Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Jan. 2011 - X ZR 165/07

bei uns veröffentlicht am18.01.2011
vorgehend
Bundespatentgericht, 10 Ni 10/07, 27.09.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZR 165/07
vom
18. Januar 2011
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Formkörper

a) Aus dem Umstand, dass bestimmte Sachverhaltsbereiche vom Gericht bei der
Befragung des gerichtlichen Sachverständigen nicht aufgegriffen werden, kann
nicht geschlossen werden, dass das Gericht sie für unerheblich hält, sondern nur,
dass das Gericht insoweit keinen (weiteren) Aufklärungsbedarf sieht.

b) Die Anhörungsrüge kann nur dann darauf gestützt werden, dass das Gericht den
Sachverständigen im Patentnichtigkeitsverfahren zu einer zum Stand der Technik
gehörenden Entgegenhaltung nicht befragt hat, wenn sie in Bezug auf diese Veröffentlichung
aufgestellte tatsächliche Behauptungen aufzeigen kann, von denen
das Gericht abgewichen ist, ohne über die hierzu erforderliche eigene Sachkunde
zu verfügen.
BGH, Beschluss vom 18. Januar 2011 - X ZR 165/07 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Januar 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Keukenschrijver, Dr. Berger,
Dr. Grabinski und die Richterin Schuster

beschlossen:
Die Anhörungsrüge der Klägerinnen wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Gründe:


