Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Jan. 2012 - 5 StR 482/11

bei uns veröffentlicht am25.01.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 482/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 25. Januar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Januar 2012

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. Juni 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die mit der Sachrüge geführte und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts litt der Angeklagte im frühen Pubertätsstadium an depressiven Verstimmungen. Im Alter von 15 Jahren mündeten sie in eine massive Angst vor HIV- bzw. Bakterieninfektionen ein. Aus Sorge, er könne absichtlich angesteckt werden, versuchte er sich in dieser Zeit zu erhängen. 2004 lernte er das Tatopfer K. kennen. Die Zwangssymptomatik verstärkte sich. Der Angeklagte war den ganzen Tag mit Waschen, Duschen, Aufräumen und Desinfizieren beschäftigt , weswegen er kaum mehr aus dem Haus ging. Bemühungen um therapeutische Hilfe schlugen fehl, weil er wegen der befürchteten Infektionsgefahr keine Verkehrsmittel benutzen wollte. Trotz aus der Erkrankung resultierender Partnerschaftsschwierigkeiten wurde im Oktober 2008 eine gemein- same Tochter geboren. 2009 trennte sich das Paar. Gleichwohl hielt sich der Angeklagte tagsüber und oft auch nachts im Einverständnis mit FrauK. in deren Wohnung auf und kümmerte sich um die gemeinsame Tochter.
3
Ende 2009 ging Frau K. eine neue Beziehung ein, die sie vor dem Angeklagten aus Angst vor Streitigkeiten ebenso verheimlichte wie ihre in der zweiten Hälfte des Jahres 2010 gefasste Absicht, mit der gemeinsamen Tochter zum neuen Partner nach Bamberg zu ziehen. Der Angeklagte vermutete jedoch, dass Frau K. einen neuen Partner hatte. Er fürchtete, dass sie ihm seine Tochter wegnehmen würde. Im Spätsommer 2010 kam es deswegen zu einer körperlichen Auseinandersetzung, bei der Frau K. Hämatome erlitt.
4
Zwischen Frau K. und dem Angeklagten war vereinbart, den 24. Dezember 2010 gemeinsam zu feiern. Tatsächlich wollte sie aber an diesem Tag mit der Tochter zu ihrem Lebensgefährten fahren. Am 23. Dezember 2010 gegen 15.50 Uhr informierte sie den Angeklagten darüber. Der Angeklagte versuchte, Frau K. umzustimmen, was ihm aber nicht gelang. Mit weinerlicher Stimme bettelte er „Hör auf, hör auf“. Aus einer „Mischung von Enttäuschung, Verzweiflung und Wut auf K. , die ihm – zumindest für Weihnachten 2010 – seine Tochter entziehen und was er unter allen Umständen verhindern wollte“ (UA S. 6), entnahm er der Küchenschublade ein Messer mit einer Klingenlänge von 20 cm und stach in Tötungsabsicht wiederholt so wuchtig auf sie ein, dass die Klinge beim Aufkommen auf Kno- chen verbog. Dies geschah in Anwesenheit der Tochter, die weinend „Mama, Papa” rief. Neben zwei Schnittverletzungen am Kopf und am rechten Hand- gelenk brachte er Frau K. insgesamt acht, zum Teil tiefgehende Stichverletzungen bei. Der aus der Wohnung ins Treppenhaus fliehenden, schon tödlich verletzten Frau versetzte er noch einen heftigen Stich in den Rücken, wo das Messer stecken blieb. Sie verstarb nach wenigen Minuten.
5
Der Angeklagte rannte nun durch das Treppenhaus nach unten und rief „Ihr Schweine, rufen Sie Polizei oder Krankenwagen” bzw. „Ihr Schweine, ruft die Polizei”. Dann lief er in einen im Erdgeschoss gelegenen Friseursa- lon, wo er eine Angestellte mit den Worten „Rufen Sie bitte die 112, den Not- arzt, sonst stirbt der mir da oben jetzt” ansprach. Dann lief er zurück in die Wohnung, verschloss die Tür, zog sein blutverschmiertes T-Shirt aus und tröstete die Tochter.
