Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Juli 2012 - IV ZR 5/11

bei uns veröffentlicht am11.07.2012
vorgehend
Landgericht Saarbrücken, 14 O 68/07, 10.12.2009
Landgericht Saarbrücken, 5 U 8/10, 08.12.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 5/11
vom
11. Juli 2012
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Mayen, die Richter Wendt, Felsch, Lehmann und die Richterin
Dr. Brockmöller
am 11. Juli 2012

beschlossen:
Der Senat beabsichtigt, die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 8. Dezember 2010 gemäß § 552a ZPO auf Kosten des Klägers zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen eines Monats Stellung zu nehmen.
Streitwert: bis 80.000 €.

Gründe:


1
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor und das Rechtsmittel hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a ZPO).
2
1. Die für die Entscheidungen bedeutsamen grundsätzlichen Fragen sind durch die Senatsrechtsprechung geklärt.
3
Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht nur dann vorliegt, wenn der Versicherungsnehmer infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls nicht mehr zur Fortsetzung seiner zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit (zu deren Maßgeblichkeit vgl. Senatsurteil vom 26. Februar 2003 - IV ZR 238/01, VersR 2003, 631 unter II 1) imstande ist, sondern auch anzunehmen ist, wenn Gesundheitsbeeinträchtigungen eine Fortsetzung der Berufstätigkeit unzumutbar erscheinen lassen (OLG Koblenz r+s 2000, 301; Lücke in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. BU § 2 Rn. 29 m.w.N.). Letzteres kann nicht nur dann der Fall sein, wenn sich die fortgesetzte Berufstätigkeit des Versicherungsnehmers angesichts einer drohenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes als Raubbau an der Gesundheit und deshalb überobligationsmäßig erweist (vgl. dazu Senatsurteile vom 11. Oktober 2000 - IV ZR 208/99, VersR 2001, 89 unter II 1 m.w.N.; vom 30. November 1994 - IV ZR 300/93, VersR 1995, 159 unter 3 b; OLG Karlsruhe VersR 1983, 281), sondern kommt auch in Betracht, wenn andere mit der Gesundheitsbeeinträchtigung in Zusammenhang stehende oder zusammenwirkende Umstände in der Gesamtschau ergeben , dass dem Versicherungsnehmer die Fortsetzung seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit nicht mehr zugemutet werden kann (Senatsurteil vom 11. Oktober 2000 aaO; OLG Koblenz aaO). Eine solche Unzumutbarkeit kann grundsätzlich auch daraus folgen, dass zwar die Erkrankung des Versicherungsnehmers seiner Weiterarbeit vordergründig nicht im Wege steht, ihm dabei aber infolge einer durch die Erkrankung indizierten Medikamenteneinnahme ernsthafte weitere Gesundheitsgefahren drohen (vgl. dazu Senatsurteil vom 27. Februar 1991 - IV ZR 66/90, VersR 1991, 450 unter 2 b).
4
2. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, der Kläger trage als Versicherungsnehmer die Beweislast für diejenigen Umstände, aus denen sich eine solche Unzumutbarkeit ergeben soll (vgl. dazu Senatsurteil vom 26. Februar 2003 - IV ZR 238/01, VersR 2003, 631 unter II). Dass es diesen Nachweis als nicht erbracht angesehen hat, betrifft lediglich den zur Entscheidung stehenden Einzelfall und lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
5
a) Soweit das Berufungsgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon ausgeht, beim Kläger liege keine wesentliche Einschränkung der Lungen- oder Bronchialfunktion vor und auch die Gefahr äußerer Verletzungen sei für die Frage der Unzumutbarkeit der weiteren Berufsausübung unerheblich, weil sich Schürf- oder Platzwunden trotz längerer Blutgerinnungszeiten ausreichend behandeln ließen, hat die Revision dagegen nichts erinnert.
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b) Ob dem Kläger eine Fortsetzung seiner früher ausgeübten Berufstätigkeit zugemutet werden kann, hängt mithin davon ab, wie die Gefahr innerer Blutungen nach Stürzen beurteilt werden muss. Das Berufungsgericht hat zugunsten des Klägers unterstellt, er habe im Rahmen seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit auch auf Leitern oder Gerüsten in Höhen von bis zu sechs Metern arbeiten müssen.
