Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Jan. 2011 - 5 StR 547/10

bei uns veröffentlicht am11.01.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 547/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 11. Januar 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Januar 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 27. August 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; davon ausgenommen sind diejenigen zum Geschehensablauf der rechtswidrigen Tat, die aufrechterhalten bleiben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Beschuldigten hat mit der Sachrüge im Umfang der Beschlussformel Erfolg.
2
Der Maßregelausspruch kann nicht bestehen bleiben, denn die Gefährlichkeitsprognose hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Insoweit hat der Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme vom 14. Dezember 2010 ausgeführt:
3
„a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 11 und 26). Nicht ausreichend sind hingegen eine lediglich latente Gefahr und die bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten.
4
Die vom Landgericht mitgeteilten Ausführungen des Sachverständigen (UA S. 10 f.) beschränken sich im Kern auf die Wiedergabe von Befundtatsachen und lassen die Darstellung wesentlicher Anknüpfungstatsachen vermissen (vgl. Senat, Beschluss vom 14. September 2010 − 5 StR 229/10). Es kann vor diesemHintergrund nicht nachvollzogen werden, worauf die Überzeugung des Gerichts gründet, dass gleichartige Taten wahrscheinlich sind. Soweit das Landgericht auf akustische Halluzinationen auch außerhalb der in Brand gesetzten Wohnung abstellt , werden diese nicht näher erläutert (UA S. 11). Insoweit ist nicht nachprüfbar, ob die Wahnvorstellungen auf gleichartige Taten hindeuten. Der Hinweis darauf, dass sich die krankhafte seelische Störung in ‚fremdaggressivem Verhalten’ äußere (UA S. 11), entbehrt einer tatsachenfundierten Darlegung der Grundlage dieser Einschätzung (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 − 4 StR 605/09; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 19).
5
b) Das Landgericht hätte sich darüber hinaus auch mit naheliegenden gegen eine Gefährlichkeit sprechenden Umständen auseinandersetzen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. September 2008 − 2 StR 291/08). Sowohl die Tatsache, dass der seit 2003 an einer paranoidhalluzinatorischen Schizophrenie leidende Beschuldigte bis März 2010 nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten war, als auch dessen Bestreben, die Wohnräume so selten wie möglich aufzusuchen (UA S. 5), stellen Umstände dar, die das Gericht in seine Überlegung hätte einbeziehen müssen.“
6
Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an. Da der Rechtsfehler nicht die Feststellungen zum Geschehensablauf der rechtswidrigen Tat betrifft , können diese bestehen bleiben.
Schaal Roggenbuck Schneider König Bellay

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

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Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Jan. 2010 - 4 StR 605/09

bei uns veröffentlicht am 19.01.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 605/09 vom 19. Januar 2010 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 19. Januar 2010

Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Sept. 2010 - 5 StR 229/10

bei uns veröffentlicht am 14.09.2010

5 StR 229/10 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 14. September 2010 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. September 2010 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten w
3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Jan. 2011 - 5 StR 547/10.

Bundesgerichtshof Urteil, 29. März 2011 - 1 StR 682/10

bei uns veröffentlicht am 29.03.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 682/10 vom 29. März 2011 in dem Sicherungsverfahren gegen wegen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. März 2011, a

Bundesgerichtshof Urteil, 02. März 2011 - 2 StR 550/10

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 550/10 vom 2. März 2011 in dem Sicherungsverfahren gegen Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. März 2011, an der teilgenommen haben: Richter am Bundesgerichtshof Prof.

