Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Sept. 2019 - I ZR 53/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. September 2019 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Koch, den Richter Prof. Dr. Schaffert, die Richterin Dr. Schwonke, den Richter Feddersen und die Richterin Dr. Schmaltz
beschlossen:
Gründe:
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- I. Die gemäß § 321a ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Anhörungsrüge ist nicht begründet. Der Anspruch des Klägers aus Art. 103 Abs. 1 GG auf rechtliches Gehör ist durch das Senatsurteil vom 7. März 2019 (I ZR 53/18, GRUR 2019, 947 = WRP 2019, 1025 - Bring mich nach Hause) nicht verletzt.
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- 1. Die Beklagte rügt, der Senat habe sich mit von ihr gesehenen Widersprüchen zwischen dem vom Senat angewendeten Haftungsmodell und der in diesem Verfahren ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 15. September 2016 - C-484/14, GRUR 2016, 1146 - McFadden/Sony Music ) nicht auseinandergesetzt. Der Senat sei insbesondere nicht auf die Frage eingegangen , ob eine neuerliche Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union veranlasst gewesen sei. Ferner habe der Senat ohne jede sachliche Begründung und ohne Grundlage in den tatrichterlichen Feststellungen angenommen, dass die anlasslose Auferlegung der Pflicht zur Verschlüsselung mittels eines Passworts geeignet sei, das Geschäftsmodell der gewerblichen Bereitstellung von Internetzugängen unverhältnismäßig zu erschweren.
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- 2. Die Gehörsrüge der Beklagten ist nicht begründet.
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- a) Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht jedoch der von den Beteiligten vertretenen Rechtsansicht zu folgen. Die Verfahrensgarantie des Art. 103 Abs. 1 GG ist erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kommt deshalb erst in Betracht, wenn im Einzelfall besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, dass Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Die Gewährleistung des Art. 103 Abs. 1 GG beschränkt sich dabei nicht darauf, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern, sondern verbürgt den Verfahrensbeteiligten auch das Recht, sich zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfG, NJW 2009, 1584 f. [juris Rn. 14] mwN; FamRZ 2013, 1953 Rn. 14).
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- b) Der Senat hat sich mit dem von der Beklagten als übergangen gerügten Vortrag befasst und ist im Rahmen der nach der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs vorzunehmenden Abwägung der betroffenen Grundrechte zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auferlegung einer anlasslosen Verhaltenspflicht im Falle eines gewerblich betriebenen Internetzugangs nicht angemessen und eine erneute Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht erforderlich ist (BGH, WRP 2019, 1025 Rn. 21, 23, 39 - Bring mich nach Hause). In dem Umstand, dass diese rechtliche Bewertung vom Standpunkt der Beklagten abweicht, liegt keine Verletzung rechtlichen Gehörs.
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- Der vom Senat vertretene Rechtsstandpunkt steht - entgegen den Ausführungen in der Anhörungsrüge - auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Soweit der Gerichtshof angenommen hat, eine auf die Sicherung eines Anschlusses durch ein Passwort gerichtete Anordnung verletze nicht den Wesensgehalt des Rechts des Zugangsanbieters auf unternehmerische Freiheit (EuGH, GRUR 2016, 1146 Rn. 91 - McFadden/Sony Music), bezog sich diese Annahme nicht auf die - im vorliegenden Fall in Rede stehende - anlasslose Sicherung, sondern die Möglichkeit, eine solche Maßnahme nach einer erfolgten Rechtsverletzung anzuordnen.
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- II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO analog.
Feddersen Schmaltz
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 20.04.2017 - 7 O 14719/12 -
OLG München, Entscheidung vom 15.03.2018 - 6 U 1741/17 -
Annotations
(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn
- 1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Dem Gegner ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rüge an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rüge als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies auf Grund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. § 343 gilt entsprechend. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)