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aa) Unstreitig liefe der Kläger nach einem Sturz von einer Leiter oder einem Gerüst infolge seiner medikamentös gehemmten Blutgerinnung Gefahr, innere Blutungen - insbesondere auch Gehirnblutungen - zu erleiden, die zu schwersten Schäden bis hin zum Tode führen können. Ungeachtet des Umstands, dass ein Sturz - zumal aus bis zu sechs Metern Höhe - auch bei Gesunden zu massiven Gesundheitsbeeinträchtigungen führen kann, trifft den Kläger insoweit ein zusätzliches Risiko.
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bb) Dennoch lässt sich die Frage der Unzumutbarkeit allein mit dieser Feststellung nicht beantworten. Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung der Fallumstände ist vielmehr von erheblicher Bedeutung , mit welchem Grad der Wahrscheinlichkeit ein solcher Unfall befürchtet werden muss. Zwar ist dem Versicherungsnehmer eine Fortsetzung seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit dann nicht zuzumuten, wenn diese nachweislich bereits zu weitergehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat oder solche Schäden ernsthaft zu erwarten sind (Senatsurteile vom 11. Oktober 2000 - IV ZR 208/99, VersR 2001, 89 unter II 1; vom 27. Februar 1991 - IV ZR 66/90, VersR 1991, 450 unter 2 b; OLG Saarbrücken VersR 2004, 1165). Davon kann aber nicht schon dann ausgegangen werden, wenn lediglich feststeht, dass dem Versicherungsnehmer besondere Gesundheitsgefahren nur bei Eintritt bestimmter Unfallereignisse drohen.
9
Die gesundheitliche Einschränkung des Klägers geht nicht mit einer maßgeblichen verminderten körperlichen Leistungsfähigkeit, insbesondere nicht mit Einschränkungen seiner Beweglichkeit einher, so dass sie keine erhöhte Sturzgefahr begründet. Das besondere Gesundheitsrisiko des Klägers wirkte sich mithin erst aus, wenn es aus anderen Gründen zu einem Sturz käme. Dem Kläger wäre ein Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten erst dann nicht mehr zuzumuten, wenn sich Anhaltspunkte dafür finden ließen, dass berufsbedingt eine konkrete Absturzgefahr besteht. Selbst wenn im Falle eines Unfalls - wie hier - besonders schwer- wiegende gesundheitliche Schäden drohen, kann auf das Erfordernis einer hinreichend konkreten Gefahr des Unfalleintritts nicht vollends verzichtet werden, mögen auch die Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit bei - wie hier - drohenden schwerwiegenden Unfallfolgen herabgesetzt sein.
10
cc) All das hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt. Seine Bewertung , eine ernsthaft und konkret bestehende Absturzgefahr habe der Kläger nicht bewiesen, erweist sich als rechtsfehlerfrei.
11
(1) Zu Unrecht beanstandet die Revision, das Berufungsgericht habe sich ohne ausreichende eigene Sachkunde über die Gefahreneinschätzung des arbeitsmedizinischen Sachverständigen Dr. S. hinweggesetzt. Das ergibt sich schon daraus, dass das Berufungsgericht sich mit der anderslautenden Auffassung des Landgerichts auseinandersetzt , welches sich seinerseits auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützt hatte. Da hier keine medizinischen Fragen danach zu beantworten waren, inwiefern bestimmte Bewegungseinschränkungen des Klägers sich auf seine Fähigkeit, auf Leitern oder Gerüsten zu arbeiten, auswirken könnten, war zur Beurteilung des Absturzrisikos besondere medizinische Sachkunde nicht erforderlich. Soweit sich der Sachverständige bei seiner Einschätzung auf die vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften herausgegebene Arbeitsunfallstatistik 2002 gestützt hat, wonach für das Jahr 2002 insgesamt 31.000 Leiterund 14.000 Gerüstunfälle registriert sind, lässt sich aus diesen absoluten Zahlen eine für den Kläger relevante Unfallwahrscheinlichkeit nicht ablesen. Zum einen fehlt eine Gegenüberstellung mit der Zahl der im Berichtszeitraum auf Leitern und Gerüsten tätigen Arbeitnehmer und ihrer dabei geleisteten Arbeitsstunden, zum anderen sind diese Unfallzahlen nicht nach Berufsgruppen aufgeschlüsselt und weisen mithin auch nicht aus, in welchem Umfang gerade Schweißer von solchen Unfällen betroffen waren.
