Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Feb. 2011 - V ZB 12/10

bei uns veröffentlicht am03.02.2011
vorgehend
Landgericht Osnabrück, 11 T 823/09, 28.12.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 12/10
vom
3. Februar 2011
in der Abschiebungshaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Februar 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Dr. SchmidtRäntsch
, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 28. Dezember 2009 und der Beschluss des Amtsgerichts Nordhorn vom 9. November 2009 ihn in seinen Rechten verletzt haben. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die notwendigen Auslagen des Betroffenen aller Instanzen. Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird zurückgewiesen, weil die wirtschaftlichen Voraussetzungen jedenfalls im Hinblick auf den nach der Kostenentscheidung begründeten Erstattungsanspruch nicht vorliegen. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 8. November 2009 ohne gültige Einreisepapiere aus den Niederlanden in die Bundesrepublik ein. Im Bahnhof Bad Bentheim wurde er von Beamten der Beteiligten zu 2 festgenommen. Der Betroffene hatte bereits 2006 zunächst in Griechenland einen Asylantrag gestellt, später auch in Ungarn sowie in Österreich. Die Beteiligte zu 2 verfügte seine Zurückschiebung nach Griechenland. Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht am 9. November 2009 die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung für die Dauer von längstens 90 Tagen gegen den Betroffenen verhängt und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Als Geburtsjahr des Betroffenen weist der Beschluss das Jahr 1992 aus.
2
Am 14. Dezember 2009 hat der Betroffene bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Asylantrag gestellt und am 21. Dezember 2009 einstweiligen Rechtsschutz gegen die Zurückschiebung nach Griechenland bei dem Verwaltungsgericht beantragt.
3
Mit Beschluss vom 28. Dezember 2009 hat das Landgericht die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Die Zurückschiebung des Betroffenen ist von dem Verwaltungsgericht am 7. Januar 2010 einstweilen ausgesetzt worden.
4
Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene die Feststellung, dass die Haftanordnung und der Beschluss des Beschwerdegerichts ihn in seinen Rechten verletzt haben und dass seine Inhaftierung, deren Rechtswidrigkeit für die Zeit vom 28. Dezember 2009 bis zu seiner Freilassung am 7. Januar 2010 bereits festgestellt worden ist, auch schon vorher rechtswidrig war.

II.

5
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts lagen die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungshaft im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung vor. Der Betroffene sei unerlaubt eingereist, und es bestehe der begründete Verdacht, dass er sich der Zurückschiebung entziehen werde. Die bereits eingeleitete Zurückschiebung werde voraussichtlich innerhalb der Frist § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG durchgeführt werden können. Dass sie von dem Verwaltungsgericht ausgesetzt werde, sei nicht sicher, zumal durch die in Athen bei der deutschen Botschaft für Asylbewerber eingerichtete Kontaktstelle nunmehr ein effektiver Rechtsschutz im Rahmen des Asylverfahrens in Griechenland bestehe. Aufgrund der im Dezember 2010 eingeholten gutachterlichen Stellungnahme eines Facharztes für diagnostische Radiologie könne von der Volljährigkeit des Betroffenen ausgegangen werden.

III.

