vorgehend
Amtsgericht Trier, 35 XIV 1/12.B, 18.01.2012
Landgericht Trier, 6 T 19/12, 26.04.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 101/12
vom
27. September 2012
in der Abschiebungshaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. September 2012 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub, die Richterinnen
Dr. Brückner und Weinland und den Richter Dr. Kazele

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 26. April 2012 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Trier vom 18. Januar 2012 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die Stadt Trier hat dem Betroffenen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen in allen Instanzen zu erstatten.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein armenischer Staatsangehöriger, reiste im September 2010 nach Deutschland ein. Nach erfolglosem Asylverfahren wurde er im Dezember 2010 in die slowakische Republik abgeschoben. Am 17. Januar 2012 wurde er bei einem Diebstahlsversuch in Trier festgenommen; dabei gab er falsche Personalien an. Am folgenden Tag hat das Amtsgericht Haft bis zum 16. April 2012 zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Die Beschwerde, mit der der Betroffene nach erfolgter Abschiebung in die slowakische Republik beantragt hat, die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung festzustellen, hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt er den Feststellungsantrag weiter.

II.

2
Das Beschwerdegericht meint, es sei ausreichend gewesen, dem Betroffenen zu Beginn der richterlichen Anhörung die wesentlichen Gründe des Haftantrags mitzuteilen, da es sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt handle. Im Übrigen sei ihm der Haftantrag zu Beginn der Anhörung vorgelegt worden. Die erforderlichen Zustimmungen der Staatsanwaltschaften hätten im Zeitpunkt der Haftanordnung vorgelegen. Dass die Zustimmung der Staatsanwaltschaft Detmold erst nach Stellung des Haftantrages erteilt worden sei, schade nicht.

III.

3
Die auch gegen die Zurückweisung eines Feststellungsantrags nach § 62 FamFG ohne Zulassung statthafte Rechtsbeschwerde (Senat, Beschluss vom 6. Oktober 2011 - V ZB 314/10, FGPrax 2012, 44, 45) ist bereits deswegen begründet , weil der Betroffene keine Möglichkeit hatte, bei der Anhörung vor dem Amtsgericht zum Vorliegen des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft Detmold Stellung zu nehmen.
4
Die Beteiligte zu 2 hatte im Haftantrag vom 17. Januar 2012 mitgeteilt, dass gegen den Betroffenen ein (weiteres) Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Detmold wegen Diebstahls mit Waffen geführt werde; eine Antwort auf die Anfrage, ob die Staatsanwaltschaft das Einvernehmen zur Abschiebung erteile, liege noch nicht vor. Am Folgetag teilte die Beteiligte zu 2 unter Vorlage einer Bestätigung der Staatsanwaltschaft Detmold der Richterin am Amtsgericht per E-Mail mit, dass die Zustimmung zwischenzeitlich erteilt sei. Dem Protokoll der richterlichen Anhörung des Betroffenen vom 18. Januar 2012 lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass er hierüber in Kenntnis gesetzt wurde. Dort ist lediglich festgehalten, dass ihm "die wesentlichen Gründe des Antrags bekannt gegeben" worden seien. Es kann dahingestellt bleiben, ob dem Betroffenen - was erforderlich gewesen wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Juni 2012 - V ZB 284/11, juris Rn. 9) - der Haftantrag vor der Anhörung in Kopie ausgehändigt wurde. Denn den Ausführungen der Beteiligten zu 2 im Beschwerdeverfahren , wonach dem Betroffenen der Haftantrag vor der Verhandlung vorgelegt worden ist, lässt sich nicht entnehmen, dass ihm auch die den Haftantrag ergänzende E-Mail der Beteiligten zu 2 ausgehändigt oder zumindest bekannt gegeben wurde. Aus diesem Grund kann nicht ausgeschlossen werden, dass er nicht in der Lage war, sich zu den Angaben der beteiligten Behörde über das nun vorliegende Einvernehmen der Staatsanwaltschaft (vgl. § 417 Abs. 2 FamFG) zu äußern.
5
Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts kommt es nicht allein darauf an, dass das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft tatsächlich vorlag und das Gericht hiervon Kenntnis hatte. Denn die den Haftantrag ergänzenden Ausführungen der Beteiligten zu 2 richten sich nicht nur an das Gericht, sondern auch an den Betroffenen (vgl. Senat, Beschluss vom 31. Mai 2012 - V ZB 167/11, NJW 2012, 2448); dieser muss Gelegenheit haben, hierzu in der gerichtlichen Anhörung Stellung zu nehmen (Senat, Beschluss vom 29. September 2011 - V ZB 61/11, juris Rn. 9).

