Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juli 2012 - IX ZR 171/11

bei uns veröffentlicht am12.07.2012
vorgehend
Landgericht Hannover, 3 O 356/07, 07.04.2011
Oberlandesgericht Celle, 3 U 107/11, 12.10.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZR 171/11
vom
12. Juli 2012
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Dr. Fischer und Grupp
am 12. Juli 2012

beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 12. Oktober 2011 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auf 745.400,44 € festgesetzt.

Gründe:


1
Die ausschließlich auf Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG gestützte Beschwerde ist unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf den geltend gemachten Verfassungsverstößen.
2
1. Soweit die Klägerin die Abweisung des geltend gemachten Zinsschadens über 95.048,00 € beanstandet, ist ein Gehörsverstoß nicht gegeben.
3
a) Der geltend gemachte Verstoß ist bereits nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Klägerin außerstande war, ihren aus der Verlagerung von Produktionsanlagen herrührenden erhöhten Finanzierungsaufwand aus der laufenden Liquidität zu decken und deshalb ungeachtet der fehlerhaften betriebswirtschaftlichen Auswertungen durch die Be- klagte ein Kreditbedarf bestand. Mit dieser selbständig tragenden Begründung setzt sich die Beschwerde nicht auseinander.
4
b) Dem Antrag der Klägerin auf Vernehmung von Zeugen zum Beweis der Tatsache, dass von verschiedenen Kreditinstituten langfristige, zinsgünstige Tilgungsdarlehen gewährt worden wären, brauchte das Berufungsgericht im Übrigen mangels einer substantiierten Darlegung nicht nachzugehen.
5
Die Klägerin hat weder konkrete Angaben zur tatsächlichen Zinshöhe und zur Laufzeit der Darlehen noch zu den sonstigen Vertragskonditionen gemacht. Eine nähere Darlegung war auch deswegen geboten, weil die Klägerin im Widerspruch hierzu vorgetragen hat, wegen der von anderen Kreditinstituten angebotenen ungünstigen Darlehensbedingungen von einem Vertragsschluss abgesehen zu haben. Dieses Vorbringen hat sie entgegen der Rüge der Beschwerde nicht später korrigiert, sondern lediglich geltend gemacht, angesichts des von der Beklagten mitgeteilten günstigen Zahlenmaterials keinen weiteren Kreditbedarf gehabt zu haben. Mithin wurde der in vorliegendem Zusammenhang entscheidende Widerspruch des Klagevorbringens nicht beseitigt. Bei dieser Sachlage würde eine Zeugenvernehmung auf eine unzulässige Ausforschung hinauslaufen.
6
2. Die Abweisung des auf Skontoverluste gestützten Schadensersatzanspruchs in Höhe von 142.089,06 € beruht nicht auf einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
7
a) Willkür liegt nur vor, wenn die Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen be- ruht (BVerfGE 4, 1, 7; 70, 93, 97). Dies ist bei einer fehlerhaften Rechtsanwendung der Fall, die schlechthin unhaltbar ist (BVerfGE 58, 163, 167 f), weil sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar erscheint (BVerfG WM 2003, 2370, 2372). Von Willkür kann dagegen nicht gesprochen werden, wenn sich das Gericht mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfGE 87, 273, 278 f; 89, 1, 13 f; 96, 189, 203; BVerfG, NJW 2001, 1125 f).
8
b) Die Rüge ist nicht begründet, weil sich das Berufungsgericht im Einzelnen mit der Sachlage auseinandergesetzt hat. Außerdem befasst sich die Beschwerde nicht mit der tragenden Erwägung des Berufungsgerichts, es fehle an Vortrag, in welcher Höhe die Klägerin zwecks Erzielung von Skontovorteilen auf eine freie Liquidität habe zurückgreifen können.
9
3. Zu Unrecht rügt die Beschwerde eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, soweit das Berufungsgericht das für den Nachweis eines auf verspäteten Einsparungsmaßnahmen beruhenden Schadens von 85.000 € angebotene Sachverständigengutachten nicht erhoben hat. Zutreffend ist das Berufungsgericht insoweit von einer unzureichenden Substantiierung der vermeintlichen Einsparmaßnahmen ausgegangen.
10
4. Soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des aus verzögerten Rationalisierungsinvestitionen hergeleiteten Schadensersatzanspruchs in Höhe von 490.733,97 € wendet, fehlt es bereits an jeder Präzisierung, welche Grundrechte verletzt sein sollen.
11
Davon abgesehen bedurfte es, auch wenn die Klägerin die vermeintlichen Rationalisierungsinvestitionen zwischenzeitlich vorgenommen hat, im Ein- klang mit der Würdigung des Berufungsgerichts der Darlegung, dass ihre finanzielle Kraft ausgereicht hatte, diese Maßnahmen bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu verwirklichen. Ohne Erfolg beanstandet - offenbar gestützt auf § 139 Abs. 1 ZPO - die Beschwerde, das Berufungsgericht hätte sie wegen der Notwendigkeit einer Finanzierung der Rationalisierungsmaßnahmen über seine Schlüssigkeitsbedenken unterrichten müssen. Selbst wenn man einen solchen Hinweis als geboten erachtet, hätte die Klägerin unter Offenlegung der näheren Vertragsmodalitäten vortragen müssen, dass sie durch Aufnahme eines Bankkredits die Investitionen hätte finanzieren können. Sie hätte sich indessen nicht - wie die Beschwerde ausführt - ohne nähere Substantiierung lediglich darauf beschränken dürfen, einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu stellen. Kayser Gehrlein Vill Fischer Grupp
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 07.04.2011 - 3 O 356/07 -
OLG Celle, Entscheidung vom 12.10.2011 - 3 U 107/11 -

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(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.