6
Die Rechtsbeschwerde ist, was das Beschwerdegericht verkennt, bereits von Gesetzes wegen statthaft (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG). Daran ändert die Erledigung der Hauptsache infolge der Entlassung des Betroffenen aus der Haft nichts (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726 Rn. 9). Die auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
7
1. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts verletzt den Betroffenen in seinen Rechten.
8
Das Beschwerdegericht hat nicht berücksichtigt, dass es dem Haftrichter bei der nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG erforderlichen Prognose, ob eine Ab- schiebung in den kommenden drei Monaten durchführbar erscheint, in Bezug auf mögliche Abschiebungshindernisse verwehrt ist, nur auf die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zu verweisen. Zwar ist die Entscheidung, ob die Abschiebung des Betroffenen zu Recht betrieben wird, den Verwaltungsgerichten vorbehalten. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen den Verwaltungsund den Zivilgerichten darf sich aber nicht zu Lasten des Betroffenen auswirken und einen effektiven Rechtsschutz verhindern. Ist über die Fortdauer der Abschiebungshaft eines Ausländers zu entscheiden, der - wie hier der Betroffene vor Erlass der Beschwerdeentscheidung - zur Verhinderung der Abschiebung einstweiligen Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten beantragt hat, setzt eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Anwendung des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG voraus, dass der Haftrichter den Stand und voraussichtlichen Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufklärt und bei seiner Entscheidung berücksichtigt (BVerfG NJW 2009, 2659, 2660; Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726 Rn. 24).
9
Wäre das Beschwerdegericht dieser Verpflichtung nachgekommen, hätte es sich ihm aufgedrängt, dass das Verwaltungsgericht dem Eilantrag des Betroffenen stattgeben und dessen Zurückschiebung nach Griechenland aussetzen würde. Denn solchen Anträgen wurde bei Überstellungen nach Griechenland gemäß Art. 19 Dublin II-Verordnung angesichts der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 8. September 2009 (NVwZ 2009, 1281) und vom 23. September 2009 (2 BvQ 68/09 - juris) schon im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung regelmäßig stattgegeben (vgl. näher Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, aaO, Rn. 26 f.; Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 213/09, NVwZ 2010, 1510 Rn. 15). Dies hätte zur Aufhebung der Haftanordnung führen müssen (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Juli 2010 - V ZB 10/10, juris Rn. 13; Beschluss vom 14. Oktober 2010 - V ZB 78/10, AuAS 2011, 8 Rn. 15; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10, juris Rn. 16).
10
Hieran vermag der Hinweis des Beschwerdegerichts auf die im Jahr 2009 in Athen eingerichteten Kontaktstellen nichts zu ändern. Ob deshalb mit einer Änderung der verwaltungsgerichtlichen Praxis zu rechnen war, aufgrund derer eine Zurückweisung des Antrags des Betroffenen ernsthaft in Betracht gekommen wäre, hätte das Beschwerdegericht durch Rückfrage bei dem zuständigen Verwaltungsgericht klären müssen. Dass es dies unterlassen hat, verletzt § 26 FamFG. Tatsächlich ist es auch nicht zu einer Änderung der Verwaltungspraxis gekommen (vgl. VG Hannover, Beschluss vom 7. Januar 2010 - 7 B 6258/09, juris Rn. 25; NdsRPfl. 2010, 39; VG Leipzig, Beschluss vom 10. Februar 2010 - A 1 L 18/10, juris Rn. 7; VG Minden, Beschluss vom 17. Februar 2010 - 12 L 76/10.A, juris Rn. 17 ff.; VG Oldenburg, NVwZ 2010, 200, 201 ff.; anders VG München, Beschluss vom 14. Dezember 2009 - M 23 E 09.60092, juris Rn. 11 ff.).
11
2. Auch die Entscheidung des Amtsgerichts verletzt den Betroffenen in seinen Rechten.
12
a) Der Beschluss enthält keine Feststellungen zu dem Alter des Betroffenen , obwohl sich nach der aus dem Haftantrag übernommenen Angabe des Geburtsjahrs 1992 die Möglichkeit aufdrängte, dass dieser noch minderjährig war. Es kann auch nicht angenommen werden, dass das Amtsgericht die Minderjährigkeit des Betroffenen unterstellt hat. Denn die in diesem Fall erforderliche besondere Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Haftanordnung (vgl. Senat, Beschluss vom 29. September 2010 - V ZB 233/10, juris Rn. 9) ist unterblieben.
13
b) Der Fehler bei der Haftanordnung ist durch die im Beschwerdeverfahren getroffenen Feststellungen zu dem Alter des Betroffenen nicht geheilt worden. Hierzu war nämlich die persönliche Anhörung des Betroffenen unverzichtbar. Das Beschwerdegericht darf von der Ermächtigung in § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG keinen Gebrauch machen, wenn die Ermittlungen des Gerichts erster Instanz keine geeignete Grundlage für das weitere Verfahren bilden. Die Anhörung des Betroffenen - hier zu dessen Alter - muss in diesem Fall in der Beschwerdeinstanz durchgeführt werden, und zwar auch dann, wenn das Beschwerdegericht davon keine zusätzlichen Erkenntnisse erwartet (vgl. Senat, Beschluss vom 16. September 2010 - V ZB 120/10, FGPrax 2010, 290 Rn. 15). Das ist hier nicht geschehen.

IV.

14
Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da weitere tatsächliche Feststellungen nicht in Betracht kommen (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Dies führt zu dem Ausspruch, dass die angefochtenen Beschlüsse den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Die von der Rechtsbeschwerde darüber hinaus beantragte Feststellung, dass die Inhaftierung rechtswidrig war, ist im Gesetz nicht vorgesehen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 13/10, juris Rn. 27).

V.

15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht die Anordnung der Auslagenerstattung billigem Ermessen (Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 Rn.19). Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Nordhorn, Entscheidung vom 09.11.2009 - 11 XIV 4245 B -
LG Osnabrück, Entscheidung vom 28.12.2009 - 11 T 823/09 -

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(1) Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist.

(2) Ein Ausländer ist zur Vorbereitung der Ausweisung oder der Abschiebungsanordnung nach § 58a auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde (Vorbereitungshaft). Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten. Im Falle der Ausweisung bedarf es für die Fortdauer der Haft bis zum Ablauf der angeordneten Haftdauer keiner erneuten richterlichen Anordnung.