IV.

6
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO. Stresemann Czub Brückner Weinland Kazele
Vorinstanzen:
AG Trier, Entscheidung vom 18.01.2012 - 35 XIV 1/12.B -
LG Trier, Entscheidung vom 26.04.2012 - 6 T 19/12 -

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(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 314/10
vom
6. Oktober 2011
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ein Feststellungsantrag nach § 62 FamFG kann nach dem Tod des von einer vollzogenen
Abschiebungs- oder Zurückschiebungshaft Betroffenen innerhalb der
Rechtsmittelfristen von einem Angehörigen oder einer Vertrauensperson i.S.d. § 429
Abs. 2 FamFG gestellt oder fortgeführt werden. Auf deren Beteiligung am Verfahren
erster Instanz kommt es nicht an.
BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2011 - V ZB 314/10 - LG Lüneburg
AG Winsen (Luhe)
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Oktober 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter
Dr. Czub

beschlossen:
Der Beteiligten zu 2 wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt R. beigeordnet. Auf die Rechtsmittel der Beteiligten zu 2 wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 23. November 2010 aufgehoben und festgestellt, dass die Anordnung der Haft in dem Beschluss des Amtsgerichts Winsen/Luhe vom 28. Juni 2010 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Landkreis H. hat der Beteiligten zu 2 die ihr im Beschwerde- und im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen zu erstatten. Der Gegenstandswert beträgt für das Beschwerde- wie für das Rechtsbeschwerdeverfahren 3.000 €.

Gründe:

1
Der Betroffene reiste mit der Beteiligten zu 2 im August 1999 ohne die erforderlichen Dokumente nach Deutschland ein und betrieb dort ohne Erfolg ein Asylverfahren. Die Abschiebung nach Armenien verzögerte sich bis April 2009, weil sich die Identität des Betroffenen zunächst nicht feststellen ließ. Seitdem betrieb die beteiligte Behörde die Abschiebung des Betroffenen. Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht am 28. Juni 2010 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung nach Armenien bis zum 8. Juli 2010 angeordnet. Am 2. Juli 2010 nahm sich der Betroffene in der Haft das Leben. Die von seinen damaligen Verfahrensbevollmächtigten für den Betroffenen und für die Beteiligte zu 2 als dessen Ehefrau und Erbin mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung erhobenen Beschwerden hat das Beschwerdegericht als unzulässig zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Beteiligte zu 2 mit der Rechtsbeschwerde. Die beteiligte Behörde beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

2
Das Beschwerdegericht meint, die Beschwerde des Betroffenen selbst sei infolge seines Ablebens unzulässig. Daran ändere sein postmortales Rehabilitierungsinteresse nichts. Unzulässig sei aber auch die Beschwerde der Beteiligten zu 2. Die Erledigung in der Hauptsache sei vor Einlegung der Beschwerde eingetreten. Die Beteiligte zu 2 könne das Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen nicht wahrnehmen, da es als höchstpersönliche Rechtsposition nicht auf sie als Erbin übergegangen sei. Ihr Beschwerderecht folge auch nicht aus § 429 FamFG. Danach stehe einem Angehörigen ein Beschwerderecht nur zu, wenn er in erster Instanz nach § 418 FamFG beteiligt worden sei. Daran fehle es hier. Das Beschwerderecht folge auch nicht aus Art. 6 Abs. 1 GG.

III.

