Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Dez. 2006 - IV ZB 25/06

bei uns veröffentlicht am20.12.2006
vorgehend
Landgericht Aachen, 9 O 348/05, 23.12.2005
Oberlandesgericht Köln, 9 U 52/06, 06.07.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 25/06
vom
20. Dezember 2006
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, den Richter Seiffert, die Richterin Dr. Kessal-Wulf,
die Richter Felsch und Dr. Franke
am 20. Dezember 2006

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 6. Juli 2006 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 34.198,25 €.

Gründe:


1
I. Die Klägerin erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Das die Klage abweisende Urteil des Landgerichts ist ihrem Prozessbevollmächtigten am 2. Januar 2006 zugestellt worden. Seine Berufungsschrift, mit der er den Wiedereinsetzungsantrag verbunden hat, ist am 17. Februar 2006 beim Oberlandesgericht eingegangen.
2
1. Die Fristversäumnis wird damit begründet, eine gut ausgebildete und bisher stets zuverlässige Büromitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten habe aus letztlich unerklärlichen Gründen ihre Pflichten bei der Fristenkontrolle versäumt. Im Büro des Prozessbevollmächtigten sei die Überwachung von Rechtsmittelfristen in der Weise organisiert, dass bei Eingang einer Entscheidung in einen elektronischen Fristenkalender das Fristende und die bereits eine Woche davor endende Vorfrist mit einer bestimmten Kennung eingetragen würden. Beide Fristen würden auch auf der Entscheidung notiert. Sodann geschehe die Fristüberwachung mittels täglich ausgedruckter Listen über jeweils ablaufende Fristen, anhand derer die betreffenden Handakten herausgesucht und dem zuständigen Bearbeiter vorgelegt würden. Eine Frist dürfe nur dann aus diesen Listen gestrichen und in der elektronischen Datenspeicherung gelöscht werden, wenn entweder eine ausdrückliche diesbezügliche Verfügung ergehe oder ein fristwahrender Schriftsatz in der Postausgangsmappe zur Unterschrift vorgelegt worden sei. Eine darüber hinaus gehende gesonderte Kontrolle betreffend die Einhaltung von Vor- und Endfrist sei weder praktiziert worden noch vom Rechtsanwalt geschuldet. Er habe sich vielmehr darauf verlassen dürfen, dass das beschriebene Kontrollsystem "tagtäglich gelebt und geleistet" worden sei.
3
Hier habe es die zuständige Büroangestellte nach ordnungsgemäßer Notierung der Vorfrist und des Fristablaufs im Weiteren versäumt, die Handakte dem zuständigen Rechtsanwalt rechtzeitig vorzulegen. Das beruhe möglicherweise darauf, dass in der Handakte noch eine Abrechnung von Reisekosten habe vorgenommen werden sollen und die Akte wegen anderweitiger von der betreffenden Mitarbeiterin zu bearbeitender Akten, ferner auch wegen mehrerer im Wesentlichen rechtlich gleich gelagerter Parallelfälle vorübergehend "aus dem Blickfeld geraten" sei. Warum die ausgedruckten Kontrolllisten nicht nur am Tage des Ablaufs der Vorfrist sondern auch zu Ende der Berufungsfrist nicht ordnungsgemäß abgearbeitet worden seien, könne - ebenso wie der Verbleib der betreffenden beiden Listen - nicht mehr geklärt werden.
4
2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen , weil die Klägerin ein ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumnis nicht hinreichend ausgeräumt habe. Es liege ein gravierender Mangel in der Büroorganisation ihres Prozessbevollmächtigten darin, dass nicht am Ende eines jeden Arbeitstages von einem eigens damit beauftragten Mitarbeiter anhand des Fristenkalenders noch einmal überprüft worden sei, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden seien. Das sei hier insbesondere deshalb geboten gewesen, weil es sich bei den täglich abgearbeiteten ausgedruckten Kontrolllisten um lose Blätter gehandelt und für diese ein hohes Verlustrisiko bestanden habe. Bezeichnenderweise habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf Nachfrage zum Verbleib der hier maßgeblichen beiden Listen nichts erklären können. Bei einer wirksamen täglichen Endkontrolle wäre die Berufungsfrist voraussichtlich gewahrt worden, zumal weder die Vorfrist noch der endgültige Fristablauf im Datenbestand des EDV-gestützten Fristenkalenders gelöscht gewesen seien.
