Bundesgerichtshof Beschluss, 18. März 2004 - V ZR 222/03
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
Mit notariellem Vertrag vom 27./28. April 1993 verkaufte die Maschinenbau B. GmbH an die Beklagte zu 1 Teile ihrer Firmengrundstücke sowie Anlage- und Vorratsvermögen zum Preis von 22.590.000 DM. Nach § 3 der Urkunde ergeben sich die einzelnen Gegenstände des Anlage- und Vorratsvermögens aus Inventarverzeichnissen, die als Anlagen 5 und 6 der Urkunde beigefügt sein sollen. Die Beklagte zu 2 übernahm in der Vertragsurkunde im Wege des Schuldbeitritts die Mithaftung für die vertraglichen Verpflichtungen der Beklagten zu 1. Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin aus abgetretenem Recht der Verkäuferin die Beklagten auf Zahlung des restlichen Kaufpreises nebst Zinsen in Anspruch. Sie ist der Auffassung, die
- als Voraussetzung für einen Verzicht auf weitere Kaufpreiszahlungen - vereinbarte Zahl von Vollzeitdauerarbeitsplätzen sei nicht erreicht.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 5.172.444,44 DM verurteilt. In der Berufungsinstanz haben die Beklagten erstmals die Formnichtigkeit des Kaufvertrages geltend gemacht. Die zur Spezifikation der Gegenstände des veräußerten Anlage - und Vorratsvermögens in § 3 Abs. 1 des Kaufvertrages erwähnten Inventarverzeichnisse seien weder verlesen noch der Vertragsurkunde beigefügt worden. Die Berufung der Beklagten ist gleichwohl ohne Erfolg geblieben; ferner hat das Kammergericht eine erst im zweiten Rechtszug erhobene Widerklage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Kaufvertrages als unzulässig abgewiesen. Hierbei unterstellt das Kammergericht die Formnichtigkeit des Kaufvertrages. Die damit begründete Einwendung der Beklagten sei aber verwirkt , weil das Verhalten der Beklagten angesichts der Zeit bis zur Geltendmachung der Formnichtigkeit und des wegen ihrer spezifischen Aufgabenstellung schutzwürdigen Vertrauens der Klägerin gravierend illoyal sei. Der Restkaufpreisanspruch sei nicht entfallen, weil die erforderliche Zahl von Arbeitsplätzen nicht geschaffen worden sei. Die von den Beklagten erhobene Zwischenfeststellungswiderklage sei unzulässig, weil die Frage der Unwirksamkeit des Kaufvertrages nicht mehr vorgreiflich für die Entscheidung des Rechtsstreits sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die vorliegende Beschwerde der Beklagten.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO) der Beklagten ist zulässig und hat auch in der Sache selbst Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) liegen vor.
1. Das Berufungsgericht geht zwar zu Recht von der Formni chtigkeit des Kaufvertrages nach § 125 Satz 1 BGB aus, rechtsfehlerhaft ist jedoch seine Auffassung, die Beklagten seien aus Gründen der Verwirkung gehindert, die Formnichtigkeit des Grundstückskaufvertrages geltend zu machen.
a) Zweifelhaft ist bereits, ob diese Einwendung überhaupt der Verwirkung zugänglich ist. In jedem Fall können die Verwirkungsregeln bei Verletzung gesetzlicher Formvorschriften deshalb keine Anwendung finden, weil die Rechtsprechung stets betont hat, daß die Einhaltung dieser Formerfordernisse im Interesse der Rechtssicherheit liegt und es deshalb nicht angeht, sie aus allgemeinen Billigkeitserwägungen unbeachtet zu lassen (Senat, BGHZ 45, 179, 182; BGHZ 92, 164, 172). Um in den genannten Fällen der Formnichtigkeit einen Verstoß gegen § 242 BGB annehmen zu können, sind deshalb strengere Anforderungen entwickelt worden. Hiernach muß die Formnichtigkeit zu einem Ergebnis führen, das für die betroffene Partei nicht nur hart, sondern schlechthin untragbar ist (Senat, BGHZ 138, 339, 348 m.w.N.). Diese Voraussetzungen erfüllen insbesondere zwei Fallgruppen, nämlich zum einen die Fälle der Existenzgefährdung und zum anderen die Fälle einer besonders schweren Treupflichtverletzung des begünstigten Teils. Da für den Eintritt einer Verwirkung geringere Anforderungen genügen, ist es fehlerhaft, wenn das Beru-
fungsgericht auf die Verwirkung zurückgreift, um den Beklagten die Einwendung der Formnichtigkeit abzuschneiden.
b) Der Rechtsfehler des Berufungsgerichts ist auch entscheidungserheblich. Insbesondere hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, daß die Voraussetzungen für eine Mißachtung des § 242 BGB im vorliegenden Fall erfüllt sind, weil die Formnichtigkeit zu einem für die Klägerin nicht nur harten, sondern schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde.