3
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
4
1. Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts hat nur die Beteiligte zu 2 Rechtsbeschwerde eingelegt. In der Rechtsbeschwerdeschrift heißt es zwar, worauf die beteiligte Behörde zutreffend hinweist, dass die Rechtsbeschwerde "namens der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) und 2)" erhoben werde. Das ist aber ersichtlich ein Redaktionsversehen. Aus dem Rubrum der Rechtsbeschwerdeschrift ergibt sich eindeutig, dass das Rechtsmittel nur durch die Beteiligte zu 2, nicht auch durch den verstorbenen Betroffenen selbst eingelegt werden sollte. Diese ist dort als "Beschwerdeführerin, Rechtsbeschwerdeführerin" bezeichnet, der Beteiligte zu 1 demgegenüber als "Betroffener" ohne einen Zusatz, der erkennen ließe, dass er post mortem Rechtsmittelführer sein soll. Aus der späteren Begründung der Rechtsbeschwerde ergibt sich, dass das postmortale Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen von der Beteiligten zu 2 als Ehefrau und Erbin wahrgenommen werden soll.
5
2. Die auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist mit dem gestellten Feststellungsantrag nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG ohne Zulassung statthaft (Senat, Beschlüsse vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151 Rn. 9, 10 und vom 4. März 2010 - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152, 153 Rn. 4). Daran ändert es nichts, dass schon das Beschwerdegericht über einen Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG entschieden hat und in dem Rechtsbeschwerdeverfahren die Überprüfung dieser Entscheidung verlangt wird (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27 Rn. 4 und vom 28. April 2011 - V ZB 292/10, insoweit nicht in FGPrax 2011, 200, juris Rn. 9).
6
3. Der Feststellungsantrag ist nach § 62 Abs. 1 FamFG zulässig.
7
a) Der Zulässigkeit steht entgegen der Annahme des Beschwerdegerichts nicht entgegen, dass sich die Hauptsache - hier - schon vor der Einlegung der Beschwerde erledigt hat. § 62 Abs. 1 FamFG verlangt nur, dass sich die "angefochtene Entscheidung", nicht aber das gegen sie eingelegte Rechtsmittel erledigt hat (OLG Zweibrücken, FGPrax 2005, 137, 138; OLG Naumburg, FamRZ 2008, 186; Keidel/Budde, FamFG, 17. Aufl., § 62 Rn. 9). Außerdem dient die Möglichkeit, die Feststellung der Rechtsverletzung zu beantragen, dem Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen nach einem Eingriff in sein Freiheitsgrundrecht ; sie hängt nicht von dem konkreten Ablauf des Verfahrens ab (vgl. BVerfGE 104, 220, 235 f.). Entscheidend ist nur, dass die angefochtene Entscheidung noch nicht formell rechtskräftig geworden ist. Denn die formelle Rechtskraft darf mit einem Feststellungantrag nach § 62 FamFG nicht durchbrochen werden (Senat, Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 292/10, FGPrax 2011, 200, 201 Rn. 17). Diese zeitliche Beschränkung ist hier eingehalten , weil die Beschwerde mit dem Feststellungsantrag innerhalb der Beschwerdefrist , die entgegen der Rechtsmittelbelehrung in der Entscheidung des Amtsgerichts einen Monat betrug, eingereicht worden ist.
8
b) Die Beteiligte zu 2 ist auch berechtigt, den Feststellungsantrag zu stellen.
9
aa) Das ergibt sich entgegen ihrer Ansicht allerdings nicht schon aus § 429 FamFG. Danach steht neben anderen Personen auch dem Ehegatten des Betroffenen in dessen Interesse das Recht der Beschwerde gegen die Haftanordnung zu, wenn er im ersten Rechtszug (nach § 418 FamFG) beteiligt worden ist. An dieser zuletzt genannten Voraussetzung fehlt es hier. Die Beteiligte zu 2 ist durch das Amtsgericht nicht beteiligt worden. Ob das, wie sie meint, rechtswidrig war, bedarf keiner Klärung. Aus dem Recht der in § 429 Abs. 2 FamFG bezeichneten Beteiligten zur Einlegung der Beschwerde folgt nicht ohne weiteres auch das Recht, nach dem Tod des Betroffenen dessen postmortales Rehabilitierungsinteresse wahrzunehmen.
10
bb) Das Recht der Beteiligten zu 2 zur Wahrnehmung dieses Interesses folgt auch nicht daraus, dass sie ihn beerbt hat, wie sie vorgetragen hat und was mangels entsprechender Feststellungen für das Rechtsbeschwerdeverfahren zu unterstellen ist. Das Rehabilitierungsinteresse ist eine höchstpersönliche (Verfahrens-) Rechtsposition, in die der Erbe nicht kraft Erbrechts eintritt (KG, FGPrax 2009, 264, 265; OLG München, FGPrax 2010, 269).
11
cc) Das Recht der Angehörigen, das Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen nach dessen Tod geltend zu machen, folgt aber aus einer teleologisch erweiternden Auslegung von § 62 Abs. 2 FamFG.
12
