Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2012 - V ZB 32/12

bei uns veröffentlicht am14.06.2012
vorgehend
Amtsgericht Passau, XIV B 17/11, 15.03.2011
Landgericht Passau, 2 T 43/11, 24.01.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 32/12
vom
14. Juni 2012
in der Abschiebungshaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juni 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland

beschlossen:
Auf die Rechtsmittel des Betroffenen werden der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Passau vom 24. Januar 2012 und der Beschluss des Amtsgerichts Passau vom 15. März 2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als auch für den Zeitraum ab dem 24. Februar 2011 zum Nachteil des Betroffenen entschieden worden ist. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Passau vom 15. März 2011 den Betroffenen seit dem 24. Februar 2011 in seinen Rechten verletzt hat. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in den Tatsacheninstanzen werden zu einem Drittel, die in dem Rechtsbeschwerdeverfahren vollständig dem Freistaat Bayern auferlegt. Im Übrigen findet eine Auslagenerstattung nicht statt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 23. Januar 2011 Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen für die Dauer von längstens drei Monaten und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Dagegen hat der Betroffene am 24. Februar 2011 Beschwerde eingelegt und zugleich hilfsweise die Aufhebung der Haftanordnung beantragt. Nach der Haftentlassung am 11. März 2011 und der Abschiebung nach Mazedonien hat der Betroffene am 14. März 2011 sowohl bei dem Amtsgericht als auch bei dem Landgericht die Feststellung beantragt, dass die Haftanordnung rechtswidrig gewesen sei.
2
Vor der - rechtskräftigen - Verwerfung der Beschwerde gegen die Haftanordnung als unzulässig durch das Landgericht hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 15. März 2011 die Haftanordnung aufgehoben. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene die Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen und die Feststellung erreichen, dass der Beschluss des Amtsgerichts ihn seit dem 24. Februar 2011 in seinen Rechten verletzt hat.

II.

3
Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist der - isolierte - Feststellungsantrag wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Der Betroffene habe die gewünschte Feststellung erreichen können, indem er rechtzeitig gegen die Haftanordnung Beschwerde eingelegt hätte.

III.

4
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
1. Die Rechtsbeschwerde, mit welcher der Betroffene seine Rechtsverletzung durch die Entscheidung des Amtsgerichts in einem Haftaufhebungsverfahren (§ 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG) festgestellt haben will, ist ohne Zulassung statthaft; dies gilt auch dann, wenn - wie hier - das Beschwerdegericht über den Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG entschieden hat und in dem Rechtsbeschwerdeverfahren die Überprüfung dieser Entscheidung verlangt wird (Senat, Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 292/10 Rn. 7-9, juris [insoweit in FGPrax 2011, 200 f. nicht abgedruckt]). Sie ist auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG).
6
2. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde Erfolg. Der Aufhebungsbeschluss des Amtsgerichts vom 15. März 2011, den das Beschwerdegericht zutreffend - weil er anderenfalls wegen der vorherigen Entlassung des Betroffenen aus der Haft sinnlos wäre - als konkludente Zurückweisung des einen Tag zuvor gestellten Antrags auf Feststellung der Rechtsverletzung angesehen hat, hat den Betroffenen ab dem Eingang seines Haftaufhebungsantrags bei dem Amtsgericht am 24. Februar 2011 in seinen Rechten verletzt.
7
a) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts fehlt dem Feststellungsantrag nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Es hat übersehen, dass der Antrag nicht isoliert, sondern innerhalb des Haftaufhebungsverfahrens (§ 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG) gestellt wurde. Anderenfalls hätte er nicht an das Amtsgericht gerichtet zu werden brauchen.
8
b) Der Haftanordnung lag mangels Angaben zu dem Einvernehmen der Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung kein zulässiger Haftantrag zugrunde.
9
Das Fehlen des nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG für die Abschiebung erforderlichen Einvernehmens der zuständigen Staatsanwaltschaft führt nicht nur zur Unzulässigkeit der Haft, sondern zur Unzulässigkeit des Haftantrags, wenn sich aus ihm oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne Weiteres ergibt, dass gegen den Betroffenen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist und der Antrag zu dem Vorliegen des Einvernehmens keine Angaben enthält (siehe nur Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 224/10, FGPrax 2011, 148, 149 Rn. 7). So ist es hier. In dem Haftantrag vom 23. Januar 2011 heißt es, dass gegen den Betroffenen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, weil er sich wegen illegaler Arbeitsaufnahme unerlaubt in der Bundesrepublik aufhielt. Angaben zu dem Einvernehmen der Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung enthält der Antrag nicht.
10
c) Begründet ist der Feststellungsantrag wegen der formellen Rechtskraft des Beschlusses des Amtsgerichts vom 23. Januar 2011 (Haftanordnung) allerdings nur für den Zeitraum ab dem Eingang des Haftaufhebungsantrags bei dem Amtsgericht am 24. Februar 2011 (vgl. Senat, Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 292/10, FGPrax 2011, 200 f. Rn. 14-18). Insoweit sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtsverletzung des Betroffenen festzustellen.
11
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

