Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Aug. 2010 - V ZB 79/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Betroffene ist Staatsangehöriger von Sri Lanka. Er verließ das Bundesgebiet nach der bestandskräftigen Ablehnung eines Asylantrags. Im Jahr 2007 reiste er, von Frankreich kommend, wiederum nach Deutschland ein und wurde nach Frankreich zurückgeschoben. Am 8. Februar 2010 reiste er abermals aus Frankreich ein. Bei einer Kontrolle versuchte er, sich mit einem entwendeten deutschen Personalausweis auszuweisen, und wurde verhaftet. Auf Antrag der Bundespolizeiinspektion Bad Bentheim hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 8. Februar 2010 gegen den Betroffenen Haft bis zu seiner Rückschiebung , längstens für die Dauer von drei Monaten, angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben.
- 2
- Bemühungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), den Betroffenen nach Frankreich zurückzuschieben, blieben bis Mitte April 2010 erfolglos. Das Amtsgericht hat deshalb mit Beschluss vom 27. April 2010 die Haftanordnung aufgehoben und die Freilassung des Betroffenen angeordnet.
- 3
- Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene die Feststellung, dass der Beschluss des Amtsgerichts und der Beschluss des Landgerichts ihn in seinen Rechten verletzt haben.
II.
- 4
- Das Beschwerdegericht meint, die Haftanordnung sei nicht zu beanstanden. Der Haftantrag sei von der zuständigen Behörde gestellt worden. Aufgrund der unerlaubten Einreise sei der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Es habe der begründete Verdacht bestanden, dass er sich der Rückschiebung habe entziehen wollen. Eine Aufenthaltsberechtigung habe er nicht gehabt. Die Anordnung der Haft für die Dauer von drei Monaten sei verhältnismäßig gewesen. Eine nochmalige Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht sei nicht erforderlich gewesen; auch habe eine in Frankreich lebende Ehefrau nicht angehört werden müssen.
III.
- 5
- Die Rechtsbeschwerde ist zwar statthaft und zulässig, aber unbegründet.
- 6
- 1. Das form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsmittel ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG ungeachtet des Umstands, dass sich die Hauptsache mit der Entlassung des Betroffenen aus der Haft erledigt hat, ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft (vgl. nur Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151 = InfAuslR 2010, 249, 250).
- 7
- 2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Weder die Haftanordnung noch die sie bestätigende Entscheidung des Beschwerdegerichts sind rechtlich zu beanstanden.
- 8
- a) Die Rüge, der Betroffene sei - wenn überhaupt - verspätet über sein Recht belehrt worden, die konsularische Vertretung seines Heimatstaates von der Inhaftierung zu unterrichten (Art. 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK), weil die Belehrung weder bei der Ingewahrsamnahme noch bei der Anhörung zur Überprüfung der Ingewahrsamnahme erfolgt sei, bleibt ohne Erfolg. Denn das - vermeintlich - fehlerhafte Handeln der Beamten der Bundespolizei ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
- 9
- b) Der Betroffene ist vor seiner Inhaftierung von dem Amtsrichter ordnungsgemäß nach § 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK belehrt worden. Den daran in der Rechtsbeschwerdebegründung geäußerten Zweifeln fehlt die Grundlage. Mag die Feststellung der Belehrung in dem Protokoll über die Anhörung des Betroffenen auch auf einem Textbaustein beruhen, bei dem das Wort "nicht" entsprechend dem Ergebnis der Befragung des Betroffenen zu streichen oder nicht zu streichen ist, hat der Senat mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen , dass die Belehrung erfolgte, und zwar rechtzeitig (siehe dazu Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, Rn. 18, juris).
- 10
- c) Das Beschwerdegericht musste den Betroffenen nicht erneut anhören. Zwar ist die persönliche Anhörung auch in dem Rechtsmittelverfahren grundsätzlich erforderlich (Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, FGPrax 2010, 154, 155). Aber hiervon kann nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen werden, wenn eine persönliche Anhörung des Betroffenen in erster Instanz erfolgt ist und zusätzliche Erkenntnisse von einer erneuten Anhörung nicht zu erwarten sind (Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, aaO). So war es hier. Der Umstand, dass der Betroffene erstmals in seiner Anhörung durch Beamte der Bundespolizeiinspektion H. am 1. März 2010 vorgetragen hat, er sei mit einer legal in Frankreich lebenden Frau verheiratet, änderte nichts an dem Vorliegen der Voraussetzungen für die Haftanordnung. Denn der Betroffene hat nicht angegeben, dass er freiwillig zu dieser Frau zurückkehren wollte. Andere Anhaltspunkte für eine freiwillige Rückkehr gab es nicht. Auch die Rechtsbeschwerdebegründung erschöpft sich insoweit in vagen Vermutungen. Das Beschwerdegericht konnte seiner Beurteilung deshalb die Angabe des Betroffenen in seiner Anhörung bei dem Amtsgericht zugrunde legen , er wolle gerne in Deutschland leben.
- 11
- d) Auch ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht die - angebliche - Ehefrau des Betroffenen nicht an dem Verfahren beteiligt und sie nicht angehört hat. Eine Beteiligung nach § 418 Abs. 3 Nr. 1 FamFG, die im Ermessen des Gerichts steht (Senat, Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZR 9/10, Rn. 17, juris), schied aus, weil nach den Angaben des Betroffenen davon auszugehen war, dass er von der Frau dauernd getrennt lebte. Eine Beteiligung nach § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG kam nicht in Betracht, weil der Betroffene die Frau nicht als Vertrauensperson benannt hatte.
- 12
- e) Schließlich ist für einen Verstoß gegen das in Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 205/09, Rn. 16, juris) nichts ersichtlich. Auch nach der Weigerung der französischen Behörden, den Betroffenen zurückzunehmen, dauerten die Bemühungen um die Rückschiebung an.
IV.
- 13
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Geschäftswerts auf § 128c Abs. 2 i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.
Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Nordhorn, Entscheidung vom 08.02.2010 - 11 XIV 4290 B -
LG Osnabrück, Entscheidung vom 17.03.2010 - 11 T 138/10 (7) -
moreResultsText
Annotations
(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.
(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.
(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.
(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:
- 1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs, - 2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder - 3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
(1) Zu beteiligen sind die Person, der die Freiheit entzogen werden soll (Betroffener), und die Verwaltungsbehörde, die den Antrag auf Freiheitsentziehung gestellt hat.
(2) Der Verfahrenspfleger wird durch seine Bestellung als Beteiligter zum Verfahren hinzugezogen.
(3) Beteiligt werden können im Interesse des Betroffenen
Das Gericht soll die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat.