Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Jan. 2008 - XI ZB 10/07
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 194.736,95 € festgesetzt.
Gründe:
I.
- 1
- Der Kläger verlangt von der Beklagten als Rechtsnachfolgerin der G. e.G. (nachfolgend: Bank) Schadensersatz, weil ein Mitarbeiter der Bank bei der Vermittlung einer Immobilienkapitalanlage ihn nicht über die Grundwasserproblematik der Immobilie aufgeklärt habe. Diese sei auch in dem Verkaufprospekt verschwiegen worden. Kurz vor dem auf den 19. April 2006 anberaumten Verhandlungstermin vor dem Landgericht hat der Kläger die Klage auch gegen die beiden Herausge- ber des Verkaufsprospekts gerichtet und einen Musterfeststellungsantrag nach § 1 Abs. 1 KapMuG wegen verschiedener Rechtsfragen gestellt.
- 2
- Das Landgericht hat das Verfahren gegen die beiden Prospektherausgeber abgetrennt, die Klage durch Urteil vom 19. April 2006 abgewiesen und den Musterfeststellungsantrag mit Beschluss vom gleichen Tage nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 KapMuG als unzulässig zurückgewiesen, weil der Rechtsstreit entscheidungsreif sei.
- 3
- Der Kläger hat gegen das klageabweisende Urteil Berufung und gegen die Ablehnung des Musterfeststellungsantrages sofortige Beschwerde eingelegt. Das Kammergericht (abgedruckt in ZIP 2007, 1679) hat die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
- 4
- Rechtsbeschwerde Die ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO), in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§ 577 Abs. 1 ZPO), aber nicht begründet.
- 5
- Das 1. Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die Beschwerde sei unzulässig. Nachdem das Verfahren für die erste Instanz durch Endurteil abgeschlossen sei, könne ein Musterfeststellungsverfahren nicht mehr durchgeführt werden, weil dieses nur im erstinstanzlichen Verfahren statthaft sei. Das Beschwerdegericht habe dabei nicht zu prüfen, ob das Landgericht zu Recht eine Entscheidungsreife des Rechtsstreits angenommen habe, denn eine Aufhebung und Zurückverweisung komme in diesem Verfahrensstadium nicht mehr in Betracht, da die Hauptsache bereits beim Berufungsgericht anhängig sei.
- 6
- 2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
- 7
- WiedasBeschwerdege richt zutreffend ausgeführt hat, kann dahinstehen , ob das Landgericht zu Recht eine Entscheidungsreife i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 KapMuG angenommen hat. Jedenfalls sind die Voraussetzungen für einen Musterfeststellungsantrag mit Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens entfallen.
- 8
- Musterfeststellungsantrag Ein kann gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG nur in einem erstinstanzlichen Verfahren gestellt werden. Der Antrag ist nach Wortlaut und Systematik der Norm unzulässig, wenn er erst in der Berufungsinstanz gestellt wird. Wenn der Musterfeststellungsantrag - wie hier - zwar im ersten Rechtszug gestellt wird, der Rechtsstreit aber durch Einlegung der Berufung in der Rechtsmittelinstanz anhängig geworden ist, kann das erstinstanzliche Gericht mangels Anhängigkeit eines Hauptsacheverfahrens bei ihm darüber nicht mehr entscheiden. Auch eine Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung im Beschwerde- oder Rechtsbeschwerdeverfahren kommt bei dieser Prozesslage nicht in Betracht. Denn auch dafür gilt der Grundsatz, dass nach dem Ende der Anhängigkeit des Rechtsstreits in erster Instanz ein Musterverfahren nicht mehr eingeleitet werden kann (vgl. eingehend BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 2007 - II ZB 15/07, WM 2008, 124 f., Tz. 8 ff.; II ZB 12/07, Umdruck S. 3 f., Tz. 6 f.; II ZB 17/07, Umdruck S. 4 ff., Tz. 8 ff. und II ZB 18/07, Umdruck S. 4 ff., Tz. 8 ff.).
- 9
- Ohne Erfolg wendet die Rechtsbeschwerde ein, der Kläger und Antragsteller eines Musterfeststellungsantrages sei der Zurückweisung bei gleichwertigem Erlass eines Endurteils in erster Instanz schutzlos ausgeliefert. Diese Konsequenz ist im Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz angelegt. Sie belastet den Kläger nicht unmittelbar und entspricht außerdem dem Gebot der Prozessökonomie. Erweist sich das klageabweisende erstinstanzliche Urteil als zutreffend, steht fest, dass es auf die Vorlagefragen nicht ankommt. Wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen, kann der Kläger vor dem Landgericht erneut einen Antrag nach § 1 KapMuG stellen. Wenn das Berufungsgericht der Klage in vollem Umfang stattgibt, wird der Kläger nicht belastet. Nur wenn es der Klage nur teilweise entspricht, kann überhaupt eine vom Kläger im Kapitalanleger-Musterverfahren hinzunehmende Belastung gegeben sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 2007 - II ZB 15/07, WM 2008, 125, Tz. 10; II ZB 17/07, Umdruck S. 5 f., Tz. 10 und II ZB 18/07, Umdruck S. 5 f., Tz. 10).
