Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 473/18
vom
6. Februar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
hier: Anhörungsrüge
ECLI:DE:BGH:2019:060219B5STR473.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Februar 2019 beschlossen:
Die Anhörungsrüge des Verurteilten gegen den Beschluss des Senats vom 12. Dezember 2018 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Der Senat hat die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 9. März 2018 durch Beschluss vom 12. Dezember 2018 gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Hiergegen hat der Beschwerdeführer die Rüge nach § 33a StPO erhoben.
2
Die nach § 356a StPO statthafte Rüge (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 16. Mai 2006 – 4 StR 110/05, NStZ 2007, 236) ist unbegründet, weil ein Gehörsverstoß nicht vorliegt. Der Senat hat den Vortrag des Beschwerdeführers im Revisionsverfahren vollständig zur Kenntnis genommen und erwogen, was er in dem Beschluss vom 12. Dezember 2018 auch zum Ausdruck gebracht hat.
3
Durch den außerordentlichen Rechtsbehelf des § 356a StPO werden die Frist- und Formerfordernisse der §§ 344, 345 StPO, nach denen eine Bezugnahme auf die Ausführungen eines anderen Verfahrensbeteiligten unzulässig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – 1 StR 527/05, NJW 2006, 1220), nicht berührt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2005 – 2 StR 544/04, StV 2005, 655). Sander Schneider Berger Eschelbach Köhler

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 356a Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei einer Revisionsentscheidung


Hat das Gericht bei einer Revisionsentscheidung den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, versetzt es insoweit auf Antrag das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurück, die vor dem Erlass der

Strafprozeßordnung - StPO | § 345 Revisionsbegründungsfrist


(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn d

Strafprozeßordnung - StPO | § 33a Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Nichtgewährung rechtlichen Gehörs


Hat das Gericht in einem Beschluss den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt und steht ihm gegen den Beschluss keine Beschwerde und kein anderer Rechtsbehelf zu, versetzt es, sofern der Beteiligte

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Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Mai 2006 - 4 StR 110/05

bei uns veröffentlicht am 16.05.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 110/05 vom 16. Mai 2006 in der Strafsache gegen wegen Untreue u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Mai 2006 beschlossen: Die Gegenvorstellung gegen den Beschluss des Senats vom 21. März 2006

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2006 - 1 StR 527/05

bei uns veröffentlicht am 10.01.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 527/05 vom 10. Januar 2006 in der Strafsache gegen BGHSt: nein BGHR: ja Veröffentlichung: ja ____________________________ StPO § 338 Nr. 6, § 344 Abs. 2 Satz 2; GVG § 169 Abs. 1, § 176 1. Die Entscheidung über die

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat das Gericht in einem Beschluss den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt und steht ihm gegen den Beschluss keine Beschwerde und kein anderer Rechtsbehelf zu, versetzt es, sofern der Beteiligte dadurch noch beschwert ist, von Amts wegen oder auf Antrag insoweit das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. § 47 gilt entsprechend.

Hat das Gericht bei einer Revisionsentscheidung den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, versetzt es insoweit auf Antrag das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. Der Antrag ist binnen einer Woche nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle beim Revisionsgericht zu stellen und zu begründen. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Hierüber ist der Angeklagte bei der Bekanntmachung eines Urteils, das ergangen ist, obwohl weder er selbst noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend war, zu belehren. § 47 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 110/05
vom
16. Mai 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Mai 2006 beschlossen:
Die Gegenvorstellung gegen den Beschluss des Senats vom 21. März 2006 wird auf Kosten der Verurteilten als unzulässig zurückgewiesen.

