Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Okt. 2007 - XI ZB 4/07

bei uns veröffentlicht am09.10.2007
vorgehend
Landgericht Duisburg, 10 O 496/05, 28.07.2006
Oberlandesgericht Düsseldorf, 17 U 202/06, 11.12.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XI ZB 4/07
vom
9. Oktober 2007
in dem Rechtsstreit
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Richter
Dr. Joeres als Vorsitzenden und die Richter Dr. Müller, Dr. Ellenberger,
Prof. Dr. Schmitt und Dr. Grüneberg
am 9. Oktober 2007

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 11. Dezember 2006 aufgehoben. Den Klägern wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt. Beschwerdewert: 54.850 €

Gründe:


I.


1
Landgericht Das hat mit Urteil vom 28. Juli 2006, zugestellt am 3. August 2006, die Klage der Kläger gegen die beklagte Bank auf Rückabwicklung eines zur Finanzierung einer Immobilienfondsbeteiligung abgeschlossenen Darlehensvertrages abgewiesen. Am 6. September 2006 ist eine Berufungsschrift des seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten der Kläger beim Berufungsgericht eingegangen. Mit Schriftsatz vom 11. September 2006 haben sie erneut Berufung eingelegt und zugleich beantragt, ihnen gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
2
IhrProzessbevollmächtigterhat dazu unter Vorlage einer eigenen eidesstattlichen Versicherung im Wesentlichen ausgeführt: Er habe die Berufungsschrift bereits am 31. August 2006 in das beim Amtsgericht D. eingerichtete Fach für das Berufungsgericht eingelegt. Nach den Gepflogenheiten beim Amtsgericht D. werde dieses Fach, das insbesondere auch von Rechtsanwälten und deren Mitarbeitern genutzt werde, täglich geleert und die darin enthaltene Post von einem privaten Kurierdienst einmal täglich zum Berufungsgericht befördert. Weshalb sein Berufungsschriftsatz erst am 6. September 2006 zum Berufungsgericht gelangt sei, sei für ihn weder nachvollziehbar noch im Vorhinein erkennbar gewesen. Mit der Rechtsbeschwerde haben die Kläger ergänzend glaubhaft gemacht, dass sich der örtliche Anwaltverein an den Kosten des von der Justiz beauftragten privaten Kurierdienstes beteilige.
3
Mit Beschluss vom 11. Dezember 2006 hat das Berufungsgericht den Antrag der Kläger auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und seine Absicht mitgeteilt, die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger habe zur Einreichung der Berufungsschrift einen hierfür nicht eröffneten Weg gewählt. Das für das Berufungsgericht bei dem Amtsgericht D. eingerichtete Fach diene lediglich der Sammlung der für das Berufungsgericht bestimmten gerichtsinternen Post und sei nicht für gerichtsfremde Personen eröffnet. Mit Verfügung vom 19. Dezember 2002 habe die Präsidentin des Berufungsgerichts die unentgeltliche Mitbenutzung http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=100&G=ZPO&P=238 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=100&G=ZPO&P=522 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=100&G=ZPO&P=574 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=100&G=ZPO&P=574&X=I [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=BGHZ&B=152&S=195 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=BGHZ&B=152&S=195&I=197 - 4 - des externen Kurierdienstes durch die Anwaltschaft untersagt. Aufgrund dessen sei der Prozessbevollmächtigte der Kläger ein vermeidbares Risiko eingegangen. Das Einlegen des Schriftsatzes in das Ausgangsfach könne auch nicht mit der Einreichung einer Berufungsschrift bei einem unzuständigen Gericht gleichgesetzt werden, weil die Sendung nicht an das unzuständige Amtsgericht adressiert gewesen sei und von vornherein nicht in den Geschäftsgang des Amtsgerichts gelangen sollte.

II.