1
I. Die zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet. Sie könnte nur dann Erfolg haben, wenn der Anspruch der Klägerinnen auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden wäre. Daran fehlt es hier.
2
1. Nach Art. 103 Abs. 1 GG hat vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. Dies verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und auf ihre sachlich-rechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit zu prüfen und ferner keine Erkenntnisse zu verwerten , zu denen die Verfahrensbeteiligten sich nicht äußern konnten (Senatsbeschluss vom 27. Juni 2007 - X ZB 6/05, BGHZ 173, 47 Rn. 30 - Informationsübermittlungsverfahren II). Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass die von den Gerichten zu treffenden Entscheidungen frei von Verfahrensfehlern ergehen, welche ihren Grund darin haben, dass Sachvortrag der Parteien nicht zur Kenntnis genommen oder nicht berücksichtigt wird (BVerfGE 60, 250, 252; 69, 141, 142 f.; BVerfG NJW-RR 2004, 1150, 1151).
3
2. Die Klägerinnen machen geltend, der Senat habe wesentliche Teile des einschlägigen Sachverhalts übergangen. Er habe den gerichtlichen Sachverständigen nur zu den Entgegenhaltungen K7 und K9 befragt, wobei der Sachverständige ausgeführt habe, dass im Stand der Technik schon immer Zwischenelemente verwendet worden seien, um zu höheren Reibwerten für die kraftschlüssige Verbindung zweier Werkstücke zu gelangen. Damit habe der Sachverständige deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es eines Anstoßes im Stand der Technik nicht bedurft habe, um eine - aus der K9 bekannte - Beschichtung mit den Merkmalen 4 und 5 (nach der Gliederung zu Rn. 13 des Senatsurteils vom 19. Oktober 2010) wie vom Streitpatent vorgeschlagen auf ein separates Element aufzubringen. In seinem Urteil habe der Senat den vorgetragenen - und vom Sachverständigen bestätigten - Sachverhalt, bei der Wahl eines separaten Verbindungselements handele es sich nicht um einen erfinderischen Schritt, übergangen und damit zudem eine Überraschungsentscheidung gefällt, da sie - die Klägerinnen - aus dem Verzicht des Senats auf die Befragung des Sachverständigen zu weiteren Entgegenhaltungen hätten schließen müssen, dass der Senat den Gegenstand der Erfindung für nahegelegt erachte. Schließlich würdige das Senatsurteil die Entgegenhaltungen K18 und K19 in einer Weise, die mit dem Kenntnisstand des Fachmanns nicht in Einklang zu bringen sei.
4
3. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird damit nicht dargetan.
5
a) Der Senat hat die Abweisung der Patentnichtigkeitsklage damit begründet , dass der Stand der Technik keine Anregung gegeben habe, eine - aus der K9 bekannte - Beschichtung mit den Merkmalen 4 und 5 anstatt sie wie nach der K9 auf einem der beiden zu verbindenden Werkstücke aufzubringen, auf einer Folie zu fixieren , die den Merkmalen 3.1 bis 3.3 des Patentanspruchs 1 entspricht und gemäß Merkmal 2.1.2 eine reversible Verbindung beider Werkstücke ermöglicht (Rn. 28 ff.). Er hat im Einzelnen erörtert, warum weder die K9 selbst (Rn. 28), noch die K7 (Rn. 29 bis 40), die K18 (Rn. 42/43) oder die K19 (Rn. 44 bis 48) dem Fachmann hierzu Anlass boten, vielmehr die Verwendung einer dünnen federelastischen Folie mit einer Stärke von ≤ 0,2 mm und einer Eigenfestigkeit, die mindestens der Eigen- festigkeit der zu fügenden Werkstücke entspricht, auf dem im Stand der Technik nicht angelegten Gedanken einer konstruktiven Verselbständigung der Beschichtung beruhe (Rn. 39, 48).
6
b) Dabei dienen die vorgenannten Ausführungen im Wesentlichen gerade der Darlegung, warum Zwischenelemente, wie sie etwa in der K7 oder in der K19 beschrieben werden, die vom Streitpatent verwirklichte "konstruktive Verselbständigung" der Beschichtung nach der K9 entgegen der Auffassung der Klägerinnen nicht nahegelegt haben. Es kann mithin keine Rede davon sein, dass der Senat dieses Vorbringen übergangen hätte.
7
Das Vorbringen, der Sachverständige habe die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit durch die Klägerinnen geteilt, kann der Anhörungsrüge schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil es eine Rechtsfrage ist, ob sich der Gegenstand einer Erfindung für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt (std. Rspr., vgl. mwN Senat, Urteil vom 7. März 2006 - X ZR 213/01, BGHZ 166, 305, 311 - Vorausbezahlte Telefongespräche). Im Übrigen verkürzt die Anhörungsrüge die Ausführungen des Sachverständigen ebenso unzulässig wie das Urteil des Senats:
8