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Dez. 2014 - 2 StR 170/14

bei uns veröffentlicht am 10.12.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 S t R 1 7 0 / 1 4 vom 10. Dezember 2014 in der Strafsache gegen wegen Diebstahls Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Dezember 2014, an der teilgenommen haben: Vorsitze

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

5 StR 229/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 14. September 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. September 2010

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 3. Dezember 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
a) Bei dem zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 53 Jahre alten, nicht vorbestraften Angeklagten besteht seit vielen Jahren ein wahnhaftes paranoides Zustandsbild, das durch Wahninhalte im Sinne eines Verfolgungsund Bedrohungserlebens geprägt ist. Infolge seiner wahnhaften Erkrankung fühlte er sich zunehmend von Anderen verfolgt. Unter anderem trug er öfter ein Küchenmesser bei sich, wenn er seine Wohnung verließ, um sich gegen vermeintliche Angreifer verteidigen zu können.
4
Der Angeklagte lebte mit seiner Lebensgefährtin, der 72-jährigen Zeugin K. , in einem Mehrfamilienhaus in Berlin. Am Abend des 28. Juni 2008 bemerkten Gäste der später geschädigten 20-jährigen Zeugin M. , einer Mitbewohnerin des Mehrfamilienhauses, dass aus der gemeinsamen Wohnung des Angeklagten und seiner Lebensgefährtin große Mengen Wasser flossen. Die jungen Leute gelangten zu der Vermutung, dass „die alte Frau Hilfe brauche“; den Angeklagten hatten sie bislang nicht als Mitmieter wahrgenommen. Sie begaben sich zu der verschlossenen Tür des Laubenganges, der zu der Wohnung führt, riefen und klingelten. Tatsächlich benötigte die Lebensgefährtin des Angeklagten keine Hilfe. Vielmehr hatte sie sich darüber geärgert, dass es in dem Hausflur vermeintlich nach Urin rieche und hatte mehrere Eimer Wasser in das Treppenhaus gegossen. Da keine Reaktion der Zeugin K. erfolgte, wurden die Zeugen in ihrer Annahme bestärkt, dass ein Unglücksfall vorliege. Sie traten daraufhin die Tür des Laubengangs ein und begaben sich zur Wohnungstür, die offen stand. Nach nochmaligem Klingeln und Rufen betraten die jungen Leute, voran der Zeuge W. , die Wohnung. Plötzlich stand der Angeklagte vor ihm, der die Situation verkannte und die vor der Wohnungstür stehenden Zeugen für Angreifer hielt. Der Angeklagte ergriff sein im Flur bereit liegendes Küchenmesser und stach damit mehrmals in Richtung des Zeugen W. , der reflexartig nach hinten auswich. Dadurch geriet die unmittelbar hinter ihm stehende Zeugin M. ins Straucheln und fiel zu Boden. Der Angeklagte stach viermal von oben auf sie ein und fügte ihr Stichverletzungen am linken Oberschenkel und linken Oberarm sowie an der linken Schulter zu.
5
Danach rannte er hinter den übrigen flüchtenden Zeugen in das Treppenhaus , wo er auf die bislang unbeteiligte Zeugin T. traf, die gerade das Haus verlassen wollte. Der Angeklagte erblickte die Zeugin, als sie angesichts der rasch an ihr vorbei laufenden jungen Leute verängstigt an die Wand des Treppenhauses gedrückt stand. Mit dem Messer stach er mindestens zweimal auf die Zeugin T. ein, die er zur Gruppe der vermeintlichen Angreifer zählte. Er traf sie im Bereich des Brustkorbes und des Bauches; sie erlitt eine erhebliche Nierenverletzung. Als zwei Polizeibeamte den Angeklagten kurz nach der Tat in seiner Wohnung festnehmen wollten, hielt er auch die beiden Beamten für Angreifer und widersetzte sich seiner Festnahme , indem er um sich schlug und trat.
6
b) Nach Überzeugung der sachverständig beratenen Strafkammer befand sich der Angeklagte aufgrund seiner paranoiden Erkrankung bei diesen Taten in einem Zustand, in dem bei ihm „sowohl die Einsichts- wie auch die Steuerungsfähigkeit“ aufgehoben war. Infolge seines Zustandes seien weitere erhebliche rechtswidrige Taten „wie die verfahrensgegenständlichen“ zu erwarten. Eine psychiatrische Behandlung des Angeklagten könne nur unter den geschützten Bedingungen des Krankenhauses des Maßregelvollzuges erfolgen.
7
2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt. Die Anordnung nach § 63 StGB setzt insbesondere die positive Feststellung eines länger dauernden, nicht nur vorübergehenden Zustandes voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 22, 27). Sie bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung, weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Den danach zu stellenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
8