IV.

12
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, den Freistaat Bayern, dem die beteiligte Behörde angehört, zur Erstattung eines Teils der notwendigen Auslagen des Betroffenen in den Tatsacheninstanzen zu verpflichten. Die Kostenquote entspricht dem Verhältnis des gesamten Haftzeitraums zu dem Zeitraum, für den die Beschwerde Erfolg hat. Die in dem Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen hat der Freistaat Bayern dagegen vollständig zu erstatten, weil dieses Rechtsmittel wegen der auf den Zeitraum ab dem 24. Februar 2011 beschränkten Antragstellung Erfolg hat.
13
2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 30 Abs. 2, § 128c Abs. 2 KostO. Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Brückner Weinland
Vorinstanzen:
AG Passau, Entscheidung vom 15.03.2011 - 1 XIV B 17/11 -
LG Passau, Entscheidung vom 24.01.2012 - 2 T 43/11 -

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Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 74 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde


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(1) Der Beschluss, durch den eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, ist vor Ablauf der nach § 425 Abs. 1 festgesetzten Frist von Amts wegen aufzuheben, wenn der Grund für die Freiheitsentziehung weggefallen ist. Vor der Aufhebung hat das Gericht die zuständige Verwaltungsbehörde anzuhören.

(2) Die Beteiligten können die Aufhebung der Freiheitsentziehung beantragen. Das Gericht entscheidet über den Antrag durch Beschluss.

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 292/10
vom
28. April 2011
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die Rechtsbeschwerde ist auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen
einen Beschluss des Beschwerdegerichts richtet, mit welchem die Beschwerde gegen
die Zurückweisung eines Haftaufhebungsantrags zurückgewiesen worden ist.
FamFG §§ 45, 62 Abs. 1; § 426 Abs. 2 Satz 1
Die formelle Rechtskraft der Entscheidung über die Haftanordnung kann nicht durch
ein Haftaufhebungsverfahren durchbrochen werden; hat sich die Haftanordnung erledigt
, kann deshalb das Rechtsmittelgericht die Rechtsverletzung erst ab dem Eingang
des Haftaufhebungsantrags bei dem Gericht des ersten Rechtszugs feststellen.
BGH, Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 292/10 - LG Osnabrück
AG Nordhorn
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. April 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Prof.
Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub

beschlossen:
Auf die Rechtsmittel des Betroffenen werden - unter deren Zurückweisung im Übrigen - der Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 11. November 2010 und der Beschluss des Amtsgerichts Nordhorn vom 22. Juli 2010 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben , als auch für den Zeitraum ab dem 6. November 2009 zum Nachteil des Betroffenen entschieden worden ist. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Nordhorn vom 22. Juli 2010 den Betroffenen seit dem 6. November 2009 in seinen Rechten verletzt hat. Die zweckentsprechenden außergerichtlichen Auslagen des Betroffenen werden zu 1/6 der Bundesrepublik Deutschland auferlegt. Im Übrigen findet eine Auslagenerstattung nicht statt. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene reiste am 22. September 2009 von den Niederlanden kommend unerlaubt in die Bundesrepublik ein. Er hatte am 8. Oktober 2008 in Griechenland einen Asylantrag gestellt.
2
Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht am 22. September 2009 die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen nach Griechenland für die Dauer von längstens zwei Monaten an.
3
Am 6. November 2009 hat der Betroffene bei dem Amtsgericht beantragt, den Beschluss vom 22. September 2009 aufzuheben und festzustellen, dass "die Inhaftierung in Abschiebungshaft" rechtswidrig gewesen ist. Nachdem der Betroffene am 17. November 2009 nach Griechenland zurückgeschoben worden war, hat er am 23. November 2009 die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Inhaftierung beantragt. Diesen Antrag hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 22. Juli 2010 "abgelehnt". Das Landgericht hat die Beschwerde mit Beschluss vom 11. November 2010 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene im Ergebnis die Feststellung erreichen, dass die Haftanordnung ihn in seinen Rechten verletzt hat.

II.

4
Nach Ansicht des Beschwerdegerichts war die Haftanordnung rechtmäßig. Es hätten die in § 62 Abs. 2 Nr. 1 und 5 AufenthG genannten Voraussetzungen vorgelegen. Gegen das Beschleunigungsgebot sei nicht verstoßen worden.

III.