Der Senat hat die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen berücksichtigt , wonach es immer schon Zwischenelemente gegeben habe, um zu höheren Reibwerten für eine kraftschlüssige Verbindung zu gelangen. Dieser vom Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten (S. 25 mittlerer Abs.; S. 28 1. Abs.; S. 33 3. Abs.) und in der mündlichen Verhandlung wiederholte Hinweis auf die bekannten Zwischenelemente hat auch in den Entscheidungsgründen im Zusammenhang mit der Erörterung der Offenlegungsschrift K19 Erwähnung gefunden (Rn. 48). Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen hat der Sachverständige jedoch nicht zum Ausdruck gebracht, dass der Schritt, die in Rede stehende, aus der K9 bekannte Beschichtung auf eine erfindungsgemäße Folie aufzubringen, im Stand der Technik angelegt oder gar vorweggenommen sei. Vielmehr hat der Sachverständige schon in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt (S. 25, 28), dass bei keiner der ihm bekannten Lösungen ein reibungserhöhender Verzahnungseffekt durch Mikro-Formschluss in der von der Veröffentlichung K9 aufgezeigten Art herbeigeführt werde und dass der Fachmann zwar über gute Kenntnisse der Oberflächeneigenschaften der zu verbindenden Bauteile verfüge, aber weniger mit Beschichtungen vertraut sei, vor allem eine Denkweise "noch nicht sehr weit verbreitet" sei, die eine Beschichtung wie die in der K9 gelehrte als selbständiges Konstruktionselement betrachte (S. 9 oben). Gerade in dieser Ausführung der Beschichtung nach der K9 mittels einer erfindungsgemäßen dünnen Folie als selbständiges Bauteil hat der Senat den im Ergebnis entscheidenden Gesichtspunkt gesehen.
9
c) Entgegen der Auffassung der Klägerinnen ließ sich aus dem Umstand, dass der Senat im Anschluss an eine Zwischenberatung mitteilte, keine weiteren Fragen an den Sachverständigen zu haben und bei ebenfalls fehlendem weiterem Fragebedarf der Parteien deren Schlussplädoyers entgegenzusehen, nicht schlussfolgern , dass der Senat aufgrund der bereits mit dem Sachverständigen erörterten wesentlichen Entgegenhaltungen K7, K9 und K10 zu dem Ergebnis gelangt sein müsse, dass eine erfinderische Tätigkeit zu verneinen sei.
10
Die Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen dient nicht der mündlichen Wiederholung des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen. Sie gibt zum einen dem Gericht und den Parteien Gelegenheit, durch ergänzende Befragung Ausführungen im schriftlichen Gutachten, die nicht hinreichend deutlich oder verständlich oder nicht genügend detailliert sind, vertiefen zu lassen und damit zusätzliche Erkenntnisse zu den im schriftlichen Gutachten erörterten Fragen zu gewinnen. Zum anderen dient sie dazu, entscheidungserhebliche Fragen, die im schriftlichen Gutachten noch nicht oder nicht unter dem maßgeblichen Blickwinkel betrachtet worden sind, im Dialog zwischen Gericht und Sachverständigem und zwischen Parteien und Sachverständigem so zu beleuchten, dass das Gericht einen möglichst umfassenden und möglichst vollständigen Einblick in alle objektiven technischen Gegebenheiten und Kenntnisse des Fachmanns erhält, die für die Beurteilung der entscheidungserheblichen Fragen (im Patentnichtigkeitsverfahren typischerweise der Rechtsfrage, ob der Gegenstand der Erfindung durch den Stand der Technik nahegelegt war) Bedeutung gewinnen können. Aus dem Umstand, dass bestimmte Sachverhaltsbereiche vom Gericht bei der Befragung der Sachverständigen nicht aufgegriffen werden, darf daher nicht geschlossen werden, dass das Gericht sie für unerheblich hält, sondern nur, dass das Gericht insoweit keinen (weiteren) Aufklärungsbedarf sieht.
11
Gerade im Patentnichtigkeits(berufungs)verfahren ist die Beschränkung auf (mindestens potentiell) entscheidungserhebliche Gesichtspunkte angesichts der Weite und Komplexität der jeweils betroffenen Technikfelder zwingend. Es ist ein Gebot der Verfahrensökonomie und entspricht der gängigen Praxis des Senats, von Seiten des Gerichts mit dem Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung lediglich die Fragen zu erörtern, die nach Erstellung des schriftlichen Gutachtens noch offen oder weiter klärungsbedürftig erscheinen, um über die Frage zu entscheiden, ob das Urteil des Patentgerichts den Angriffen der Berufung standhält oder nicht. Dabei haben die Parteien stets Gelegenheit, ergänzend eigene Fragen an den Sachverständigen zu richten. Hiervon haben beide Parteien vor der Unterbrechung der Verhandlung zum Zwecke der Zwischenberatung auch im Streitfall Gebrauch gemacht, und sie waren auch im Anschluss an die Verhandlungspause nicht gehindert, gegebenenfalls weitere Fragen an den Sachverständigen zu formulieren.
12
d) Die Entgegenhaltungen K18 und K19 haben die Klägerinnen erst kurz vor der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführt und dabei lediglich herangezogen (vgl. Schriftsatz vom 12. August 2010, S. 7 f.), um das Zeitmoment als ein Anzeichen für erfinderische Tätigkeit zu entkräften und zu belegen, dass es in dem Zeitraum von 17 Jahren zwischen der Veröffentlichung K9 und der Anmeldung des Streitpatents weitere Veröffentlichungen gegeben habe, bei denen der Formkörper in Differentialbauweise mit einem separaten Bauteil als reibungserhöhendem Element gestaltet ist. Auf das in der mündlichen Verhandlung nicht weiter erörterte Hilfskriterium des Zeitmoments kam es aufgrund der übrigen Erwägungen des Senats zur erfinderischen Tätigkeit nicht mehr an (vgl. Rn. 40 des Urteils). Dass der Senat gleichwohl geprüft hat, ob die K18 oder die K19 den Gegenstand des Streitpatents nahegelegt hat und dabei zu einer von der nunmehr in der Begründung ihres Rechtsbehelfs von den Klägerinnen vorgebrachten abweichenden Würdigung der Offenlegungsschrift K19 gelangt ist, ist nicht geeignet, eine Verletzung rechtlichen http://www.juris.de/jportal/portal/t/3fsd/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR005330950BJNE154601301&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint

7


Gehörs zu begründen. Die Anhörungsrüge zeigt nicht auf, dass die Klägerinnen insoweit tatsächliche Behauptungen aufgestellt hätten, von denen der Senat bei der Würdigung der K19 abgewichen wäre, ohne den Sachverständigen hierzu zu befragen. Auf eine Befragung des Sachverständigen zu in das Verfahren eingeführten Veröffentlichungen "ins Blaue hinein", wie sie der Anhörungsrüge vorzuschweben scheint, hat der Nichtigkeitskläger keinen, erst recht keinen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch.
13
II. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 91 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit Kostenverzeichnis Nr. 1700 zum GKG.
Meier-Beck Keukenschrijver Berger Grabinski Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 27.09.2007 - 10 Ni 10/07 (EU) -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 321a Abhilfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör


(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn1.ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und2.das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches G

Zivilprozessordnung - ZPO | § 411 Schriftliches Gutachten


(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat. (2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverst

Patentgesetz - PatG | § 122a


Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende

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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt. § 321a Abs. 2 bis 5 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Dem Gegner ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rüge an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rüge als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies auf Grund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. § 343 gilt entsprechend. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

30
Der Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG trägt der Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) für ein rechtsstaatliches Verfahren Rechnung, in dem jeder Verfahrensbeteiligte seine Rechte wirksam wahrnehmen kann. Dies setzt voraus, dass das Gericht das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und auf seine sachlich-rechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit prüft und ferner keine Erkenntnisse verwertet, zu denen die Verfahrensbeteiligten sich nicht äußern konnten (Sen.Beschl. v. 11.6.2002 - X ZB 27/01, GRUR 2002, 957 - Zahnstruktur, m.w.N.).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 213/01 Verkündet am:
7. März 2006
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Vorausbezahlte Telefongespräche
EPÜ Art. 56; PatG § 4
Ob sich der Gegenstand einer Erfindung für den Fachmann in naheliegender
Weise aus dem Stand der Technik ergibt, ist eine Rechtsfrage, die mittels wertender
Würdigung der tatsächlichen Umstände zu beurteilen ist, die
- unmittelbar oder mittelbar - geeignet sind, etwas über die Voraussetzungen für
das Auffinden der erfindungsgemäßen Lösung auszusagen.
BGH, Urt. v. 7. März 2006 - X ZR 213/01 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter
Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. Meier-Beck
und Asendorf

für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 1. August 2001 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 572 991 (Streitpatents ). Das Streitpatent wurde am 2. Juni 1993 unter Inanspruchnahme der Priorität einer israelischen Patentanmeldung vom 2. Juni 1992 angemeldet. Es betrifft "a method of processing prepaid telephone calls" und umfasst sechs Patentansprüche. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch: "A method of processing telephone calls, particularly for use in connection with public telephones, comprising the steps of (a) programming a respective Public Automatic Branch exchange (PABX) to become toll-free accessible for incoming calls through dialling any one out of a series of predetermined numbers stored in a data-bank of the PABX; (b) enabling a calling party to complete a connection with a called party; (c) cutting-off the said connection after a prefixed time/counter pulses interval; (d) erasing from the data-bank any number that had once been dialled; (e) marking the said series of numbers, each on a vendible carrier member in an invisible - however readily exposable - manner; and (f) offering the vendible carrier members for sale to the general public, so that purchasers of the carrier members, after exposing the respective number, are enabled to place a call for the duration of the said interval."
2
Wegen der weiteren Patentansprüche wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
3
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, die Lehre des Streitpatents sei nicht patentfähig, denn sie betreffe geschäftliche Tätigkeiten, sei nicht neu und beruhe jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
4
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 3, 5 und 6 für nichtig erklärt und die Nichtigkeitsklage im Übrigen abgewiesen.
5
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der dieser die vollständige Klageabweisung erreichen will.
6
Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
7
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr. Herbert K. schriftliches ein Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


