Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2008 - IX ZR 78/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 113.427,17 € festgesetzt.
Gründe:
- 1
- Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO). Sie hat jedoch keinen Erfolg. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).
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- 1. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Eine verbösernde Änderung der Steuerfestsetzung bzw. gesonderten Feststellung scheidet jedoch aus, wenn sie auf Tatsachen gründet, die der Finanzbehörde infolge Verletzung der amtlichen Ermittlungspflicht trotz ordnungsgemäßer Mitwirkung des Steuerpflichtigen zunächst unbekannt geblieben sind. Eine solche Verletzung der Ermittlungspflicht liegt nur vor, wenn die Finanzbehörde Zweifeln, die sich nach der Sachlage aufdrängen mussten, nicht nachgeht. Ob derartige Zweifel anzunehmen sind, hat das Finanzgericht jeweils unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls zu entscheiden; dabei kann sich der Steuerpflichtige auf eine Verletzung der amtlichen Ermittlungspflicht nicht berufen, wenn er selbst seine Mitwirkungspflicht nicht in zumutbarem Umfang erfüllt hat (BFHE 206, 303, 306; BFH/NV 2003, 1029; 2006, 1445). Liegt sowohl eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch das Finanzamt als auch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Steuerpflichtigen vor, sind die beiderseitigen Pflichtverletzungen grundsätzlich gegeneinander abzuwägen. In einem solchen Fall trifft nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in der Regel die Verantwortlichkeit den Steuerpflichtigen mit der Folge , dass der Steuerbescheid geändert werden kann (BFHE 176, 308, 312; BFH/NV 1998, 812, 813). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verstoß des Finanzamts gegen seine Ermittlungspflicht den Verstoß des Steuerpflichtigen gegen seine Mitwirkungspflicht deutlich überwiegt (BFH/NV 2004, 1502, 1503 f).
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- Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht in einzelfallbezogenen Erwägungen die Erfolgsaussichten des in Rede stehenden Rechtsmittels verneint.
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- 2. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensgrundrechtsverstoß liegt nicht vor. Wie die Beschwerdeerwiderung zutreffend ausgeführt hat, führt die Beschwerde mit ihrem Vorbringen, die Beklagte hätte von einer Durchführung des finanzgerichtlichen Verfahrens abraten müssen, weil die Klage keinen Erfolg gehabt hätte, einen neuen Streitgegenstand ein, der nicht Gegenstand in den Tatsacheninstanzen war. Dies kann im Beschwerdeverfahren keine Berücksichtigung finden (vgl. für die Revision BGH, Urt. v. 13. März 2008 - IX ZR 136/07, Rn. 24, z.V.b.).
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- Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO).
Lohmann Fischer
Vorinstanzen:
LG Paderborn, Entscheidung vom 02.06.2004 - 4 O 533/03 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 04.02.2005 - 25 U 69/04 -
Annotations
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,
- 1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen, - 2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.
(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.