(1) Ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit endet allerdings regelmäßig , wenn der Betroffene stirbt. Dann nämlich muss über die gegen ihn oder zu seinem Schutz beantragten Maßnahmen nicht mehr entschieden werden (KG und OLG München wie vor). Das war auch in verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen früheren Rechts anerkannt, auf welche die Vorschriften über das Verfahren in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit anwendbar waren. Sie endeten kraft Gesetzes mit dem Tod des betroffenen Rechtsanwalts und konnten durch die Erben nicht fortgesetzt werden (BGH, Beschlüsse vom 17. Mai 1976 - AnwZ (B) 39/75, BGHZ 66, 297, 299 und vom 21. März 2011 - AnwZ (B) 19/09, juris). Ein Bedürfnis, die Rechtmäßigkeit der getroffenen Maßnahmen nach dem Ableben des Betroffenen zu überprüfen, besteht in solchen Verfahren regelmäßig nicht, weil die Maßnahme das Ansehen des Betroffenen nach dem Tod normalerweise nicht in Frage stellt. Ähnlich liegt es bei der Unterbringung. Auch sie wird etwa nicht deshalb angeordnet, weil den Betroffenen , wie bei einem Strafurteil, ein Schuldvorwurf träfe, sondern deshalb, weil sein schlechter Gesundheitszustand das erfordert (Beispiel nach BayObLG, FamRZ 2001, 1645, 1646).
13
(2) Das ist aber nicht bei allen Maßnahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Fall. Gerade bei der Abschiebungs- oder der Zurückschiebungshaft, um die es hier geht, ist es anders. Sie ist nicht nur ein tief greifender Eingriff in das Freiheitsrecht des Betroffenen. Mit der Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung ist, wie sich aus den in § 62 Abs. 2 AufenthG angeführten Haftgründen ergibt, notwendig die an das zurechenbare Verhalten des Ausländers anknüpfende Feststellung verbunden, der Betroffene werde ohne die Inhaftierung seine Abschiebung wesentlich erschweren oder vereiteln oder er werde versuchen unterzutauchen. Implizit enthält eine richterliche Haftanordnung damit den Vorhalt, der betroffene Ausländer habe sich in einer Weise gesetzwidrig verhalten - oder drohe sich so zu verhalten -, die seine Inhaftierung rechtfertige. Die Haftanordnung ist damit auch geeignet, das Ansehen des Betroffenen in der Öffentlichkeit herabzusetzen (BVerfGE 104, 220, 235). Das machte es vor dem Inkrafttreten des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit notwendig, dem Betroffenen praeter legem eine Möglichkeit der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Haft zu verschaffen. Mit § 62 FamFG hat der Gesetzgeber dieses verfassungsrechtliche Gebot aufgegriffen und die Möglichkeit, eine solche Feststellung zu beantragen, einfachrechtlich vorgesehen. Zweck war es, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen (Entwurfsbegründung in BT-Drucks 16/6308 S. 205). Dieses Ziel macht es nicht nur erfor- derlich, die Vorschrift im Rechtsbeschwerdeverfahren anzuwenden, für das sie nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht gilt (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151 Rn. 9). Das Ziel eines effektiven Rechtsschutzes für den Betroffenen macht es vielmehr auch erforderlich, seinen Angehörigen die Möglichkeit zu gewähren, dessen Rehabilitierungsinteresse nach seinem Tod in seinem Interesse geltend zu machen.
14
(3) Bestünde diese Möglichkeit nicht, könnte dem - auch nach seinem Tod bestehenden - Interesse des Betroffenen an seiner Rehabilitierung gegenüber dem mit der Haftanordnung verbundenen Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens nicht angemessen Rechnung getragen werden. Ob die Haftanordnung rechtmäßig war, könnte dann nur indirekt, nämlich als ein Tatbestandsmerkmal bei der Geltendmachung der Haftentschädigung, geprüft werden, die der Betroffene entsprechend Art. 5 Abs. 5 EMRK verlangen kann (BGH, Urteile vom 31. Januar 1966 - III ZR 70/64, BGHZ 45, 46, 49 ff., vom 29. April 1993 - III ZR 3/92, BGHZ 122, 268, 269 f. und vom 18. Mai 2006 - III ZR 183/05, NVwZ 2006, 960, 961). Ob die Haftanordnung rechtmäßig war oder den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, käme in dem Tenor der in einem solchen Verfahren ergehenden Entscheidung nicht zum Ausdruck. Es muss, etwa bei einem Anerkenntnis ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, nicht einmal dazu kommen, dass sich das Gericht mit der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung überhaupt befasst. Das wird dem Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen schon zu seinen Lebzeiten nicht gerecht. Das gilt umso mehr nach seinem Tod. Die Zahlung der Entschädigung an die Erben kann dem Betroffenen eine Genugtuung nicht mehr verschaffen. Eine angemessene Rehabilitierung ist in dieser Situation nur zu erreichen, wenn die Rechtmäßigkeit der Maßnahme selbst zum Gegenstand der Prüfung gemacht werden kann. Mit der Vorschrift des § 62 FamFG will der Gesetzgeber einen in diesem Sinne effektiven Rechtsschutz sicherstellen. Die Vorschrift ist deshalb teleologisch erweiternd auszulegen und auch anzuwen- den, wenn die Angehörigen des Betroffenen nach dessen Tod ein Rehabilitierungsinteresse geltend machen.