8
Die zulässige Berufung hat Erfolg.
9
1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Verarbeiten von im Voraus bezahlten Telefonanrufen (prepaid telephone calls). Die Beschreibung bezeichnet es als neueste Entwicklung, die mit Münzen zu bedienenden öffentlichen Telefonapparate durch Apparate zu ersetzen, bei denen eine Magnetkarte zum Einsatz kommt. Diese Entwicklung habe sich aus der Erkenntnis der Nachteile der Münztelefone ergeben, die darin bestünden, dass der Benutzer im Besitz von passenden Münzen sein müsse sowie dass die Apparate regelmäßig gewartet werden müssten und Vandalismus und Diebstahl ausgesetzt seien.
10
Bei dem Einsatz von bekannten Magnetkarten, speziellen Telefonkarten oder Kreditkarten, sei, so die Beschreibung, zwar das Problem zum Teil, nämlich insofern gelöst, als eine Karte für eine größere Anzahl von Telefonanrufen eingesetzt werden könne. Nachteilig sei aber die beträchtliche Anfangsinvestition in die Ausstattung, Einrichtung und Instandhaltung für die mit Magnetkarten zu betreibenden Telefonapparate.
11
Die Streitpatentschrift beschreibt sodann das Verfahren nach der USPatentschrift 4 706 275 (D 2). Das dort vorgeschlagene Verfahren und System zur Verarbeitung im Voraus bezahlter Telefonanrufe stütze sich auf spezielle, zertifizierbare Codezahlen. Diese würden den Anrufern gegen Erwerb eines Guthabens zugeteilt. Die Guthaben würden im Computer spezieller zentraler Stationen gespeichert, so dass von jedem beliebigen privaten Telefon angerufen werden könne. An diesem Verfahren kritisiert die Streitpatentschrift als Nachteil, dass derjenige, der interessiert sei, dieses Verfahren zu nutzen, eine ganze Reihe vorbereitender Schritte durchlaufen müsse - meistens über Kreditkartenunternehmen -, um eine entsprechende Berechtigung zur Nutzung des Systems zu erhalten.
12
Die Streitpatentschrift bezeichnet es als Aufgabe der Erfindung, die Nachteile der öffentlichen Münz- und Magnetkartentelefonanschlüsse zu vermeiden und zugleich jede vorherige Verbindung mit Telefonkarten- und/oder Kreditkartenunternehmen überflüssig zu machen.
13
Patentanspruch 1 des Streitpatents schlägt dazu als Lösung ein Verfahren mit folgenden Schritten vor:
a) Programmieren einer öffentlichen automatischen Nebenstellen (oder TK-) Anlage (Public Automatic Branch exchange - PABX) zum gebührenfreien Zugang für eingehende Anrufe durch Wählen einer Nummer aus einer Serie von vorbestimmten Nummern , die in einer Datenbank des PABX gespeichert sind;
b) Ermöglichen, eine Verbindung mit einem Angerufenen herzustellen ;
c) Abbrechen der Verbindung nach einer festgesetzten Zeit/Zählimpulszeitraum;
d) Löschen jeder Nummer, die einmal gewählt worden ist, aus der Datenbank;
e) Notieren jeder Nummer aus der Serie auf einem verkäuflichen Trägerelement in unsichtbarer, jedoch leicht freilegbarer Weise; und
f) Anbieten der verkäuflichen Trägerelemente zum Verkauf an das Publikum.
14
Schritt a setzt danach eine Stelle ("Public Automatic Branch exchange - PABX") voraus, bei der die Anrufe eingehen. Deren Computersystem wird so programmiert, dass es für die eingehenden Anrufe Daten überprüfen kann. Der Nutzer wählt eine Nummer aus einer Serie von vorbestimmten Nummern, die in der Datenbank des PABX gespeichert sind. Die Beschreibung (Sp. 2 Z. 43) gibt an, dass es sich um eine geheime Zugangsnummer ("secret code number (SCN)") handelt, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wird (Sp. 2 Z. 46) und von einem zuverlässigen Druckunternehmen in rechnergesteuerter Weise auf die vom Telefonkunden zu erwerbende Karte aufgedruckt und mit einer undurchsichtigen Schicht überzogen wird, die leicht beseitigt werden kann, z.B. durch Abkratzen mit einer Münze wie bei Lotterielosen (Sp. 2 Z. 52-56). Diese eingegebene Nummer wird in der Datenbank des PABX gesucht, identifiziert und das Gebührenguthaben analysiert. Ist ein solches vorhanden, gibt das PABX für eine dem im Voraus gezahlten Betrag entsprechende begrenzte Zeitdauer oder Anzahl von Zählimpulsen den Weg für das Wählen der Teilnehmernummer frei (Sp. 3 Z. 3-10).
15
Schritt b ermöglicht es sodann dem Anrufer, eine Verbindung mit dem von ihm gewünschten Anschluss herzustellen. Patentanspruch 1 und auch die Beschreibung geben nicht an, wie dies im Einzelnen geschieht. Ist die festgesetzte Zeit oder der Zählimpulszeitraum verstrichen, so wird gemäß Schritt c die Verbindung abgebrochen. Die deutsche Übersetzung des Patentanspruchs spricht von "Unterbrechen", die englische Fassung verwendet jedoch den Begriff "cutting-off" und bringt damit zum Ausdruck, dass die Verbindung abgeschnitten , also beendet wird (Sp. 3 Z. 9, 10).
16
Schritt e gibt an, wie die SCN dem Erwerber der Karte bekannt gegeben wird. Die SCN soll auf dem Trägerelement verdeckt angebracht sein, der Erwerber soll sie jedoch leicht freilegen können. Dies erschwert es, dass die SCN einem anderen als dem Erwerber bekannt wird, falls dieser sie nicht aus der Hand gibt oder verliert. Gemäß Schritt f sollen die Trägerelemente dem Publikum angeboten werden.