4
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
5
1.DieRechtsbeschwer de ist statthaft. Auch wenn die Berufung wie hier noch nicht als unzulässig verworfen worden ist, kann gegen den die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagenden Beschluss gemäß §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Rechtsbeschwerde eingelegt werden (BGHZ 152, 195, 197 f.; BGH, Beschluss vom 17. März 2004 - IV ZB 41/03, NJW-RR 2004, 1150).
6
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Indem das Berufungsgericht den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist verweigert hat, hat es das Verfahrensgrundrecht der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Das Berufungsgericht hat den Klägern (aus den unten unter Ziffer 2 folgenden Gründen) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von über- spannten Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen die Kläger nicht rechnen mussten (vgl. dazu BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG NJW-RR 2002, 1004; BGHZ 151, 221, 227 f.).
7
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
8
Zutreffend a) geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Berufung verspätet ist. Der Fall einer gemeinsamen Postannahmestelle lag hier nicht vor. Die Einreichung der an das zuständige Berufungsgericht adressierten Berufungsschrift in das behördeninterne Fach beim Amtsgericht D. ist einem Zugang beim Berufungsgericht nicht gleichzustellen, weil hierdurch das Berufungsgericht noch keine Verfügungsgewalt über das Schriftstück hatte, sondern diese beim Amtsgericht verblieb (vgl. hierzu BVerfG NJW 2005, 3346, 3347; BGH, Urteile vom 25. Januar 1984 - IVb ZR 43/82, NJW 1984, 1237 und vom 21. Juni 1989 - VIII ZR 252/88, WM 1989, 1625, 1626). Dies wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht anders gesehen.
9
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts durfte der Prozessbevollmächtigte der Kläger die Berufungsschrift aber über das Amtsgericht D. durch einen privaten Kurierdienst an das Berufungsgericht befördern lassen.
10
aa) Bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes hat eine Partei bzw. ihr Prozessbevollmächtigter lediglich dafür zu sorgen, dass hierfür ein geeigneter und zuverlässiger Weg gewählt wird und die- ser so rechtzeitig beschritten wird, dass das - mit vollständiger und richtiger Anschrift versehene und ggf. ausreichend frankierte - Schriftstück nach den organisatorischen und betrieblichen Eigenheiten der gewählten Beförderungsart bei regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger fristgerecht erreicht (vgl. BVerfG NJW 1999, 3701, 3702; 2000, 2657, 2658). Diese Grundsätze gelten auch für die Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes durch einen privaten Kurierdienst (vgl. BVerfG aaO). Der Schriftsatz muss dem Kurierdienst nicht persönlich ausgehändigt werden ; vielmehr genügt es, wenn dieser rechtzeitig z.B. in ein gesondertes Fach im Anwaltszimmer eines Gerichts eingelegt wird (vgl. BVerfG NJW-RR 2002, 1005, 1006).
11
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht die von dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger einzuhaltenden Sorgfaltsanforderungen überspannt.
12
Nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Kläger war beim Amtsgericht D. ein besonderes Fach eingerichtet, in das die für das Berufungsgericht bestimmten Schriftsätze zum Zwecke der Weiterleitung durch einen privaten Kurierdienst eingelegt werden konnten und das auch von der Anwaltschaft benutzt werden durfte. Die Gerichtsverwaltung hat damit einen Botendienst eröffnet, den der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger nutzen und auf dessen Funktionsfähigkeit er ebenso vertrauen durfte wie auf die Dienste der Deutschen Post AG (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1983 - IVa ZB 10/83, JurBüro 1984, 52, 53). Dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger - wie das Berufungsgericht meint - hiermit ein unnötiges zusätzliches Risiko einge- gangen ist, ist nicht erkennbar; die diesbezüglichen Erwägungen des Berufungsgerichts erschöpfen sich in Mutmaßungen ohne konkreten Bezug.
13
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in der angefochtenen Entscheidung wiedergegebenen Verfügung der Präsidentin des Berufungsgerichts vom 19. Dezember 2002 über die „Ablehnung der unentgeltlichen Mitbenutzung des externen Kurierdienstes durch die Anwaltschaft“. Denn die tatsächliche Handhabung beim Amtsgericht D. war eine andere. Ob dies darauf beruhte, dass sich - wie die Kläger vorgetragen haben - der örtliche Anwaltverein an der Finanzierung des von der Justiz beauftragten Kurierdienstes beteiligt und die Untersagungsverfügung daher gar nicht eingreift, kann dahinstehen. Entscheidend ist, ob die Kläger bzw. ihr Prozessbevollmächtigter, dem die Verfügung nach seinen Angaben nicht bekannt war, auf die zuverlässige und rechtzeitige Beförderung der Berufungsschrift vertrauen durften. Dies war der Fall. Nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Kläger wurde das Fach täglich geleert und die für das Berufungsgericht bestimmte Post täglich vom Kurierdienst dorthin befördert. Aufgrund dessen durften sie davon ausgehen, dass die Berufungsschrift bei regelmäßigem Betriebsablauf am 1. September 2006, spätestens aber am 4. September 2006 und damit rechtzeitig bei dem Berufungsgericht eingehen würde. Weshalb das Schriftstück das Berufungsgericht gleichwohl nicht rechtzeitig erreicht hat, müssen die Kläger nicht darlegen, weil sie keine Kenntnis über die Organisationsstruktur und die konkreten Abläufe des in Anspruch genommenen Kurierdienstes haben und ihnen insoweit auch keine Erkundigungspflicht obliegt (vgl. BVerfG NJW 1999, 3701, 3702; NJW-RR 2002, 1005, 1006).
14
Schließlich war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger auch nicht darauf beschränkt, die Berufungsschrift vom 31. August 2006 beim Berufungsgericht persönlich abzugeben oder per Telefax zu übermitteln. Dies folgt schon daraus, dass das Gesetz ein persönliches Überbringen der Rechtsmittelschrift nicht verlangt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1983 - IVa ZB 10/83, JurBüro 1984, 52, 53) und der gewählte Übermittlungsweg im Hinblick auf den erst zwei Arbeitstage nach Einlegung der Berufungsschrift in das Gerichtsfach bevorstehenden Ablauf der Rechtsmittelfrist nicht zu beanstanden ist (vgl. BVerfG NJW 2000, 2657, 2658).
15
3. Den Klägern war daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Joeres Müller Ellenberger
Schmitt Grüneberg
Vorinstanzen:
LG Duisburg, Entscheidung vom 28.07.2006 - 10 O 496/05 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 11.12.2006 - I-17 U 202/06 -

