, die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln (Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2007 - XII ZB 240/05 - FamRZ 2008, 586 Rn. 22 ff.). Eine fehlende Zustellung des polnischen Ausgangsurteils hat der Antragsgegner im Vollstreckbarkeitsverfahren nicht behauptet.
25
3. Weil auch keine sonstigen Gründe gegen eine Versagung der Vollstreckbarkeit des Unterhaltsausspruchs aus dem polnischen Urteil vom 26. November 2008 im Sinne der Art. 45 Abs. 1, 34 f. EuGVVO ersichtlich sind, hat das Oberlandesgericht die Beschwerde des Antragsgegners gegen die angeordnete Vollstreckbarkeit zu Recht als unbegründet zurückgewiesen. Hahne Dose Klinkhammer Schilling Günter
Vorinstanzen:
LG Baden-Baden, Entscheidung vom 04.12.2009 - 3 O 521/09 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 27.04.2010 - 8 W 1/10 -

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(1) Gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts findet die Rechtsbeschwerde nach Maßgabe des § 574 Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 der Zivilprozessordnung statt.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats einzulegen.

(3) Die Rechtsbeschwerdefrist ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des Beschlusses (§ 13 Absatz 3).

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Unterhaltstitels richtet sich für die am 18. Juni 2011 bereits eingeleiteten Verfahren nach dem Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz in der Fassung vom 3. Dezember 2009 (BGBl. I S. 3830) im Anwendungsbereich

1.
der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 12 vom 16.1.2001, S. 1),
2.
des Abkommens vom 19. Oktober 2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 299 vom 16.11.2005, S. 62),
3.
des Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 339 vom 21.12.2007, S. 3),
4.
des Übereinkommens vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1994 II S. 2658) und
5.
des Haager Übereinkommens vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (BGBl. 1986 II S. 826).

(2) Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Titels richtet sich für Verfahren mit förmlicher Gegenseitigkeit (§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3), die am 18. Juni 2011 bereits eingeleitet sind, nach dem Auslandsunterhaltsgesetz vom 19. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2563), das zuletzt durch Artikel 4 Absatz 10 des Gesetzes vom 17. Dezember 2006 (BGBl. I S. 3171) geändert worden ist.

(3) Die gerichtliche Zuständigkeit für am 18. Juni 2011 noch nicht abgeschlossene Unterhaltssachen und anhängige Verfahren auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe bleibt unberührt.

(4) Die §§ 30 bis 34 sind nur auf Titel anwendbar, die auf der Grundlage des Haager Protokolls vom 23. November 2007 über das anwendbare Recht (ABl. L 331 vom 16.12.2009, S. 19) ergangen sind.

(5) Die §§ 16 bis 19 sind auch auf Ersuchen anzuwenden, die bei der zentralen Behörde am 18. Juni 2011 bereits anhängig sind.

27
Soweit der Versagungsgrund des Art. 34 Nr. 2 Brüssel I-VO betroffen ist, muss der Kläger des erststaatlichen Verfahrens im Hinblick auf die ihm gemäß Art. 53 Brüssel I-VO auferlegten Pflichten darlegen und durch Vorlage der formularmäßigen Bescheinigung nach Art. 54 Brüssel I-VO oder gleichwertiger Urkunden nachweisen, zu welchem Zeitpunkt die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstückes an den Beklagten erfolgte (OLG Hamm IPRspr 2003, Nr. 188; Rauscher/Leible aaO Art. 34 Brüssel I-VO Rdn. 42; Zöller/Geimer ZPO 26. Aufl. Art. 34 EG-VO Zivil- und Handelssachen Rdn. 27). Auf die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung kommt es für Art. 34 Nr. 2 Brüssel I-VO im Gegensatz zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ nicht mehr an. Der EU-Verordnungsgeber hat es bewusst ausschließen wollen, dass ein bloß formaler und für die Verteidigungsmöglichkeiten des Schuldners unmaßgeblicher Zustellungsfehler dazu führt, die Anerkennung oder Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung zurückzuweisen (vgl. Begründung zu Art. 41 des Kommissionsentwurfs KOM 1999 (348) endg. BR-Drucks. 534/99, S. 24; EuGH Urteil vom 14. Dezember 2006 - Rs. C-283/05 - NJW 2007, 825, 826 Rdn. 20 - ASML Netherlands/SEMIS; BGH Beschluss vom 9. November 2006 - IX ZB 23/06 - NJW-RR 2007, 638).

Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 nicht ausführbar, kann das Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt. Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 193/07
vom
21. Januar 2010
in dem Verfahren auf Vollstreckbarerklärung
einer ausländischen Entscheidung
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Brüssel I-VO Art. 34 Nr. 2, Art. 46 Abs. 1; EuGVÜ Art. 27 Nr. 2

a) Der Schuldner kann sich im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung ausländischer
Entscheidungen nicht darauf berufen, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück
oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht zugestellt worden ist, wenn ihm im
Ursprungsland noch ein Rechtsbehelf zur Verfügung steht, mit dem er dies geltend
machen kann.

b) Erfolgt die Zustellung der für vollstreckbar zu erklärenden Entscheidung erst mit
dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung, hat das Beschwerdegericht erforderlichenfalls
das Verfahren auszusetzen und eine Frist zu bestimmen, in der der
Schuldner den Rechtsbehelf bei dem ausländischen Gericht einzulegen hat.
BGH, Beschluss vom 21. Januar 2010 - IX ZB 193/07 - OLG Hamburg
LG Hamburg
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, die Richter Raebel, Vill, die Richterin Lohmann und den Richter
Dr. Pape
am 21. Januar 2010

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 14. September 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 30.815,96 € festgesetzt.

Gründe:


I.


1
Antragsgegnerin Die (im Folgenden auch Schuldnerin) wurde durch Mahnbescheid Nr. des Tribunale di Milano vom 18. Oktober 2005 zur Zahlung von 30.815,96 € an die Antragsstellerin (nachfolgend auch Gläubigerin) verpflichtet. Die Schuldnerin hatte sich auf das Verfahren in Italien nicht einge- lassen. Der Antrag auf Erlass des Mahnbescheids und der Mahnbescheid (decreto ingiuntivo) waren ihr am 27. Dezember 2005 in der Form zugestellt worden, dass während ihrer Betriebsferien das Schriftstück einem in ihren Geschäftsräumen ausnahmsweise anwesenden Beschäftigten übergeben worden war, der in einer anderen Betriebsstätte angestellt war. Ob, wie und an wen der Empfänger das Schriftstück weitergab, konnte nicht festgestellt werden. Die Geschäftsführungsorgane der Antragsgegnerin erhielten es nicht. Mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2006 beantragte die Gläubigerin, den Mahnbescheid für vollstreckbar zu erklären.
2
Am 20. März 2007 hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts den Mahnbescheid für vollstreckbar erklärt. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das Oberlandesgericht diese Entscheidung aufgehoben und den Antrag auf Vollstreckbarerklärung zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Gläubigerin Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung.

II.


