Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Sept. 2007 - IX ZR 74/06
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Von den Gerichtskosten der Nichtzulassungsbeschwerden und den außergerichtlichen Kosten des Klägers haben der Beklagte zu 1 2/3 und die Beklagte zu 2 1/3 zu tragen. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beklagten selbst.
Das Gesuch der Beklagten zu 2, ihr zur Durchführung der Nichtzulassungsbeschwerde Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert wird für die Gebühren des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1 auf 27.570.552,19 €, für die Gebühren des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 2 auf 13.272.087,73 € und für die Gerichtsgebühren und die Gebühren der Prozessbevollmächtigten des Klägers auf 40.842.639,92 € festgesetzt.
Gründe:
- 1
- Nichtzulassungsbeschwerden Die sind statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO). Sie haben jedoch keinen Erfolg. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).
- 2
- die Da Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu 2 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, ist das von ihr gestellte Prozesskostenhilfegesuch zurückzuweisen (§ 114 Satz 1 ZPO).
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- 1. Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zu 1
- 4
- a) Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Vorschrift des § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO ist nicht anwendbar, wenn der Anfechtungsgegner die Masse von einer Verbindlichkeit befreit hat. Das ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz und bedarf keiner höchstrichterlichen Klärung. Die Insolvenzmasse (§ 35 Abs. 1 InsO) ist das dem Schuldner gehörende Aktivvermögen. Dieses wird nicht vergrößert, wenn der Anfechtungsgegner Verbindlichkeiten des späteren Schuldners übernimmt. Der künftigen Masse fließt in diesem Fall nichts zu. Eine befreiende Schuldübernahme wirkt sich allein auf die Summe der Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) aus, die im Verfahren zu verfolgen sind. Dieser Umstand ist ebenso wenig mit Mitteln der Masse auszugleichen wie andere Aufwendungen, die der Anfechtungsgegner im Zusammenhang mit dem angefochtenen Vertrag tätigt (vgl. MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 144 Rn. 17; HK-InsO/Kreft, 4. Aufl. § 144 Rn. 5; HmbKomm-InsO/Rogge, 2. Aufl. § 144 Rn. 19).
- 5
- Ist der Schuldner durch den Wegfall der Verbindlichkeit bereichert, ist dies über § 144 Abs. 2 Satz 2 InsO auszugleichen.
- 6
- b) Die von der Nichtzulassungsbeschwerde gerügten Verfahrensverstöße liegen nicht vor.
- 7
- aa) Das Berufungsgericht hat im Rahmen der Auslegung des Abtretungsund Schuldübernahmevertrages vom 3. September 2001 kein wesentliches Auslegungsmaterial außer Acht gelassen. Die Parteien sind spätestens in der Berufungsinstanz nicht mehr übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Vertrag auch bereits bestehende Forderungen erfassen sollte. Die von den Nichtzulassungsbeschwerden insoweit erhobenen Rügen finden in dem Inhalt der Akten keine tragfähige Stütze.
- 8
- bb) Das Berufungsgericht hat die Gläubigerbenachteiligung und den Benachteiligungsvorsatz gemäß § 133 Abs. 1 InsO verfahrensfehlerfrei bejaht. Das rechtliche Gehör der Beklagten zu 1 ist nicht verletzt. Art. 103 Abs. 1 GG soll gewährleisten, dass eine Partei sich vor Gericht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht äußern kann; darüber hinaus garantiert er, dass das Gericht das Vorbringen im Rahmen seiner Entscheidung auch zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht (BVerfGE 83, 24, 35; BVerfG NJW 1995, 2095, 2096). Auf die nunmehr von den Beklagten als übergangen gerügten Gesichtspunkte hat sich die Beklagte zu 1 in den Tatsacheninstanzen nicht bezogen. Sie sind im Übrigen aus Gründen des materiellen Insolvenzrechts unerheblich.