6
Gegen 16.10 Uhr trafen Polizeibeamte ein. Der Angeklagte öffnete ihnen mit unbekleidetem Oberkörper und dem Kind auf dem Arm die Wohnungstür. Er übergab auf Aufforderung die Tochter und ließ sich widerstandslos festnehmen. Nach der Festnahme machte er einen apathischen Eindruck. Er saß mit angezogenen Beinen auf einem Stuhl, um nicht mit den Füßen den schmutzigen Boden berühren zu müssen. Die Polizeibeamten zogen deshalb eine Fachärztin für Psychiatrie hinzu, die in ihrer vorläufigen Bewertung eine Zwangserkrankung diagnostizierte und zur vorläufigen Auffassung gelangte, dass möglicherweise die Schuldfähigkeit ausgeschlossen gewesen sei.
7
2. Die Schwurgerichtskammer ist davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung im Sinne des § 20 StGB erheblich vermindert gewesen sei (§ 21 StGB). Der Defektzustand sei ausgelöst worden, weil der Angeklagte mit dem zumindest länger währenden Verlust seiner Tochter konfrontiert worden und über die gebrochene Vereinbarung enttäuscht gewesen sei. Begünstigt worden sei der Affektdurchbruch durch seine krankheitsbedingte Instabilität. „Über die durch seine Zwangserkrankung, die rechtlich unter dem Terminus der anderen seelischen Abartigkeit zu subsumieren“ sei, „konstel- lierte persönliche und charakterliche Instabilität hinaus“ sei „diese psychische Deformation“ jedoch „in keiner Weise begründend“; sie habe „daher für die Frage tatbezogener Gründe für §§ 20/21 StGB keine weitere Bedeutung“ (UA S. 11). Eine Aufhebung der Schuldfähigkeit hat das Landgericht im Hinblick auf von ihr angenommenes situationsgerechtes Verhalten des Angeklagten vor, während und nach der Tat ausgeschlossen.
8
3. Die Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, weil der Schuldspruch und der Rechtsfolgenausspruch hier so miteinander verknüpft sind, dass eine getrennte Überprüfung der Rechtsfolgenentscheidung nicht möglich ist, ohne dass der nicht angefochtene Schuldspruch mitberührt wird. Denn das Urteil enthält keine rechtsfehlerfreie Begründung für die Annahme einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten; auf der Grundlage des angefochtenen Urteils lässt sich nicht völlig ausschließen, dass der Angeklagte zur Tatzeit schuldunfähig war (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2001 – 2 StR 500/00, BGHSt 46, 257, 259).
9
4. Die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
10
a) Rechtsfehlerhaft beschränkt sich das sachverständig beratene Landgericht auf die bloße Mitteilung einer – überdies nicht näher bestimmten und in ihren Auswirkungen nicht im Einzelnen beschriebenen – Zwangserkrankung des Angeklagten, deren Einordnung unter das Merkmal der (schweren) anderen seelischen Abartigkeit und einer gleichwohl anzunehmenden weitgehenden Irrelevanz des Defekts für die Schuldfähigkeit. Die Grundlagen, an die diese Schlussfolgerungen des Gutachters und – dem folgend – die Schwurgerichtskammer anknüpfen, sind damit nicht in einer für die revisionsgerichtliche Überprüfung ausreichenden Weise dargetan. Dies gilt umso mehr, als das Zusammenwirken mehrerer Beeinträchtigungen stets eine besonders sorgfältige Gesamtwürdigung ihrer Auswirkungen auf das seelische Gefüge des Täters erfordert (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 26; Beschluss vom 9. April 1991 – 4StR 120/91, BGHR StGB § 20 Ursachen, mehrere 2). Daran fehlt es im angefochtenen Urteil völlig.
