Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Nov. 2011 - III ZR 40/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Beklagte zu 1 hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Beschwerdewert: bis 30.000 €.
Gründe:
- 1
- Die Beschwerde der Beklagten ist nicht begründet. Die Revision ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen. Das Berufungsgericht hat nicht, wie die Beklagte meint, deren Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
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- 1. Unter Bezugnahme auf das in diesem Verfahren ergangene Senatsurteil vom 6. März 2008 (III ZR 87/06 - juris und BeckRS 2008, 04811 Rn. 8) legt das Berufungsgericht seiner Beurteilung zugrunde, dass der Prospekt den unrichti- gen Gesamteindruck vermittele, der Anleger gehe mit seiner Beteiligung nur ein begrenztes Risiko ein. Im Weiteren gelangt es unter Berücksichtigung der dem Streitfall zugrunde liegenden Gesamtumstände, der unstreitigen Tatsachen und der Urkundenlage zu der Feststellung, dass die Beklagte als „Hintermann“ prospektverantwortlich sei. Diese Erkenntnis werde ergänzend durch Zeugenaussagen in mehreren Parallelverfahren gestützt, die das Berufungsgericht im Wege des Urkundenbeweises verwertet. Das Berufungsgericht sieht sich an einer solchen Verwertung nicht deshalb gehindert, weil ihr der Prozessbevollmächtigte der Beklagten widersprochen habe. Seine Erklärung, er widersetze sich einer solchen Verwertung insbesondere im Hinblick darauf, dass die bisherigen Vernehmungen nicht von vornherein den Bereich der deliktischen Haftung abgedeckt hätten, sei nicht zugleich als Antrag auf Vernehmung der betreffenden Zeugen zur Frage der Prospektverantwortlichkeit der Beklagten zu werten.
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- 2. Diese Beurteilung hält den Rügen der Beschwerde stand.
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- a) Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, dass Niederschriften über Zeugenvernehmungen aus anderen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden können, wenn dies von der beweispflichtigen Partei beantragt wird. Das ist auch dann zulässig, wenn die Gegenpartei der Verwertung widerspricht; denn die Führung des Urkundenbeweises bedarf grundsätzlich nicht des Einverständnisses der Gegenpartei (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1969 - VI ZR 128/68, VersR 1970, 322, 323). Wenn eine Partei zum Zwecke des unmittelbaren Beweises jedoch die Vernehmung eines Zeugen beantragt, ist die urkundenbeweisliche Verwertung seiner früheren Aussage anstelle der beantragten Vernehmung unzulässig (vgl. BGH, Urteile vom 19. Dezember 1969 aaO; vom 10. Juli 1997 - III ZR 69/96, NJW 1997, 3096 f; vom 30. November 1999 - VI ZR 207/98, NJW 2000, 1420, 1421; vom 12. No- vember 2003 - XII ZR 109/01, NJW 2004, 1324, 1325); dann ist dem Antrag, soweit er erheblich ist, durch Vernehmung des Zeugen zu entsprechen.
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- b) Das Berufungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung die Notwendigkeit gesehen, mit den Parteien die Frage abzuklären, ob eine "Verwertung der bereits in Fülle vorliegenden Vernehmungsprotokolle aus Parallelverfahren in Betracht komme". Hintergrund hierfür war, dass beide Parteien sich nach Wiedereröffnung des zweiten Rechtszuges umfangreich auf von ihnen vorgelegte Niederschriften über inzwischen durchgeführte Vernehmungen bezogen hatten, ohne sich förmlich dazu zu erklären, ob zu bestimmten Einzeltatsachen eine erneute Vernehmung bestimmter Zeugen für erforderlich erachtet würde. So ist zum Beispiel der Zeuge H. , auf dessen unterbliebene Vernehmung die Beklagte ihre Gehörsrüge stützt, ausweislich der im Verfahren vorgelegten Niederschriften am 11. September 2007 und 27. November 2007 durch den 5. Zivilsenat, am 28. Januar 2008 durch den 17. Zivilsenat, am 11. Juni 2008 durch den 15. Zivilsenat, am 4. November 2008 durch den 18. Zivilsenat, am 12. November 2008 durch den 20. Zivilsenat, am 3. März 2009 durch den 28. Zivilsenat, am 27. Juli 2009 durch den 13. Zivilsenat, am 6. August 2009 durch den 8. Zivilsenat und am 4. Februar 2010 durch den hier erkennenden 29. Zivilsenat des Berufungsgerichts vernommen worden. Die Beweisaufnahmen betrafen Parallelverfahren von Anlegern wegen ihrer Beteiligung an derselben Fondsgesellschaft und die Anleger sowie die Beklagte waren in diesen Verfahren von denselben Prozessbevollmächtigten vertreten.
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- Unter diesen Umständen ist es nicht rechtsfehlerhaft, dass das Berufungsgericht in der Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, er widersetze sich einer urkundenbeweislichen Verwertung insbesondere im Hinblick darauf, dass die bisherigen Vernehmungen nicht von vornherein den Be- reich der deliktischen Haftung abgedeckt hätten, nicht zugleich als Antrag auf Vernehmung bestimmter Zeugen - insoweit hatte sich die Beklagte in den vorangegangenen Rechtszügen auf verschiedene Zeugen bezogen - gewertet hat. In der besonderen prozessualen Situation, in der die Zeugen ohnehin bereits mehrfach zu dem seit Prozessbeginn wesentlichen Beweisthema der Prospektverantwortlichkeit vernommen waren, der erkennende Senat des Oberlandesgerichts sich selbst einen persönlichen Eindruck aufgrund einer früheren Vernehmung verschafft hatte, die Prozessbevollmächtigten mit diesen Aussagen vertraut und, wie ihr Vorbringen im wiedereröffneten Berufungsverfahren zeigt, in der Lage waren, die erhobenen Beweise - wenn auch unterschiedlich - auf der Grundlage der Vernehmungsprotokolle zu würdigen, durfte das Berufungsgericht auch ohne einen besonderen rechtlichen Hinweis erwarten, dass sich die Parteien auf seine Frage nach der urkundenbeweislichen Verwertung der Niederschriften präzise dazu erklärten, ob bestimmte Zeugen erneut vernommen werden sollten. Wenn die Beklagte dies mit Rücksicht auf eine mögliche deliktische Haftung, auf die das Berufungsgericht seine Verurteilung nicht gestützt hat, für erforderlich hielt, durfte das Berufungsgericht davon ausgehen, dass sich die Beklagte von einer erneuten Vernehmung zum Beweisthema der Prospektverantwortlichkeit keine weiteren Erkenntnisse versprach. Insoweit ist die prozessuale Konstellation mit dem von der Beschwerde angeführten Fall (BGH, Beschluss vom 17. November 2005 - V ZR 68/05, BeckRS 2005, 14899) nicht zu vergleichen.
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- Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 ZPO abgesehen.
Seiters Tombrink
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 25.04.2005 - 32 O 17210/04 -
OLG München, Entscheidung vom 13.01.2011 - 29 U 3339/05 -
Annotations
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
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der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.