5
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung jedenfalls im Ergebnis stand.
6
1. Die nach § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulässig, weil die Frage, welche Maßnahmen zur Kontrolle von Rechtsmittelfristen bei einer EDV-gestützten Büroorganisation eines Rechtsanwalts geboten erscheinen , für eine Vielzahl gleich und ähnlich gelagerter Fälle Bedeutung gewinnen kann.
7
2.DieRechtsbeschwer de hat aber in der Sache keinen Erfolg.
8
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt nach § 233 ZPO voraus, dass die Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung wäre hier nur dann erfüllt , wenn die Berufungsfrist allein infolge eines Fehlverhaltens des Büropersonals des Prozessbevollmächtigten der Klägerin versäumt worden wäre; denn dies hätte die Klägerin nicht zu vertreten. So liegt der Fall aber nicht, vielmehr hat an der Fristversäumnis ursächlich auch ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten mitgewirkt, welches sich die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
9
Der Rechtsanwalt darf die von ihm einzuhaltenden Fristen auch allein mit Hilfe eines elektronischen Fristenkalenders überwachen, ohne verpflichtet zu sein, parallel dazu noch einen schriftlichen Fristenkalender zu führen (BGH, Beschlüsse vom 10. Oktober 1996 - VII ZB 31/95 - VersR 1997, 257 = NJW 1997, 327 unter II 1; 29. Juni 2000 - VII ZB 5/00 - VersR 2001, 656 = NJW 2000, 3006 unter II 2 a). Er muss aber durch begleitende organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass Fristen nicht nur ordnungsgemäß notiert, sondern im Weiteren auch tatsächlich beachtet werden.
10
Dazu a) gehört zunächst ein Eintragungs- (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 23. März 1995 - VII ZB 3/95 - NJW 1995, 1756 unter II 1; 20. Februar 1997 - IX ZB 111/96 - NJW-RR 1997, 698 unter II 3) und Vorlagesystem, welches gewährleistet, dass die Akten jeweils rechtzeitig vor Fristablauf dem zuständigen Mitarbeiter vorgelegt werden.
11
Insofern ist das im Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin praktizierte System der Aktenvorlage anhand täglich ausgedruckter Computerlisten , aus denen sich die jeweils ablaufenden Vor- oder Endfristen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 aaO) ergeben, nicht zu beanstanden. Die vom Berufungsgericht hervorgehobene Gefahr des Verlustes solcher Listen ist schon dadurch gemindert, dass der gespeicherte Datenbestand unabhängig davon erhalten bleibt, so dass sich diese Listen selbst bei einem Verlust jederzeit wieder ausdrucken lassen.
12
b) Weiter hat der Rechtsanwalt dafür Sorge zu tragen, dass Fristen im elektronischen Kalender nicht vorzeitig gelöscht werden; denn anders als etwa durchgestrichene Einträge in schriftlichen Aufzeichnungen verschwinden gelöschte Einträge in einem elektronischen Datenverarbeitungssystem weitgehend spurlos und können danach von den für die Fristwahrung zuständigen Mitarbeitern nicht mehr erkannt werden.
13
Die hier bestehende Anweisung, Löschungen erst entweder nach entsprechender Einzelverfügung oder Vorlage eines fristwahrenden Schriftsatzes in der Postmappe vorzunehmen, genügt zunächst den dazu aufgestellten Anforderungen der Rechtsprechung (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 11. Oktober 2000 - IV ZB 17/00 - VersR 2001, 85 = NJW 2001, 76 unter I und II 1 c; 2. März 2000 - V ZB 1/00 - NJW 2000, 1957 unter II; 17. Oktober 1990 - XII ZB 84/90 - FamRZ 1991, 423 unter II).