11
Dass die Zwangsstörung des Angeklagten ohne maßgebenden Einfluss auf dessen Steuerungsfähigkeit geblieben ist, versteht sich hier auch nicht etwa von selbst. Eine durch die Krankheit bedingte „Instabilität“ erachtet das Landgericht als den Impulsdurchbruch begünstigenden Umstand. Darüber hinaus konnte der Angeklagte nach den Feststellungen seit längerer Zeit kaum noch die Wohnung verlassen und kümmerte sich hauptsächlich um die gemeinsame Tochter. Vor diesem Hintergrund liegt nahe, dass die schon naturgegebene Angst um den Verlust der Tochter krankheitsbedingt ein noch erheblich stärkeres Gewicht gewann. Dafür könnte auch sprechen, dass es schon im Vorfeld der Tat in demselben Zusammenhang zu körperlichen Auseinandersetzungen mit der Geschädigten gekommen war.
12
b) Ferner erscheinen einige der durch das Landgericht gegen eine völlige Aufhebung der Schuldfähigkeit angeführten Indizien allenfalls von eingeschränktem Gewicht. Das gilt etwa für das Holen des Messers aus der Küchenschublade und – schon angesichts der Vielzahl und Wucht sowie der nicht durch Sicherungstendenzen geprägten Fortführung der Tat im Treppenhaus – für das Stechen in empfindliche Körperregionen. Entsprechend liegt es bei der Rückkehr zum Kind und dem Ausziehen des blutverschmierten T-Shirts. Soweit das Landgericht schließlich maßgebend Äußerungen des Angeklagten („Ihr Schweine“, „sonst stirbt der mir da jetzt“) im Sinne ei- ner Ablenkung von seiner Täterschaft bzw. von der Identität des Opfers interpretiert hat, vermag dies nicht ohne weiteres einzuleuchten. Angesichts der Beweislage und des sonstigen Verhaltens des Angeklagten, das ersichtlich nicht auf eine Verdeckung seiner Tat ausgerichtet war, erscheinen die genannten Äußerungen auf der Basis der Urteilsgründe, die eine etwaige Einlassung des Angeklagten zu diesem Punkt nicht mitteilen, vielmehr ohne Sinn.
13
c) Der neu entscheidende Tatrichter wird die erforderliche eingehende Würdigung nachzuholen haben und sich auch mit der Frage zu befassen haben , ob die Voraussetzungen des § 63 StGB gegeben sind. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, stünde einer Anordnung der Maßregel nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
14
d) Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatrichter eine stimmige Gesamtbewertung zu ermöglichen.
15
5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
16
a) Das Landgericht hat dem Angeklagten bei der Prüfung eines minder schweren Falles nach der 2. Alternative des § 213 StGB und der Strafzumessung im engeren Sinn angelastet, die Tat sei aus objektiv nichtigem Anlass und vor den Augen der Tochter begangen worden. Dies begegnet durchgreifenden Bedenken. Abgesehen davon, dass der dem Angeklagten drohende Verlust seiner Tochter unter den hier gegebenen Umständen kaum als nichtiger Anlass bewertet werden kann, wäre ein Missverhältnis zwischen Anlass und Tat gerade Kennzeichen von Affekttaten (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2011 – 5 StR 246/11) und dürfte daher bei der Strafzumessung allenfalls nach dem Maß der verminderten Schuld herangezogen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2002 – 5 StR 365/02, NStZ-RR 2003, 104, 105; st. Rspr.). Entsprechendes gilt für den Gesichtspunkt der Tatbegehung im Beisein der Tochter.
17
b) Fälle wie der Vorliegende sind für Verfahrensabsprachen nach § 257c StPO nicht geeignet (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2011 – 5 StR 226/11, StraFo 2011, 355).
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Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

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(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. (2) Gegenstand dieser Verstä

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
1. Der Rechtsmittelverzicht eines Angeklagten ist unwirksam, wenn er
lediglich aufgrund einer - auch irrtümlich - objektiv unrichtigen Erklärung oder
Auskunft des Gerichts (hier: zu beamtenrechtlichen Nebenfolgen des Urteils)
zustandegekommen ist.
2. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist unwirksam
, wenn eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit nicht rechtsfehlerfrei
begründet wurde und Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen ist.
BGH, Beschluß vom 10. Januar 2001 - 2 StR 500/00 - LG Darmstadt -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 500/00
vom
10. Januar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Erpressung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 10. Januar 2001 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 11. August 2000 mit den Feststellungen - mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen - aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Erpressung zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Strafe und Maßregel wurden zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner auf den Strafausspruch beschränkten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er erstrebt eine Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr mit Bewährung. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang.

II.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Der in der Hauptverhandlung erklärte Rechtsmittelverzicht des Angeklagten ist unwirksam. Die Strafkammer ging in der Hauptverhandlung - ebenso wie die übrigen Verfahrensbeteiligten - versehentlich davon aus, der Status des Angeklagten als Kommunalbeamter werde nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 BRRG nicht tangiert, wenn er wegen versuchter Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr verurteilt werde. Diese Auffassung äußerte der Vorsitzende auch in der mündlichen Urteilsbegründung. Lediglich aufgrund dieser Umstände erklärte der Angeklagte im Anschluß an die Urteilsverkündung nach Rücksprache mit seinem Verteidiger, er verzichte auf Rechtsmittel und nehme das Urteil an. Der Verzicht wurde protokolliert, verlesen und genehmigt. Auch der Staatsanwalt verzichtete auf Rechtsmittel. Dieser Verfahrensgang ergibt sich aus den übereinstimmenden dienstlichen und anwaltlichen Erklärungen der richterlichen Mitglieder der Strafkammer und des Verteidigers sowie dem Hauptverhandlungsprotokoll. In Wirklichkeit entsprach die Rechtsauffassung der Strafkammer jedoch nicht § 24 Abs. 1 Nr. 1 BRRG. Nach dieser Vorschrift endet das Beamtenverhältnis mit Rechtskraft der Verurteilung eines Beamten wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. Ein Rechtsmittelverzicht ist als Prozeßerklärung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr., vgl. u.a. BGHSt 45, 51, 53). Die Rechtsprechung erkennt allerdings in eng begrenztem Umfang Ausnahmen an. In Betracht kommen insbesondere die Fälle schwerwiegender Willensmängel. Auch vom Gericht zu verantwortende Umstände der Art und Weise des Zustandekommens können einen Rechtsmittelverzicht unwirksam machen (BGHSt 45, 51, 53, 55). Deshalb kann ein Rechtsmittelverzicht ausnahmsweise unwirksam
sein, wenn er lediglich aufgrund einer - sei es auch irrtümlich - objektiv unrichtigen Erklärung oder Auskunft des Gerichts zustandegekommen ist (vgl. Kleinknecht /Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 302 Rdn. 10, 22; Gollwitzer in Löwe/ Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 302 Rdn. 52; Ruß in KK 4. Aufl. § 302 Rdn. 13; OLG Koblenz NStZ-RR 1996, 306 jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Strafkammer hat durch ihre objektiv unzutreffenden Erklärungen zu den beamtenrechtlichen Nebenfolgen des Urteils dem Angeklagten die Vorstellung vermittelt, sein Status als Beamter werde durch das Urteil nicht berührt. Nur deshalb hat der Angeklagte auf Rechtsmittel verzichtet. Daran , daß der Angeklagte auf die wiederholt geäußerte Beurteilung des Landgerichts vertraut hat, trifft ihn kein Verschulden. Wegen der dargelegten Umstände seines Zustandekommens war der Rechtsmittelverzicht des Angeklagten hier von Anfang an unwirksam. Auf eine Anfechtung wegen Irrtums kommt es daher nicht an. 2. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist unwirksam. Der Schuldspruch und die Strafzumessung sind hier so miteinander verknüpft , daß eine getrennte Überprüfung der Strafzumessung nicht möglich wäre , ohne den nicht angefochtenen Schuldspruch mit zu berühren (vgl. BGH NJW 1996, 2663, 2664 m.w.N.). Wird der Strafausspruch angefochten, ist auch die Frage einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung. Diese ergibt hier, daß das Urteil keine rechtsfehlerfreie Begründung für die Annahme einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit enthält. Auf der Grundlage des angefochtenen Urteils läßt sich auch nicht völlig ausschließen, daß der Angeklagte zur Tatzeit steuerungsunfähig war.