5
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht vollständig stand.
6
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
7
a) Statthaft ist auch eine Rechtsbeschwerde mit dem Ziel, die Rechtsverletzung des Betroffenen durch die Zurückweisung eines Antrags auf Haftaufhebung nach § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG festzustellen.
8
Für diesen Feststellungsantrag kann nichts anderes gelten als für entsprechende Anträge nach Erledigung gegen die Haftanordnung eingelegter Beschwerden , in denen Feststellungsanträge analog § 62 Abs. 1 FamFG auch im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellt werden können, ohne dass es einer Zulassung des Rechtsmittels bedarf (std. Rspr.: vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151 Rn. 9, 10; Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152, 153 Rn. 4). Die besonderen Rechtsschutzmöglichkeiten beruhen auf dem Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen nach einem Eingriff in sein Freiheitsgrundrecht und hängen nicht von dem konkreten Ablauf des Verfahrens ab (vgl. BVerfGE 104, 220, 235).
9
b) Die Rechtsbeschwerde ist auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn - wie hier - das Beschwerdegericht über einen Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG entschieden hat und in dem Rechtsbeschwerdeverfahren die Überprüfung dieser Entscheidung verlangt wird (Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27 Rn. 4).
10
2. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde teilweise Erfolg. Die Zurückweisung des Aufhebungsantrags hat ab dessen Eingang bei dem Amtsgericht am 6. November 2009 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil schon kein zulässiger Haftantrag vorlag.
11
a) Das Fehlen des nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auch für die Zurückschiebung erforderlichen Einvernehmens der zuständigen Staatsanwaltschaft führt nicht nur zur Unzulässigkeit der Haft, sondern zur Unzulässigkeit des Haftantrags, wenn sich aus ihm oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass gegen den Betroffenen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist und der Antrag zu dem Vorliegen des Einvernehmens keine Angaben enthält (Senat, Beschluss vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10, juris Rn. 7, 10 ff.).
12
So ist es hier. In dem von der Beteiligten zu 2 am 22. September 2009 gestellten Haftantrag heißt es unter "III. Sachverhalt" u.a.: "Seitens der hiesigen Dienststelle wurde ein Strafverfahren wegen der unerlaubten Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet gegen den o.a. afghanischen Staatsangehörigen eingeleitet." Angaben dazu, ob das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft mit der Zurückschiebung vorliegt, enthält der Antrag nicht.
13
b) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Senat, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - V ZB 136/10, juris Rn. 6 mwN). Es ist deshalb unerheblich, dass der Betroffene das Fehlen dieser Verfahrensvoraussetzung weder in den Vorinstanzen noch in der Rechtsbeschwerdebegründung gerügt hat.
14
c) Gleichwohl ist die Rechtsbeschwerde unbegründet, soweit es um die Feststellung der Rechtsverletzung durch die Haftanordnung von Anfang geht. Dieser Feststellung steht die formelle Rechtskraft des Beschlusses des Amtsgerichts vom 22. September 2009 (Haftanordnung) entgegen.
15
aa) Zwar ist vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben, die an einen wirkungsvollen Rechtsschutz bei prozessualer Überholung zu stellen sind, ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme regelmäßig gegeben (siehe nur BVerfGE 104, 220, 234; Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 116/10, juris Rn. 8 mwN). Dieses rechtliche Interesse erlaubt jedoch nicht die Stellung eines Feststellungsantrags losgelöst von dem jeweils bestehenden Rechtsschutzsystem , sofern es dem Betroffenen zumutbar und möglich war, eine von der Verfahrensordnung bereitgestellte Rechtsschutzmöglichkeit zu ergreifen; besteht eine solche Möglichkeit, kann von dem Betroffenen erwartet werden, dass er diese wahrnimmt (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 116/10, juris aaO).
16
bb) Diese Voraussetzung liegt hier vor. Gegen den Beschluss, mit dem das Amtsgericht die Haft angeordnet hat, hat der Betroffene kein Rechtsmittel eingelegt.
17
d) Die formelle Rechtskraft der Entscheidung über die Haftanordnung kann auch nicht durch das Verfahren auf Aufhebung der Haft nach § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG durchbrochen werden. Zwar sind Entscheidungen über die Anordnung der Haft nicht der materiellen Rechtskraft fähig, so dass ein Betroffener den Haftaufhebungsantrag nicht nur auf neue Umstände, sondern auch auf Einwände gegen die erstmalige Anordnung der Haft stützen kann (Senat, Beschluss vom 18. September 2008 - V ZB 129/08, NJW 2009, 299, 300 zu § 10 Abs. 2 FEVG). Diese Berücksichtigung von Einwänden gegen die Haftanordnung bei der Prüfung der Haftaufhebung führt aber nicht dazu, dass die formelle Rechtskraft unterlaufen werden darf (OLG München, FGPrax 2005, 276, 277; Keidel/Budde, FamFG 16. Aufl., § 62 Rn. 5; offengelassen von KG, NVwZ-RR 2009, 222, 223).
18
e) Begründet ist die Rechtsbeschwerde jedoch insoweit, als das Beschwerdegericht den Feststellungsantrag auch für den Zeitraum ab dem Eingang des Haftaufhebungsantrags bei dem Amtsgericht am 6. November 2009 zurückgewiesen hat. Insoweit sind seine Entscheidung und auf die Beschwerde des Betroffenen auch die Entscheidung des Amtsgerichts vom 22. Juli 2010 aufzuheben.

IV.

19
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 81 Abs. 1, 83 Abs. 2, 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Bundesrepublik Deutschland , der die beteiligte Behörde angehört, zur Erstattung eines Teils der notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten. Die Kostenquote entspricht dem Verhältnis des gesamten Haftzeitraums zu dem Zeitraum, für den die Rechtsmittel Erfolg haben.

20
Der Gegenstandswert bestimmt sich nach §§ 30 Abs. 2, 128c Abs. 2 KostO.
VRiBGH Prof. Dr. Krüger Lemke Schmidt-Räntsch ist infolge Urlaub an der Unterschrift gehindert. Karlsruhe, den 2. Mai 2011 Der stellv. Vorsitzende Lemke Czub Stresemann
Vorinstanzen:
AG Nordhorn, Entscheidung vom 22.07.2010 - 11 XIV 4221 B -
LG Osnabrück, Entscheidung vom 11.11.2010 - 11 T 583/10 (15) -

(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und
2.
die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und dessen Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge);
2.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.

(4) Die Rechtsbeschwerde- und die Begründungsschrift sind den anderen Beteiligten bekannt zu geben.