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A

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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 41/03
vom
17. März 2004
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
_____________________
Auch wenn der Prozeßbevollmächtigte die von seiner Angestellten in den Fristenkalender
eingetragene Frist überprüft hat, befreit ihn dies nicht davon, im
Rahmen seiner Vorbereitung einer Prozeßhandlung die Einhaltung der für
diese vorgeschriebenen Frist nachzuprüfen.
BGH, Beschluß vom 17. März 2004 - IV ZB 41/03 - LG Gera
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat dur ch den Vorsitzenden
Richter Terno und die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, Wendt
und Felsch
am 17. März 2004

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen die Beschlüsse der 6. Zivilkammer des Landgerichts Gera vom 6. und 29. Oktober 2003 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Streitwert: 3.855 €

Gründe:


I. Die Klägerin begehrt Wiedereinsetzung in den vo rigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung ihrer Berufung.
Ihrem Prozeßbevollmächtigten wurde am 25. April 20 03 das klageabweisende Urteil des Amtsgerichts zugestellt. Auf dessen Vorderseite vermerkte die Büroangestellte zutreffend den 26. Mai 2003 als letzten Tag der Berufungsfrist sowie den 25. Juni 2003 als letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist und trug diese Daten auch in den Fristenkalender der Kanzlei ein. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin überprüfte die eingetragenen Fristen, als ihm die Akte am 12. Mai 2003 vorgelegt wur-

de, und legte rechtzeitig Berufung ein. Als die Angestellte die Mitteilung des Landgerichts erhielt, daß die Berufung dort am 26. Mai 2003 eingegangen sei, notierte sie den 26. Juni 2003 als Datum des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender und strich den 25. Juni 2003 aus. Sie hat an Eides Statt versichert, dieses Versehen sei ihr unerklärlich ; sie sei über die Änderung der Berufungsbegrün dungsfrist durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Reform des Zivilprozesses unterrichtet gewesen, wie ihre ursprüngliche Eintragung auf der Ausfertigung des amtsgerichtlichen Urteils zeige. Am 18. Juni 2003 legte die Angestellte die Akte dem Prozeßbevollmächtigten mit einem außen angebrachten Zettel in DIN-A-6 Größe vor, auf dem als Tag des Fristablaufs der 26. Juni 2003 angegeben war. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat eidesstattlich versichert, er habe sich auf diese Angabe verlassen , als er am 25. Juni 2003 die Berufungsbegründung diktiert habe, weil die Fristberechnung von ihm bereits vor Einlegung der Berufung überprüft und für richtig befunden worden war. Die Berufungsbegründung wurde am 26. Juni 2003 unterschrieben und ging am gleichen Tag per Telefax beim Landgericht ein.
Am 10. Juli 2003 erhielt der Prozeßbevollmächtigte den Hinweis des Landgerichts, daß die Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht gewahrt sei. Am 18. Juli 2003 ging beim Landgericht der Antrag auf Wiedereinsetzung ein. Mit Beschluß vom 6. Oktober 2003 hat das Landgericht den Antrag zurückgewiesen, da die Versäumung der Prozeßhandlung auf einem der Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbaren eigenen Verschulden des Prozeßbevollmächtigten beruhe. Dieser habe nicht durch geeignete organisatorische Maßnahmen Sorge dafür getragen , daß eine Büroangestellte nicht eigenmächtig die im Fristenkalender

notierten Daten ändere. Jedenfalls habe er nach Vorlage der Akte zum Zweck der Berufungsbegründung den Ablauf der Frist selbst nachrechnen müssen. Die als Gegenvorstellung zu wertende Beschwerde der Klägerin hat das Landgericht mit Beschluß vom 29. Oktober 2003 als unzulässig verworfen. Darin wird hervorgehoben, dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin sei nicht nur zuzumuten, sondern im Rahmen seiner Berufungsbegründung auch ohne weiteres möglich gewesen, noch einmal den Fristablauf anhand des Eingangsstempels auf dem angefochtenen Urteil zu kontrollieren.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der am 6. Nov ember 2003 beim Bundesgerichtshof eingegangenen Rechtsbeschwerde.
II. Das Rechtsmittel ist statthaft. Auch wenn die Berufung wie hier noch nicht als unzulässig verworfen worden ist, kann gegen den die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagenden Beschluß gemäß §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Rechtsbeschwerde eingelegt werden (BGHZ 152, 195, 197 f.). Deren formelle Voraussetzungen (§ 575 ZPO) sind eingehalten. Die Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und auch wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung zulässig (§ 574 Abs. 2). Sie bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
Der Beschwerdeführer macht im wesentlichen geltend , zwar sei ein Rechtsanwalt nach ständiger Rechtsprechung verpflichtet, den Fristablauf selbst nachzuprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung einer fristgebundenen Prozeßhandlung vorgelegt wird (BGH, Beschluß vom

13. November 1975 - III ZB 18/75 - NJW 1976, 627, 628; Beschluß vom 11. Februar 1992 - VI ZB 2/92 - NJW 1992, 1632; Beschluß vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02 - NJW 2003, 1815 unter II 2). Nicht geklärt sei indessen, ob diese Prüfung notwendig in engem zeitlichen Zusammenhang mit der fristgebundenen Prozeßhandlung und insbesondere auch dann erfolgen müsse, wenn der Prozeßbevollmächtigte wie im vorliegenden Fall die korrekte Eintragung des Ablaufs der für die Prozeßhandlung maßgebenden Frist in den Kalender der Kanzlei bereits zu einem früheren Zeitpunkt überprüft habe. Eine doppelte Prüfung könne von ihm ebenso wenig erwartet werden wie die doppelte Führung von Fristenkalendern (dazu BGH, Beschluß vom 29. Juni 2000 - VII ZB 5/00 - NJW 2000, 3006 unter II 2 a).
Dem ist nicht zu folgen. Die Pflicht des Prozeßbev ollmächtigten, den Fristablauf bei der Vorbereitung einer fristgebundenen Prozeßhandlung selbständig zu prüfen, beruht darauf, daß die sorgfältige Vorbereitung der Prozeßhandlung stets auch die Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit einschließt. Diese Aufgabe ist von der Fristberechnung und Fristkontrolle zu unterscheiden, die lediglich der rechtzeitigen Vorlage der Akten zum Zweck ihrer Bearbeitung durch den Rechtsanwalt dienen. Nur insoweit kann sich der Rechtsanwalt von der routinemäßigen Fristenüberwachung entlasten (BGH, Beschluß vom 13. November 1975 aaO). Anders als bei der doppelten Führung von Fristenkalendern geht es hier um unterschiedliche Aufgaben des von den Angestellten geführten Fristenkalenders einerseits und der Pflicht des Prozeßbevollmächtigten selbst zur Vorbereitung der Prozeßhandlung andererseits. Hat der Prozeßbevollmächtigte - wie er hier vorträgt - die von seiner Angestellten in den Fristenkalender eingetragene Frist über-

prüft, obwohl dies von der Aufgabenstellung her an sich nicht erforderlich gewesen wäre, befreit ihn dies nicht davon, im Rahmen seiner Vorbereitung einer Prozeßhandlung die Einhaltung der für diese vorgeschriebenen Frist nochmals zu überprüfen. Zwar muß die Prozeßhandlung nicht in einem Zuge und zeitnah mit dem Ablauf einer für sie geltenden Frist vorbereitet werden. Das ändert aber nichts an der Eigenverantwortung des Rechtsanwalts für die Richtigkeit und die Einhaltung der etwa von ihm zu einem früheren Zeitpunkt bereits berechneten Frist.
Die Rechtsbeschwerde war daher zurückzuweisen. Auf die Frage, ob der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin durch besondere Maßnahmen Vorsorge dafür getroffen hatte, daß eine im Fristenkalender notierte, von ihm überprüfte Frist nicht von der Angestellten eigenmächtig verändert wurde, kommt es nicht mehr an.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Wendt Felsch

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.