Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Nov. 2019 - StB 24/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Verurteilten und seines Verteidigers am 7. November 2019 gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 und 2 Nr. 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- 1. Das Oberlandesgericht München hat den Beschwerdeführer mit Urteil vom 2. August 2018 wegen Werbens um Unterstützer für eine ausländische terroristische Vereinigung in zwei Fällen, versuchter Anstiftung zum Verbrechen des Totschlags sowie Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Auf die hiergegen eingelegte Revision des Beschwerdeführers sind die Strafakten dem Bundesgerichtshof am 12. März 2019 vorgelegt worden. Der Senat hat mit Beschluss vom 7. August 2019 (3 StR 11/19) die Revision und mit weiterem Beschluss vom 17. September 2019 eine Anhörungsrüge des Verurteilten verworfen.
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- In dem Verfahren waren dem Verurteilten zwei Pflichtverteidiger beigeordnet , denen in erster Instanz Akteneinsicht gewährt worden war. Einem ersten Gesuch des Beschwerdeführers vom 1. März 2019, ihm persönlich "die komplette Akte" auf einem "Laptop" zur Verfügung zu stellen, hat der Vorsitzende des 9. Strafsenats des Oberlandesgerichts München mit Verfügung vom 7. März 2019 nicht entsprochen. Die diesbezügliche Beschwerde des Verurteilten hat der Senat mit Beschluss vom 6. Juni 2019 (StB 11/19) verworfen.
- 3
- Mit Schreiben vom 1. Juli 2019 hat der Beschwerdeführer erneut Akteneinsicht "egal in welcher Form" beim Oberlandesgericht beantragt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, er benötige die Akte für eine effektive Verteidigung, um unter anderem die Richtigkeit der Übersetzungen zu kontrollieren. Der Vorsitzende des 9. Strafsenats hat mit Verfügung vom 8. Juli 2019 (9 St 7/17) dem Gesuch unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 7. März 2019 und den Beschluss des Senats vom 6. Juni 2019 nicht entsprochen.
- 4
- Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit dem Rechtsmittel der Beschwerde. In seiner Beschwerdebegründung vom 11. Juli 2019 und der weiteren Stellungnahme vom 30. September 2019 legt er ausführlich die aus seiner Sicht bestehenden Gründe für ein eigenes Akteneinsichtsrecht dar. So müsse er mit Blick darauf, dass seine Verteidiger der arabischen Sprache nicht mächtig seien, persönlich falsche Übersetzungen überprüfen. Auch sei sein Verteidigungsrecht vor dem Hintergrund der Anordnungen nach § 148 Abs. 2 StPO beeinträchtigt. Überdies führten bereits Verfahrensfehler zum Erfolg seines Rechtsmittels. Denn mit Blick auf die Anhängigkeit des Revisionsverfahrens beim Bundesgerichtshof sei das Oberlandesgericht für die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch nicht zuständig gewesen. Die Sache sei an das Ausgangsgericht zurückzuverweisen. Auch seien die Akten entgegen § 306 Abs. 2 StPO nicht innerhalb von drei Tagen dem Beschwerdegericht vorgelegt worden.
- 5
- Der Vorsitzende des 9. Strafsenats des Oberlandesgerichts München hat der Beschwerde mit Verfügung vom 19. Juli 2019 nicht abgeholfen.
- 6
- Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Beschwerde für erledigt zu erklären, da sie mit Blick auf die mittlerweile eingetretene Rechtskraft des Urteils prozessual überholt sei. Er hat die Akten am 13. September 2019 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
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- 2. Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Vorlage der Sache an die nunmehr für die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch zuständige Generalstaatsanwaltschaft München.
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- a) Die nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 und 2 Nr. 4 StPO statthafte Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist der Beschwerdeführer weiterhin beschwert. Allein der Umstand, dass nach Beschwerdeeinlegung die Verurteilung des Beschwerdeführers rechtskräftig geworden ist, führt nicht zu einer prozessualen Überholung seines Rechtsschutzbegehrens. Denn auch nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens kann grundsätzlich ein Recht auf Akteneinsicht nach § 147 StPO bestehen (vgl. Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 147 Rn. 11; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, § 147 Rn. 9; KK-Willnow, StPO, 8. Aufl., § 147 Rn. 22; SK-StPO/Wohlers, 5. Aufl., § 147 Rn. 23). Ob die Akteneinsicht im konkreten Fall zu versagen ist, etwa weil sie nicht mehr den Zweck hat, der Verteidigung des Beschwerdeführers zu dienen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 147 Rn. 11; MüKoStPO/ Thomas/Kämpfer, § 147 Rn. 9; KK-Willnow, StPO, 8. Aufl., § 147 Rn. 22; SKStPO /Wohlers, 5. Aufl., § 147 Rn. 23), ist eine Frage der Begründetheit des Rechtsmittels.
- 9
- b) Der in der Unzuständigkeit des Oberlandesgerichts München liegende Verfahrensmangel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Vorlage der Sache an die nunmehr für die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch zuständige Generalstaatsanwaltschaft München.
- 10
- Der Vorsitzende des 9. Strafsenats des Oberlandesgerichts München war für die angefochtene Verfügung nicht zuständig. Denn zum Zeitpunkt der Entscheidung lagen die Akten im Hinblick auf die durch den Beschwerdeführer eingelegte Revision bereits dem Senat vor. Das Akteneinsichtsgesuch hätte damit durch den Vorsitzenden des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs verbeschieden werden müssen (vgl. KK-Willnow, StPO, 8. Aufl., § 147 Rn. 27; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, § 147 Rn. 42; LR/Lüdersen/Jahn, StPO, 26. Aufl., § 147 Rn. 150).
- 11
- Mit Blick auf die während des Beschwerdeverfahrens eingetretene Rechtskraft der Verurteilung des Beschwerdeführers liegt die Zuständigkeit für die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung bei der Generalstaatsanwaltschaft München (vgl. KKWillnow , StPO, 8. Aufl., § 147 Rn. 24; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, § 147 Rn. 42). Eine Entscheidung in der Sache (§ 309 Abs. 2 StPO) durch den Senat kann damit nicht (mehr) ergehen. Stellt sich die angefochtene Entscheidung nicht als Erkenntnis des dafür vorgesehenen Spruchkörpers dar, kommt eine Entscheidung des Beschwerdegerichts in der Sache nur dann in Betracht, wenn dieses voll an die Stelle der an sich zur Entscheidung berufenen Stelle treten kann (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 1992 - StB 8/92, BGHSt 38, 312, 313 f.; MükoStPO/Neuheuser, § 309 Rn. 29 ff.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn eine Befassung des Bundesgerichtshofs im Instanzenzug gegen eine Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft über die Gewährung von Akteneinsicht ist gesetzlich nicht vorgesehen.
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(1) Dem Beschuldigten ist, auch wenn er sich nicht auf freiem Fuß befindet, schriftlicher und mündlicher Verkehr mit dem Verteidiger gestattet.
(2) Ist ein nicht auf freiem Fuß befindlicher Beschuldigter einer Tat nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches dringend verdächtig, soll das Gericht anordnen, dass im Verkehr mit Verteidigern Schriftstücke und andere Gegenstände zurückzuweisen sind, sofern sich der Absender nicht damit einverstanden erklärt, dass sie zunächst dem nach § 148a zuständigen Gericht vorgelegt werden. Besteht kein Haftbefehl wegen einer Straftat nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches, trifft die Entscheidung das Gericht, das für den Erlass eines Haftbefehls zuständig wäre. Ist der schriftliche Verkehr nach Satz 1 zu überwachen, sind für Gespräche mit Verteidigern Vorrichtungen vorzusehen, die die Übergabe von Schriftstücken und anderen Gegenständen ausschließen.
(1) Die Beschwerde wird bei dem Gericht, von dem oder von dessen Vorsitzenden die angefochtene Entscheidung erlassen ist, zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt.
(2) Erachtet das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, die Beschwerde für begründet, so haben sie ihr abzuhelfen; andernfalls ist die Beschwerde sofort, spätestens vor Ablauf von drei Tagen, dem Beschwerdegericht vorzulegen.
(3) Diese Vorschriften gelten auch für die Entscheidungen des Richters im Vorverfahren und des beauftragten oder ersuchten Richters.
(1) Der Verteidiger ist befugt, die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der Anklage vorzulegen wären, einzusehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen.
(2) Ist der Abschluss der Ermittlungen noch nicht in den Akten vermerkt, kann dem Verteidiger die Einsicht in die Akten oder einzelne Aktenteile sowie die Besichtigung von amtlich verwahrten Beweisgegenständen versagt werden, soweit dies den Untersuchungszweck gefährden kann. Liegen die Voraussetzungen von Satz 1 vor und befindet sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft oder ist diese im Fall der vorläufigen Festnahme beantragt, sind dem Verteidiger die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung wesentlichen Informationen in geeigneter Weise zugänglich zu machen; in der Regel ist insoweit Akteneinsicht zu gewähren.
(3) Die Einsicht in die Protokolle über die Vernehmung des Beschuldigten und über solche richterlichen Untersuchungshandlungen, bei denen dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet worden ist oder hätte gestattet werden müssen, sowie in die Gutachten von Sachverständigen darf dem Verteidiger in keiner Lage des Verfahrens versagt werden.
(4) Der Beschuldigte, der keinen Verteidiger hat, ist in entsprechender Anwendung der Absätze 1 bis 3 befugt, die Akten einzusehen und unter Aufsicht amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen, soweit der Untersuchungszweck auch in einem anderen Strafverfahren nicht gefährdet werden kann und überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter nicht entgegenstehen. Werden die Akten nicht elektronisch geführt, können ihm an Stelle der Einsichtnahme in die Akten Kopien aus den Akten bereitgestellt werden.
(5) Über die Gewährung der Akteneinsicht entscheidet im vorbereitenden Verfahren und nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens die Staatsanwaltschaft, im Übrigen der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts. Versagt die Staatsanwaltschaft die Akteneinsicht, nachdem sie den Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat, versagt sie die Einsicht nach Absatz 3 oder befindet sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß, so kann gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 zuständige Gericht beantragt werden. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten entsprechend. Diese Entscheidungen werden nicht mit Gründen versehen, soweit durch deren Offenlegung der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte.
(6) Ist der Grund für die Versagung der Akteneinsicht nicht vorher entfallen, so hebt die Staatsanwaltschaft die Anordnung spätestens mit dem Abschluß der Ermittlungen auf. Dem Verteidiger oder dem Beschuldigten, der keinen Verteidiger hat, ist Mitteilung zu machen, sobald das Recht zur Akteneinsicht wieder uneingeschränkt besteht.
(7) (weggefallen)