(1) Der Beschluss, durch den eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, ist vor Ablauf der nach § 425 Abs. 1 festgesetzten Frist von Amts wegen aufzuheben, wenn der Grund für die Freiheitsentziehung weggefallen ist. Vor der Aufhebung hat das Gericht die zuständige Verwaltungsbehörde anzuhören.

(2) Die Beteiligten können die Aufhebung der Freiheitsentziehung beantragen. Das Gericht entscheidet über den Antrag durch Beschluss.

(1) Eine Betretenserlaubnis (§ 11 Absatz 8) darf nur mit Zustimmung der für den vorgesehenen Aufenthaltsort zuständigen Ausländerbehörde erteilt werden. Die Behörde, die den Ausländer ausgewiesen, abgeschoben oder zurückgeschoben hat, ist in der Regel zu beteiligen.

(2) Über das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Absatz 5 oder 7 und das Vorliegen eines Ausschlusstatbestandes nach § 25 Absatz 3 Satz 3 Nummer 1 bis 4 entscheidet die Ausländerbehörde nur nach vorheriger Beteiligung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.

(3) Räumliche Beschränkungen, Auflagen und Bedingungen, Befristungen nach § 11 Absatz 2 Satz 1, Anordnungen nach § 47 und sonstige Maßnahmen gegen einen Ausländer, der nicht im Besitz eines erforderlichen Aufenthaltstitels ist, dürfen von einer anderen Behörde nur im Einvernehmen mit der Behörde geändert oder aufgehoben werden, die die Maßnahme angeordnet hat. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Aufenthalt des Ausländers nach den Vorschriften des Asylgesetzes auf den Bezirk der anderen Ausländerbehörde beschränkt ist.

(3a) Die Aufhebung einer Wohnsitzverpflichtung nach § 12a Absatz 5 darf nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde des geplanten Zuzugsorts erfolgen. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn die Voraussetzungen des § 12a Absatz 5 vorliegen; eine Ablehnung ist zu begründen. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn die Ausländerbehörde am Zuzugsort nicht innerhalb von vier Wochen ab Zugang des Ersuchens widerspricht. Die Erfüllung melderechtlicher Verpflichtungen begründet keine Zuständigkeit einer Ausländerbehörde.

(4) Ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, darf nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft ausgewiesen und abgeschoben werden. Ein Ausländer, der zu schützende Person im Sinne des Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetzes ist, darf nur im Einvernehmen mit der Zeugenschutzdienststelle ausgewiesen oder abgeschoben werden. Des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn nur ein geringes Strafverfolgungsinteresse besteht. Dies ist der Fall, wenn die Erhebung der öffentlichen Klage oder die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen einer Straftat nach § 95 dieses Gesetzes oder nach § 9 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern oder Straftaten nach dem Strafgesetzbuch mit geringem Unrechtsgehalt erfolgt ist. Insoweit sind Straftaten mit geringem Unrechtsgehalt Straftaten nach § 113 Absatz 1, § 115 des Strafgesetzbuches, soweit er die entsprechende Geltung des § 113 Absatz 1 des Strafgesetzbuches vorsieht, den §§ 123, 166, 167, 169, 185, 223, 240 Absatz 1, den §§ 242, 246, 248b, 263 Absatz 1, 2 und 4, den §§ 265a, 267 Absatz 1 und 2, § 271 Absatz 1, 2 und 4, den §§ 273, 274, 276 Absatz 1, den §§ 279, 281, 303 des Strafgesetzbuches, dem § 21 des Straßenverkehrsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl. I S. 310, 919), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 8. April 2019 (BGBl. I S. 430) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, und dem § 6 des Pflichtversicherungsgesetzes vom 5. April 1965 (BGBl. I S. 213), das zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 6. Februar 2017 (BGBl. I S. 147) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, es sei denn, diese Strafgesetze werden durch verschiedene Handlungen mehrmals verletzt oder es wird ein Strafantrag gestellt.

(5) § 45 des Achten Buches Sozialgesetzbuch gilt nicht für Ausreiseeinrichtungen und Einrichtungen, die der vorübergehenden Unterbringung von Ausländern dienen, denen aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt oder bei denen die Abschiebung ausgesetzt wird.