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(2) Dass das Berufungsgericht in seine Abwägung auch die Überlegung eingestellt hat, die Gefahr von Stürzen aus größerer Höhe könne durch Beachtung zumutbarer Arbeitsschutzmaßnahmen eingedämmt werden, ist entgegen dem Vorwurf der Revision keine sachfremde Erwägung. Auch der Sachverständige geht davon aus, dass der Sturzgefahr mittels der gebotenen Unfallverhütungsmaßnahmen in aller Regel entgegengewirkt werden könne. Soweit die Revision beanstandet, das Berufungsgericht habe dem Kläger ein besonderes Maß an Vorsicht abverlangen wollen, obwohl eine solche Forderung im Arbeitsalltag und insbesondere auf Baustellen unrealistisch sei, findet dies im Berufungsurteil keine Stütze. Das Berufungsgericht hat vielmehr ausgeführt, dass jeder, der in großen Höhen arbeite, im eigenen Interesse das Absturzrisiko minimieren müsse.
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(3) Der Revision geht es im Kern darum, die tatrichterliche Würdigung der Fallumstände durch eine vermeintlich bessere zu ersetzen. Damit kann sie keinen Erfolg haben. Dass das Berufungsgericht keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für die Prognose gefunden hat, der Kläger laufe bei Wiederaufnahme seiner früheren Berufstätigkeit Gefahr, aus Höhen von bis zu sechs Metern abzustürzen, ist revisionsrechtlich hinzunehmen.
14
3. Der von der Revision gerügte Verstoß gegen § 139 ZPO ist jedenfalls nicht entscheidungserheblich.
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Die Revision beanstandet, das Berufungsgericht habe den Kläger nicht ausreichend darauf hingewiesen, dass es abweichend vom Landgericht Zweifel an einer für die Unzumutbarkeit der Berufsausübung ausreichenden Wahrscheinlichkeit für einen Sturz des Klägers hatte. Auf entsprechenden Hinweis hätte der Kläger vorgetragen, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit schwere bis tödliche Folgen erlitte, sollte er von einem Gerüst oder einer Leiter stürzen. Davon ist das Berufungsgericht aber ohnehin ausgegangen. Die in Aussicht gestellten Tatsachenbehauptungen und Beweisantritte waren für die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Kläger einen Sturz von einer Leiter oder einem Gerüst erleiden würde, unerheblich.
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4. Die allgemeine Gefahr, dass der Kläger auch bei gewöhnlichen Stürzen, wie sie etwa beim Gehen geschehen können, oder bei ähnlichen Unfällen, etwa dem Anstoßen des Kopfes an einen harten Gegenstand , innere Blutungen mit schwerwiegenden Folgen erleiden kann, hat das Berufungsgericht zu Recht dem allgemeinen Lebensrisiko zugerechnet. Es ist nicht ersichtlich, dass durch die Fortsetzung der Berufstätigkeit des Klägers insoweit eine konkret erhöhte Gefahr gegenüber den sonstigen Gefahren des täglichen Lebens eintritt. Ein spezifischer Zusammenhang zu den gerade aus der Berufstätigkeit herrührenden Gefahren ist nicht erwiesen. Die allgemeine Erwägung, auf Baustellen gebe es schon nach der Lebenserfahrung mehr "Stolperfallen" als etwa im Haushalt , reicht dafür nicht aus. Das ergibt sich auch daraus, dass der Sach- verständige angenommen hat, die mit Stürzen aus weniger als zwei Metern Höhe verbundenen Gefahren rechtfertigten die Annahme einer Berufsunfähigkeit nicht. Auf den vom Berufungsgericht angestellten Vergleich mit den Gefahren des Straßenverkehrs kommt es im Weiteren nicht an.
Mayen Wendt Felsch
Lehmann Dr. Brockmöller
Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Zurückweisungsbeschluss erledigt worden.
Vorinstanzen:
LG Saarbrücken, Entscheidung vom 10.12.2009- 14 O 68/07 -
OLG Saarbrücken, Entscheidung vom 08.12.2010- 5 U 8/10-1- -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 139 Materielle Prozessleitung