Das Landgericht teilt zwar die Entwicklung der psychischen Erkrankung des Angeklagten mit dem wiederholten Wechsel von manischen und depressiven Phasen näher mit. Die Beurteilung dieser Erkrankung durch das sachverständig beratene Landgericht ist jedoch unklar und widersprüchlich. Im Anschluß an den Sachverständigen meint das Landgericht, der Angeklagte sei zur Tatzeit an einer "aktuellen seelischen Störung" erkrankt gewesen, durch die seine Fähigkeit zur Willensbildung, seine Steuerungskontrolle und seine gesamte Reflexionsfähigkeit erheblich gestört gewesen seien. Die Steuerungsfähigkeit sei insbesondere auch deshalb erheblich vermindert gewesen, weil die manische Symptomatik durch die fortgeführte Einnahme von Antidepressiva verstärkt worden sei. Welche psychische Erkrankung der Sachverständige konkret festgestellt hat, wird aber nicht näher mitgeteilt. Nach den vom Landgericht beschriebenen Krankheitssymptomen kommen hier eine manische Episode zur Tatzeit, aber auch eine bipolare affektive Störung in Betracht , die früher nach Kurt Schneider als "Zyklothymie" bezeichnet wurde (vgl. hierzu Nedopil, Forensische Psychiatrie S. 113 ff.). Einer dahingehenden Beurteilung widerspricht aber, daß das Landgericht Schuldunfähigkeit ausschließt , weil der Angeklagte "nicht an einer Manie im Sinne einer Psychose" gelitten habe. Gerade bei den in Betracht kommenden affektiven Störungen handelt es sich aber um Psychosen. Sollte es zutreffen, daß der Angeklagte bei der Tat nicht an einer Psychose litt, fehlte schon die Grundlage für die Annahme einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit. Hinzu kommt: Bei mittelgradigen Depressionen oder Manien kann die Willensbildung aufgehoben sein, wenn Motivation und Verhalten auf die affektive Störung zurückzuführen sind. Bei schweren manischen (oder depressiven) Episoden liegt daher eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit jedenfalls nicht fern (vgl. hierzu Nedopil aaO S. 117). Das Landgericht hätte daher die diagnostische Einord-
nung der Erkrankung und die Gewichtung ihrer Auswirkungen auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten näher darlegen müssen. Nach der bisherigen Erörterung dieser Fragen ist nicht auszuschließen, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nicht nur erheblich vermindert, sondern aufgehoben war. Da hierdurch nicht nur der Straf-, sondern auch der Schuldspruch betroffen ist und die Frage der Schuldfähigkeit nur einheitlich beurteilt werden kann, ist eine Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch unzulässig. Ebensowenig kann unter diesen Umständen die Maßregelanordnung von der Anfechtung ausgenommen werden. 3. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs. Der Schuldspruch hält der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand, weil das Landgericht - wie bereits dargelegt - Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat. Daneben ist auch die Strafzumessung rechtsfehlerhaft. Das Landgericht war der in den Urteilsgründen mitgeteilten Ansicht, daß die Beendigung des Beamtenverhältnisses als Nebenfolge der strafrechtlichen Verurteilung unangemessen wäre und der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten nicht gerecht würde. Die Strafkammer ging jedoch - wie bereits ausgeführt - unter Verkennung von § 24 BRRG irrtümlich davon aus, daß bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr diese Folge nicht eintreten werde. Daher wurde bei der Bemessung der Strafe auch die beamtenrechtliche Nebenfolge nicht zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt. Die Maßregelanordnung hat ebenfalls keinen Bestand, weil die Schuldfähigkeit des Angeklagten bisher nicht rechtsfehlerfrei geprüft wurde.