a) Das Landgericht hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der Anlasstat schuldunfähig war. Dabei ist noch nicht ausschlaggebend, dass die Strafkammer in rechtsfehlerhafter Weise einen Ausschluss sowohl der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit annimmt (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 21 Rdn. 5). Die Strafkammer schließt sich bei der Beurteilung der Frage der Schuldfähigkeit dem Sachverständigen an, ohne dessen wesentliche Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 – 5 StR 123/10 m.w.N.). Aus der Schilderung der Biografie des Angeklagten wird nicht nachvollziehbar, dass er „seit vielen Jahren“ an einem wahnhaft paranoiden Zustandsbild leidet. Der Angeklagte hat ein Philosophiestudium abgeschlossen und in der DDR als Fachbibliothekar, später als Büroangestellter gearbeitet und absolvierte erfolgreich eine Fortbildung im Bereich der Buchführung und des Rechnungswesens. Seine beruflichen Tätigkeiten beendete er 2001, da er sich überqualifiziert fühlte. In dem Mehrfamilienhaus wohnte er mit seiner Lebensgefährtin „seit vielen Jahren“, ohne dass er von einigen der ebenfalls dort wohnenden Zeugen überhaupt als Mitmieter wahrgenommen worden war. Die Feststellungen zur Biografie des Angeklagten ergeben keine Hinweise auf etwaige frühere Manifestationen seiner psychischen Erkrankung oder krankheitsbedingte Verhaltensauffälligkeiten ; zu der bisherigen Entwicklung der angenommenen psychischen Erkrankung des Angeklagten verhält sich das Urteil nicht.
9
Dem Zusammenhang der Feststellungen ist zu entnehmen, dass sich der Angeklagte nach der Tat über ein Jahr lang auf freiem Fuß befand, bevor er durch das Amtsgericht Lichtenberg in Berlin am 25. August 2009 gemäß § 8 PsychKG i.V.m. § 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 70h FGG untergebracht wurde. Zum Grund seiner Unterbringung trifft das Urteil keine Feststellungen. Es wird lediglich mitgeteilt, dass der Sachverständige im vorliegenden Verfahren den Angeklagten im Mai 2009 in dessen Wohnung untersucht hat, da dieser seine Wohnung aus Angst nicht verlassen wollte. Dabei hat der Sachverständige in der Wohnung „besondere Vorrichtungen“ bemerkt, die der Angeklagte aufgrund seiner Wahnvorstellungen zum Schutz vor Lausch- und Spähangriffen installiert hatte (Laufenlassen eines Zimmerspringbrunnens; Bekleben der Zimmerdecke mit Klebezetteln). Als Beleg dafür, dass sich der Angeklagte bei Begehung der Anlasstat in einem die Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand befand, reicht dies indes nicht aus. http://www.juris.de/jportal/portal/t/3vd1/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR006290950BJNE047603301&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/3vd1/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE008702307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 6 -
10
b) Darüber hinaus begegnet auch die Gefährlichkeitsprognose rechtlichen Bedenken. Angesichts des erheblichen Eingriffs, der mit der Unterbringung nach § 63 StGB verbunden ist, hat das Landgericht seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten nicht hinreichend begründet. Insoweit hat es lediglich ausgeführt, die Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten ergebe, dass von ihm infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten „wie die verfahrensgegenständlichen“ zu erwarten seien. Dabei werden die maßgeblichen Darlegungen des Sachverständigen nicht mitgeteilt. Nicht bedacht wird auch, dass es zu der Tat durch eine Verkettung von Umständen gekommen ist, die der Angeklagte nicht zu vertreten hatte und die nicht nur ihn, sondern auch seine Lebensgefährtin zu der irrigen Annahme veranlassten, die jungen Leute wollten sie beide angreifen (UA S. 6).
11
3. Die Sache bedarf insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben; denn nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es möglich, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen. Dies bedeutet, dass auf die Revision des Angeklagten in Fällen wie dem vorliegenden ein Freispruch aufgehoben werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09; Kuckein in KK 6. Aufl. § 358 Rdn. 24a). Die Aufhebung (auch) des Freispruchs entspricht im vorliegenden Fall dem Ziel des Gesetzgebers, durch die Neuregelung zu vermeiden, dass nach einer erfolgreichen Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB die Tat ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der An- http://www.juris.de/jportal/portal/t/3vd1/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=DRS-BT-16_1344&doc.part=D&doc.price=0.0#focuspoint - 7 - geklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BT-Drucks 16/1344 S. 17 f.).
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Schneider Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 605/09
vom
19. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 19. Januar 2010 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 29. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen diese Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit der Sachrüge und beanstandet darüber hinaus das Verfahren.