14
c) Allein mit Hilfe von Vorsichtsmaßnahmen, die einer vorzeitigen Löschung von Fristeintragungen im elektronischen Kalender vorbeugen sollen, lässt sich indes nicht ausreichend sicher gewährleisten, dass etwa ein fristgebundener Schriftsatz nicht nur rechtzeitig hergestellt wird, sondern auch vor Fristablauf beim zuständigen Gericht eingeht. Der Bundesgerichtshof hat deshalb ausgesprochen, dass die Büroorganisation des Rechtsanwaltes zusätzlich auch eine tägliche Ausgangskontrolle umfassen muss, welche sicherstellt, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wird (Senatsbeschluss vom 11. Oktober 2000 aaO unter II 1 b m.w.N.; BGH, Beschlüsse vom 2. März 2000, 9. Juni 1992 und 17. Oktober 1990 jeweils aaO m.w.N.; Beschluss vom 23. September 1998 - XII ZB 99/98 - VersR 1999, 1303 unter a m.w.N.). Die Notwendigkeit einer solchen täglichen Ausgangskontrolle ergibt sich schon aus der allgemeinen Erwägung, dass auch in einer sachgerechten Büroorganisation bei der Fristenkontrolle individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu korrigieren gilt. Insofern ist es unerheblich, dass das Berufungsgericht die Notwendigkeit der täglichen Endkontrolle vorwiegend mit einem drohenden Verlust der täglich ausgedruckten Computerlisten begründet hat. Denn auch wenn man - wie der Senat - diese Gefahr angesichts der Möglichkeit des jederzeitigen Neuausdrucks solcher Listen als gering ansieht, ändert dies nichts daran, dass allabendlich die Erledigung der Fristsachen in der von der Rechtsprechung geforderten Weise gesondert überprüft werden muss.

15
Daran fehlt es hier. Eine den vorgenannten Anforderungen genügende Endkontrolle sah die Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht vor. Er hat vielmehr gemeint, er könne darauf vertrauen , dass die von ihm beschriebene, in seinem Büro täglich praktizierte Fristenkontrolle zuverlässig funktioniere und eine darüber hinaus gehende , gesonderte Kontrolle von ihm nicht "geschuldet" sei. Das ist zumindest fahrlässig.
16
Soweit die Rechtsbeschwerde nunmehr geltend macht, die Berufungsfrist sei nur deshalb versäumt worden, weil die zuständige Büroangestellte die erforderliche "Endkontrolle" sowohl bei Ablauf der Vor- wie auch der eigentlichen Berufungsfrist pflichtwidrig versäumt habe, übersieht sie, dass eine den Maßstäben der Rechtsprechung genügende, gesonderte Endkontrolle nach dem Vortrag der Klägerin gar nicht Teil der Büroorganisation ihres Prozessbevollmächtigten war.
17
dem Aus Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29. Juni 2000 (VII ZB 5/00 aaO) ergibt sich nichts anderes. Denn dort ist lediglich entschieden worden, dass neben einem EDV-gestützten Fristenkontrollsystem nicht zusätzlich und parallel ein schriftlicher Fristenkalender geführt werden müsse. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist damit aber nicht weitergehend der Grundsatz aufgestellt worden, dass jegliche doppelte Fristenkontrolle entbehrlich sei.

18
Auf die Frage, aus welchen Gründen im Einzelnen die für die Bearbeitung zuständige Büromitarbeiterin sowohl die Vorfrist wie auch den Ablauf der Frist zur Einlegung der Berufung unbeachtet gelassen hat, kommt es nicht an.
Terno Seiffert Dr. Kessal-Wulf
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Aachen, Entscheidung vom 23.12.2005 - 9 O 348/05 -
OLG Köln, Entscheidung vom 06.07.2006 - 9 U 52/06 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A

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Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Feb. 2009 - IV ZB 26/08

bei uns veröffentlicht am 11.02.2009

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IV ZB 26/08 vom 11. Februar 2009 in dem Rechtsstreit Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und Dr. Franke am 11. Februar 2009 be

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(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VII ZB 5/00
vom
29. Juni 2000
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
ZPO §§ 233 Fb, 85 Abs. 2
Einer Partei kann nicht angelastet werden, daß im Büro ihres Prozeßbevollmächtigten
nicht eine doppelte Fristenkontrolle stattfindet.
BGH, Beschluß vom 29. Juni 2000 - VII ZB 5/00 - OLG Hamm
LG Dortmund
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Juni 2000 durch die
Richter Prof. Dr. Thode, Hausmann, Dr. Kuffer, Dr. Kniffka und Wendt

beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 10. Januar 2000 aufgehoben. Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 23. August 1999 (7 O 427/98) gewährt.