(3) Ein Ausländer ist zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft), wenn

1.
Fluchtgefahr besteht,
2.
der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist oder
3.
eine Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen ist, diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
Von der Anordnung der Sicherungshaft nach Satz 1 Nummer 2 kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will. Die Sicherungshaft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann; bei einem Ausländer, bei dem ein Fall des § 54 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b oder Absatz 2 Nummer 1 oder 3 vorliegt und auf den nicht das Jugendstrafrecht angewendet wurde oder anzuwenden wäre, gilt abweichend ein Zeitraum von sechs Monaten. Abweichend von Satz 3 ist die Sicherungshaft bei einem Ausländer, von dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, auch dann zulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.

(3a) Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 wird widerleglich vermutet, wenn

1.
der Ausländer gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität täuscht oder in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise und in zeitlichem Zusammenhang mit der Abschiebung getäuscht hat und die Angabe nicht selbst berichtigt hat, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer unentschuldigt zur Durchführung einer Anhörung oder ärztlichen Untersuchung nach § 82 Absatz 4 Satz 1 nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde, sofern der Ausländer bei der Ankündigung des Termins auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle des Nichtantreffens hingewiesen wurde,
3.
die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist,
4.
der Ausländer sich entgegen § 11 Absatz 1 Satz 2 im Bundesgebiet aufhält und er keine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8 besitzt,
5.
der Ausländer sich bereits in der Vergangenheit der Abschiebung entzogen hat oder
6.
der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will.

(3b) Konkrete Anhaltspunkte für Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 können sein:

1.
der Ausländer hat gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise getäuscht und hat die Angabe nicht selbst berichtigt, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer hat zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge, insbesondere an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96, aufgewandt, die nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass daraus geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren,
3.
von dem Ausländer geht eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus,
4.
der Ausländer ist wiederholt wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden,
5.
der Ausländer hat die Passbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 nicht erfüllt oder der Ausländer hat andere als die in Absatz 3a Nummer 2 genannten gesetzlichen Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität, insbesondere die ihm nach § 48 Absatz 3 Satz 1 obliegenden Mitwirkungshandlungen, verweigert oder unterlassen und wurde vorher auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle der Nichterfüllung der Passersatzbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 oder der Verweigerung oder Unterlassung der Mitwirkungshandlung hingewiesen,
6.
der Ausländer hat nach Ablauf der Ausreisefrist wiederholt gegen eine Pflicht nach § 61 Absatz 1 Satz 1, Absatz 1a, 1c Satz 1 Nummer 3 oder Satz 2 verstoßen oder eine zur Sicherung und Durchsetzung der Ausreisepflicht verhängte Auflage nach § 61 Absatz 1e nicht erfüllt,
7.
der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, ist dem behördlichen Zugriff entzogen, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält.

(4) Die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Eine Verlängerung um höchstens zwölf Monate ist auch möglich, soweit die Haft auf der Grundlage des Absatzes 3 Satz 1 Nummer 3 angeordnet worden ist und sich die Übermittlung der für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen oder Dokumente durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat verzögert. Die Gesamtdauer der Sicherungshaft darf 18 Monate nicht überschreiten. Eine Vorbereitungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen.

(4a) Ist die Abschiebung gescheitert, bleibt die Anordnung bis zum Ablauf der Anordnungsfrist unberührt, sofern die Voraussetzungen für die Haftanordnung unverändert fortbestehen.

(5) Die für den Haftantrag zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn

1.
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 3 Satz 1 besteht,
2.
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
3.
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.

(6) Ein Ausländer kann auf richterliche Anordnung zum Zwecke der Abschiebung für die Dauer von längstens 14 Tagen zur Durchführung einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, bei den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich zu erscheinen, oder eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung seiner Reisefähigkeit durchführen zu lassen, in Haft genommen werden, wenn er

1.
einer solchen erstmaligen Anordnung oder
2.
einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, zu einem Termin bei der zuständigen Behörde persönlich zu erscheinen,
unentschuldigt ferngeblieben ist und der Ausländer zuvor auf die Möglichkeit einer Inhaftnahme hingewiesen wurde (Mitwirkungshaft). Eine Verlängerung der Mitwirkungshaft ist nicht möglich. Eine Mitwirkungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen. § 62a Absatz 1 findet entsprechende Anwendung.

(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in

1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie
3.
Freiheitsentziehungssachen.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 gilt dies nur, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss richtet, der die Unterbringungsmaßnahme oder die Freiheitsentziehung anordnet. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 ist die Rechtsbeschwerde abweichend von Satz 2 auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss in den in § 417 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 genannten Verfahren richtet.

(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.