15
(4) Dem lässt sich nicht entgegengehalten, dass ein Ausschluss eines Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit angeordneter Abschiebungsoder Zurückschiebungshaft nach dem Tod des Betroffeneneinem einheitlichen Regelungskonzept des Gesetzgebers entspräche.
16
(a) Regelungen dieser Art hat der Gesetzgeber nur in Einzelfällen getroffen. So kann etwa eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung gemäß § 371 StPO auch nach dem Tod des Verurteilten aufgehoben werden. Zur Einleitung oder Fortsetzung des Wiederaufnahmeverfahrens ist dabei nicht nur die Staatsanwaltschaft berechtigt. Antragsberechtigt sind vielmehr gemäß § 371 Abs. 2 StPO auch die Angehörigen des Verurteilten. Für die nicht rechtskräftige Verurteilung ist eine vergleichbare Regelung dagegen nicht vorgesehen. Stirbt der Angeklagte nach Erlass des Strafurteils, jedoch vor Eintritt der Rechtskraft, wird das Verfahren zwar durch förmlichen Beschluss nach § 206a StPO eingestellt , das - mit dem Tod des Angeklagten gegenstandslose - Urteil aber nicht mehr inhaltlich überprüft (BGH, Beschluss vom 8. Juni 1999 - 4 StR 595/97, BGHSt 45, 108, 113). Für die Untersuchungshaft und die Vollstreckungshaft fehlen entsprechende Regelungen.
17
(b) Daraus folgt, dass der Gesetzgeber in der Frage der Feststellung der Rechtswidrigkeit von Abschiebungs- und Zurückschiebungshaft kein verfahrensübergreifendes einheitliches Regelungskonzept verfolgt, sondern die Rechtsbehelfe nach den Besonderheiten der jeweiligen Rechtsmaterie bereichsspezifisch ausgestaltet hat. Es kommt deshalb entscheidend darauf an, ob die Möglichkeit, post mortem die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Abschiebungs - und Zurückschiebungshaft zu beantragen, dem mit § 62 FamFG für den Bereich der Freiheitsentziehung verfolgten bereichsspezifischen Lösungsansatz und den hierbei zu beachtenden verfassungsrechtlichen Vorgaben , an denen sich der Gesetzgeber auch ausrichten wollte, entspricht. Das ist aus den dargelegten Gründen der Fall.
18
dd) Die Beteiligte zu 2 ist als Ehefrau des Betroffenen nach dessen Tod berechtigt, die Feststellung nach § 62 FamFG zu beantragen. Der Kreis der in dieser Lage zur Stellung eines solchen Antrags berechtigten Personen lässt sich mangels tragfähiger sachlicher Unterschiede nicht anders bestimmen als der Kreis der im Fall ihrer Beteiligung am erstinstanzlichen Verfahren zur selbständigen Beschwerde befugten Personen in § 429 Abs. 2 FamFG. Allerdings kann es auf die Beteiligung schon am erstinstanzlichen Verfahren im Rahmen von § 62 FamFG nicht ankommen. Denn diesen Antrag sollen die in § 429 Abs. 2 FamFG bestimmten Personen nicht wegen ihrer bisherigen Beteiligung am Verfahren, sondern gerade deshalb stellen können, weil der Betroffene sein Rehabilitierungsinteresse nicht mehr selbst wahrnehmen kann und dieses andernfalls unerfüllt bliebe. Die Verwirklichung kann nicht davon abhängen, wie das Gericht erster Instanz sein Beteiligungsermessen nach § 418 FamFG ausgeübt hat.
19
4. Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Gegen den Betroffenen hätte die Haft nicht angeordnet werden dürfen, weil ihr kein zulässiger Haftantrag zugrunde lag. Ein Haftantrag ist nach § 417 Abs. 2 FamFG nur zulässig, wenn er eine den Anforderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG genügende Begründung enthält. Dazu gehören Ausführungen zu dem nach § 72 Abs. 4 AufenthG erforderlichen, auch allgemein erteilbaren (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, FGPrax 2011, 144, 146 Rn. 25) Einvernehmen der zuständigen Staatsanwaltschaft, wenn sich aus dem Haftantrag ergibt, dass gegen den Betroffenen strafrechtliche Ermittlungen geführt werden (Senat, Be- schluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, FGPrax 2011, 144 Rn. 9). Fehlen sie, ist der Haftantrag unzulässig. Dieser Mangel kann nicht rückwirkend geheilt werden (Senat, Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11, juris Rn. 11). So liegt es hier. In dem Haftantrag legt die beteiligte Behörde dar, dass sie gegen den Betroffenen mehrfach Strafanzeige erstattet habe. Sie hatte deshalb auch darzulegen , dass die zuständige Staatsanwaltschaft allgemein oder im Einzelfall ihr Einvernehmen mit der Abschiebung erklärt hatte. Das ist nicht geschehen.