Gründe:


I.

Die Beklagte ist mit Urteil des Landgerichts vom 23. August 1999 zur Zahlung von Vorschuß wegen Baumängel verurteilt worden. Sie hat gegen das am 15. Oktober 1999 zugestellte Urteil am 18. November 1999 Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung der Wiedereinsetzung haben die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten glaubhaft gemacht:
Für die Notierung von Berufungsfristen sei seit Jahren nur die gewissenhafte , zuverlässige Sekretärin B. zuständig. Sie habe die Aufgabe, im Fristenkalender die Berufungsfrist mit Vorfristen zu notieren, die Notierung durch einen entsprechenden Vermerk auf dem Urteil zu dokumentieren und die Sache anschließend rechtzeitig vor Fristablauf der Sekretärin des sachbearbeitenden Anwalts zur Bearbeitung vorzulegen. Ferner sei sie angewiesen, vor Verlassen des Büros die Fristen im Fristenkalender zu kontrollieren und erst zu streichen, wenn sie sich davon überzeugt habe, daß sie erledigt seien. Ausweislich des Fristenkalenders sei der Ablauf der Berufungsfrist mit zwei Notfristen vom 8. November und 12. November 1999 korrekt auf den 15. November 1999 notiert worden. Aus der Streichung der Fristen vom 8. und 11. November ergebe sich, daß B. die Sache der Anwaltssekretärin K. vorgelegt habe. Diese habe es unterlassen, die Akten dem Berufungsanwalt vorzulegen, vermutlich deswegen, weil sie wegen Ausscheidens eines Anwalts zusätzliche Arbeiten zu erledigen hatte. Dies allein habe noch nicht zur Versäumung der Berufungsfrist führen können. Hinzu komme, daß B. es weisungswidrig versäumt habe, am 15. November 1999 vor Verlassen des Büros die Frist zu kontrollieren. Im Fristenkalender sei die Berufungsfrist nicht gestrichen worden. Die Fristenkontrolle gehöre seit 1992 zu den wichtigsten Aufgaben von B.. Es sei bisher niemals zu Versäumnissen gekommen. Das einmalige Fehlverhalten von B. sei nur damit zu erklären, daß sie damals Eheprobleme gehabt habe, die ihren Vorgesetzten nicht bekannt gewesen seien. Sie habe wohl deswegen am 15. November 1999 nach Feierabend das Büro verlassen, ohne sich zuvor zu vergewissern, daß die Berufung in der vorgemerkten Frist gefertigt worden sei. Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung und die Berufung "zurückgewiesen". Dagegen richtet sich die fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten.

II.