17
2. Bei diesem im Patentanspruch 1 beschriebenen Verfahren handelt es sich nicht um ein solches für gedankliche Tätigkeiten, für das gemäß Art. 52 Abs. 2 Buchst. c EPÜ Patentschutz nicht in Betracht kommt. Es enthält nämlich nicht nur den Vorschlag, für die Abwicklung eines Geschäfts einen Computer als Mittel zur Verarbeitung verfahrensrelevanter Daten einzusetzen. Das Streitpatent betrifft vielmehr das technische Problem, im Voraus bezahlte Telefonanrufe zu ermöglichen, ohne dass dazu öffentliche Fernsprechapparate notwendig wären, die mit Kartenlesern ausgestattet sein müssen. Damit enthält das Streitpatent jedenfalls auch Anweisungen, denen ein konkretes technisches Problem zugrunde liegt, das mit technischen Mitteln gelöst werden soll (vgl. Sen. BGHZ 159, 197 - Elektronischer Zahlungsverkehr).
18
3. Der Gegenstand des Streitpatents ist neu; er wird durch die hier allein in Betracht kommende US-Patentschrift 4 706 275 (D 2) nicht vorweggenommen.
19
Diese befasst sich mit Telefonsystemen, bei denen der Telefonkunde eine Vorauszahlung leistet und von einem beliebigen Telefon ein Telefongespräch führen kann, solange er den im Voraus gezahlten Betrag nicht verbraucht hat. Nach Patentanspruch 1 soll die dazu vorgeschlagene Methode folgende Schritte umfassen:
a) Erhalt eines Spezialcodes durch die Hinterlegung einer Vorauszahlungssumme ;
b) Speicherung der Vorauszahlungssumme im Speicher einer speziellen Vermittlung, zur Verwendung bei der Verifizierung der Anrufergespräche;
c) Anwahl der genannten speziellen Vermittlung, wenn eine Telefonverbindung gewünscht ist;
d) Eingabe des Spezialcodes zur Verifizierung;
e) Eingabe der Nummer des Angerufenen;
f) Verifizierung des Spezialcodes und Vergleich der Vorauszahlungssumme abzüglich der Gebühren für vorangegangene Telefonate im Speicher und der Mindestkosten der eingegebenen Anrufe;
g) Verbindung des Angerufenen mit dem Anrufenden als Antwort auf die Verifizierung;
h) Überwachung der Vorauszahlungssumme abzüglich der laufenden Kosten für den Anruf; und
i) Abbruch des Anrufs, wenn die vorausgezahlte Summe verbraucht wurde.
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Damit umfasst Patentanspruch 1 der US-Patentschrift 4 706 275 in den Schritten b bis f, was Patentanspruch 1 des Streitpatents in Schritt a zusammenfasst. Allerdings gibt Schritt a des Patentanspruchs 1 des Streitpatents an, dass das Wählen einer beliebigen Nummer aus einer Serie von vorbestimmten Nummern, die in der Datenbank des PABX gespeichert sind, erforderlich ist, während in Schritt a des Patentanspruchs 1 der US-Patentschrift 4 706 275 vom Erhalt eines Spezialcodes durch die Hinterlegung einer Vorauszahlungssumme die Rede ist. Wie dieser Spezialcode zustande kommt, lässt die USPatentschrift ebenso offen wie die Frage, wie der Kunde den Spezialcode erhält. Die Beschreibung gibt dazu lediglich an, dass der Kunde nach einer Baroder Kreditkartenzahlung einen speziellen Code erhält. Der gutgeschriebene Betrag wird in einem Speicher zusammen mit dem Spezialcode abgelegt. Damit wird in der US-Patentschrift eine Lösung beschrieben, bei der der Kunde - auf welche Weise auch immer - ein Guthaben erwirbt und ihm dann der spezielle Code, der zusammen mit dem Guthaben in der Datenbank gespeichert wird, zugänglich gemacht wird. Soweit ein Erwerb der Karte an "Verkaufs"punkten erwähnt wird, wird nicht dargelegt, wie der Ablauf sich in diesem Falle gestaltet. Nach dem schriftlichen Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen besteht eine Möglichkeit darin, dass die Vertriebsstelle sich per Telefon oder Computer in die Datenbank des Diensteanbieters einwählt und ihr dort eine geheime Codenummer vom Computersystem zugewiesen wird. Nach Eingabe des vom Kunden genannten Betrags für das Gesprächsguthaben und der Ver- triebsstellennummer zahlt der Kunde sodann entweder bar oder per Kreditkarte, und es wird schließlich etwa auf einem nur für den Kunden einsehbarem Drucker ein Beleg mit der geheimen Codenummer ausgedruckt.
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Schritt b des Patentanspruchs 1 des Streitpatents entspricht Schritt g des Patentanspruchs 1 der US-Patentschrift. Nach Abgleichung des Identifikationscodes bzw. der SCN wird eine Verbindung zu dem angerufenen Anschluss hergestellt.
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Schritt c in Patentanspruch 1 des Streitpatents und Schritt i in Patentanspruch 1 der US-Patentschrift sind ebenfalls identisch. Ist das Guthaben verbraucht , wird der Anruf abgebrochen.
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Schritt d in Patentanspruch 1 des Streitpatents geht über den Inhalt des Patentanspruchs 1 der US-Patentschrift hinaus. Dort ist das Löschen der gewählten Nummern nicht vorgesehen.
