Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Dez. 2019 - I ZR 94/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Dezember 2019 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Koch, den Richter Dr. Löffler, die Richterin Dr. Schwonke, die Richter Feddersen und Odörfer
beschlossen:
Streitwert: 15.000 €
Gründe:
- 1
- I. Die Beklagte, ein Automobilhersteller, warb am 19. Februar 2018 in ihrem Facebook-Auftritt mit einem Landschaftsbild ohne Fahrzeug und der Überschrift "Welchen Hochleistungssportler suchen wir?" sowie den Angaben "451 KW DIE LUFT VIBRIERT", "750 NM DER ASPHALT BEBT" und "3,4 SEK (0-100 KM/H) DER PULS STEIGT". Am 20. Februar 2018 löste die Beklagte dieses Rätsel auf und veröffentlichte auf ihrem Facebook-Auftritt die Angabe "Auflösung: Die BMW M 5 Limousine" sowie einen mit einem Link unterlegten "Hinweis nach § 5 Pkw-EnVKV: … mehr anzeigen", nach dessen Anklicken die Angaben zum Kraftstoffverbrauch und den CO2-Emissionen erschienen.
- 2
- Die Klägerin, ein Umwelt- und Verbraucherschutzverband, der in der Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes eingetragen ist, hält die Angaben zum Kraftstoffverbrauch und den CO2Emissionen für unzureichend und hat die Beklagte vorgerichtlich abgemahnt.
- 3
- Auf Antrag der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte unter Androhung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel verurteilt, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für neue Personenkraftwagen BMW M 5 Limousine, 441 kW im Internet zu werben, ohne die gemäß § 5 Abs. 1 und 2 Pkw-ENVKV in Verbindung mit Anlage 4 Abschnitt II Ziffer 2 und 3 erforderlichen Angaben über den offiziellen Kraftstoffverbrauch und die offiziellen spezifischen CO2-Emissionen des beworbenen Fahrzeugs automatisch in dem Augenblick zu machen, in dem erstmalig Motorisierungsangaben angezeigt werden, wenn dies geschieht wie am 19. Februar 2018 auf der Facebook-Seite https://www.facebook.com/BMWDeutschland und wiedergegeben in der Anlage K 2.
- 4
- Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
- 5
- II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Wert der von der Beklagten mit einer Revision geltend zu machenden Beschwer zwanzigtausend Euro nicht übersteigt (§ 26 Nr. 8 EGZPO).
- 6
- 1. Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer bemisst sich nach dem Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung des Urteils. Wendet sich - wie hier - die beklagte Partei mit der Revision gegen die in den Vorinstanzen zu ihren Lasten titulierte Unterlassungspflicht, so richtet sich der Wert der Beschwer nach ihrem gemäß § 3 ZPO grundsätzlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bemessenden Interesse an der Beseitigung dieser Verpflichtung. Der so zu bemessende Wert der Beschwer entspricht zwar nicht zwangsläufig, aber doch regelmäßig dem nach dem Interesse der klagenden Partei an dieser Verurteilung zu bemessenden Streitwert. Denn das Interesse des Klägers an einer Unterlassung ist pauschalierend und unter Berücksichtigung von Bedeutung, Größe und Umsatz des Verletzers, Art, Umfang und Richtung der Verletzungshandlung sowie subjektiven Umständen auf Seiten des Verletzers, wie etwa dem Verschuldensgrad, zu bewerten. Auf eine höhere Beschwer im Fall der Verurteilung hat die beklagte Partei deshalb schon in den Vorinstanzen hinzuweisen. Einer beklagten Partei, die weder die Streit- wertfestsetzung in den Vorinstanzen beanstandet noch sonst glaubhaft gemacht hat, dass für die Festlegung des Streitwerts maßgebliche Umstände, die bereits dort vorgebracht worden sind, nicht hinreichend berücksichtigt worden sind, ist es regelmäßig versagt, sich erstmals im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde noch auf einen höheren, die erforderliche Rechtsmittelbeschwer erreichenden Wert zu berufen (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschluss vom 6. Juni 2019 - I ZR 159/18, juris Rn. 5, mwN).