Gründe:


1
Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 21. März 2006 gemäß §§ 154 Abs. 2, 206 a StPO hinsichtlich des Vorwurfs der Bedrohung und der Unterschlagung eingestellt. Er hat den Antrag der Verurteilten, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung einer weiteren Verfahrensrüge zu gewähren, als unzulässig verworfen und das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 12. Juli 2004 auf die Revision der Verurteilten dahin geändert, dass sie wegen Untreue in vier Fällen sowie wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat verurteilt wird. Die weiter gehende Revision hat der Senat verworfen. Gegen diesen Beschluss hat die Verurteilte mit Schriftsatz ihres Verteidigers Dr. L. vom 12. April 2006, beim Bundesgerichtshof eingegangen am 15. April 2006, "im Wege der Nachholung rechtlichen Gehörs (§ 33 a StPO)" Gegenvorstellung erhoben und beantragt, den Beschluss des Senats und auf die Revision der Verurteilten das Urteil des Landgerichts Cottbus aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Der Rechtsbehelf hat keinen Erfolg.
2
1. Die Gegenvorstellung ist unzulässig. Die an keine Frist gebundene Anhörungsrüge nach § 33 a StPO ist schon ihrem Wortlaut nach als Rechtsbe- helf gegen Revisionsentscheidungen nicht statthaft, denn diese Vorschrift gilt nur subsidiär, d.h. nur dann, wenn gegen den Beschluss keine Beschwerde und kein anderer Rechtsbehelf statthaft ist. Gegen Revisionsentscheidungen ist als speziellere Regelung nur der Rechtsbehelf der Anhörungsrüge nach dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen § 356 a StPO statthaft (vgl. BTDrucks. 15/3706, S. 18; Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 33 a Rdn. 1), deren Zulässigkeit vom Gesetzgeber im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens entsprechend der Regelung für Wiedereinsetzungsanträge befristet worden ist (vgl. BTDrucks. aaO).
3
Die Verurteilte hat den Rechtsbehelf jedoch nicht innerhalb einer Woche nach Kenntnis von der behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör angebracht. Diese Frist beginnt gemäß § 356 a Satz 2 StPO mit Kenntniserlangung von den tatsächlichen Umständen, aus denen sich die behauptete Gehörsverletzung ergeben kann. Weil das Revisionsgericht den Zeitpunkt, zu dem der Beteiligte Kenntnis von diesen tatsächlichen Umständen erlangt hat, nicht zuverlässig selbst feststellen kann und dieser häufig von Umständen aus der Sphäre des Betroffenen abhängt, muss er den Zeitpunkt der Kenntniserlangung gemäß § 356 a Satz 3 StPO glaubhaft machen (vgl. BTDrucks. aaO), wobei der Zeitpunkt der Kenntniserlangung binnen der Wochenfrist für die Stellung des Antrages nach § 356 a StPO mitzuteilen ist (vgl. BGH NStZ 2005, 462). Das ist jedoch nicht geschehen.
4
Es liegt auch kein Ausnahmefall derart vor, dass der Senat den Akten die Rechtzeitigkeit der Anhörungsrüge entnehmen kann. Da die Verurteilte geltend macht, für sie sei aus dem Senatsbeschluss vom 21. März 2006 nicht ersichtlich , "ob" sich der Senat mit den mit Schriftsatz ihres Verteidigers Rechtsanwalt P. vom 7. März 2006 erhobenen Bedenken auseinandergesetzt habe, hängt die Rechtzeitigkeit der Antragstellung von dem Zeitpunkt ab, zu dem sie von dem Senatsbeschluss vom 21. März 2006 Kenntnis erlangt hat. Der Senatsbeschluss ist aber ausweislich der Schlussverfügung der Geschäftsstelle am 27. März 2006 an die Verurteilte und ihre Verteidiger abgesandt worden, so dass davon auszugehen ist, dass die Verurteilte noch im März 2006 Kenntnis von der Entscheidung erlangt hat. Mit der Antragsschrift ihres Verteidigers vom 12. April 2006 konnte mithin die Wochenfrist des § 356 a Satz 2 StPO nicht eingehalten werden, zumal sie beim Bundesgerichtshof erst am 15. April 2006 eingegangen ist.
5
2. Die Anhörungsrüge hätte aber auch in der Sache keinen Erfolg.
6
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. Der Senat hat bei seiner Entscheidung zum Nachteil der Verurteilten weder Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet, zu denen diese nicht gehört worden wäre, noch hat er bei der Entscheidung zu berücksichtigendes Vorbringen der Verurteilten übergangen.
7
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 28. Juli 2005 zu den bis dahin von ihren Verteidigern mit Schriftsätzen vom 28. Dezember 2004 und 16. März 2005 erhobenen Rügen umfassend Stellung genommen. Soweit der Senat die Verurteilung wegen Untreue in vier Fällen sowie wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung bestätigt hat, bedurfte es daher im Hinblick auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts keiner ausführlichen Begründung seiner Entscheidung (vgl. BVerfG NStZ 2002, 487, 488; BGHR StPO § 349 Abs. 2 Verwerfung 7). Soweit der Generalbundesanwalt mit seiner Antragsschrift vom 15. Februar 2006 in Abänderung seines früheren Antrags hinsicht- lich der Verurteilung wegen Unterschlagung die Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO und die Festsetzung der niedrigst möglichen Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat beantragt hat, ist er zwar auf den von dem Verteidiger Rechtsanwalt Dr. S. mit Schriftsatz vom 21. September 2005 gestellten Wiedereinsetzungsantrag zur Nachholung einer Verfahrensrüge nicht näher eingegangen. Insoweit hat der Senat aber in seinem Beschluss vom 21. März 2006 im Einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen der Wiedereinsetzungsantrag unzulässig ist und die nicht rechtzeitig erhobene Verfahrensrüge zudem den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügt.
8
Zu den Stellungnahmen des Generalbundesanwalts hat sich die Verurteilte mit Schriftsätzen ihres Verteidigers Rechtsanwalt P. vom 12. August 2005 und vom 7. März 2006 geäußert. Auch der letztere Schriftsatz lag dem Senat bei seiner Entscheidung über die Revision vor und war Gegenstand der Beratung.
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Ernemann