Die Feststellungen zum äußeren Tathergang können jedoch bestehen bleiben, weil sie von den dargelegten Rechtsfehlern nicht berührt werden. Jähnke Detter Bode Otten Elf

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

5 StR 246/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 20. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juli 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 1. Februar 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten getroffenen Feststellungen und im Ausspruch über den Teilvorwegvollzug der Freiheitsstrafe vor der Maßregel aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, dessen Unterbringung in der Entziehungsanstalt angeordnet sowie den Vorwegvollzug von einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe vor der Maßregel bestimmt. Die gegen das Urteil gerichtete Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie entsprechend der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen.
3
a) Am Tattag zogen der Angeklagte, sein Bruder und ein Freund „fei- ernd“ durch öffentliche Straßen in Dresden. Ein „Blödelspiel“, im Zuge dessen der Angeklagte seinen Bruder grob beleidigte und ihm von diesem „spaßeshalber“ zwei leichte Ohrfeigen gegeben wurden, schlug in Ernst um. Der Angeklagte geriet in Wut und beschimpfte seinen Bruder mit rüden Worten. Nach einer Schubserei fiel der Bruder zu Boden. Der Angeklagte trat ihn unter weiteren Beschimpfungen mehrmals gegen den Körper. Den Freund, der ihn wegziehen wollte, schob er beiseite. Er zog sein Kampfmesser, das er stets bei sich trug, beugte sich über seinen reglos am Boden liegenden Bruder und stieß ihm das Messer mit tödlicher Wirkung wuchtig ins Herz.
4
Nach der Tat war die Wut des Angeklagten „von einer Sekunde auf die andere verflogen und wich dem Schrecken darüber, was er gerade getan hatte“; er ging einige Schritte zurück und steckte das Messer in seine Jackentasche , wobei er rief „So ´ne Scheiße, so ´ne Scheiße, alles nur wegen mir. Ruft einen Notarzt!“ (UAS. 15). Er ging aufgeregt ein paar Schritte hin und her und sagte immer wieder sinngemäß, dass er seinen Bruder erstochen habe und dass das „so ´ne Scheiße“ sei (UA S. 16). Alle Rettungsbemühungen blieben erfolglos.
5
Der Angeklagte wies zur Tatzeit eine maximale Blutalkoholkonzentration von 2,28 ‰ auf. Im Blutserum wurden 10,5 ng/ml Metamfetamin, im Urin Abbauprodukte von Cannabis sowie Metamfetamin und Amfetamin festgestellt.
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b) Das sachverständig beratene Landgericht hat eine durch die Drogenintoxikation bedingte Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ausgeschlossen. Der Angeklagte sei an Alkohol und Drogen gewöhnt. Sein Verhalten vor, während und nach der Tat sei zielorientiert gewe- sen. Ausfallerscheinungen seien nicht aufgetreten. Zur Frage einer tiefgrei- fenden Bewusstseinsstörung hat es sich der „nachvollziehbaren und einleuchtenden“ Bewertung des psychiatrischenSachverständigen angeschlossen , wonach die Annahme eines die Schuld einschränkenden Affekts „auf- grund der Gesamtwürdigung des bereits dargelegten Täterverhaltens vor, während und nach der Tat fernliegend“ sei (UA S. 34).
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2. Entgegen der Auffassung der Revision tragen die Feststellungen den Schuldspruch wegen Totschlags. Namentlich ist die Schwurgerichtskammer rechtsfehlerfrei zur Annahme des Tötungsvorsatzes gelangt. Sie hat sich dabei ausreichend auch mit den Gesichtspunkten des Nachtatverhaltens des Angeklagten befasst, die der Vorsatzannahme unter Umständen entgegenstehen könnten.