I.


2
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Einer Erörterung der erhobenen Verfahrensrügen bedarf es daher nicht.
3
1. Das Landgericht hat nicht geprüft, ob der Angeklagte vom Versuch des Totschlags mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist (§ 24 StGB). Hierzu bestand nach den getroffenen Feststellungen Anlass:
4
Am Abend des 11. Juli 2008 hielten sich die ehemalige Lebensgefährtin des Angeklagten, D. M. , und deren Tochter im Haus der Familie S. auf. Kurz nach Mitternacht verschaffte sich der Angeklagte gewaltsam Zutritt zum Haus. Unter lauten Beschimpfungen schlug der Angeklagte mit einer Axt zunächst auf den Kopf von D. M. ein, sodann auf den Kopf von C. S. . C. S. wurde daraufhin ohnmächtig. Während sich der Angeklagte erneut D. M. zuwandte, betrat U. S. das Wohnzimmer. Der Angeklagte hieb mit der Axt sofort auf den Kopf des Geschädigten S. ein und zerschlug dabei zwei Stühle, mit denen dieser den Angriff des Angeklagten abzuwehren versuchte. U. S. gelang schließlich die Flucht zum Nachbarhaus.
5
2. Vor dem Hintergrund der Feststellungen bestand Anlass für die Prüfung der Frage, ob der Angeklagte vom unbeendeten oder beendeten Versuch des Totschlags strafbefreiend zurückgetreten ist (§ 24 Abs.1 Satz 1 StGB).
6
a) Für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf an, ob der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. BGHSt 39, 221, 227; 35, 90; 33, 295, 298; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 29). Ist dies der Fall, so ist der Versuch beendet und damit ein strafbefreiender Rücktritt durch bloßes Absehen von weiteren tatbestandsmäßigen Handlungen nicht möglich. Rechnet der Täter dagegen nach der letzten Ausführungshandlung nach seinem Kenntnisstand (noch) nicht mit dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges, und sei es auch nur in Verkennung der durch seine Handlung verursachten Gefährdung, so ist der Versuch unbeendet, wenn die Vollendung aus der Sicht des Täters noch möglich ist (BGHSt 39, 221, 227), so dass die freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung genügt.
7
b) Der neue Tatrichter wird die Rücktrittsvoraussetzungen – für jeden Geschädigten gesondert – unter Berücksichtigung der Vorstellungen des Angeklagten nach Abschluss der jeweils letzten konkret vorgenommenen Ausführungshandlung prüfen müssen, da sich die Gründe des angefochtenen Urteils dazu nicht verhalten. Dabei wird es hinsichtlich der Geschädigten C. S. auf die Vorstellungen des Angeklagten zu dem Zeitpunkt ankommen, in dem diese infolge seiner Axthiebe ohnmächtig wurde, woraufhin er von ihr abließ. Hätte er sich bei Aufgabe der weiteren Tatausführung hier keine Vorstellungen über die Folgen seines Angriffs auf die Geschädigte gemacht, kommt ein beendeter Versuch in Betracht (BGHSt 40, 304, 306). Was einen möglichen Rücktritt vom (unbeendeten) Versuch des Totschlags im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB zum Nachteil der D. M. angeht, als sich der Angeklagte von dieser Geschädigten ab- und dem U. S. zuwandte, wird das Landgericht insbesondere bedenken müssen, dass Strafbefreiung im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB den Entschluss des Täters voraussetzt, auf die weitere Durchführung der Tat im Ganzen und endgültig zu verzichten (BGHSt 7, 296, 297; 35, 184, 187). Nicht aufgegeben ist die Tat dagegen, solange der Täter mit dem Versuch ihrer Begehung lediglich vorübergehend innehält (BGH, Urteil vom 1. April 2009 – 2 StR 571/08, NStZ 2009, 501). Im Hinblick auf den Geschädigten U. S. wird zu erörtern sein, ob der Angeklagte die Vorstellung hatte, er könne U. S. noch erreichen, als dieser sich nach der letzten Angriffshandlung des Angeklagten zur Flucht wandte, ob also aus seiner Sicht eine Vollendung noch möglich war. Anderenfalls und auch dann, wenn der Ange- klagte zu diesem Zeitpunkt davon ausging, der Geschädigte S. werde die Polizei alarmieren oder Hilfe holen, wird ein fehlgeschlagener Versuch in Betracht zu ziehen sein.