(6) Vor einer Entscheidung über die Erteilung, die Verlängerung oder den Widerruf eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 4a oder 4b und die Festlegung, Aufhebung oder Verkürzung einer Ausreisefrist nach § 59 Absatz 7 ist die für das in § 25 Abs. 4a oder 4b in Bezug genommene Strafverfahren zuständige Staatsanwaltschaft oder das mit ihm befasste Strafgericht zu beteiligen, es sei denn, es liegt ein Fall des § 87 Abs. 5 Nr. 1 vor. Sofern der Ausländerbehörde die zuständige Staatsanwaltschaft noch nicht bekannt ist, beteiligt sie vor einer Entscheidung über die Festlegung, Aufhebung oder Verkürzung einer Ausreisefrist nach § 59 Absatz 7 die für den Aufenthaltsort zuständige Polizeibehörde.

(7) Zur Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 16a, 16d, 16e, 18a, 18b, 18c Absatz 3 und der §§ 19 bis 19c können die Ausländerbehörde, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie die Auslandsvertretung zur Erfüllung ihrer Aufgaben die Bundesagentur für Arbeit auch dann beteiligen, wenn sie ihrer Zustimmung nicht bedürfen.

7
b) In diesem Fall hätte der Haftantrag der beteiligten Behörde allerdings nicht als unbegründet, sondern mangels Darlegung der Durchführbarkeit der Abschiebung (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG) bereits als unzulässig zurückgewiesen werden müssen (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, Rn. 8 - zur Veröff. vorgesehen). Ergibt sich aus dem Haftantrag selbst oder aus den diesem beigefügten Unterlagen (wie hier aus der von der Polizei aufgenommenen Strafanzeige) ohne weiteres, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist, muss sich der Haftantrag der Behörde auch dazu verhalten, ob das nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG für die Abschiebung erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft vorliegt. Das Fehlen entsprechender Ausführungen ist in diesen Fällen ein Begründungsmangel, der zur Unzulässigkeit des Haftantrags führt (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, aaO).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 292/10
vom
28. April 2011
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die Rechtsbeschwerde ist auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen
einen Beschluss des Beschwerdegerichts richtet, mit welchem die Beschwerde gegen
die Zurückweisung eines Haftaufhebungsantrags zurückgewiesen worden ist.
FamFG §§ 45, 62 Abs. 1; § 426 Abs. 2 Satz 1
Die formelle Rechtskraft der Entscheidung über die Haftanordnung kann nicht durch
ein Haftaufhebungsverfahren durchbrochen werden; hat sich die Haftanordnung erledigt
, kann deshalb das Rechtsmittelgericht die Rechtsverletzung erst ab dem Eingang
des Haftaufhebungsantrags bei dem Gericht des ersten Rechtszugs feststellen.
BGH, Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 292/10 - LG Osnabrück
AG Nordhorn
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. April 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Prof.
Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub

beschlossen:
Auf die Rechtsmittel des Betroffenen werden - unter deren Zurückweisung im Übrigen - der Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 11. November 2010 und der Beschluss des Amtsgerichts Nordhorn vom 22. Juli 2010 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben , als auch für den Zeitraum ab dem 6. November 2009 zum Nachteil des Betroffenen entschieden worden ist. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Nordhorn vom 22. Juli 2010 den Betroffenen seit dem 6. November 2009 in seinen Rechten verletzt hat. Die zweckentsprechenden außergerichtlichen Auslagen des Betroffenen werden zu 1/6 der Bundesrepublik Deutschland auferlegt. Im Übrigen findet eine Auslagenerstattung nicht statt. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene reiste am 22. September 2009 von den Niederlanden kommend unerlaubt in die Bundesrepublik ein. Er hatte am 8. Oktober 2008 in Griechenland einen Asylantrag gestellt.
2
Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht am 22. September 2009 die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen nach Griechenland für die Dauer von längstens zwei Monaten an.
3
Am 6. November 2009 hat der Betroffene bei dem Amtsgericht beantragt, den Beschluss vom 22. September 2009 aufzuheben und festzustellen, dass "die Inhaftierung in Abschiebungshaft" rechtswidrig gewesen ist. Nachdem der Betroffene am 17. November 2009 nach Griechenland zurückgeschoben worden war, hat er am 23. November 2009 die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Inhaftierung beantragt. Diesen Antrag hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 22. Juli 2010 "abgelehnt". Das Landgericht hat die Beschwerde mit Beschluss vom 11. November 2010 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene im Ergebnis die Feststellung erreichen, dass die Haftanordnung ihn in seinen Rechten verletzt hat.