(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über

Zivilprozessordnung - ZPO | § 552a Zurückweisungsbeschluss


Das Revisionsgericht weist die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf

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Bundesgerichtshof Urteil, 26. Feb. 2003 - IV ZR 238/01

bei uns veröffentlicht am 26.02.2003

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 238/01 Verkündet am: 26. Februar 2003 Heinekamp Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat

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Das Revisionsgericht weist die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. § 522 Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.

Das Revisionsgericht weist die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. § 522 Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 238/01 Verkündet am:
26. Februar 2003
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, den Richter Dr. Schlichting, die Richterin
Ambrosius und die Richter Wendt und Felsch auf die mündliche Ver-
handlung vom 5. Februar 2003

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 24. Juli 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger, mitarbeitender Inhaber eines Automatenaufstellbetriebes , begehrt von der beklagten Versicherungsgesellschaft über die von dieser freiwillig gezahlte Rente für eine 40%ige Berufsunfähigkeit hinaus die volle vereinbarte Rente (monatlich 4.453 DM) für die Zeit ab 1. Januar 1994.
Nach den Vertragsbedingungen der 1976 von den Parteien vereinbarten Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung gewährt die Beklagte bei

teilweiser Berufsunfähigkeit die für vollständige Berufsunfähigkeit festgesetzten Leistungen nur in der Höhe, die dem Grad der Berufsunfähigkeit entspricht. Teilweise Berufsunfähigkeit von weniger als einem Viertel gibt keinen Anspruch. Ab einer teilweisen Berufsunfähigkeit von mindestens Dreiviertel werden die vollen Leistungen erbracht.
Der Kläger ist seit 1975 selbständiger Automatenaufsteller, der in Gaststätten Geldspielgeräte, Billardtische und Musikboxen aufstellt, die Geräte wartet und auswechselt und jeden seiner etwa 80 bis 100 Kunden alle 14 Tage aufsucht, um die Automaten zu leeren, das Geld mit Hilfe einer Geldzählmaschine zu zählen, dem Gastwirt seinen Anteil auszukehren und den eigenen Anteil mitzunehmen. Die Abrechnungstätigkeit übte der Kläger persönlich und allein aus, bis er zum 1. Mai 1989 zusätzlich zu den bis dahin von ihm beschäftigten Mitarbeitern (zwei Monteure und für die Büroarbeiten seine Ehefrau) seinen Sohn einstellte, der ihn seitdem auf seinen Abrechnungsfahrten begleitet und ihm das Tragen schwerer Gegenstände abnimmt (Laptop, das eingesammelte Hartgeld , insbesondere aber die 20 kg schwere Geldzählmaschine).
1986 wurde bei dem Kläger wegen einer Ulcus-Erkrankung eine 2/3-Magenresektion vorgenommen. Seit 1987 zahlt die Beklagte ihm eine Berufsunfähigkeitsrente. Vom 1. Oktober 1987 bis zum 1. Oktober 1990 betrug sie 60% der vollen Rente; vom 2. Oktober 1990 bis zum 1. Januar 1994 35%, und seit dem 1. Oktober 1990 zahlt die Beklagte 40%. Demgegenüber begehrt der Kläger ab 1. Januar 1994 die volle Rente mit der Begründung, er sei spätestens seit Anfang 1989 zu mindestens 75% berufsunfähig. Nicht nur habe er nach wie vor erhebliche Magenbeschwerden , deretwegen er täglich fünf kleine Mahlzeiten einnehmen und an-

schließend jeweils eine halbstündige Ruhepause einhalten müsse, sondern er leide auch an Erkrankungen des Bewegungsapparates, vor allem der Wirbelsäule, der Knie- und der Hüftgelenke, die sich seit den 70er Jahren kontinuierlich verschlimmert und ihm spätestens seit Anfang 1989 das Tragen schwerer Gegenstände, insbesondere der Geldzählmaschine , unmöglich gemacht hätten. Allein aus diesem Grund habe er zum 1. Mai 1989 seinen Sohn als Begleiter bei den Abrechnungsfahrten eingestellt.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


Die Revision hat Erfolg. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen die Klageabweisung nicht.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Kläger sei nicht zu mehr als 40% berufsunfähig. Aufgrund des vom Landgericht eingeholten orthopädischen Sachverständigengutachtens stehe zwar zur Überzeugung des Senats fest, daß der Kläger keine schweren Gegenstände tragen dürfe. Auch sei bewiesen, daß der Kläger früher Geräte aufgestellt und vor Ort oder in seiner Werkstatt repariert und daß er die Geräte entleert und mit den Gastwirten den Gewinn abgerechnet habe, wozu er die