9
Sie ist nicht dadurch unzulässig geworden, dass sich die Hauptsache mit der Entlassung der Beteiligten zu 1 aus der Haft erledigt hat. Angesichts des Eingriffs in ein besonders bedeutsames Grundrecht durch die Freiheits- entziehung durften bereits die vor dem 1. September 2009 gegebenen Rechtsmittel (§ 7 FEVG i.V.m. §§ 19, 22, 27, 29 FGG) nicht wegen einer im Rechtsmittelverfahren eingetretenen Erledigung als unzulässig verworfen werden (BVerfG NJW 2002, 2456, 2457). Sie blieben wegen des als schutzwürdig anzuerkennenden Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der freiheitsentziehenden Maßnahme zulässig, worüber auf dessen Antrag zu entscheiden war (BVerfG, a.a.O.; Senat BGHZ 153, 18, 20). Die Neugestaltung der Rechtsmittel in §§ 58 ff. FamFG hat daran nichts geändert. Die Vorschrift des § 62 FamFG, die die Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags für die Beschwerde ausdrücklich bestimmt, ist auf die Rechtsbeschwerde entsprechend anzuwenden (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 16. Aufl., § 74 Rdn. 9; Schulte-Bunert/Weinreich/Unger, FamFG [2009], § 62 Rdn. 4).

(1) Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist.

(2) Ein Ausländer ist zur Vorbereitung der Ausweisung oder der Abschiebungsanordnung nach § 58a auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde (Vorbereitungshaft). Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten. Im Falle der Ausweisung bedarf es für die Fortdauer der Haft bis zum Ablauf der angeordneten Haftdauer keiner erneuten richterlichen Anordnung.

(3) Ein Ausländer ist zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft), wenn

1.
Fluchtgefahr besteht,
2.
der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist oder
3.
eine Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen ist, diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
Von der Anordnung der Sicherungshaft nach Satz 1 Nummer 2 kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will. Die Sicherungshaft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann; bei einem Ausländer, bei dem ein Fall des § 54 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b oder Absatz 2 Nummer 1 oder 3 vorliegt und auf den nicht das Jugendstrafrecht angewendet wurde oder anzuwenden wäre, gilt abweichend ein Zeitraum von sechs Monaten. Abweichend von Satz 3 ist die Sicherungshaft bei einem Ausländer, von dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, auch dann zulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.

(3a) Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 wird widerleglich vermutet, wenn

1.
der Ausländer gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität täuscht oder in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise und in zeitlichem Zusammenhang mit der Abschiebung getäuscht hat und die Angabe nicht selbst berichtigt hat, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer unentschuldigt zur Durchführung einer Anhörung oder ärztlichen Untersuchung nach § 82 Absatz 4 Satz 1 nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde, sofern der Ausländer bei der Ankündigung des Termins auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle des Nichtantreffens hingewiesen wurde,
3.
die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist,
4.
der Ausländer sich entgegen § 11 Absatz 1 Satz 2 im Bundesgebiet aufhält und er keine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8 besitzt,
5.
der Ausländer sich bereits in der Vergangenheit der Abschiebung entzogen hat oder
6.
der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will.

(3b) Konkrete Anhaltspunkte für Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 können sein:

1.
der Ausländer hat gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise getäuscht und hat die Angabe nicht selbst berichtigt, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer hat zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge, insbesondere an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96, aufgewandt, die nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass daraus geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren,
3.
von dem Ausländer geht eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus,
4.
der Ausländer ist wiederholt wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden,
5.
der Ausländer hat die Passbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 nicht erfüllt oder der Ausländer hat andere als die in Absatz 3a Nummer 2 genannten gesetzlichen Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität, insbesondere die ihm nach § 48 Absatz 3 Satz 1 obliegenden Mitwirkungshandlungen, verweigert oder unterlassen und wurde vorher auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle der Nichterfüllung der Passersatzbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 oder der Verweigerung oder Unterlassung der Mitwirkungshandlung hingewiesen,
6.
der Ausländer hat nach Ablauf der Ausreisefrist wiederholt gegen eine Pflicht nach § 61 Absatz 1 Satz 1, Absatz 1a, 1c Satz 1 Nummer 3 oder Satz 2 verstoßen oder eine zur Sicherung und Durchsetzung der Ausreisepflicht verhängte Auflage nach § 61 Absatz 1e nicht erfüllt,
7.
der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, ist dem behördlichen Zugriff entzogen, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält.

(4) Die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Eine Verlängerung um höchstens zwölf Monate ist auch möglich, soweit die Haft auf der Grundlage des Absatzes 3 Satz 1 Nummer 3 angeordnet worden ist und sich die Übermittlung der für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen oder Dokumente durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat verzögert. Die Gesamtdauer der Sicherungshaft darf 18 Monate nicht überschreiten. Eine Vorbereitungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen.

(4a) Ist die Abschiebung gescheitert, bleibt die Anordnung bis zum Ablauf der Anordnungsfrist unberührt, sofern die Voraussetzungen für die Haftanordnung unverändert fortbestehen.

(5) Die für den Haftantrag zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn

1.
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 3 Satz 1 besteht,
2.
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
3.
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.