II.

4
Nach Ansicht des Beschwerdegerichts war die Haftanordnung rechtmäßig. Es hätten die in § 62 Abs. 2 Nr. 1 und 5 AufenthG genannten Voraussetzungen vorgelegen. Gegen das Beschleunigungsgebot sei nicht verstoßen worden.

III.

5
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht vollständig stand.
6
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
7
a) Statthaft ist auch eine Rechtsbeschwerde mit dem Ziel, die Rechtsverletzung des Betroffenen durch die Zurückweisung eines Antrags auf Haftaufhebung nach § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG festzustellen.
8
Für diesen Feststellungsantrag kann nichts anderes gelten als für entsprechende Anträge nach Erledigung gegen die Haftanordnung eingelegter Beschwerden , in denen Feststellungsanträge analog § 62 Abs. 1 FamFG auch im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellt werden können, ohne dass es einer Zulassung des Rechtsmittels bedarf (std. Rspr.: vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151 Rn. 9, 10; Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152, 153 Rn. 4). Die besonderen Rechtsschutzmöglichkeiten beruhen auf dem Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen nach einem Eingriff in sein Freiheitsgrundrecht und hängen nicht von dem konkreten Ablauf des Verfahrens ab (vgl. BVerfGE 104, 220, 235).
9
b) Die Rechtsbeschwerde ist auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn - wie hier - das Beschwerdegericht über einen Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG entschieden hat und in dem Rechtsbeschwerdeverfahren die Überprüfung dieser Entscheidung verlangt wird (Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27 Rn. 4).
10
2. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde teilweise Erfolg. Die Zurückweisung des Aufhebungsantrags hat ab dessen Eingang bei dem Amtsgericht am 6. November 2009 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil schon kein zulässiger Haftantrag vorlag.
11
a) Das Fehlen des nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auch für die Zurückschiebung erforderlichen Einvernehmens der zuständigen Staatsanwaltschaft führt nicht nur zur Unzulässigkeit der Haft, sondern zur Unzulässigkeit des Haftantrags, wenn sich aus ihm oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass gegen den Betroffenen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist und der Antrag zu dem Vorliegen des Einvernehmens keine Angaben enthält (Senat, Beschluss vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10, juris Rn. 7, 10 ff.).
12
So ist es hier. In dem von der Beteiligten zu 2 am 22. September 2009 gestellten Haftantrag heißt es unter "III. Sachverhalt" u.a.: "Seitens der hiesigen Dienststelle wurde ein Strafverfahren wegen der unerlaubten Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet gegen den o.a. afghanischen Staatsangehörigen eingeleitet." Angaben dazu, ob das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft mit der Zurückschiebung vorliegt, enthält der Antrag nicht.
13
b) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Senat, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - V ZB 136/10, juris Rn. 6 mwN). Es ist deshalb unerheblich, dass der Betroffene das Fehlen dieser Verfahrensvoraussetzung weder in den Vorinstanzen noch in der Rechtsbeschwerdebegründung gerügt hat.
14
c) Gleichwohl ist die Rechtsbeschwerde unbegründet, soweit es um die Feststellung der Rechtsverletzung durch die Haftanordnung von Anfang geht. Dieser Feststellung steht die formelle Rechtskraft des Beschlusses des Amtsgerichts vom 22. September 2009 (Haftanordnung) entgegen.
15
aa) Zwar ist vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben, die an einen wirkungsvollen Rechtsschutz bei prozessualer Überholung zu stellen sind, ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme regelmäßig gegeben (siehe nur BVerfGE 104, 220, 234; Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 116/10, juris Rn. 8 mwN). Dieses rechtliche Interesse erlaubt jedoch nicht die Stellung eines Feststellungsantrags losgelöst von dem jeweils bestehenden Rechtsschutzsystem , sofern es dem Betroffenen zumutbar und möglich war, eine von der Verfahrensordnung bereitgestellte Rechtsschutzmöglichkeit zu ergreifen; besteht eine solche Möglichkeit, kann von dem Betroffenen erwartet werden, dass er diese wahrnimmt (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 116/10, juris aaO).
16
bb) Diese Voraussetzung liegt hier vor. Gegen den Beschluss, mit dem das Amtsgericht die Haft angeordnet hat, hat der Betroffene kein Rechtsmittel eingelegt.
17
d) Die formelle Rechtskraft der Entscheidung über die Haftanordnung kann auch nicht durch das Verfahren auf Aufhebung der Haft nach § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG durchbrochen werden. Zwar sind Entscheidungen über die Anordnung der Haft nicht der materiellen Rechtskraft fähig, so dass ein Betroffener den Haftaufhebungsantrag nicht nur auf neue Umstände, sondern auch auf Einwände gegen die erstmalige Anordnung der Haft stützen kann (Senat, Beschluss vom 18. September 2008 - V ZB 129/08, NJW 2009, 299, 300 zu § 10 Abs. 2 FEVG). Diese Berücksichtigung von Einwänden gegen die Haftanordnung bei der Prüfung der Haftaufhebung führt aber nicht dazu, dass die formelle Rechtskraft unterlaufen werden darf (OLG München, FGPrax 2005, 276, 277; Keidel/Budde, FamFG 16. Aufl., § 62 Rn. 5; offengelassen von KG, NVwZ-RR 2009, 222, 223).
18
e) Begründet ist die Rechtsbeschwerde jedoch insoweit, als das Beschwerdegericht den Feststellungsantrag auch für den Zeitraum ab dem Eingang des Haftaufhebungsantrags bei dem Amtsgericht am 6. November 2009 zurückgewiesen hat. Insoweit sind seine Entscheidung und auf die Beschwerde des Betroffenen auch die Entscheidung des Amtsgerichts vom 22. Juli 2010 aufzuheben.