IV.

20
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 83 Abs. 2 und § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 128c Abs. 2, § 30 Abs. 2 KostO. Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Winsen (Luhe), Entscheidung vom 02.11.2010 - 14 XIV B 2065 -
LG Lüneburg, Entscheidung vom 23.11.2010 - 6 T 85/10 -
9
b) Die Haftanordnung hätte auch deshalb nicht ergehen dürfen, weil der Antrag dem Betroffenen nach dem Protokoll zu Beginn der Anhörung vor dem Amtsgericht lediglich „bekanntgegeben“, aber nicht ausgehändigt worden ist. Das genügt nicht. Der Haftantrag kann dem Betroffenen zwar erst zu diesem Zeitpunkt eröffnet werden, wenn er einen einfachen, überschaubaren Sachverhalt betrifft, zu dem der Betroffene auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Überraschung ohne weiteres auskunftsfähig ist (Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323, 330 Rn. 16 mwN). Das bedeutet aber nicht, dass sich der Haftrichter in einem solchen Fall darauf beschränken dürfte, den Inhalt des Haftantrags mündlich vorzutragen. Vielmehr muss dem Betroffenen in jedem Fall eine Kopie des Haftantrags ausgehändigt werden und dies in dem Anhörungsprotokoll oder an einer anderen Aktenstelle schriftlich dokumentiert werden (Senat, Beschluss vom 21. Juli 2011 - V ZB 141/11, FGPrax 2011, 257, 258 Rn. 8). Der Betroffene ist schon auf Grund der Situation zumeist nicht in der Lage, einen ihm nur mündlich übermittelten Haftantrag zu erfassen. Er muss im weiteren Verlauf der Anhörung in ein Exemplar des Haftantrags einsehen und dieses gegebenenfalls später einem Rechtsanwalt vorlegen können. Das bestätigt ein Blick auf § 41 Abs. 2 Satz 4 FamFG. Danach kann ein Beschluss einem Anwesenden zwar mündlich bekannt gegeben werden. Er muss ihm aber dessen ungeachtet zusätzlich schriftlich bekannt gegeben werden. Das gilt im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes auch für die Übermittlung des Antrags nach § 23 Abs. 2 FamFG und ist hier versäumt worden.