3
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 15 Abs. 1 AVAG statthaft und zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
4
Das 1. Beschwerdegericht meint, die Vollstreckbarerklärung verstoße gegen Art. 34 Nr. 2 EuGVVO, denn die Antragsgegnerin habe sich auf das Verfahren nicht eingelassen, weil sie sich aufgrund fehlender Zustellung des ver- fahrenseinleitenden Schriftstücks vor Erlass des Mahnbescheids nicht habe verteidigen können. Die Zustellung des Mahnbescheides, die gemäß Art. 7 EuZVO nach den Vorschriften der ZPO zu beurteilen sei, müsse als unwirksam angesehen werden. Die Übergabe an eine in den Geschäftsräumen der Antragsgegnerin nur zufällig anwesende Person, die in einer anderen Niederlassung der Antragsstellerin beschäftigt gewesen sei, reiche für eine wirksame Ersatzzustellung nicht aus. Es könne nicht festgestellt werden, ob das zuzustellende Schriftstück überhaupt in die Hand des Leiters der Antragsgegnerin gelangt sei. Die Antragsgegnerin habe keine Möglichkeit gehabt, gegen die Entscheidung des Tribunale di Milano einen Rechtsbehelf einzulegen.
5
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.
6
a) Auf das Verfahren findet die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (EuGVVO) gemäß Art. 66 Abs. 2 Buchst. a, Art. 76 EuGVVO Anwendung. Gemäß Art. 34 Nr. 2, Art. 45 EuGVVO kann eine ausländische Entscheidung nicht anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte.
7
b) Die erste Voraussetzung dieser Vorschrift ist erfüllt. Die Antragsgegnerin hat sich auf das Verfahren in Italien nicht eingelassen. Ein Mangel der Zustellung der verfahrenseinleitenden Schriftstücke liegt ebenfalls vor. Das Beschwerdegericht hat aber nicht ausreichend ermittelt, ob die Antragsgegnerin die Möglichkeit gehabt hätte, in Italien einen Rechtsbehelf einzulegen, mit dem sie die fehlerhafte Zustellung geltend machen konnte.
8
aa) Soweit die Rechtsbeschwerde meint, die Zulassung der Rechtsbeschwerde sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil das Beschwerdegericht in Abweichung von der Rechtsprechung des EuGH verkannt habe, dass es sich bei der Zustellung des Mahnbescheids um die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks gehandelt habe, ist kein Rechtsfehler festzustellen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdegericht - jedenfalls im Ergebnis - nicht verkannt, dass es sich bei dem das Verfahren einleitenden Schriftstück im Sinne des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO um den italienischen Mahnbescheid (decreto ingiuntivo) zusammen mit der einleitenden Antragsschrift handelt (vgl. EuGH, Urt. v. 13. Juli 1995 - Rs C-474/93 [Hengst-Import BV v. Campese], SLG. 1995 S. I - 2113 -; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht 8. Aufl. Art. 34 Rn. 29). Zwar führt das Berufungsgericht missverständlich aus, das verfahrenseinleitende Schriftstück sei der Antragsgegnerin nicht vor Erlass des Mahnbescheids zugestellt worden, so dass diese sich vor Erlass des Mahnbescheides nicht hätte verteidigen können, obwohl der Mahnbescheid selbst - in Verbindung mit dem Antrag auf dessen Erlass - das verfahrenseinleitende Schriftstück ist. Gleichwohl hat das Beschwerdegericht geprüft, ob Mahnbescheidsantrag und Mahnbescheid selbst der Antragsgegnerin so rechtzeitig zugestellt worden sind, dass diese sich dagegen verteidigen konnte. Inhaltlich hat es damit die beiden genannten Schriftstücke als die das Verfahren einleitenden Schriftstücke angesehen. Dies entspricht - auch nach der Darstellung der Rechtsbeschwerde - der Ausgestaltung des italienischen Mahnverfahrens.