IV.

19
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 81 Abs. 1, 83 Abs. 2, 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Bundesrepublik Deutschland , der die beteiligte Behörde angehört, zur Erstattung eines Teils der notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten. Die Kostenquote entspricht dem Verhältnis des gesamten Haftzeitraums zu dem Zeitraum, für den die Rechtsmittel Erfolg haben.

20
Der Gegenstandswert bestimmt sich nach §§ 30 Abs. 2, 128c Abs. 2 KostO.
VRiBGH Prof. Dr. Krüger Lemke Schmidt-Räntsch ist infolge Urlaub an der Unterschrift gehindert. Karlsruhe, den 2. Mai 2011 Der stellv. Vorsitzende Lemke Czub Stresemann
Vorinstanzen:
AG Nordhorn, Entscheidung vom 22.07.2010 - 11 XIV 4221 B -
LG Osnabrück, Entscheidung vom 11.11.2010 - 11 T 583/10 (15) -

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.

(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn

1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat;
2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste;
3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat;
4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat;
5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.

(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.

(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.

(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.

(1) Wird das Verfahren durch Vergleich erledigt und haben die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen, fallen die Gerichtskosten jedem Teil zu gleichen Teilen zur Last. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.

(2) Ist das Verfahren auf sonstige Weise erledigt oder wird der Antrag zurückgenommen, gilt § 81 entsprechend.

Wird ein Antrag der Verwaltungsbehörde auf Freiheitsentziehung abgelehnt oder zurückgenommen und hat das Verfahren ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags nicht vorlag, hat das Gericht die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Körperschaft aufzuerlegen, der die Verwaltungsbehörde angehört.