(1) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen.

(2) Der Antrag ist zu begründen. Die Begründung hat folgende Tatsachen zu enthalten:

1.
die Identität des Betroffenen,
2.
den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen,
3.
die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung,
4.
die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung sowie
5.
in Verfahren der Abschiebungs-, Zurückschiebungs- und Zurückweisungshaft die Verlassenspflicht des Betroffenen sowie die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung.
Die Behörde soll in Verfahren der Abschiebungshaft mit der Antragstellung die Akte des Betroffenen vorlegen.

(3) Tatsachen nach Absatz 2 Satz 2 können bis zum Ende der letzten Tatsacheninstanz ergänzt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 167/11
vom
31. Mai 2012
in der Zurückschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Der Haftantrag muss auch dann Ausführungen zu dem Einvernehmen der Staatsanwaltschaft
mit der Abschiebung enthalten, wenn das Einvernehmen generell erteilt
wurde und dies gerichtsbekannt ist.
BGH, Beschluss vom 31. Mai 2012 - V ZB 167/11 - LG Saarbrücken
AG Saarbrücken
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. Mai 2012 durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Krüger, die Richterin Dr. Stresemann, den Richter
Dr. Czub und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland

beschlossen:
Dem Betroffenen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 6. Juni 2011 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 19. Februar 2011 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 19. Februar 2011 aus Frankreich in die Bundesrepublik ein und wurde in Saar- brücken von der Bundespolizei aufgegriffen. Er gab an, mit Hilfe von Schleusern nach Deutschland gelangt zu sein und einen Asylantrag stellen zu wollen. Eine Überprüfung im Eurodac-System ergab, dass er in Großbritannien einen Asylantrag gestellt hatte.
2
Auf Antrag der Beteiligten zu 2, die beabsichtigte, den Betroffenen nach Großbritannien zurückzuschieben, ordnete das Amtsgericht am selben Tag die Zurückschiebungshaft gegen den Betroffenen bis zum 18. Mai 2011 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an.
3
Am 28. Februar 2011 stellte der Betroffene einen Asylantrag bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Dieses teilte der Beteiligten zu 2 am 28. März 2011 mit, dass das Rückübernahmeersuchen von Großbritannien abgelehnt worden sei. Der Betroffene wurde daraufhin aus der Haft entlassen. Sein Antrag, die Rechtswidrigkeit des Haftbeschlusses festzustellen, ist von dem Landgericht zurückgewiesen worden. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, deren Zurückweisung die Beteiligte zu 2 beantragt.

II.

4
Das Beschwerdegericht meint, die Haft sei zu Recht angeordnet worden. Der Haftantrag habe den Anforderungen des § 417 FamFG genügt. Zwar habe dieser keine Angaben zu einem Einvernehmen der Staatsanwaltschaft mit einer Zurückschiebung enthalten, obwohl der Betroffene nach den vorgelegten Unterlagen wegen der Straftat der unerlaubten Einreise als Beschuldigter vernommen worden sei. Es sei aber gerichtsbekannt, dass die zuständige Staatsanwaltschaft Saarbrücken generell ihr Einvernehmen mit Abschiebungen erklärt habe, soweit gegen den Betroffenen ein Ermittlungsverfahren wegen unerlaubter Einreise bzw. unerlaubten Aufenthalts geführt werde.

III.