schweren Spielgeräte bzw. die schwere Geldzählmaschine, habe heben und tragen müssen. Durch seine krankheitsbedingte Unfähigkeit zu diesen für seinen Beruf prägenden, wesentlichen Einzelverrichtungen sei der Kläger als mitarbeitender Betriebsinhaber jedoch noch nicht berufsunfähig. Dazu genüge nicht, daß er Einzelverrichtungen, die er sich bisher ausgesucht hatte, nicht mehr ausüben könne. Der Kläger übe vielmehr immer noch eine angemessene Tätigkeit aus, weil er weiter seine Mitarbeiter überwache und einsetze, die Kundenwerbung weiterbetreibe und die Spielgeräte entleere und mit seinen Kunden abrechne. Wegen dieser fortdauernden Erledigung seiner alten Aufgaben habe er, ungeachtet der Einstellung eines neuen Mitarbeiters, seinen Betrieb auch nicht umorganisiert. Der Kläger falle zwar bei dem Transport und der Reparatur der Spielgeräte völlig aus, jedoch mache dieser Teil seiner Tätigkeit nach seinen eigenen Angaben nur 10% seiner Arbeitszeit aus, während er 80% für das Abkassieren und die Abrechnung verwende. Beim Abkassieren und Abrechnen sei ihm aber nur das Tragen der Geldzählmaschine und das Tragen des eingesammelten Hartgeldes zur Bank unmöglich. Er habe nicht nachgewiesen, daß diese beiden Tragevorgänge mehr als 30% seiner gesamten Arbeitszeit ausmachten, so daß nicht davon ausgegangen werden könne, daß er zu mehr als 40% berufsunfähig sei.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Berufsunfähigkeit liegt nach den Vertragsbedingungen vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit oder Körperverletzung ganz oder teilweise außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Erwerbstätigkeit auszuüben, die seiner Lebensstellung, seinen Kenntnissen und Fähig-

keiten angemessen ist. Bei einem mitarbeitenden Betriebsinhaber muß zunächst, genau wie bei jedem anderen Versicherten, die Voraussetzung erfüllt sein, daß er zu seiner konkreten beruflichen Tätigkeit, so wie sie bis zum Eintritt der Gesundheitsbeeinträchtigung ausgestaltet war, in einem Ausmaß nicht mehr imstande ist, das nach den Versicherungsbedingungen einen Rentenanspruch begründet. Darüber hinaus muß der mitarbeitende Betriebsinhaber aber darlegen und erforderlichenfalls beweisen , daß ihm eine zumutbare Betriebsorganisation keine gesundheitlich noch zu bewältigende Betätigungsmöglichkeit eröffnen kann, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen würde (BGH, Urteil vom 12. Juni 1996 - IV ZR 118/95 - VersR 1996, 1090 unter II 3 a). Bei der Prüfung der ersten Voraussetzung ist dem Berufungsgericht ein Rechtsfehler unterlaufen, der dazu geführt hat, daß es die - erforderliche - Prüfung der zweiten Voraussetzung unterlassen hat.
1. Das Berufungsgericht hat übersehen, daß der gerichtliche Sachverständige bei seiner Feststellung, daß der Kläger keine schweren Gegenstände mehr tragen könne, dem insoweit rechtsirrtümlichen Beweisbeschluß des Landgerichts folgend, auf einen falschen Stichtag abgestellt hat, nämlich auf den 1. Januar 1994, der den Beginn des vom Kläger geltend gemachten Leistungszeitraums markiert. Sollte die Unfähigkeit des Klägers, schwer zu tragen, tatsächlich erst an diesem Tage eingetreten sein, so hätte sie keine Berufsunfähigkeit herbeigeführt. Denn bei dieser geht es darum, wie sich gesundheitliche Beeinträchtigungen bei einer konkreten Berufsausübung auswirken (BGH, Urteil vom 12. Juni 1996 - IV ZR 116/95 - VersR 1996, 959 unter II 1). Dabei ist maßgebend die letzte konkrete Berufsausübung, so wie sie noch in gesunden Tagen ausgestaltet war, d.h. solange die Leistungsfähigkeit des

