Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Nov. 2011 - V ZR 63/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks und möchte von den Beklagten mit verschiedenen Anträgen die Duldung eines Anbaues an dem Nachbarhaus unter Schließung der an dessen Südwestwand befindlichen Fenster erreichen. Das Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewie- sen. Im Berufungsrechtszug haben die Beklagten die Unzulässigkeit der gestellten Anträge gerügt, worauf der Kläger seine Anträge ergänzt und korrigiert hat. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat es die Klage bis auf den Hilfsantrag zu 1 b) für unzulässig erachtet. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, mit der dieser die Zulassung der Revision erreichen möchte, soweit die Klageanträge zu 1 und 3 gegenüber allen Beklagten und der Klageantrag zu 5 gegenüber den Beklagten zu 4 und 6 abgewiesen worden sind.
II.
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- Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils in dem angefochtenen Umfang und insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, weil dieses den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 544 Abs. 7 ZPO).
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- 1. Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht unter den gegebenen Umständen auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Art. 103 Abs. 1 GG gehalten gewesen wäre, vor der teilweisen Abweisung der Klage als unzulässig auf die angenommene Unzulässigkeit der Anträge hinzuweisen.
- 4
- Allerdings liegt ein Verstoß gegen das Prozessgrundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht schon dann vor, wenn ein Gericht einen nach § 139 ZPO notwendigen Hinweis nicht erteilt hat. Der Anspruch auf die Gewährung rechtlichen Gehörs ist in solchen Fällen erst dann verletzt, wenn ein Gesichtspunkt Bedeutung erlangt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter – selbstunter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen – nicht zu rechnen brauchte (vgl. etwa BVerfG, NJW 2004, 1371, 1373 mwN).
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- 2. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Erteilung des gebotenen Hinweises auf die im Zusammenhang mit der Rüge nach Art. 103 Abs. 1 GG geltend gemachten Ergänzungen und die dort angekündigten modifizierten Anträge die Klage für zulässig erachtet hätte, kann die Entscheidung zunächst keinen Bestand haben, soweit die Klage teilweise als unzulässig abgewiesen worden ist. Auf die Abweisung des Antrages zu 1 b) erstreckt sich die Aufhebung des Berufungsurteils schon deshalb, weil es sich um einen Hilfsantrag zu den als unzulässig abgewiesenen Anträgen zu 1 und 1 a) handelt. Die Sache unterliegt daher auch insoweit der Zurückverweisung an das Berufungsgericht.
- 6
- 3. Die erneute Befassung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die Sache unter Berücksichtigung auch des übrigen Vorbringens der Parteien im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu würdigen.
Brückner Weinland
Vorinstanzen:
LG Freiburg, Entscheidung vom 06.03.2009 - 1 O 253/08 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 17.02.2011 - 4 U 62/09 -
Annotations
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.