5
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Der Betroffene hat zwar die rechtzeitige Begründung der Rechtsbeschwerde versäumt. Da dies auf seiner Bedürftigkeit beruhte, also unverschuldet war, und er die Begründung nach der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe fristgerecht nachgeholt hat, ist ihm aber gemäß § 17 Abs. 1 FamFG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Ausführungen des Beschwerdegerichts rechtlicher Nachprüfung nicht standhalten.
7
a) Die Haftanordnung des Amtsgerichts hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil es bereits an einem zulässigen Haftantrag nach § 417 FamFG fehlte. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 – V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211, Rn. 12; Beschluss vom 22. Juli 2010 – V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512, Rn. 7). Der Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG begründet werden. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Haftantrags (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, aaO, Rn. 14; Beschluss vom 22. Juli 2010 – V ZB 28/10, aaO, Rn. 8; Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 133/10, Rn. 7, juris).
8
aa) Zu den in dem Haftantrag darzulegenden Abschiebungsvoraussetzungen gehört das nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG notwendige Einvernehmen der Staatsanwaltschaft. Ergibt sich - wie hier - aus dem Haftantrag oder den ihm beigefügten Unterlagen, dass gegen den Betroffenen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist, muss der Antrag daher Angaben zu dem Vorliegen des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft enthalten (vgl. Senat , Beschluss vom 20. Januar 2011 – V ZB 226/10, FGPrax 2011, 144 Rn. 9). Das gilt entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts auch dann, wenn die Staatsanwaltschaft ihr Einvernehmen generell erteilt hat, und dies dem Gericht bekannt ist (Beschluss vom 7. Juni 2011 – V ZB 44/11, Rn. 10, juris). Denn der Haftantrag richtet sich nicht nur an das Gericht, sondern auch an den Betroffenen; die darin enthaltenen Darlegungen sollen ihm eine Grundlage für seine Verteidigung gegen den Haftantrag geben (Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 – V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 12). Der Betroffene muss daher erkennen können, woraus die antragstellende Behörde die Zustimmung der Staatsanwaltschaft entnimmt (hier: Verfügung bzw. Mitteilung des Saarländischen Innenministeriums vom 17. Mai 1992); andernfalls kann er nicht überprüfen , ob das Einvernehmen tatsächlich generell erteilt worden ist und auch seinen Fall erfasst.
9
Der Mangel des Haftantrags wäre zwar - mit Wirkung für die Zukunft - geheilt worden, wenn die Beteiligte zu 2 die fehlenden Angaben nachgeholt und der Betroffene Gelegenheit erhalten hätte, dazu in einer persönlichen Anhörung Stellung zu nehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. September 2011 – V ZB 61/11, Rn. 8, juris; Beschluss vom 6. Oktober 2011 – V ZB 188/11, Rn. 12 f., juris). Hierzu ist es aber nicht gekommen.
10
bb) Ein weiterer Mangel des Haftantrags liegt darin, dass entgegen § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und 5 FamFG jegliche Begründung zu der Durchführ- barkeit der Zurückschiebung und zu der Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer von drei Monaten fehlt. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen bzw. Zurückschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind. Erforderlich sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können (vgl. Senat, Beschluss vom 31. Januar 2012 – V ZB 127/11, Rn. 7 f., juris; Beschluss vom 27. Oktober 2011 – V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82, 83 Rn. 12 f.). Diese Angaben waren hier nicht deshalb entbehrlich, weil bei Rückübernahmen nach der Dublin II-Verordnung (Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003, Abl. L 50/1 vom 25. Februar 2003) grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Zurückschiebung in einen Mitgliedstaat innerhalb von drei Monaten seit der Haftanordnung wird erfolgen können. Denn das gilt nur, wenn festgestellt ist, dass der Mitgliedstaat zur Rückübernahme verpflichtet ist (Senat, Beschluss vom 29. September 2010 – V ZB 233/10, Rn. 13, juris [insoweit in NVwZ 2011, 320 nicht abgedruckt]). Angaben zu der Rücknahmeverpflichtung Großbritanniens nach der Dublin II-Verordnung enthält der Haftantrag jedoch nicht. Konnte die Behörde unmittelbar nach der Verhaftung des Betroffenen noch keine solchen Angaben machen, hätte sie sich darauf beschränken müssen , eine vorläufige Freiheitsentziehung gemäß § 427 FamFG zu beantragen.
11
b) Ob der Haftantrag dem Betroffenen weder übersetzt noch ausgehändigt worden ist, wie die Rechtsbeschwerde weiter geltend macht, und die Haftanordnung auch deshalb rechtswidrig ist (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 4. März 2010 – V ZB 222/09, BGHZ 184, 323, 330 Rn. 16 f.; Beschluss vom 21. Juli 2011 – V ZB 141/11, FGPrax 2011, 257, 258 Rn. 6 ff.), bedarf keiner Entscheidung.

IV.

12
Die Kostenentscheidung beruht auf § 83 Abs. 2, § 81 Abs. 1, § 430 FamFG. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Bundesrepublik Deutschland zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, FGPrax 2010, 316, 317). Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO. Krüger Stresemann Czub Brückner Weinland
Vorinstanzen:
AG Saarbrücken, Entscheidung vom 19.02.2011 - 7 XIV 19/11 -
LG Saarbrücken, Entscheidung vom 06.06.2011 - 5 T 106/11 -
9
b) Daran fehlt es. Zwar hat die Beteiligte zu 2 dem Beschwerdegericht vor der Abschiebung mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2010 mitgeteilt, das Einvernehmen der die Ermittlungen führenden Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung liege vor. Dies ist aber in der Anhörung des Betroffenen vor dem Beschwerdegericht am 6. Oktober 2010 ausweislich des Protokolls nicht erörtert worden. Seinem Verfahrensbevollmächtigten, der an der Anhörung im Hinblick auf die ausstehende Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch nicht teilgenommen hat, ist der Schriftsatz vom 1. Oktober 2010 erst mit dem Protokoll der Anhörung zugeleitet worden.

(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.

(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn

1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat;
2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste;
3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat;
4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat;
5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.

(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.

(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.

(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.

(1) Wird das Verfahren durch Vergleich erledigt und haben die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen, fallen die Gerichtskosten jedem Teil zu gleichen Teilen zur Last. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.

(2) Ist das Verfahren auf sonstige Weise erledigt oder wird der Antrag zurückgenommen, gilt § 81 entsprechend.

Wird ein Antrag der Verwaltungsbehörde auf Freiheitsentziehung abgelehnt oder zurückgenommen und hat das Verfahren ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags nicht vorlag, hat das Gericht die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Körperschaft aufzuerlegen, der die Verwaltungsbehörde angehört.