- 7
- 2. Nach diesen Grundsätzen beträgt der Beschwerdewert für den in Re- de stehenden Unterlassungsantrag 15.000 €.
- 8
- a) Die Beschwerde macht geltend, die Parteien seien in der ersten Instanz übereinstimmend davon ausgegangen, dass auf die geltend gemachten Verstöße jeweils ein Einzelstreitwert von 30.000 € entfalle. Die Beklagte sei durch das vom Berufungsgericht ausgesprochene Verbot nach dem Antrag zu 2 in Höhe von mindestens 30.000 € beschwert. Social Media wie Facebook und Instagram gehörten zu den derzeit wichtigsten Kanälen zur Kundenansprache und seien für die Beklagte von herausragender wirtschaftlicher Bedeutung. Allein auf Facebook habe die Beklagte über 1,3 Millionen Abonnenten. Das erlassene Verbot schränke die Möglichkeiten solcher Werbung stark ein, weil der Werbetreibende eine von geheimen Algorithmen der Social-Media-Plattformen vorgenommene Kürzung seines Beitrags auf einzelnen Anzeigegeräten der Verbraucher nicht vorhersehen und im Grunde nur verhindern könne, wenn er von entsprechenden Beiträgen gänzlich absehe. Eine derart weitgehende Einschränkung der Werbemöglichkeiten belaste die Beklagte mit nicht weniger als 30.000 €. Das Berufungsgericht habe unter Verstoß gegen die ihm obliegende Hinweispflicht erst nach der Streitwertfestsetzung auf seine Sichtweise zur Aufteilung des einheitlichen Unterlassungsantrags in zwei gesondert zu bewertende Streitgegenstände hingewiesen.
- 9
- b) Damit hat die Beschwerde keinen Erfolg.
- 10
- aa) Das Landgericht hat den Streitwert erster Instanz, in der noch ein weiterer, vom Landgericht zugesprochener Unterlassungsantrag Gegenstand war, auf insgesamt 60.000 € festgesetzt. Das Berufungsgericht hat den Streitwert für die Berufungsinstanz, deren Gegenstand der vom Landgericht abge- wiesene Unterlassungsantrag war, auf 30.000 € festgesetzt.In der mündlichen Berufungsverhandlung hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass es in dem Unterlassungsbegehren zwei gesondert angegriffene Beanstandungen und Lebenssachverhalte sehe: zum einen den Facebook-Eintrag vom 19. Februar 2018 mit der Rätselfrage, zum anderen den Facebook-Beitrag mit der Auflösung des Rätsels. Danach entfällt auf die beiden mit dem in die Berufungsinstanz gelangten Unterlassungsantrag geltend gemachten, etwa gleichwertigen Streitgegenstände jeweils ein Streitwert von 15.000 €. Diesem Wert entspricht die von der Beklagten geltend zu machende Beschwer in der Revisionsinstanz.
- 11
- bb) Die Beklagte hat nicht geltend gemacht, auf eine höhere Beschwer schon in der Berufungsinstanz hingewiesen zu haben. Sie kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, das Berufungsgericht habe die aus § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO folgende Hinweispflicht verletzt, indem es erst nach der Streitwertfestsetzung auf seine Sichtweise zur Aufteilung des einheitlichen Unterlassungsantrags in zwei gesondert zu bewertende Streitgegenstände hingewiesen habe.
- 12
- Wie dem Protokoll der mündlichen Berufungsverhandlung zu entnehmen ist, hat das Berufungsgericht zunächst den Streitwert der Berufungsinstanz auf 30.000 € festgesetzt und sodann darauf hingewiesen, dass es vomVorliegen zweier Streitgegenstände ausgehe. Daraufhin hat die Klägerin die Berufung gegen die Abweisung dieses Unterlassungsantrags, soweit auf den ersten dieser beiden Streitgegenstände gestützt, zurückgenommen. Aus dieser Sachlage ging hinreichend deutlich hervor, dass auf den verbliebenen Streitgegenstand nur ein Bruchteil des festgesetzten Streitwerts entfallen konnte, so dass die Beklagte hinreichend Anlass und auch Gelegenheit hatte, noch in der mündlichen Verhandlung eine den Betrag von 20.000 € übersteigende Beschwer geltend zu machen.