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Schritt e in Patentanspruch 1 des Streitpatents ist in der US-Patentschrift nicht enthalten; wie der Kunde den Spezialcode erfährt, wird dort nicht dargestellt.
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Schritt f in Patentanspruch 1 des Streitpatents schließlich entspricht Schritt a in Patentanspruch 1 der US-Patentschrift insofern, als auch danach der Spezialcode und das Guthaben durch Zahlung des Guthabenbetrags erworben werden können.
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4. Die Unterschiede zwischen dem Gegenstand des Streitpatents und der US-Patentschrift bestehen demnach darin, dass nach der Lehre der USPatentschrift der Kunde durch Einzahlung eines Geldbetrags ein Guthaben erwirbt , dem Guthaben in der Datenbank des Diensteanbieters der Spezialcode zugeordnet und dem Kunden sodann dieser Codemitgeteilt wird. Das setzt eine Mehrzahl von Schritten im Zusammenhang mit dem Erwerb des im Computer gespeicherten Guthabens und der Ausgabe des Codes voraus, die individuell bei dem Geschäft mit dem Kunden abgewickelt werden. Demgegenüber werden nach der Lehre des Streitpatents vorkonfektionierte Nummern aus einer Serie in der Datenbank des PABX gespeichert. Diese Nummern werden in unsichtbarer , jedoch leicht freilegbarer Weise auf einem Trägerelement dem Kunden angeboten. Erwirbt er ein Trägerelement, so kann der Kunde die Nummer freilegen und das der Nummer zugeordnete Guthaben zum Telefonieren nutzen ; weiterer Schritte bedarf es dazu nicht, insbesondere ist ein weiterer Kontakt der Vertriebsstelle zur Datenbank des Diensteanbieters nicht erforderlich. Es wird mithin dem Kunden durch den Anbieter ein Guthaben vorgegeben und dieses sogleich einer bestimmten Nummer zugeordnet, die der Kunde in verdeckter Form erhält und die es ihm ermöglicht, die gewünschte Telefonverbindung herzustellen.
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Die Beweisaufnahme hat keine Kenntnisse oder Erfahrungen des Fachmanns ergeben, unter deren Berücksichtigung es für ihn aufgrund des Standes der Technik nahelag, diese Lösung aufzufinden.
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Ob sich der Gegenstand einer Erfindung für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, ist keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage. Der angesprochene Fachmann ist nicht mit einer tatsächlich existierenden Person gleichzusetzen. Eine dem Gebot der Rechtssicherheit genü- gende einheitliche Beurteilung einer Erfindung wäre auf der Grundlage individueller Kenntnisse und Fähigkeiten auch gar nicht möglich. Fachmännisches Denken, Erkennen und Vorstellen wird deshalb bemüht, um mit dem auf dem betreffenden Gebiet der Technik üblichen Fachwissen sowie den durchschnittlichen Kenntnissen, Erfahrungen und Fähigkeiten der dort tätigen Fachleute und dem hierdurch geprägten Verständnis vom Inhalt einer technischen Lehre eine verlässliche Entscheidungsgrundlage zu gewinnen. Die maßgebliche Sicht selbst ist unmittelbarer Feststellung entzogen (BGHZ 160, 204, 213 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Dies gilt nicht nur für das sinnvolle Verständnis einer Lehre zum technischen Handeln, sondern gleichermaßen für die Beantwortung der Frage, ob der festgestellte Stand der Technik diese technische Lehre nahegelegt hat. Die Beurteilung, ob die erfindungsgemäße Lösung für den Fachmann nach seinem festgestellten Wissen und Können nahegelegen hat, ist demgemäß auch nicht Aufgabe des Sachverständigen, sondern obliegt als Akt wertender Erkenntnis dem Gericht (BGHZ 128, 270, 275 - elektrische Steckverbindung; Sen.Urt. v. 25.11.2003 - X ZR 162/00, GRUR 2004, 411, 413 - Diabehältnis). Das Gericht hat dabei sämtliche tatsächlichen Umstände zu würdigen, die - unmittelbar oder mittelbar - geeignet sind, etwas über die Voraussetzungen für das Auffinden der erfindungsgemäßen Lösung auszusagen.
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Mit dem gerichtlichen Sachverständigen geht der Senat davon aus, dass Personen, die sich zum Prioritätszeitpunkt mit der Entwicklung von Neuerungen auf dem Gebiet der vorbezahlten Telefonate befassten, ausgebildete Nachrichtentechniker und/oder Informatiker mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Telekommunikation waren. Soweit der gerichtliche Sachverständige im Termin ausgeführt hat, es seien im Hinblick auf die wirtschaftliche Form der Vermarktung auch Kenntnisse im kaufmännischen Bereich erforderlich gewe- sen, mögen solche Kenntnisse in die Entwicklung eines Verfahrens, wie es Gegenstand des Streitpatents ist, eingeflossen sein, bei der Lösung des technischen Problems, im Voraus bezahlte Telefonanrufe zu ermöglichen, stand jedoch die Fachkenntnis des Nachrichtentechnikers oder Informatikers im Vordergrund.