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3. Hingegen kann der Strafausspruch keinen Bestand haben. Die Schwurgerichtskammer hat sich mit der Frage, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung vermindert gewesen ist, in einer Weise auseinandergesetzt, die rechtlicher Prüfung nicht standhält. Das angefochtene Urteil teilt die wesentlichen Grundlagen, an die die – für sie einleuchtenden – Schlussfolgerungen des Gutachters anknüpfen , nicht in einer für die revisionsgerichtliche Überprüfung ausreichenden Weise mit (vgl. etwa BGH, Urteil vom 11. Juni 1987 – 4 StR 31/87, BGHR StGB § 20 Bewusstseinsstörung 3).
9
Den Feststellungen sind mehrere Umstände zu entnehmen, die für eine Affekttat sprechen können. So war die Beziehung des Angeklagten zu seinem Bruder nicht frei von Konflikten. Die Tat war durch einen elementaren Ablauf ohne Sicherungstendenzen auf zur Tatzeit noch belebten öffentlichen Straßen im Beisein des Freundes des Bruders geprägt, wobei der Tatanstoß und die Reaktion des Angeklagten in einem beträchtlichen Missverhältnis zueinander standen; hinzu kommen der im Urteil beschriebene abrupte Stimmungsumschwung des Angeklagten nach der Tat sowie dessen nicht unerhebliche Alkohol- und Drogenintoxikation (vgl. zum Ganzen etwa LK/Schöch, 12. Aufl., § 20 Rn. 133 ff.; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 20 Rn. 32; je mwN).
10
Ob der psychiatrische Gutachter diese Umstände erwogen hat und weshalb er gleichwohl eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit sicher ausschließen zu können meinte, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Deshalb kann der Senat nicht prüfen, ob der Gutachter und ihm folgend die Schwurgerichtskammer die schwierige Frage, ob ein etwaiger Affekt das Gewicht einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung erlangt hat, im Wege der gebotenen Gesamtwürdigung (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 1. April 2009 – 2 StR 601/08, NStZ 2009, 571, 572, und vom 22. Januar 2004 – 4 StR 319/03, NStZ-RR 2004, 234, 235 mwN) rechtlich einwandfrei beant- wortet hat. Dies und die Frage, ob die weiteren Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen, bedürfen deshalb nochmaliger tatgerichtlicher Beurteilung. Der Senat schließt dabei aus, dass die neue Hauptverhandlung eine aufgehobene Schuldfähigkeit des Angeklagten (§ 20 StGB) ergeben oder dessen Tötungsvorsatz in Frage stellen könnte.
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Die Feststellungen können mit Ausnahme der zur Schuldfähigkeit getroffenen bestehen bleiben. Ansonsten sind neue Feststellungen zulässig, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
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4. Der Maßregelausspruch ist rechtsfehlerfrei und kann daher bestehen bleiben. Allerdings zieht die Aufhebung des Strafausspruchs den Wegfall des angeordneten Teilvorwegvollzugs der Strafe nach sich. Im Hinblick auf die fortdauernde Untersuchungshaft wird er sich aufgrund der zwischenzeitlich weiter vollzogenen Untersuchungshaft wohl erübrigen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2010 – 5 StR 299/10).
Basdorf Raum Schaal König Bellay
5 StR 365/02

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 8. Oktober 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Oktober 2002

beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. März 2002 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

G r ü n d e Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
Es begegnet schon Bedenken, daß die Strafkammer bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, offensichtlich nur die zweite Alternative des § 213 StGB in Betracht gezogen hat. Ob das Verhalten des Tatopfers (Drohen mit dem Messer) angesichts der Vorgeschichte als Provokation im Sinne der ersten Alternative des § 213 StGB zu bewerten ist, kann indes dahinstehen. Denn der Strafausspruch hat aus anderem Grund keinen Bestand : Das Landgericht hält der Angeklagten zugute, daß ihre Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit aufgrund erheblicher affektiver Erregung in Verbindung mit akutem Alkohol- und Medikamentenmißbrauch erheblich eingeschränkt war (§ 21 StGB). Bei der Strafzumessung wertet es das „massive, äußerst brutale und nachhaltige“ Vorgehen zu ihren Lasten. Sie habe ihrem Opfer mehrere , teilweise ganz erhebliche Stich- und Schnittverletzungen zugefügt.