III.
- 10
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Grüneberg Maihold
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 19.04.2006 - 21 O 235/06 -
KG Berlin, Entscheidung vom 15.02.2007 - 4 Sch 1/06 KapMuG -
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(1) Dieses Gesetz ist anwendbar in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in denen
- 1.
ein Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation, - 2.
ein Schadensersatzanspruch wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen Unterlassung der gebotenen Aufklärung darüber, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder irreführend ist, oder - 3.
ein Erfüllungsanspruch aus Vertrag, der auf einem Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, einschließlich eines Anspruchs nach § 39 Absatz 3 Satz 3 und 4 des Börsengesetzes, beruht,
(2) Öffentliche Kapitalmarktinformationen sind Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten, die für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt sind und einen Emittenten von Wertpapieren oder einen Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen betreffen. Dies sind insbesondere Angaben in
- 1.
Prospekten nach der Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG (ABl. L 168 vom 30.6.2017, S. 12), Wertpapier-Informationsblättern nach dem Wertpapierprospektgesetz und Informationsblättern nach dem Wertpapierhandelsgesetz, - 2.
Verkaufsprospekten, Vermögensanlagen-Informationsblättern und wesentlichen Anlegerinformationen nach dem Verkaufsprospektgesetz, dem Vermögensanlagengesetz, dem Investmentgesetz in der bis zum 21. Juli 2013 geltenden Fassung sowie dem Kapitalanlagegesetzbuch, - 3.
Mitteilungen über Insiderinformationen im Sinne des Artikels 17 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission (ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 1) in der jeweils geltenden Fassung und des § 26 des Wertpapierhandelsgesetzes, - 4.
Darstellungen, Übersichten, Vorträgen und Auskünften in der Hauptversammlung über die Verhältnisse der Gesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen zu verbundenen Unternehmen im Sinne des § 400 Absatz 1 Nummer 1 des Aktiengesetzes, - 5.
Jahresabschlüssen, Lageberichten, Konzernabschlüssen, Konzernlageberichten sowie Halbjahresfinanzberichten des Emittenten und in - 6.
Angebotsunterlagen im Sinne des § 11 Absatz 1 Satz 1 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.
(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.
(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
(1) Dieses Gesetz ist anwendbar in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in denen
- 1.
ein Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation, - 2.
ein Schadensersatzanspruch wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen Unterlassung der gebotenen Aufklärung darüber, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder irreführend ist, oder - 3.
ein Erfüllungsanspruch aus Vertrag, der auf einem Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, einschließlich eines Anspruchs nach § 39 Absatz 3 Satz 3 und 4 des Börsengesetzes, beruht,
(2) Öffentliche Kapitalmarktinformationen sind Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten, die für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt sind und einen Emittenten von Wertpapieren oder einen Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen betreffen. Dies sind insbesondere Angaben in
- 1.
Prospekten nach der Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG (ABl. L 168 vom 30.6.2017, S. 12), Wertpapier-Informationsblättern nach dem Wertpapierprospektgesetz und Informationsblättern nach dem Wertpapierhandelsgesetz, - 2.
Verkaufsprospekten, Vermögensanlagen-Informationsblättern und wesentlichen Anlegerinformationen nach dem Verkaufsprospektgesetz, dem Vermögensanlagengesetz, dem Investmentgesetz in der bis zum 21. Juli 2013 geltenden Fassung sowie dem Kapitalanlagegesetzbuch, - 3.
Mitteilungen über Insiderinformationen im Sinne des Artikels 17 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission (ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 1) in der jeweils geltenden Fassung und des § 26 des Wertpapierhandelsgesetzes, - 4.
Darstellungen, Übersichten, Vorträgen und Auskünften in der Hauptversammlung über die Verhältnisse der Gesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen zu verbundenen Unternehmen im Sinne des § 400 Absatz 1 Nummer 1 des Aktiengesetzes, - 5.
Jahresabschlüssen, Lageberichten, Konzernabschlüssen, Konzernlageberichten sowie Halbjahresfinanzberichten des Emittenten und in - 6.
Angebotsunterlagen im Sinne des § 11 Absatz 1 Satz 1 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)