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Der Fachmann, der es sich zur Aufgabe gestellt hatte, eine möglichst einfache und preiswerte Lösung für die Verarbeitung von im Voraus bezahlten Telefonanrufen zu finden, kannte die Möglichkeit, dazu Chip- oder Magnetkarten einzusetzen. Diese werden in der Streitpatentschrift ausdrücklich erwähnt. Sie haben den Nachteil, dass aufwendige Lesegeräte erforderlich sind und dass der Kunde nur ein Telefon benutzen kann, das ein solches Lesegerät aufweist. Die Lösung der US-Patentschrift vermied zwar diese Nachteile, machte aber eine Verbindung zwischen der Verkaufsstelle und der Datenbank des Diensteanbieters und eine individuelle Abwicklung erforderlich; die Möglichkeit einer Vorkonfektionierung eröffnete sie nicht. Im Falle des Erwerbs eines Guthabens durch einen Kunden war es erforderlich, mittels elektrischer oder elektronischer Übermittlung Kontakt zu der Datenbank des Diensteanbieters aufzunehmen , wo das vom Kunden gewünschte Guthaben einem Spezialcode zugeordnet werden musste. Sodann musste diese Identifikationsnummer über die Verbindung mit der Verkaufsstelle dem Kunden zugänglich gemacht werden. Der Fachmann kannte damit zwei Arten der Speicherung der zur Durchführung vorbezahlter Telefonanrufe erforderlichen Daten, nämlich zum einen die Variante , bei der die Daten sämtlich auf einem auf der Karte befindlichen Chip oder Magnetstreifen gespeichert sind, und zum anderen die Variante, dass die Daten in einer Datenbank in der Weise gespeichert sind, dass ein bestimmtes Guthaben einer bestimmten Identifikationsnummer zugeordnet ist. Er kannte außerdem zwei Arten des Vertriebs von vorbezahlten Telefonanrufen, nämlich zum einen den "Verkauf" der Chip- oder Magnetkarte, auf der Guthaben mit standardisierten festen Beträgen gespeichert sind und die deshalb einen Vertrieb an variablen Verkaufsstellen ermöglichen, und zum anderen den Erwerb des Guthabens , die anschließende Zuordnung eines Spezialcodes zu diesem Guthaben und die Übermittlung des Spezialcodes an den Kunden als Legitimation zur Durchführung von vorbezahlten Telefonaten, der durch diesen Aufwand und die damit verbundenen Anforderungen an die Vertriebsstellen dem Vertrieb Grenzen setzte. Der gerichtliche Sachverständige hat es zwar für möglich gehalten, dass der Fachmann, der die verschiedenen Systeme mit ihren spezifischen Nachteilen kennt, in der Lage ist, diese zu kombinieren, er hat dies jedoch für den Zeitpunkt der Priorität des Streitpatents als "unsicher" bezeichnet. Der Senat hat keine Umstände feststellen können, die den Fachmann hierzu veranlassen konnten.
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Wählte der Fachmann die Möglichkeit, die erforderlichen Daten auf einer zentralen Datenbank zu speichern, so fand er dazu in der US-Patentschrift eine Lösung. Wollte er den Nachteil vermeiden, dass der Vertrieb Datenleitungen von der Vertriebsstelle zur Datenbank erforderlich machte, konnte er hierauf nur verzichten, wenn er dem Kunden die Identifikationsnummer auf andere Weise bekannt gab. Der Senat sieht jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass dies dem Fachmann die insbesondere bei Chipkarten übliche Standardisierung auf bestimmte Beträge nahelegte, die es ihm dann ermöglichte, die Identifikationsnummer schon vor dem Erwerb des Guthabens durch den Kunden diesem Guthaben zuzuordnen. Dieser Schritt brachte nur dann eine Vereinfachung des Vertriebs mit sich, wenn der Fachmann zugleich eine Lösung für das Problem erkannte, wie die Identifikationsnummer dem Kunden bekannt gegeben werden konnte. Hierfür gab es bei der Chipkarte kein Vorbild, weil sich dieses Problem dort nicht stellt. Es genügte also nicht der Übergang von individuell bestimmten Guthaben auf von vornherein standardisierte Guthabenbeträge, vielmehr erforderte dieser Übergang weitere Schritte, nämlich die vorherige Zuordnung von Guthaben und Identifikationsnummer in der Datenbank und die Bekanntgabe dieser Nummer an den Kunden. Aus dem vorgeschilderten Stand der Technik konnte der Fachmann Anregungen für diese Schritte nicht entnehmen. Kann somit nicht festgestellt werden, dass der Gegenstand des Streitpatents sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab, so liegt der Nichtigkeitsgrund des Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a EPÜ nicht vor. Die Nichtigkeitsklage ist daher abzuweisen. Dies gilt auch, soweit die übrigen Patentansprüche von der Nichtigkeitsklage betroffen sind. Diese beschreiben zweckmäßige Ausgestaltungen des Verfahrens nach Patentanspruch 1 und haben mit diesem Bestand.

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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91 ZPO.
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Meier-Beck Asendorf
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 01.08.2001 - 4 Ni 60/00 (EU) -

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.