Die sofortige Beschwerde hat Erfolg. Die Beklagte war ohne Verschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten verhindert, die Frist zur Einlegung der Berufung einzuhalten. 1. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, es liege ein Organisationsverschulden darin, daß die Anwaltssekretärin keinen eigenen Fristenkalender führe. Es sei daher aus organisatorischen Gründen nicht ausgeschlossen, daß die Akten dem Anwalt nicht fristgerecht vorgelegt würden. Da die Durchsicht des Fristenkalenders erst abends erfolge, sei es nicht ausgeschlossen, daß die Sekretärin B. weder die Sekretärin des sachbearbeitenden Anwalts noch diesen selbst mehr erreiche. Den individuellen Fehlern der Angestellten hätten die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten entgegenwirken müssen. Die eigene Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwalts sei erhöht, wenn Störungen in der Organisation des Büros auftreten. Bei den mitgeteilten personellen Problemen sei es notwendig gewesen , daß der Anwalt delegierte Aufgaben, wie zum Beispiel die Fristenkontrolle, wieder an sich ziehe. Unabhängig davon habe die Beklagte nicht dargetan, wann sie die Anwälte beauftragt habe, Berufung einzulegen. Wäre eine entsprechende Bitte an ihre Anwälte erfolgt, wären die Handakten außerhalb der notierten Fristen dem Anwalt vorgelegt worden, der rechtzeitig vor Fristablauf die Berufung hätte einlegen können. 2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Fristversäumung beruht auf einem Fehlverhalten der Angestellten der Prozeßbevollmächtigten
der Beklagten und nicht auf einem zurechenbaren Verschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO).
a) Der Beklagten kann nicht angelastet werden, daß im Büro ihrer Prozeßbevollmächtigten nicht zwei Fristenkalender geführt wurden. Es ist ausreichend , zur Beachtung der Fristen einen Fristenkalender zu führen. Der Fristenkalender wurde hier auch ordnungsgemäß geführt. Die Wahrung der Fristen ist dadurch doppelt abgesichert, daß Vorfristen und Ablauffristen eingetragen werden und die allein zuständige Sekretärin B. angewiesen ist, diese Fristen nur zu streichen, wenn sie sich persönlich überzeugt hat, daß der fristgebundene Vorgang erledigt ist.
b) Das Berufungsgericht mißt dem Vortrag der Beklagten falsche Bedeutung zu, die Sekretärin B. sei angewiesen, sich vor Verlassen des Büros zu vergewissern, daß alle im Fristenkalender vermerkten Fristen erledigt seien; denn damit wird nicht, worauf die Beklagte zulässig in der Begründung der sofortigen Beschwerde hinweist, zum Ausdruck gebracht, daß die Fristenkontrolle nur zum Ende der täglichen Dienstzeit erstmalig vorgenommen wird. Der Vortrag ist vielmehr dahin zu verstehen, daß für die Sekretärin die Weisung bestand , den Fristenkalender vor ihrem Dienstschluß (um 17 Uhr) noch einmal durchzugehen, um zu kontrollieren, ob keine Frist übersehen wurde. Unzutreffend ist auch, daß zu diesem Zeitpunkt kein zur Abfassung einer Berufung bereiter Rechtsanwalt mehr erreichbar wäre. Denn nach dem Beschwerdevorbringen verlassen die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten das Büro üblicherweise nicht vor 19 Uhr. Ein Berufungsanwalt kann jederzeit verständigt werden.
c) Nicht gefolgt werden kann der auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Beschluß vom 26. August 1999 - VII ZR 12/99, NJW 1999, 3783 =
EBE 1999, 338 = MDR 1999, 1411) gestützten Ansicht, die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten habe wegen des Ausscheidens eines Rechtsanwalts und privater persönlicher Probleme der Sekretärin eine erhöhte Sorgfaltspflicht getroffen. Von den privaten Problemen der Sekretärin B. haben diese erst erfahren , als B. nach Versäumung der Berufungsfrist zur Rede gestellt wurde. Die Beklagte hat das Fehlverhalten der Angestellten auch nicht damit begründet, daß das Personal drastisch reduziert oder chronisch überlastet war. Sie hat nur die Vermutung geäußert, daß die Anwaltssekretärin K. wegen des Ausscheidens eines Kollegen mehr als üblich belastet war. Insofern handelte es sich nach der Begründung der sofortigen Beschwerde um eine Mehrbelastung, die nicht über die in einer Anwaltskanzlei urlaubs- und saisonbedingt üblicherweise auftretenden Schwankungen des Arbeitsausfalls hinausgeht. Besondere organisatorische Maßnahmen waren daher nicht erforderlich. Das Versehen der Anwaltssekretärin hätte zudem nicht zur Fristversäumung geführt, wenn die Sekretärin B. die Fristenkontrolle bei Ablauf der Berufungsfrist am 15. November 1999 ordnungsgemäß vorgenommen hätte.

d) Ohne Bedeutung ist, daß die Beklagte nicht dargelegt hat, zu welchem Zeitpunkt sie ihren Anwälten den Auftrag erteilt hat, die Berufung gegen das landgerichtliche Urteil einzulegen. Dies steht in keinem kausalen Zusammenhang zur Fristversäumung, weil die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten unabhängig vom Zeitpunkt der Beauftragung die Frist bis zum letzten Tag ausnutzen konnten. Thode Hausmann Kuffer Kniffka Wendt