- 13
- III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 30.10.2018 - 1 HKO 6182/18 -
OLG München, Entscheidung vom 14.03.2019 - 29 U 3963/18 -
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Annotations
(1) Hersteller und Händler, die Werbeschriften erstellen, erstellen lassen, weitergeben oder auf andere Weise verwenden, haben sicherzustellen, dass in den Werbeschriften Angaben über den offiziellen Kraftstoffverbrauch und die offiziellen spezifischen CO2-Emissionen der betreffenden Modelle neuer Personenkraftwagen nach Maßgabe von Abschnitt I der Anlage 4 gemacht werden.
(2) Absatz 1 Satz 1 gilt entsprechend für
- 1.
in elektronischer Form verbreitetes Werbematerial, - 2.
Werbung durch elektronische, magnetische oder optische Speichermedien;
(3) Die Verpflichtungen der Hersteller nach § 3 Abs. 3 gelten entsprechend für Angaben, die erforderlich sind, um Werbeschriften, zur Verbreitung in elektronischer Form bestimmtes Werbematerial und elektronische, magnetische oder optische Speichermedien nach den Absätzen 1 und 2 zu erstellen.
(1) Das Bundesamt für Justiz führt eine Liste der qualifizierten Einrichtungen und veröffentlicht sie in der jeweils aktuellen Fassung auf seiner Internetseite. Es übermittelt die Liste mit Stand zum 1. Januar und zum 1. Juli eines jeden Jahres an die Europäische Kommission unter Hinweis auf Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2009/22/EG.
(2) Ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, Interessen der Verbraucher durch nicht gewerbsmäßige Aufklärung und Beratung wahrzunehmen, wird auf seinen Antrag in die Liste eingetragen, wenn
- 1.
er mindestens drei Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, oder mindestens 75 natürliche Personen als Mitglieder hat, - 2.
er zum Zeitpunkt der Antragstellung seit mindestens einem Jahr im Vereinsregister eingetragen ist und ein Jahr seine satzungsmäßigen Aufgaben wahrgenommen hat, - 3.
auf Grund seiner bisherigen Tätigkeit sowie seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung gesichert erscheint, dass er - a)
seine satzungsgemäßen Aufgaben auch künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen wird und - b)
seine Ansprüche nicht vorwiegend geltend machen wird, um für sich Einnahmen aus Abmahnungen oder Vertragsstrafen zu erzielen,
- 4.
den Mitgliedern keine Zuwendungen aus dem Vereinsvermögen gewährt werden und Personen, die für den Verein tätig sind, nicht durch unangemessen hohe Vergütungen oder andere Zuwendungen begünstigt werden.
(3) Über die Eintragung wird durch einen schriftlichen Bescheid entschieden, der dem antragstellenden Verein zuzustellen ist. Auf der Grundlage eines wirksamen Bescheides ist der Verein unter Angabe des Namens, der Anschrift, des zuständigen Registergerichts, der Registernummer und des satzungsmäßigen Zwecks in die Liste einzutragen.
(4) Auf Antrag erteilt das Bundesamt für Justiz einer qualifizierten Einrichtung, die in der Liste eingetragen ist, eine Bescheinigung über ihre Eintragung.
(1) Hersteller und Händler, die Werbeschriften erstellen, erstellen lassen, weitergeben oder auf andere Weise verwenden, haben sicherzustellen, dass in den Werbeschriften Angaben über den offiziellen Kraftstoffverbrauch und die offiziellen spezifischen CO2-Emissionen der betreffenden Modelle neuer Personenkraftwagen nach Maßgabe von Abschnitt I der Anlage 4 gemacht werden.
(2) Absatz 1 Satz 1 gilt entsprechend für
- 1.
in elektronischer Form verbreitetes Werbematerial, - 2.
Werbung durch elektronische, magnetische oder optische Speichermedien;
(3) Die Verpflichtungen der Hersteller nach § 3 Abs. 3 gelten entsprechend für Angaben, die erforderlich sind, um Werbeschriften, zur Verbreitung in elektronischer Form bestimmtes Werbematerial und elektronische, magnetische oder optische Speichermedien nach den Absätzen 1 und 2 zu erstellen.
Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)