II.


8
Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass die bisher zur Schuldfähigkeit des Angeklagten getroffenen Feststellungen und Bewertungen nicht geeignet sind, die Maßregelanordnung zu rechtfertigen.
9
1. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 34, 22, 26 f.; 42, 385 f.). Davon geht zwar auch das Landgericht aus. Es hat jedoch die erforderliche, objektiv festzustellende erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB (nur) vor dem Hintergrund des Zusammenwirkens der akuten Alkoholintoxikation (Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit 2,31 ‰) mit einer - in den Urteilsgründen im Übrigen an keiner Stelle näher belegten - Alkoholabhängigkeit sowie einer wahnhaften Störung auf der Basis einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur bejaht. Die Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB setzt aber voraus, dass der Ausschluss oder die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf einem länger andauernden psychischen Defekt des Täters beruht. Hat letztlich der Genuss von Alkohol seine Schuldfähigkeit bei Begehung der Tat aufgehoben oder erheblich vermindert , so ist für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur Raum, wenn der Täter an einer krankhaften Alkoholsucht leidet, in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist oder der Täter an einer länger dauernden krankhaften seelisch-geistigen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies im konkreten Fall getan haben (BGHSt 44, 338, 339; 44, 369, 373).
10
2. Rechtlichen Bedenken begegnet der Maßregelausspruch auch deshalb , weil sich das Landgericht nur unzureichend mit der Gefährlichkeitsprognose auseinandergesetzt hat. Insoweit beschränkt sich das Urteil auf die Feststellung , die Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit ergebe sich aus den Ausführungen der forensisch-psychiatrischen Sachverständigen, wonach nicht nur die wahnhafte Störung vor dem Hintergrund einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur, sondern auch die Alkoholabhängigkeit beim Angeklagten untherapiert fortbestünden; Behandlungsangebote habe der vorläufig untergebrachte Angeklagte bislang nicht angenommen. Diese Erwägungen genügen unabhängig von der auch insoweit erforderlichen, hier aber fehlenden Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten (vgl. BGHSt 27, 246, 248) schon deshalb nicht, weil das Urteil nicht deutlich macht, jedenfalls aber nicht ausreichend mit Tatsachen belegt, dass bei dem Angeklagten die begründete Wahrscheinlichkeit weiterer (einschlägiger) Straftaten besteht (zum Maßstab vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 19). Dies gilt umso mehr, als (einschlägige) Vorstrafen des Angeklagten in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt werden und die Motivation zur Tat wesentlich in konstellativen Faktoren zu sehen ist, die dem persönlichen Lebensbereich des Angeklagten vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen mit seiner Lebensgefährtin zuzuordnen sind, die sich kurz zuvor von ihm getrennt hatte. Insoweit genügt die bloße Wiederholungsmöglichkeit ebenso wenig wie eine nur latente Gefahr weiterer Straftaten (Senatsbeschluss vom 8. Juli 1999 - 4 StR 283/99, NStZ 1999, 610). Auch die Frage der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf daher er- neuter Prüfung, gegebenenfalls unter Einschaltung eines neuen Sachverständigen.
Tepperwien Maatz Solin-Stojanović
Ernemann Franke

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.