Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Mai 2024 - XII ZB 122/24
Gericht
Richter
Submitted by
Principles
Amtliche Leitsätze
Die Verpflichtung des Gerichts gemäß § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG, einen externen Gutachter zu bestellen, setzt nicht voraus, dass die Unterbringung bereits im Zeitpunkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz vier Jahre vollzogen ist. Ausreichend ist vielmehr, dass der mit der angefochtenen Entscheidung verlängerte Unterbringungszeitraum über das Fristende hinausreicht.
Bundesgerichtshof
Beschluss vom 22. Mai 2024
Az.: XII ZB 122/24
Tenor
Dem Betroffenen wird als Beschwerdeführer für das Verfahren der Rechtsbeschwerde ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt beigeordnet.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 28. Februar 2024 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Gründe
I.
Der Betroffene leidet an einer paranoiden Schizophrenie mit einer ausgeprägten psychotischen Symptomatik. Er wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach untergebracht. Zuletzt hatte das Amtsgericht die Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung einer sozialtherapeutischen Wohnstätte bis zum 18. März 2023 genehmigt.
Mit Schreiben vom 4. Januar 2023 hat der Betreuer beantragt, die geschlossene Unterbringung des Betroffenen bis zum 30. März 2025 zu genehmigen. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 16. März 2023 die Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung einer sozialtherapeutischen Wohnstätte bis zum 18. März 2025 genehmigt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat mit Beschluss vom 8. November 2023 (XII ZB 219/23 - FamRZ 2024, 299) diese Entscheidung aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Nach Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen hat das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts dahingehend abgeändert, dass die Unterbringung des Betroffenen bis zum 21. Januar 2025 genehmigt wird, und die Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Beschwerdegerichts.
1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass einer Verwertung des vom Beschwerdegericht nunmehr eingeholten Sachverständigengutachtens die Regelung des § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG entgegensteht.
a) Nach dieser Vorschrift soll das Gericht bei Unterbringungen mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt oder begutachtet hat oder in der Einrichtung tätig ist, in der der Betroffene untergebracht ist. Dabei muss die Unterbringung nicht bereits im Zeitpunkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz vier Jahre vollzogen sein. Ausreichend ist vielmehr, dass der mit der angefochtenen Entscheidung verlängerte Unterbringungszeitraum über das Fristende hinausreicht. Denn die gesetzliche Vorschrift will gerade vermeiden, dass eine Unterbringung über einen Zeitraum von vier Jahren hinaus aufrechterhalten wird, ohne dass ihr das Gutachten eines außenstehenden Sachverständigen zugrunde liegt (Senatsbeschluss vom 23. November 2016 - XII ZB 458/16 - FamRZ 2017, 227 Rn. 14).
b) Nach den getroffenen Feststellungen ist der Betroffene seit dem 30. Januar 2020 durchgehend geschlossen untergebracht. Rechnet man den mit dem angefochtenen Beschluss genehmigten Zeitraum bis zum 21. Januar 2025 hinzu, dauert die Unterbringung mehr als vier Jahre. Die Rechtsbeschwerde rügt daher zu Recht, dass der Sachverständige Dr. B., der ersichtlich auch der behandelnde Arzt des Betroffenen ist bzw. war, nicht zum Gutachter hätte bestellt werden dürfen. Besondere Gründe dafür, dass ausnahmsweise von der in § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG niedergelegten Regel abgewichen werden konnte, hat das Landgericht nicht benannt.
2. Zudem tragen die bislang getroffenen Feststellungen die Genehmigung einer Unterbringung des Betroffenen nach § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB bis zum 21. Januar 2025 nicht.
a) Unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen für die Unterbringung eines Betreuten zur Durchführung einer Heilbehandlung gemäß § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist eine Unterbringung nach dieser Vorschrift von vornherein nur dann genehmigungsfähig, wenn eine erfolgversprechende Heilbehandlung auch durchgeführt werden kann. Dies setzt entweder einen die Heilbehandlung deckenden entsprechenden natürlichen Willen des Betreuten oder die rechtlich zulässige Überwindung seines entgegenstehenden natürlichen Willens mittels ärztlicher Zwangsbehandlung voraus. Die Genehmigung einer Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist daher möglich, wenn zumindest nicht ausgeschlossen ist, dass sich der Betreute in der Unterbringung behandeln lassen wird, sein natürlicher Wille also nicht bereits der medizinisch notwendigen Behandlung entgegensteht, er aber (lediglich) die Notwendigkeit der Unterbringung nicht einsieht. Ist dagegen auszuschließen, dass der Betroffene eine Behandlung ohne Zwang vornehmen lassen wird, ist die Genehmigung der Unterbringung zur Durchführung der Heilbehandlung nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nach § 1832 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegen und diese gemäß § 1832 Abs. 2 BGB rechtswirksam genehmigt wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. November 2023 - XII ZB 219/23 - FamRZ 2024, 299 Rn. 9 und vom 30. November 2022 - XII ZB 257/22 - FamRZ 2023, 468 Rn. 15 mwN). Denn nur dann besteht für die eine Freiheitsentziehung rechtfertigende Heilbehandlung auch gegen den Willen des Betroffenen eine rechtliche Grundlage (Senatsbeschluss vom 17. Januar 2018 - XII ZB 398/17 - FamRZ 2018, 525 Rn. 21 mwN).
b) Gemessen hieran konnte die Genehmigung der geschlossenen Unterbringung des Betroffenen bis zum 21. Januar 2025 nicht auf § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB gestützt werden. Aus den bislang getroffenen Feststellungen ergibt sich, dass sich der Betroffene seit Beginn des Jahres 2024 wieder weigert, die zur Behandlung seiner Erkrankung medizinisch notwendigen Medikamente einzunehmen.
Der Beschluss des Amtsgerichts vom 22. Januar 2024 über die Genehmigung der Zwangsmedikation konnte eine rechtlich tragfähige Grundlage für die Unterbringung zu einer gegen den natürlichen Willen des Betroffenen durchzuführenden Heilbehandlung nur für die Dauer der Sechs-Wochen-Frist des § 329 Abs. 1 Satz 2 FamFG und damit auf den bis zum 29. Februar 2024 beschränkten Zeitraum bieten. Zwar ist eine Unterbringung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch über die angeordnete Dauer einer Zwangsbehandlung hinaus möglich, wenn der Tatrichter davon ausgehen kann, dass die notwendige Heilbehandlung auch in der Folgezeit sichergestellt ist. Dies kann der Fall sein, wenn zu erwarten ist, dass sich der Betreute im Anschluss an die Zwangsbehandlung fortan freiwillig behandeln lässt oder eine weitere Zwangsbehandlung angeordnet werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Januar 2018 - XII ZB 398/17 - FamRZ 2018, 525 Rn. 24). Hierzu hat das Beschwerdegericht jedoch erneut keine tragfähigen Feststellungen getroffen. Insbesondere genügt hierfür der bloße Hinweis auf die Möglichkeit eines erneuten Antrags des Betreuers auf Genehmigung einer Zwangsbehandlung nicht.
c) Die bisherigen Feststellungen tragen auch die Genehmigung einer Unterbringung des Betroffenen wegen Selbstgefährdung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht.
3. Die angegriffene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Sie ist gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Die Sache ist gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, das die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben wird, wobei im Hinblick auf die wiederholte Aufhebung in derselben Sache der Senat von der Möglichkeit nach § 74 Abs. 6 Satz 3 FamFG Gebrauch macht.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.