(6) Ein Ausländer kann auf richterliche Anordnung zum Zwecke der Abschiebung für die Dauer von längstens 14 Tagen zur Durchführung einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, bei den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich zu erscheinen, oder eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung seiner Reisefähigkeit durchführen zu lassen, in Haft genommen werden, wenn er

1.
einer solchen erstmaligen Anordnung oder
2.
einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, zu einem Termin bei der zuständigen Behörde persönlich zu erscheinen,
unentschuldigt ferngeblieben ist und der Ausländer zuvor auf die Möglichkeit einer Inhaftnahme hingewiesen wurde (Mitwirkungshaft). Eine Verlängerung der Mitwirkungshaft ist nicht möglich. Eine Mitwirkungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen. § 62a Absatz 1 findet entsprechende Anwendung.

9
Sie ist nicht dadurch unzulässig geworden, dass sich die Hauptsache mit der Entlassung der Beteiligten zu 1 aus der Haft erledigt hat. Angesichts des Eingriffs in ein besonders bedeutsames Grundrecht durch die Freiheits- entziehung durften bereits die vor dem 1. September 2009 gegebenen Rechtsmittel (§ 7 FEVG i.V.m. §§ 19, 22, 27, 29 FGG) nicht wegen einer im Rechtsmittelverfahren eingetretenen Erledigung als unzulässig verworfen werden (BVerfG NJW 2002, 2456, 2457). Sie blieben wegen des als schutzwürdig anzuerkennenden Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der freiheitsentziehenden Maßnahme zulässig, worüber auf dessen Antrag zu entscheiden war (BVerfG, a.a.O.; Senat BGHZ 153, 18, 20). Die Neugestaltung der Rechtsmittel in §§ 58 ff. FamFG hat daran nichts geändert. Die Vorschrift des § 62 FamFG, die die Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags für die Beschwerde ausdrücklich bestimmt, ist auf die Rechtsbeschwerde entsprechend anzuwenden (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 16. Aufl., § 74 Rdn. 9; Schulte-Bunert/Weinreich/Unger, FamFG [2009], § 62 Rdn. 4).
13
ee) Die Haftanordnung war auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Vorinstanzen verkannt haben, dass der Haftrichter bei der nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG anzustellenden Prognose, ob die Abschiebung innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden kann, das voraussichtliche Ergebnis eines von dem Ausländer bei dem Verwaltungsgericht gestellten Antrags nach §§ 80, 123 VwGO auf Aussetzung des Vollzugs der Zurückschiebung berücksichtigen muss. Wird solchen Eilanträgen - wie dies im Hinblick auf die Verhältnisse in Griechenland derzeit der Fall ist (vgl. Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, Rdn. 25 f., juris, m.w.N.; Beschl. v. 6. Mai 2010, V ZB 213/09, Rdn. 15, juris) - regelmäßig entsprochen, darf er, wenn die Sache bei dem Verwaltungsgericht anhängig gemacht worden ist, die Haft zur Sicherung der Abschiebung nicht anordnen. Eine bereits angeordnete Haft ist auf die Beschwerde des Betroffenen nach § 426 FamFG aufzuheben (Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, Rdn. 24 ff., juris). Da das einem baldigen Vollzug des Zurückschiebungsbescheides entgegenstehende Hindernis nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG mit der dem Gericht zur Kenntnis gebrachten Antragstellung bei dem Verwaltungsgericht entsteht (Senat, Beschl. v. 6. Mai 2010, V ZB 213/09, Rdn. 15, juris), eine solche Mitteilung aber nach dem Vortrag der Betroffenen frühestens mit dem Faxschreiben vom 2. Dezember 2009 erfolgt ist, ist die Haftanordnung auch insoweit nicht zu beanstanden.
15
Die Haft durfte nicht über den 7. März 2010 hinaus fortgesetzt werden. Das Beschwerdegericht hätte, nachdem es von dem Eilantrag des Betroffenen vor dem Verwaltungsgericht nach §§ 80, 123 VwGO Kenntnis erhielt, die Haftanordnung aufheben müssen. Die Fortdauer der Haft über diesen Zeitpunkt hinaus verletzte den Betroffenen in seinen Rechten, weil solchen Anträgen von den Verwaltungsgerichten bei Überstellungen nach Griechenland derzeit regelmäßig stattgegeben wird (dazu Senat, Beschlüsse vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 152 und vom 6. Mai 2010 - V ZB 213/09, Rn. 15, juris).
16
Zwar kommt nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG die Anordnung von Abschiebungshaft bereits in Betracht, wenn zunächst eine zuverlässige Prognose über den Zeitpunkt der Zurückschiebung nicht gestellt werden kann (vgl. BVerfG NJW 2009, 2659, 2660). So liegt es hier aber nicht. Wird - wie derzeit bei Überstellungen nach Griechenland gemäß Art. 19 der Dublin IIVerordnung - den bei den Verwaltungsgerichten gestellten Anträgen nach §§ 80, 123 VwGO auf Aussetzung des Vollzugs der Zurückschiebung in der Regel entsprochen, hat der Haftrichter, wenn die Sache bei dem Verwaltungsgericht anhängig gemacht worden ist, auf die Beschwerde des Betroffenen eine bereits angeordnete Haft nach § 426 FamFG aufzuheben (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, InfAuslR 2010, 249, 251 f.). In diesen Fällen muss der Haftrichter davon ausgehen, dass eine Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, aaO). An der überwiegenden verwaltungsgerichtlichen Praxis in den sogenannten Griechenlandfällen hat sich bislang nichts geändert (vgl. etwa zuletzt BVerfG, Beschluss vom 21. Mai 2010 - 2 BvR 1036/10, juris, Rn. 4ff.; VG Saarbrücken, Beschluss vom 12. Mai 2010 - 2 L 424/10, juris, Rn. 7f.; VG Hannover, Beschluss vom 7. Januar 2010 - 7 B 6258/09, juris, Rn. 25; VG Leipzig, Beschluss vom 10. Februar 2010 - A 1 L 18/10, juris, Rn. 7; VG Minden, Beschluss vom 17. Februar 2010, juris, Rn. 16ff.).

Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.

(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.

(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.

(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:

1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder
3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

15
(b) Unter Berücksichtigung dieses - auch in der Beschwerdebegründung angesprochenen - Verfahrensmangels, hätte das Beschwerdegericht die Betroffene selbst dann erneut anhören müssen, wenn es davon keine zusätzlichen Erkenntnisse erwartete. Das Beschwerdegericht darf nämlich von der Ermäch- tigung in § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG keinen Gebrauch machen, wenn die Anhörung in erster Instanz bereits auf einem Verfahrensfehler beruht (vgl. SchulteBunert /Weinreich, FamFG, 2. Aufl., § 68 Rn. 40; zum FGG: BayObLGZ 1999, 12, 13; OLG Rostock FGPrax 2006, 187, 188; OLG Schleswig SchlHA 2007, 386, 387). Beruht die erstinstanzliche Entscheidung auf einer Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör, sind die Ermittlungen des Gerichts erster Instanz keine geeignete Grundlage für das weitere Verfahren. Die Anhörung muss dann in der Beschwerdeinstanz - unter Beachtung der Verfahrensgrundrechte des Betroffenen - durchgeführt werden.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

27
4. Die von der Rechtsbeschwerde erstrebte Feststellung, dass die Inhaftierung rechtswidrig war, sieht die Regelung in § 62 Abs. 1 FamFG nicht vor. Eines solchen Ausspruchs bedarf es auch nicht. Der Gesetzgeber hat sich bei der Schaffung der Vorschrift an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 2001 (BVerfGE 104, 220, 234 f.) orientiert (Gesetzentwurf vom 7. September 2007 zu einem FGG-Reformgesetz, BT-Drucks. 16/6308, S. 205). Danach bezieht sich das Interesse an der Feststellung, dass die Entscheidung des Gerichts den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, auch auf die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung (vgl. BVerfGE, aaO, S. 234 ff.). Aus der Feststellung, dass die Haftanordnung des Amtsgerichts den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, folgt, dass die freiheitsentziehende Maßnahme hierauf nicht gestützt werden durfte und somit bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts rechtswidrig war.

(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.

(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn

1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat;
2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste;
3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat;
4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat;
5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.

(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.

(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.

(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.

(1) Wird das Verfahren durch Vergleich erledigt und haben die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen, fallen die Gerichtskosten jedem Teil zu gleichen Teilen zur Last. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.

(2) Ist das Verfahren auf sonstige Weise erledigt oder wird der Antrag zurückgenommen, gilt § 81 entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 223/09
vom
6. Mai 2010
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Unterbleibt die Belehrung eines Betroffenen nach dem Konsularvertrag zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien
vom 30. Juli 1956 bzw. nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK bei der Inhaftierung, leidet
die Anordnung der Freiheitsentziehung an einem Verfahrensmangel, der zu ihrer
Rechtswidrigkeit führt.
BGH, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09 - LG Meiningen
AG Suhl
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Mai 2010 durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Krüger und die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke,
Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth

beschlossen:
Dem Betroffenen wird für die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Meiningen vom 27. November 2009 Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt R. beigeordnet. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass die Anordnung der Haft des Betroffenen durch den Beschluss des Amtsgerichts Pößneck vom 5. November 2009, soweit sie für einen längeren Zeitraum als bis zum 13. November 2009 erfolgt ist, und die Anordnung der Haft durch den Beschluss des Amtsgerichts Suhl vom 17. November 2009 insgesamt rechtswidrig waren. Von den gerichtlichen Kosten des Verfahrens vor dem Amtsgericht Pößneck trägt der Betroffene 9/14 mit der Maßgabe, dass von der Erhebung von Dolmetscherkosten abzusehen ist. Weitere gerichtliche Kosten werden nicht erhoben. Der Landkreis Saale-Orla trägt die 5/14 der durch das Verfahren vor dem Amtsgericht Pößneck und die weiteren dem Betroffenen entstandenen außergerichtlichen Kosten. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene ist Staatsangehöriger von Sierra Leone. Er reiste 2002 illegal nach Deutschland ein. Ein von ihm bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gestellter Asylantrag wurde bestandskräftig abgelehnt. Der Betroffene wurde unter Androhung der Abschiebung aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb eines Monats zu verlassen.
2
Am 30. Oktober 2009 beantragte der Beteiligte zu 2 bei dem Amtsgericht Pößneck, den Betroffenen zur Sicherung der Abschiebung für den Zeitraum vom 5. bis zum 13. November 2009 in Haft zu nehmen. Das Amtsgericht hat den Betroffenen angehört und dem Antrag dahin stattgegeben, dass es mit Beschluss vom 5. November 2009 Sicherungshaft des Betroffen für die Dauer von längstens zwei Wochen und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet hat. Der Betroffene wurde inhaftiert und in die Vollzugsanstalt G. verbracht. Seine für den 13. November geplante Abschiebung wurde wegen eines am 12. November 2009 von dem Betroffenen gestellten weiteren Asylantrag nicht vollzogen.
3
Am 17. November 2009 ersuchte der Beteiligte zu 2 das Amtsgericht Pößneck um Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Suhl, weil eine Verlängerung der Haft beantragt werden solle und aufgrund der Inhaftierung des Betroffenen in G. das Amtsgericht Suhl zuständig geworden sei. Daraufhin beschloss das Amtsgericht Pößneck am 17. November 2009, die Sache an das Amtsgericht Suhl abgegeben.
4
Mit am 17. November 2009 bei dem Amtsgericht Suhl eingegangenem Antrag hat der Beteilige zu 2 die Anordnung von Sicherungshaft des Betroffenen für die Dauer vom 19. November 2009 bis zum 19. Februar 2010 beantragt. Der Betroffene ist wiederum angehört worden. Mit Beschluss vom 17. November 2009 hat das Amtsgericht Suhl die Haft des Betroffenen zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von längstens drei Monaten beginnend mit dem Ende anderer richterlich angeordneter Haftarten und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet.
5
Das Landgericht Meiningen, zu dessen Bezirk das Amtsgericht Suhl gehört , hat die Beschwerde des Betroffenen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Haft spätestens mit Ablauf des 20. Dezember 2009 ende. Auf Antrag der Beteiligten zu 2 wurde die Haftanordnung vom 17. November 2009 am 14. Dezember 2009 aufgehoben und der Betroffene aus der Abschiebehaft entlassen.
6
Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene, die Rechtswidrigkeit der Anordnung seiner Haft für den Zeitraum seit dem 14. November 2009 festzustellen.

II.


7
Das Beschwerdegericht meint, der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig. Ein Selbstmordversuch des Betroffenen und die Begründung seines Asylfolgeantrags, sich im Falle der Abschiebung in Sierra Leone umbringen zu wollen, zeigten, dass er sich der Abschiebung entziehen wolle. Die Haftanordnung sei indessen zu beschränken, weil die Abschiebung für den 15. Dezember 2009 beabsichtigt sei und es an einer schlüssigen Begründung für eine längere Inhaftierung fehle.

III.