9
bb) Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin den das Verfahren einleitenden Mahnbescheid mitsamt dem Antrag auf dessen Erlass nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt bekommen hat, dass sie sich dagegen verteidigen konnte. Auf die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks finden gemäß Art. 7 Abs. 1 EuZVO die Zustellungsvorschriften der ZPO Anwendung. Diese hat das Beschwerdegericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Zwar ist im Anwendungsbereich des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO eigenständig zu prüfen, ob die Zustellung rechtzeitig erfolgt ist (vgl. BGH, v. 12. Dezember 2007 - XII ZB 240/05, NJW-RR 2008, 586 Rn. 27 f; Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 34 Rn. 31). Bloß formale Mängel der Zustellung sollen deren Wirksamkeit nicht hindern, wenn der Antragsgegner ungeachtet dieser Mängel die Möglichkeit hatte, so rechtzeitig von dem zuzustellenden Schriftstück Kenntnis zu nehmen, dass er sich in dem Ausgangsverfahren noch verteidigen konnte. Gegen diese Grundsätze hat das Beschwerdegericht zumindest im Ergebnis aber nicht verstoßen, denn es hat nicht nur formale Fehler der Zustellung festgestellt, sondern vielmehr deren vollständiges Fehlschlagen.
10
Gegen die Feststellung des Beschwerdegerichts, eine Ersatzzustellung der verfahrenseinleitenden Schriftstücke sei nach Maßgabe der Vorschriften der ZPO nicht wirksam erfolgt, hat die Rechtsbeschwerde nichts Erhebliches vorgebracht. Die Leitungsorgane der Antragsgegnerin hatten nach der Entscheidung des Beschwerdegerichts keine Möglichkeit, die einleitenden Schriftstücke so rechtzeitig zur Kenntnis zu nehmen, dass sie gegen den Mahnbescheid innerhalb der Einspruchsfrist von vierzig Tagen ab Zustellung des Mahnbescheids hätten Einspruch einlegen können. Diese tatrichterlichen Feststellungen werden von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen.
11
cc) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann die Wirksamkeit der Zustellung nicht anhand des Zustellungskataloges des Art. 13 f der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (EuVTVO) beurteilt werden. Die Art. 12 ff EuVTVO lassen die nationalen Zustellungsregeln und die Zustellungsregeln der EuZVO unberührt (Zöller/Geimer, ZPO 28. Aufl. Art. 12 EuVTVO Rn. 2 m.w.N.). Abweichende Auffassungen legt die Rechtsbeschwerde nicht dar.
12
c) Die Beschwerdeentscheidung kann jedoch wegen der fehlenden Auseinandersetzung des Beschwerdegerichts mit der Frage, ob die Antragsgegnerin tatsächlich keine Möglichkeit hatte, gegen den italienischen Mahnbescheid einen Rechtsbehelf einzulegen, keinen Bestand haben. Die Rechtsbeschwerde rügt mit Recht, das Beschwerdegericht habe es versäumt, das anzuwendende italienische Recht von Amts wegen zu ermitteln (vgl. BGH, Beschl. v. 12. Dezember 2007 aaO S. 587 f Rn. 22 ff, 589 f Rn. 34 ff). Diese Rüge ist auch noch im Verfahren der Rechtsbeschwerde möglich (BGH, Beschl. v. 12. Dezember 2007 aaO Rn. 34; v. 25. Oktober 2006 - VII ZB 24/06, MDR 2007, 487 Rn. 18).
13
aa) Nach Art. 34 Nr. 2, Art. 45 EuGVVO darf die Anerkennung oder die Vollstreckbarerklärung einer in Abwesenheit ergangenen Entscheidung nicht versagt werden, wenn der Beklagte hiergegen mit einem Rechtsbehelf geltend machen konnte, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück oder das gleichwertige Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden sei, dass er sich hätte verteidigen können (vgl. EuGH NJW 2007, 825, 827; EuGH, Urt. v. 28. April 2009 - Rs. C-420/07, EuGRZ 2009, 210, 216; BGH, Beschl. v. 12. Dezember 2007 aaO S. 589 Rn. 35 ff; v. 6. Oktober 2005 - IX ZB 27/02, IHR 2006, 259 Rn. 18). Zu dieser Vorschrift, bei der es sich um die Nachfolgeregelung zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ handelt, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Anerkennung einer in Abwesenheit ergangenen Entscheidung nicht nach Art. 34 Nr. 2 EuGVVO versagt werden darf, wenn der Beklagte gegen die in Abwesenheit ergangene Entscheidung einen Rechtsbehelf einlegen konnte, mit dem er geltend machen konnte, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück oder das gleichwertige Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden sei, dass er sich habe verteidigen können (BGH, Beschl. v. 12. Dezember 2009 - IX ZB 124/08 Rn. 5). Der Schuldner muss auch dann einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat einlegen, wenn er - wie hier - von dem Titel erst im Rahmen