Hat das Gericht bei einer Revisionsentscheidung den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, versetzt es insoweit auf Antrag das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. Der Antrag ist binnen einer Woche nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle beim Revisionsgericht zu stellen und zu begründen. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Hierüber ist der Angeklagte bei der Bekanntmachung eines Urteils, das ergangen ist, obwohl weder er selbst noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend war, zu belehren. § 47 gilt entsprechend.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.

(2) Seitens des Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 527/05
vom
10. Januar 2006
in der Strafsache
gegen
BGHSt: nein
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
____________________________
1. Die Entscheidung über die Anzahl der bei einem Augenschein an beengter
Örtlichkeit (hier: schmales Treppenhaus) zugelassenen Zuhörer ist vom Revisionsgericht
nur auf Ermessensfehler überprüfbar.
2. Ein Teil der bei öffentlichen Verhandlungen der Allgemeinheit zur Verfügung
stehenden Plätze kann Pressevertretern vorbehalten bleiben.
3. Zum notwendigen Revisionsvortrag, wenn eine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes
bei einem Augenschein an beengter Örtlichkeit im Hinblick
auf die Auswahl der konkret zugelassenen Zuhörer gerügt wird.
BGH, Beschl. vom 10. Januar 2006 - 1 StR 527/05 - LG Ingolstadt
1.
2.
3.
4.
wegen zu 1. und 3.: Totschlags
zu 2. und 4.: Beihilfe zum Totschlag
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2006 beschlossen
:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Ingolstadt vom 13. Mai 2005 werden als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.

Gründe:


1
Die Angeklagte H. R. ist die Mutter der Angeklagten M. R. und A. R. . Die Angeklagte M. R. ist die Freundin des Angeklagten E. . Die Angeklagten H. R. und E. wurden wegen Totschlags, begangen zum Nachteil von R. R. - Ehemann von H. R. und Vater von M. und A. R. - verurteilt, H. R. zu Freiheitsstrafe, der zur Tatzeit 18 Jahre alte E. zu Jugendstrafe. Die zur Tatzeit 16 und 15 Jahre alten Angeklagten M. und A. R. wurden wegen Beihilfe zu dieser Tat zu Jugendstrafe verurteilt.
2
Sämtliche Revisionen, die jeweils auf eine Reihe von Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützt sind, bleiben erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3
Der näheren Ausführung bedarf dies nur hinsichtlich sämtlicher Verfahrensrügen der Angeklagten A. R. und hinsichtlich der von allen Angeklagten erhobenen Rüge einer Verletzung der Öffentlichkeit (§ 169 Satz 1 GVG, § 338 Nr. 6 StPO).
4
1. Hinsichtlich der für die Angeklagte A. R. erhobenen Verfahrensrügen , die von der Revision nur abstrakt gekennzeichnet sind (z. B. "Verletzung der Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO"; "Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes , § 250 StPO"), ist zur Begründung ausschließlich "auf die Revisionsbegründung des Kollegen St. " verwiesen, dessen Ausführungen "zum Inhalt … eigenen Vortrags" gemacht würden.
5
Der Generalbundesanwalt hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die bloße Bezugnahme auf Ausführungen eines anderen Verfahrensbeteiligten den Anforderungen an die ordnungsgemäße Begründung von Verfahrensrügen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) nicht genügt (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1983 - 2 StR 151/83 ; Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 39; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 344 Rdn. 83 m. w. N.). Hieran hält der Senat auch unter Berücksichtigung des hiergegen gerichteten Vorbringens der Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) fest. Die von der Revision in diesem Zusammenhang angesprochene Gefahr einer "Aufblähung der Verfahrensakten" ist damit nicht notwendig verbunden. Die Darstellung von Verfahrensrügen in nur einem von mehreren Verteidigern mehrer Angeklagter gemeinsam eingereichten und gemeinsam unterzeichneten Schriftsatz ist ohne weiteres möglich (vgl. BGH NStZ 1998, 99 mit zustimmender Anmerkung Widmaier).
6
2. Soweit für die Angeklagte M. R. die Verletzung der Öffentlichkeit gerügt ist, geht dies schon im Ansatz ins Leere. Gegen die zur Tatzeit jugendliche Angeklagte wurde entgegen § 48 Abs. 1 JGG nur deshalb öffentlich verhandelt, weil sich das Verfahren auch gegen einen Erwachsenen (H. R. ) und einen Heranwachsenden (E. ) richtete, § 48 Abs. 3 Satz 1 JGG. Nur diese könnten durch eine verfahrensrechtlich zu beanstandende Ausschließung oder Einschränkung der Öffentlichkeit beschwert sein, nicht aber die jugendliche Angeklagte. Da sich aber nur solche Verfahrensbeteiligte auf die Verletzung von Verfahrensvorschriften berufen können, denen gegenüber vorschriftswidrig verfahren worden ist, kann ein jugendlicher Angeklagter eine Verletzung der Öffentlichkeit auch dann nicht rügen, wenn gegen ihn im Hinblick auf erwachsene oder heranwachsende Mitangeklagte öffentlich verhandelt worden ist (BGHSt 10, 119, 120 f.; BGH, Urteil vom 23. Januar 2003 - 4 StR 412/02 m. w. N.).
7
3. Die Rüge der Verletzung der Öffentlichkeit bleibt aber auch erfolglos, soweit sie (mit identischen Ausführungen) für die Angeklagten H. R. und E. erhoben ist.
8
Folgendes liegt zu Grunde:
9
Am 4. Hauptverhandlungstag wurde das Treppenhaus und ein Kellerraum im Wohnhaus der Familie R. in Augenschein genommen. Wie die Revision vorträgt und durch Vorlage von Lichtbildern untermauert, waren aus diesem Anlass sehr viele Menschen auf der Straße in der Nähe des Hauses.
10
Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls war das nicht einmal einen Meter breite Treppenhaus schon allein durch die Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten "nahezu überfüllt". Gleichwohl wurden "zur Wahrung der Öffentlichkeit … zwei Personen aus dem Publikum zur Augenscheinnahme zugelassen. Mehr war aus räumlichen Gründen und zur Aufrechterhaltung der Kommunikation nicht möglich". Außerdem ist im Protokoll festgehalten, dass die Haustüre offen blieb und den "Pressevertretern ... die Möglichkeit gegeben (wurde), vor der Haustüre die Augenscheinnahme des Treppenhauses zu verfolgen …".
11
Nach Abschluss der Augenscheinnahme wurde, wie ebenfalls aus dem Protokoll ersichtlich, darüber hinaus "sämtlichen vor Ort befindlichen Pressevertretern sowie zehn Personen aus dem Publikum (zufällige Auswahl) … . Gelegenheit gegeben …, die in Augenschein genommenen Örtlichkeiten ebenfalls in Augenschein zu nehmen".
12
Dieser letztgenannte Vorgang ist nicht Gegenstand einer Verfahrensrüge und auch von der Revision nicht vorgetragen.
13
Im Übrigen sehen die Revisionen den Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens durch das geschilderte Geschehen in mehrfacher Richtung als verletzt an.
14
a) Eingehend und unter Vorlage von Lichtbildern wird vorgetragen, wie und warum - in, wie auch die Revision nicht verkennt, "begrenztem Umfang" - mehr Personen zum Augenschein hätten zugelassen werden können. Näher dargelegt ist etwa, welche Türen hätten geöffnet werden können und dass jedenfalls in dem Keller - Größe: 4,3 m x 4 m - , in dem sich ein Tisch von 1,34 m x 0,69 m befand, mehr Personen Platz gehabt hätten.
15
Mit alledem kann die Revision nicht gehört werden.
16
Selbst wenn Teile eines Sitzungssaales (z. B. Logen oder Galerien) für Zuhörer unzugänglich bleiben und deshalb Interessenten abgewiesen werden müssen, sind dadurch nicht notwendig Grundsätze zur Gewährleistung der Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen verletzt (BGH DRiZ 1971, 206, 207 m. w. N.). Unter den hier gegebenen Umständen kann erst recht nichts anderes gelten. Die Revision verkennt im Übrigen, dass bei der Entscheidung über den Umfang einer im Hinblick auf die räumlichen Verhältnisse erforderlichen faktischen Begrenzung der Öffentlichkeit auch die Notwendigkeit einer geordneten und ungestörten Durchführung der Verhandlung zu berücksichtigen ist. Ebenso wichtig wie die Kontrolle der Gerichtsverhandlung durch die Öffentlichkeit ist, dass die äußere Ordnung des Verhandlungsablaufs durch die Öffentlichkeit unbeeinträchtigt bleibt (vgl. nur BGHSt 29, 258, 259 f.; BGH NStZ 1984, 134, 135; Wickern in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. vor § 169 GVG Rdn. 11 jew. m. w. N.). Dies ist hier zutreffend erkannt, da auch auf die "Aufrechterhaltung der Kommunikation" abgestellt ist. Das Vorbringen der Revision erschöpft sich letztlich in der Darlegung, warum nach ihrer Wertung der tatsächlichen Verhältnisse einige wenige Zuhörer mehr an der Augenscheinseinnahme hätten teilnehmen können. Die Würdigung der (oft nur schwer rekonstruierbaren) tatsächlichen Verhältnisse anlässlich eines Augenscheins und die danach unter Berücksichtigung der Wahrung der Ordnung der Sitzung (§ 176 GVG) zu fällende Entscheidung über den Umfang, in dem Öffentlichkeit zugelassen werden kann, obliegt dem Vorsitzenden. Sie ist vom Revisionsgericht nicht in tatsächlichen Details zu überprüfen - hier etwa in dem Sinne, ob nicht doch noch einige wenige weitere Personen in Keller oder Treppenhaus hätten Platz finden können -, sondern nur auf Rechtsfehler bei der Ermessensausübung (vgl. generell zum revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab bei der Rüge der Verletzung der Öffentlichkeit Wickern aaO § 169 GVG Rdn. 63; Kuckein in KK 5. Aufl. § 338 Rdn. 90 m. w. N.). Ein derartiger Fehler ist jedoch weder von der Revision aufgezeigt noch sonst ersichtlich.
17
b) Ebenso wenig liegt eine ungesetzliche Einschränkung der Öffentlichkeit darin, dass die - offensichtlich sehr wenigen - "Stehplätze" außen vor der Haustür Journalisten vorbehalten blieben, damit diese den Augenschein im Treppenhaus von außen beobachten konnten.