8
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, zulässig und begründet.
9
1. Das Rechtsmittel ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Rechtsbeschwerde eines Betroffenen auch dann ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft, wenn sich die Hauptsache durch den Ablauf der für die Haft angeordneten Dauer oder die Entlassung des Betroffenen aus der Haft erledigt hat und mit dem Rechtsmittel allein das Ziel verfolgt wird, die Verletzung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG festzustellen (Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, juris Rdn. 9 ff.).
10
2. Die Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Einer Entscheidung in der Sache steht nicht entgegen, dass die Beschwerde des Betroffenen am Montag, dem 7. Dezember 2009, bei dem Amtsgericht Pößneck eingegangen und erst am 9. Dezember 2009 von dort an das Amtsgericht Suhl weitergegeben worden ist.
11
a) Die uneingeschränkte Abgabe des Verfahrens hat zur Folge, dass die Sache so anzusehen ist, als wäre das abgegebene Verfahren von Anfang an bei dem annehmenden Gericht anhängig gewesen, an das das Verfahren abgegeben worden ist (OLG München FGPrax 2009, 239; OLG Oldenburg, Beschl. v. 19. August 2009, 13 W 31/09, juris, Rdn. 20). Folge hiervon ist, dass das für das annehmende Amtsgericht zuständige Landgericht auch für das ge- gen eine Entscheidung des abgebenden Amtsgerichts gerichtete Rechtsmittel zuständig ist (BayObLGZ 1982, 261; 1985, 296; BayObLG FamRZ 2004, 1899; OLG München, aaO; OLG Oldenburg, aaO). Damit aber ist die bei dem Amtsgericht Suhl am 9. Dezember 2009 eingegangene Beschwerde verspätet, soweit sie gegen den Beschluss des Amtsgerichts Pößneck vom 5. November 2009 gerichtet ist.
12
b) Die Beschwerdefrist ist jedoch dadurch gewahrt, dass der Betroffene nicht nur schriftlich durch seinen Verfahrensbevollmächtigten, sondern ausweislich des Protokolls seiner Anhörung durch das Amtsgericht Suhl am 17. November 2009 auch selbst Beschwerde gegen seine Inhaftierung eingelegt hat. Die Beschwerde ist nicht nur gegen den unmittelbar zuvor bekannt gegebenen Beschluss von diesem Tag gerichtet, sondern nach den Einlassungen des Betroffenen im Rahmen seiner Anhörung dahin auszulegen, dass sie gegen die Inhaftierung des Betroffenen im Allgemeinen und damit auch gegen den Beschluss des Amtsgerichts Pößneck vom 5. November 2009 gerichtet ist.
13
3. Gegenstand des Fortsetzungsfeststellungsantrags sind die Anordnung der Haft des Betroffenen durch den Beschluss des Amtsgerichts Pößneck, soweit sie für einen längeren Zeitraum als bis zum 13. November 2009 erfolgt ist, und die Anordnung der Haft durch das Amtsgericht Suhl. Eine solche Antragstellung ist im Fortsetzungsfeststellungsverfahren zulässig, weil in diesem die Rechtmäßigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung der Haftanordnung zu prüfen ist (vgl. Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 184/09, juris Rdn. 14).
14
4. Die Anordnung der Haft des Betroffenen durch das Amtsgericht Pößneck für den Zeitraum vom 14. bis zum 19. November 2009 ist schon deshalb rechtswidrig, weil es an einem hierher gehenden Antrag des Beteiligten zu 2 fehlt.
15
Nach § 417 Abs. 1 FamFG darf das Gericht die Freiheitsentziehung nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen. Der Antrag muss die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung angeben, § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG. Die Anordnung einer über den Antrag der Behörde hinausgehenden Dauer der Freiheitsentziehung ist unzulässig.
16
5. Das Verfahren gegenüber dem Betroffenen leidet zudem daran, dass er zu keinem Zeitpunkt über sein Recht belehrt worden ist, die konsularische Vertretung seines Heimatlands von seiner Inhaftierung zu unterrichten.
17
Dieses Recht ergibt sich entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde zwar nicht aus Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 2 WÜK, weil Sierra Leone dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen nicht beigetreten ist. Im Verhältnis zu Sierra Leone gilt jedoch der Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland vom 30. Juli 1956 (BGBl II 1957 S. 285) weiter (Fundstellennachweis zum Bundesgesetzblatt B, S. 162). Art. 17 dieses Abkommens entspricht Art. 36 WÜK. Nach Art. 17 Abs. 3 des Abkommens hat jeder Angehörige eines Staates, für den das Abkommen gilt, "das Recht, jederzeit mit dem zuständigen Konsul in Verbindung zu treten", ohne dass eine Pflicht zur Belehrung hierüber ausdrücklich vereinbart ist. Sie ergibt sich jedoch ohne weiteres daraus, dass das Recht auf konsularische Hilfe ohne eine solche Pflicht im Fall der Inhaftierung und damit im wichtigsten Fall des Rechts im Ergebnis leer läuft. Konsularische Hilfe kann nur gewährt werden, wenn der Konsul von der Situati- on Kenntnis hat, in der sein Tätigwerden von einem Betroffenen möglicherweise gesucht wird.
18
Die Belehrung ist unerlässlicher Bestandteil eines rechtsstaatlichen fairen Verfahrens (vgl. BVerfG NJW 2007, 499, 500). Unterbleibt die Belehrung bei der Inhaftierung, leidet die Anordnung der Freiheitsentziehung an einem grundlegenden Verfahrensmangel, der zu ihrer Rechtswidrigkeit führt. So verhält sich hier.

IV.


19
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, 83 Abs. 2 FamFG, 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, den Beteiligten zu 2 zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Anlagen des Betroffen zu verpflichten. Von der Erhebung von Dolmetscherkosten ist in Abschiebungshaftsachen abzusehen (Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 222/09, Rdn. 20, juris).

20
Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO.
Krüger Klein Lemke
Schmidt-Räntsch Roth

Vorinstanzen:
AG Suhl, Entscheidung vom 17.11.2009 - XIV 12/09 -
LG Meiningen, Entscheidung vom 27.11.2009 - 2 T 298/09 (3) -