des Exequaturverfahrens Kenntnis erlangt. Nach dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO ist jeder Rechtsbehelf, der dem Schuldner die Möglichkeit gibt, im Ursprungsstaat geltend zu machen, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück sei ihm nicht zugestellt worden, als Rechtsbehelf im Sinne des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO anzusehen, ohne dass es auf den Zeitpunkt der Zustellung, die nicht ordnungsgemäß sein muss, ankommt. Eine Einschränkung, dass nur solche Rechtsbehelfe die Nichtanerkennung der Entscheidung verhindern, die der Schuldner schon vor Beginn des Exequaturverfahrens hätte ergreifen können, kann der Verordnung nicht entnommen werden (vgl. Art. 46 Abs. 1 EuGVVO). Ein Rechtsverlust des Antragsgegners durch Verweisung auf einen ihm noch zur Verfügung stehenden Rechtsbehelf ist deshalb nicht zu besorgen.
14
bb) Aus dem Wortlaut des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO geht hervor, dass eine Entscheidung, die in Abwesenheit auf der Grundlage des verfahrenseinleitenden Schriftstücks erlassen wurde, das dem Antragsgegner, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, nicht so rechtzeitig und in einer Weise zuge- stellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, anzuerkennen ist, wenn er gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, obwohl er dazu in der Lage war (EuGH EuGRZ 2009, 210, 216 Rn. 77). Eine Aussage zu dem Zeitpunkt, zu dem der Antragsgegner die Möglichkeit haben muss, einen Rechtsbehelf einzulegen, ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. Erfasst werden sämtliche Rechtsbehelfe, die auf die fehlende oder mangelhafte Zustellung gestützt werden können. Dies entspricht der in der Literatur mehrheitlich vertretenen Auffassung, wonach ein unterlassener Rechtsbehelf im Sinne des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO vorliegt, wenn er im Urteilsstaat aufgrund der fehlerhaften Zustellung eröffnet ist (MünchKomm-ZPO/Gottwald, 3. Aufl. Art. 34 EuGVVO Rn. 33; Prütting/Gehrlein/Schinkels, ZPO Art. 34 EuGVVO Rn. 10; Thomas /Putzo/Hüßtege, ZPO 30. Aufl. § 34 EuGVVO Rn. 13; Hk-ZPO/Dörner, Art. 34 EuGVVO Rn. 20; Kroppholler, aaO Rn. 43; Rauscher/Leible, aaO Rn. 40; Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss Art. 34 EuGVVO Rn. 180; noch weiter gehend Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht Art. 34 EuGVVO Rn. 94, der ausführt, der Beklagte müsse "jederlei" nach dem Recht des Erststaates zulässigen Rechtsbehelf einlegen; einschränkend OLG Zweibrücken, IPRax 2006, 487, 489; Schlosser, EUZivilprozessrecht 3. Aufl. Art. 34 EuGVVO Rn. 19, nach deren Auffassung es einen Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren bedeuten würde, wenn der Schuldner gehalten wäre, auch nach Zustellung des Titels im Vollstreckbarerklärungsverfahren Rechtsbehelfe einzulegen). Als zulässige Rechtsbehelfe werden in diesem Zusammenhang auch Anträge auf Wiedereinsetzung angesehen, mit denen das Verfahren wieder eröffnet wird (vgl. Rauscher/Leible, aaO Rn. 40; Prütting/Gehrlein/Schinkels aaO; Hk-ZPO/Dörner aaO; OLG Zweibrücken aaO 488; Roth IPrax 2006, 467). Die Antragsgegnerin ist danach gehalten, alle in Betracht kommenden Rechtsbehelfe zu ergreifen.
15
cc) Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO spricht für eine weite Auslegung des dort verwendeten Begriffes "Rechtsbehelf". Der Vorgängervorschrift des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO, Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ fehlte der Zusatz "es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte." Die Ergänzung der Regelung erfolgte erst durch die am 1. März 2002 in Kraft getretene Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (ABl. EG 2001 Nr. L 12, S. 1). In Rechtsprechung und Schrifttum zur Ursprungsfassung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ wurde überwiegend die Auffassung vertreten, dass es belanglos sei, ob sich der Antragsgegner im Ursprungsland mit Rechtsbehelfen dagegen hätte zur Wehr setzen können, ihm sei das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht rechtzeitig zugestellt worden (EuGH, Urt. v. 16. Juni 1981 - C-166/80, SLG. 1981, 1593; EuGH, EuZW 1993, 39; BGH, Beschl. v. 18. Februar 1993 - IX ZB 87/90, NJW 1993, 2688; EuGH, NJW 1997, 1061; BGH, Beschl. v. 20. Januar 2005 - IX ZB 154/01, WuM 2005, 203; vgl. Rauscher/Leible, Europäisches Zivilrecht Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 39; Zöller/Geimer, aaO