2. Die Revision ist zuzulassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
a) Es besteht die Notwendigkeit einer höchstrichterlichen Leitentscheidung , weil eine Wiederholung des Rechtsfehlers durch das Berufungsgericht zu besorgen ist; darüber hinaus ist auch die ernsthafte Gefahr einer Nachahmung durch andere Gerichte zu bejahen (vgl. Senat, Beschl. v. 27. März 2003, V ZR 291/02, NJW 2003, 1943, 1945, zur Veröffentlichung in BGHZ 154, 288 vorgesehen). Die Begründung des Berufungsurteils läßt sich nämlich zum einen verallgemeinern, und zum anderen ist eine nicht unerhebliche Zahl künftiger Sachverhalte zu erwarten, auf welche die Argumentation übertragen werden kann (Senat, Beschl. v. 31. Oktober 2002, V ZR 100/02, NJW 2003, 754, 755). Der rechtliche Ansatz des Berufungsgerichts, Verstöße gegen gesetzliche Formvorschriften nicht zu beachten, wenn auf Seiten der durch die Formnichtigkeit begünstigten Partei die Voraussetzungen der Verwirkung erfüllt sind, kann ohne weiteres von dem vorliegenden Streitfall gelöst und auch für andere Fälle herangezogen werden, in denen die Formwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts zu prüfen ist. Dies ergibt sich letztlich daraus, daß das Beru-
fungsgericht seinen Überlegungen einen unrichtigen Obersatz zugrunde legt (vgl. Schultz, MDR 2003, 1392, 1400). Das Berufungsgericht geht nämlich davon aus, daß unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung weniger strenge Anforderungen genügen, als sie von der Rechtsprechung bisher entwickelt worden sind, um der Formnichtigkeit zu begegnen. Auch wenn es an der Formulierung eines Rechtssatzes in einem Berufungsurteil fehlt, ist das Allgemeininteresse gleichwohl berührt, wenn der Argumentation des Berufungsgerichts erkennbar ein - unrichtiger - Obersatz zugrunde liegt, sie aus diesem Grunde verallgemeinerungsfähig ist und somit die Gefahr der Wiederholung oder Nachahmung eines Rechtsfehlers besteht.
b) Ergibt sich die Wiederholungs- oder Nachahmungsgefahr in der geschilderten Weise aus der rechtlichen Begründung des Berufungsgerichts, so kann das Revisionsgericht diese Voraussetzung unabhängig von den Darlegungen in der Beschwerdebegründung feststellen. Dem steht die Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes (BGHZ 152, 182), wie dieser auf Anfrage bestätigt hat, nicht entgegen. Zweck des Begründungserfordernisses nach § 544 Abs. 2 Satz 3 ZPO ist es, das Revisionsgericht von einer Ermittlung der Zulassungsvoraussetzungen anhand der Akten zu entlasten (BGHZ 152, 182, 185). Dieser Gesichtspunkt erlangt daher nur Bedeutung, wenn die Wiederholungs- oder Nachahmungsgefahr hinsichtlich eines Rechtsfehlers aus - nicht ohnehin offenkundigen (§ 291 ZPO) - tatsächlichen Umständen , wie etwa einer ständigen Fehlerpraxis des Berufungsgerichts (vgl. BGHZ 152, 182, 187), hergeleitet wird.
3. Von einer Begründung im übrigen wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 ZPO abgesehen.
Wenzel Tropf Lemke Gaier Schmidt-Räntsch
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
Tatsachen, die bei dem Gericht offenkundig sind, bedürfen keines Beweises.
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
Ein Rechtsgeschäft, welches der durch Gesetz vorgeschriebenen Form ermangelt, ist nichtig. Der Mangel der durch Rechtsgeschäft bestimmten Form hat im Zweifel gleichfalls Nichtigkeit zur Folge.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
Tatsachen, die bei dem Gericht offenkundig sind, bedürfen keines Beweises.
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.