Dies hält unter den gegebenen Umständen rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nur dann strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenen geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt. Allerdings ist auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich, so daß für eine strafschärfende Verwertung durchaus Raum bleibt, jedoch nur nach dem Maß der geminderten Schuld (vgl. BGH NJW 1993, 3210, 3211 f.; BGH NStZ 1992, 538; Tröndle /Fischer, StGB 50. Aufl. § 46 Rdn. 28 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen ). Doch muß das Urteil erkennen lassen, daß sich der Tatrichter dieser Problematik bewußt war und ihr Rechnung getragen hat. Daß dies hier der Fall gewesen wäre, ergeben die Urteilsgründe, in denen die Tatintensität als maßgeblicher Strafschärfungsgrund uneingeschränkt hervorgehoben wird, weder ausdrücklich noch in ihrer Gesamtschau. Der Senat vermag daher nicht mit Sicherheit auszuschließen, daß die Strafkammer der Art der Tatausführung zum Nachteil der Angeklagten ein zu großes Gewicht beigemessen hat.
Angesichts des bloßen Wertungsfehlers bedarf es der Aufhebung von Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) nicht. Der neue Tatrichter wird die Strafrahmenwahl und die anschließende Strafzumessung auf der Grundlage der bislang rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen vorzunehmen haben, die er allenfalls durch weitere Feststellungen ergänzen darf, die den bisherigen nicht widersprechen.
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

5 StR 226/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 22. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juni 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. März 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten – nach einer Verständigung – wegen schweren Raubes in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Aufklärungsrüge Erfolg.
2
Mit der in der Revisionsbegründung enthaltenen zutreffenden inhaltlichen Wiedergabe der Mitteilung des Angeklagten, er leide an Schizophrenie und benötige Medikamente, in seiner verantwortlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO hier als erfüllt anzusehen. Ob der Revisionsrechtfertigung auch eine Rüge der Verletzung des § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO zu entnehmen wäre , bedarf danach keiner Vertiefung.
3
Die Aufklärungsrüge ist offensichtlich begründet. Die Strafkammer war nach der letztgenannten Vorschrift wegen der zweifelhaften Schuldfähigkeit des Angeklagten und einer im Raum stehenden Maßregel nach § 63 StGB an einer Verständigung – nicht anders als auch die Staatsanwaltschaft – ge- hindert. Es musste sich ihr aufgrund der eigenen, in die Anklageschrift aufgenommenen Hinweise des Angeklagten auf eine schwere psychische Erkrankung aufdrängen, ihn zur Frage der Schuldfähigkeit begutachten zu lassen. Dass das Tatbild der dem Angeklagten zur Last gelegten Verbrechen auf den ersten Blick eine Einschränkung seiner Schuldfähigkeit nicht nahelegt , ändert hieran angesichts des begründeten massiven Krankheitsverdachts nichts.
4
Die Rüge muss angesichts der alleinigen Beweisgrundlage des Geständnisses eines möglicherweise Geisteskranken zur umfassenden Aufhebung des angefochtenen Urteils führen. Das neue Tatgericht wird zu erwägen haben, ob dem Angeklagten ein neuer Verteidiger zu bestellen ist, nachdem der bisherige sich auf die vom Gericht initiierte grob sachwidrige Verständigung eingelassen hat. Die Erwägung, dass der Verteidiger womöglich zum vermeintlich Besten seines Mandanten handeln wollte, indem er ihm einen unbefristeten Freiheitsentzug infolge einer Unterbringung nach § 63 StGB zu ersparen suchte, verbietet sich angesichts der jetzt durchgeführten Revision (vgl. § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
Basdorf Raum Schaal König Bellay