Art. 34 EuGVVO Rn. 24 ff; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl. Art. 34 bis 36 EuGVVO Rn. 19, jeweils m.w.H.). Mit der Neufassung der Verordnung, die als Reaktion auf diese Rechtsprechung zu verstehen ist (Zöller /Geimer, aaO), sollte bewirkt werden, dass der Antragsteller wegen eines Verfahrensfehlers im Ursprungsstaat einen Rechtsbehelf einlegt. Der Verfahrensfehler darf - so die Kommission in der Begründung des Entwurfs (KOM (1999) 348 S. 25) - im Vollstreckungsstaat nicht als Grund für die Ablehnung oder Aufhebung der Vollstreckbarerklärung angeführt werden, wenn er durch Einlegung eines Rechtsmittels hätte beseitigt werden können. Auch hier ist keine Einschränkung zu finden, nach der es sich zwingend um Rechtsbehelfe handeln muss, die ausschließlich vor dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung zulässig sind. Allein maßgebend ist, dass die fehlerhafte Zustellung im Ursprungsstaat gerügt werden kann.
16
dd) Für ein Verständnis der Vorschrift, dass es allein auf die Frage ankommt , ob es noch einen entsprechenden Rechtsbehelf gibt, spricht auch der Zweck der Neufassung, die Nichtanerkennung auf solche Fälle zu begrenzen, in denen der Zustellungsmangel im Ursprungsstaat nicht mehr geltend gemacht werden kann. Zwar hat der EuGH (NJW 2007, 825, 827) zunächst erkannt, dass der Antragsgegner "die Möglichkeit", einen Rechtsbehelf gegen ein Versäumnisurteil einzulegen, nur dann hatte, wenn er tatsächlich Kenntnis von dessen Inhalt durch eine formal nicht unbedingt ordnungsgemäße Zustellung erlangt hatte, die so rechtzeitig erfolgte, dass er sich vor dem Gericht des Ursprungsstaates verteidigen konnte. In einer neueren Entscheidung vom 28. April 2009 (EuGRZ 2009, 210, 216) wird die Voraussetzung einer rechtzeitigen Zustellung des Schriftstückes aber nicht mehr genannt. Nach diesem Urteil kommt es nur noch darauf an, ob er keine Möglichkeit hatte, einen Rechtsbehelf einzulegen, mit dem er geltend machen konnte, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück oder das gleichwertige Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden sei, dass er sich habe verteidigen können. Hiernach kommt es auf die Wirksamkeit der Zustellung nicht mehr an, wenn der Antragsgegner die Entscheidung durch einen Rechtsbehelf abwenden konnte. Dies entspricht dem Zweck der Neufassung des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO, möglichst weitgehend zu verhindern, dass sich der Schuldner der Vollstreckung aus einem ausländischen Titel entzieht. Hat der Schuldner die Möglichkeit, die unter Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör zustande gekommene vorläufig vollstreckbare Entscheidung im Ursprungsland auch nach Erhalt der Vollstreckbarkeitserklärung noch anzufechten und Vollstreckungsschutz zu erlangen , muss er hiervon Gebrauch machen. Eine Einschränkung der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe auf solche, die der Schuldner nur ergreifen kann, bevor es zu dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung kommt, würde dem Sinn der Verordnung zuwiderlaufen, den Schuldner zu verpflichten, alle in Frage kommenden Rechtsbehelfe im Ursprungsland auszuschöpfen.
17
ee) Hier macht die Rechtsbeschwerdebegründung unter Hinweis auf Art. 650 der italienischen Zivilprozessordnung geltend, gegen den in Italien erlassenen Mahnbescheid könne auch nach Ablauf der im Mahnbescheid gesetzten Frist noch Widerspruch erhoben werden, wenn der Nachweis erbracht werde, wegen mangelnder Zustellung, aus Zufall oder durch höhere Gewalt vom Mahnbescheid nicht rechtzeitig Kenntnis erhalten zu haben. Die Vollstreckung könne in diesem Fall ausgesetzt werden. Der Widerspruch sei erst nach Ablauf von zehn Tagen ab der ersten Vollstreckungshandlung nicht mehr zulässig. Hiermit hat sich das Beschwerdegericht, das von Amts wegen zur Ermittlung des ausländischen Rechts verpflichtet ist (§ 293 ZPO), bislang nicht befasst.

III.


18
Die Beschwerdeentscheidung kann deshalb keinen Bestand haben. Das Oberlandesgericht wird - gegebenenfalls unter Aussetzung des Verfahrens nach Art. 46 Abs. 1 EuGVVO und Bestimmung einer Frist zur Einlegung eines Rechtsbehelfs beim Tribunale di Milano - zur prüfen haben, ob es im Ursprungsland einen Rechtsbehelf gibt, den die Antragsgegnerin hätte ausschöpfen müssen.
Ganter Raebel Vill
Lohmann Pape
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 20.03.2007 - 327 O 6/07 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 14.09.2007 - 6 W 46/07 -