Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2001 - 5 StR 87/01

bei uns veröffentlicht am14.06.2001

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 87/01

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 14. Juni 2001
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässigen Vollrausches
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juni 2001

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Oktober 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg, die indes nur zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs führt. Zum Schuldspruch ist die Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, da sich auch die weitere Verfahrensrüge nur auf den Rechtsfolgenausspruch bezieht und die Überprüfung des Schuldspruchs auf die Sachrüge keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
Zu Recht beanstandet die Revision, die Strafkammer habe das Urteil nach Wiedereintritt in die Verhandlung ohne die unerläßliche erneute – äußerlich erkennbare – Beratung verkündet. Nachdem die Strafkammer nach der Urteilsberatung erneut in die Verhandlung eingetreten war, um sich der Bedingung für einen vom Verteidiger gestellten Hilfsbeweisantrag zu versichern , waren Staatsanwalt und Verteidiger bei den Anträgen aus ihren vorherigen Schlußvorträgen verblieben; auch der Angeklagte hatte bei erneuter Gelegenheit zum letzten Wort nichts weiter erklärt. Indes hatte die als Beistand zugelassene Ehefrau des Angeklagten eine Erklärung abgegeben, wie die Revision vorträgt, über ihr und ihres Ehemannes Bedauern über die Tat. Unmittelbar danach wurde das Urteil verkündet, ohne daß das Gericht sich zuvor nochmals zur Beratung zurückgezogen oder wenigstens die unerläßliche erneute, abschließend verbindliche – wenngleich möglicherweise ganz kurze – Urteilsberatung durch eine nach außen erkennbare Verständigung zwischen den Gerichtsmitgliedern im Sitzungssaal durchgeführt hätte.
Der darin liegende Verstoß gegen § 260 Abs. 1 StPO (BGH StV 1998, 530 m.w.N.) steht für das Revisionsgericht aufgrund der anwaltlichen Versicherung des Verteidigers in der Revisionsbegründung, der Sitzungsniederschrift , die sich – entgegen entsprechender Empfehlung (BGHR StPO § 260 Abs. 1 – Beratung 1; BGH, Beschluß vom 23. November 2000 – 3 StR 428/00) – zu dem nicht protokollierungspflichtigen Vorgang der Beratung verschweigt, und nach dem sonst durchgeführten Freibeweisverfahren fest. Es bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte, die gegen die Richtigkeit des detaillierten Sachvortrages des Verteidigers sprechen. Daß sich das Gericht – was regelmäßig empfehlenswert ist – nicht ins Beratungszimmer zurückgezogen hat, steht fest. An eine Beratungsgestaltung im Sitzungssaal haben die Strafkammervorsitzende, der Staatsanwalt und die Protokollführerin keine konkrete Erinnerung; die Vermutung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, eine prozeßordnungswidrige Verfahrensweise wäre ihm aufgefallen, ist ohne relevanten Beweiswert. Auch nach der dienstlichen Ä ußerung der beisitzenden Richterin bleibt jedenfalls zu besorgen , daß eine Verständigung unter den Gerichtsmitgliedern im Sitzungssaal nicht, wie mindestens geboten, in einer für die Verfahrensbeteiligten äußerlich erkennbaren Weise stattgefunden hat. Eine Befragung der Schöffen hält der Senat aufgrund der bislang gegebenen Beweislage nicht mehr für sachdienlich.
Ein Beruhen des Urteils auf dem dargelegten Verfahrensfehler kann in Einzelfällen ausgeschlossen werden (vgl. BGH NStZ 2001, 106), so hier zum Schuldspruch, der von dem geringfügigen neuen Verhandlungsstoff, der Erklärung der Ehefrau, auch nach dem Revisionsvorbringen überhaupt nicht betroffen und über den zuvor beraten war. Indes läßt sich nicht ausschließen, daß der Rechtsfolgenausspruch in der erforderlichen ergänzenden Beratung, die als verfahrensfehlerhaft unterblieben zu werten ist, abweichend bewertet worden wäre, auch wenn die Berufsrichterinnen der Stellungnahme der Ehefrau des Angeklagten keine neuen, bislang in der Hauptverhandlung noch nicht erörterten Umstände entnommen haben.
Der Senat sieht keinen Anlaß, zum Rechtsfolgenausspruch gehörige Feststellungen, soweit sie sich auf § 21 oder § 64 StGB beziehen, von der nach § 353 Abs. 2 StPO veranlaßten Aufhebung der Feststellungen auszunehmen. Auch in der erneuten Hauptverhandlung wird daher zur Alkoholproblematik des Angeklagten ein Sachverständiger hinzuzuziehen sein, mit dessen Hilfe erneut aufzuklären sein wird, ob der Angeklagte bei der Tathandlung des Sichberauschens uneingeschränkt steuerungsfähig war und ob die Voraussetzungen für seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vorlie- gen. Zur letztgenannten Frage merkt der Senat an, daß im Blick auf die vorliegend abgeurteilte Tat die Verneinung einer Gefahr neuer erheblicher Straftaten problematisch erscheint (vgl. BGHR StGB § 64 – Gefährlichkeit 7).
Harms Basdorf Tepperwien Gerhardt Brause

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafprozeßordnung - StPO | § 260 Urteil


(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils. (2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, gena

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils.

(2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, genau zu bezeichnen.

(3) Die Einstellung des Verfahrens ist im Urteil auszusprechen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Die Urteilsformel gibt die rechtliche Bezeichnung der Tat an, deren der Angeklagte schuldig gesprochen wird. Hat ein Straftatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur rechtlichen Bezeichnung der Tat verwendet werden. Wird eine Geldstrafe verhängt, so sind Zahl und Höhe der Tagessätze in die Urteilsformel aufzunehmen. Wird die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten, die Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt, der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt oder von Strafe abgesehen, so ist dies in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen. Im übrigen unterliegt die Fassung der Urteilsformel dem Ermessen des Gerichts.

(5) Nach der Urteilsformel werden die angewendeten Vorschriften nach Paragraph, Absatz, Nummer, Buchstabe und mit der Bezeichnung des Gesetzes aufgeführt. Ist bei einer Verurteilung, durch die auf Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt wird, die Tat oder der ihrer Bedeutung nach überwiegende Teil der Taten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden, so ist außerdem § 17 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes anzuführen.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.