Versicherten noch nicht beeinträchtigt war (BGH, Urteil vom 22. September 1993 - IV ZR 203/92 - VersR 1993, 1470 unter 3). Die Abrechnungstätigkeit des Klägers war aber bereits lange vor dem 1. Januar 1994, nämlich schon seit dem 1. Mai 1989, dem Tage der Einstellung seines Sohnes als Begleiter, so ausgestaltet, daß er gar nicht mehr schwer zu tragen brauchte; denn dies nahm ihm seitdem sein Sohn ab. Falls der Kläger seinen Sohn noch "in gesunden Tagen" eingestellt hatte, hat eine nachträglich eingetretene Unfähigkeit zum Tragen ihn also nicht berufsunfähig gemacht. Der Kläger hat aber substantiiert behauptet, daß er bereits seit Anfang 1989 nicht mehr in der Lage sei, schwere Lasten zu heben, und allein aus diesem Grund seinen Sohn als Gehilfen eingestellt habe. Dieser Vortrag ist indessen durch das gerichtliche Sachverständigengutachten noch nicht bewiesen, weil das Landgericht dem Gutachter fälschlich die Frage vorgelegt hat, ob der Kläger seit dem 1. Januar 1994 nicht mehr schwer tragen könne, und der Sachverständige dementsprechend auch eine auf dieses Datum bezogene bejahende Antwort gegeben hat.
Ist aber somit bislang offen, ob und wie sich die behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers Anfang 1989 auf seine Fähigkeit zur weiteren Berufsausübung auswirkten, so fehlt es an einer Beurteilungsgrundlage dafür, wie hoch der Grad seiner Berufsunfähigkeit anzusetzen ist und ob der Kläger sich durch Umorganisation ein Berufsunfähigkeit ausschließendes Tätigkeitsfeld verschaffen konnte.
Das Berufungsurteil konnte daher keinen Bestand haben. Es war aufzuheben und die Sache zur Nachholung der erforderlichen weiteren Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

2. Dabei wird das Berufungsgericht die folgenden rechtlichen Ge- sichtspunkte berücksichtigen müssen:

a) Falls der Kläger schon vor der Einstellung seines Sohnes nicht mehr schwer tragen konnte, darf das Berufungsgericht bei der Bemessung des Grades der hierdurch hervorgerufenen Berufsunfähigkeit des Klägers nicht nur auf den - vom Berufungsgericht nicht bezifferten - Zeitanteil abstellen, der auf das Tragen der Geldzählmaschine entfiel. Das Tragen der Geldzählmaschine war keine abtrennbare und deshalb gesondert zu veranschlagende berufliche Einzelverrichtung, sondern ein untrennbarer Bestandteil des Abrechnungsvorgangs, der aus An- und Abfahrt, der Leerung der Automaten, dem Zählen des Hartgeldes mittels der Geldzählmaschine, der Berechnung des Anteils des jeweiligen Gastwirts , der Auszahlung dieses Anteils an den Gastwirt und dem Abtransport des eigenen Anteils des Klägers bestand. Diese Abrechnung war ein einheitlicher Lebensvorgang, zu dem das Tragen der Geldzählmaschine dazugehörte; denn ohne diese konnte der Kläger nicht abrechnen.

b) Bei der etwaigen Prüfung, ob der Kläger die Tätigkeiten in seinem Betrieb auch nicht auf zumutbare Weise so umschichten kann, daß ihm eine die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließende Tätigkeit verbleibt (BGH, Urteil vom 12. Juni 1996, aaO unter 3), wird zu beachten sein, daß der Kläger entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts , eine Umorganisation seines Betriebes bereits vorgenommen hat, indem er seinen Sohn einstellte (zur Umorganisation durch Einstellung weiterer Mitarbeiter vgl. BGH, Urteil vom 25. September 1991 - IV ZR 145/90 - VersR 1998, 1358 unter 2 b). Es kommt deshalb darauf an, ob

diese Umorganisation für ihn unzumutbar war. Eine Umorganisation ist für den Versicherten nur dann zumutbar, wenn sie nicht mit auf Dauer ins Gewicht fallenden Einkommenseinbußen verbunden ist (BGH, Urteile vom 5. April 1989 - IV ZR 35/88 - VersR 1989, 579 und vom 25. September 1991 - IV ZR 145/90 - VersR 1991, 1358).

c) Schließlich darf das Berufungsgericht das Magenleiden des Klägers nicht unberücksichtigt lassen. Sollte der Kläger aus orthopädischer Sicht Anfang 1989 zu weniger als 75% berufsunfähig oder sollte ihm die Umorganisation zumutbar gewesen sein, so müßte das Berufungsgericht die Frage klären, ob, seit wann und inwieweit ihn sein Magenleiden an der Fortsetzung seiner früheren Tätigkeit hindert.
Terno Dr. Schlichting Ambrosius
Wendt Felsch

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.