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- cc) Das Berufungsgericht hat auch keine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen. Eine solche liegt insbesondere dann vor, wenn das Ge- richt ohne vorherigen Hinweis auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerfGE 84, 188, 190; 86, 133, 144 f). So lag es hier nicht. Der Kläger hat seine Klage in zweiter Instanz auch auf § 133 Abs. 1 InsO gestützt und hierzu ergänzenden Vortrag gehalten, dem die Beklagte zu 1 entgegengetreten ist. Sie musste deshalb damit rechnen, dass diese Vorschrift entscheidungserheblich werden könnte.
- 10
- 2. Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu 2
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- Die von der Nichtzulassungsbeschwerde gerügten Verfahrensverstöße liegen nicht vor.
- 12
- a) Das Berufungsgericht hat im Rahmen der Auslegung des Abtretungsund Schuldübernahmevertrages kein wesentliches Auslegungsmaterial außer Acht gelassen (siehe oben 1. b) aa)). Darüber hinaus entspricht die Auslegung des Berufungsgerichts dem Standpunkt der Beklagten zu 2 in den Tatsacheninstanzen ; ihr Vortrag ist in der Richtung zu verstehen, dass der Vertrag nur die nach Vertragsschluss entstehenden Forderungen erfassen sollte.
- 13
- b) Die näher begründete Annahme des Berufungsgerichtsgerichts, der Vertrag zwischen den Beklagten vom 20. Juni 2002 sei nichtig, ist zumindest nahe liegend, keinesfalls willkürlich.
- 14
- 3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO).
Cierniak Fischer
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 13.01.2004 - 35 O 567/02 -
KG Berlin, Entscheidung vom 21.02.2006 - 14 U 41/04 -
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Referenzen - Gesetze
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
(1) Gewährt der Empfänger einer anfechtbaren Leistung das Erlangte zurück, so lebt seine Forderung wieder auf.
(2) Eine Gegenleistung ist aus der Insolvenzmasse zu erstatten, soweit sie in dieser noch unterscheidbar vorhanden ist oder soweit die Masse um ihren Wert bereichert ist. Darüber hinaus kann der Empfänger der anfechtbaren Leistung die Forderung auf Rückgewähr der Gegenleistung nur als Insolvenzgläubiger geltend machen.
(1) Das Insolvenzverfahren erfaßt das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse).
(2) Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. § 295a gilt entsprechend. Auf Antrag des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung ordnet das Insolvenzgericht die Unwirksamkeit der Erklärung an.
(3) Der Schuldner hat den Verwalter unverzüglich über die Aufnahme oder Fortführung einer selbständigen Tätigkeit zu informieren. Ersucht der Schuldner den Verwalter um die Freigabe einer solchen Tätigkeit, hat sich der Verwalter unverzüglich, spätestens nach einem Monat zu dem Ersuchen zu erklären.
(4) Die Erklärung des Insolvenzverwalters ist dem Gericht gegenüber anzuzeigen. Das Gericht hat die Erklärung und den Beschluss über ihre Unwirksamkeit öffentlich bekannt zu machen.
Die Insolvenzmasse dient zur Befriedigung der persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (Insolvenzgläubiger).
(1) Gewährt der Empfänger einer anfechtbaren Leistung das Erlangte zurück, so lebt seine Forderung wieder auf.
(2) Eine Gegenleistung ist aus der Insolvenzmasse zu erstatten, soweit sie in dieser noch unterscheidbar vorhanden ist oder soweit die Masse um ihren Wert bereichert ist. Darüber hinaus kann der Empfänger der anfechtbaren Leistung die Forderung auf Rückgewähr der Gegenleistung nur als Insolvenzgläubiger geltend machen.
(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wußte, daß die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und daß die Handlung die Gläubiger benachteiligte.
(2) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, beträgt der Zeitraum nach Absatz 1 Satz 1 vier Jahre.
(3) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, welche dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, tritt an die Stelle der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nach Absatz 1 Satz 2 die eingetretene. Hatte der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterung gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte.
(4) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.
(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wußte, daß die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und daß die Handlung die Gläubiger benachteiligte.
(2) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, beträgt der Zeitraum nach Absatz 1 Satz 1 vier Jahre.
(3) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, welche dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, tritt an die Stelle der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nach Absatz 1 Satz 2 die eingetretene. Hatte der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterung gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte.
(4) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.