18
Die von der Revision herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20. März 1975 - 4 StR 7/75 ergibt nichts anderes. Hier ist die - auch in jenem Fall tatsächlich nicht vorliegende - Situation behandelt, dass nur Polizeischüler in einem Gerichtssaal waren, da für sie dort die Plätze reserviert waren und andere vor den Polizeischülern erschienene Interessenten deshalb fortgeschickt wurden. Diese Fallgestaltung ist mit der hier gegebenen Fallgestaltung selbst dann nicht zu vergleichen, wenn man das vorliegend zu Grunde liegende Geschehen mit der Reservierung von Sitzplätzen in einem Gerichtssaal gleichsetzt. Im Hinblick auf die besondere Funktion der Presse, deren Anwesenheit schon im Ansatz die öffentliche Kontrolle von Gerichtsverhandlungen nicht einschränkt sondern fördert, ist es nicht zu beanstanden, wenn einige Zuschauerplätze - nicht alle Plätze (vgl. hierzu BGH bei Dallinger MDR 1970, 559, 561) - Pressevertretern vorbehalten bleiben (vgl. Wickern aaO § 169 GVG Rdn. 13; Kissel/Mayer, GVG 4. Aufl. § 169 Rdn. 33; Foth DRiZ 1980, 103). Dass hier anderes geschehen sei, ist dem Revisionsvorbringen nicht zu entnehmen.
19
c) Hinsichtlich der beiden zum Augenschein zugelassenen Zuhörer trägt die Revision vor, das "Reihenfolgeprinzip" sei nicht eingehalten worden und die Auswahl dieser beiden Zuhörer sei willkürlich erfolgt. Mit Tatsachen unterlegt ist dies nicht.
20
Dieser Vortrag genügt nicht den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO an die ordnungsgemäße Begründung der Verfahrensrüge.
21
Es fehlt der Vortrag, auf welche konkrete Weise die beiden Zuhörer ausgewählt wurden, die am Augenschein teilnehmen konnten. Dies wäre nur dann nicht erforderlich gewesen, wenn die Behauptung, das "Reihenfolgeprinzip" sei nicht eingehalten worden, schon für sich genommen schlüssig die Behauptung eines Rechtsfehlers enthielte. So verhält es sich nicht. Die Grundsätze, die bei dem Einlass in einen Gerichtssaal ohne weiteres sinnvoll und praktisch durchführbar sind - Einlass nach Reihenfolge des Erscheinens am Eingang - , können offensichtlich nicht in vollem Umfang auf die hier gegebene Situation übertragen werden, in der sich eine große Menge von Menschen auf offener Straße befand. Es versteht sich keinesfalls von selbst, dass alle Personen, die auf der Straße waren, darauf Wert legten, zu den jedenfalls ganz Wenigen zu gehören, die anlässlich eines gerichtlichen Augenscheins einen Blick in das Treppenhaus werfen können. Nicht weniger nahe liegt, dass eine Reihe von ihnen erschienen war, weil frühere Bewohner des Hauses, die eines spektakulären Kapitalverbrechens verdächtig waren, vorgeführt wurden und dadurch auf der Straße zu sehen waren. Eine gerichtliche Prüfung, wer hier wann und mit welchem Ziel wo auf der Straße war, wäre offenbar unverhältnismäßig und mit vertretbarem Aufwand nicht durchführbar gewesen. Entscheidend ist vielmehr allein, ob der Zugang zu dem Augenschein nicht gesetzeswidrig von persönlichen Eigenschaften abhing, sondern ob er - nach Maßgabe der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse - im Prinzip jedermann offen stand (vgl. nur BGHSt 27, 13, 14; Diemer in KK 5. Aufl. § 169 GVG Rdn. 6 m. w. N.). Ob dies der Fall war oder nicht, kann allein an Hand des Vortrages, das Reihenfolgeprinzip sei nicht eingehalten worden, nicht zuverlässig beurteilt werden, da tatsächliche Angaben, wie es dazu kam, dass gerade diesen speziellen beiden Personen die Anwesenheit im Treppenhaus gestattet wurde, fehlen. Der zusätzliche Vortrag, dass deren Auswahl "willkürlich" erfolgt sei, kann daran nichts ändern. Die Bewertung eines Geschehens als willkürlich kann Ergebnis der rechtlichen Überprüfung eines bestimmten Sachverhalts sein, die konkrete Angabe von Tatsachen, die diese Bewertung tragen sollen , aber nicht ersetzen.
22
Letztlich wurde, wie dargelegt, nach der gerichtlichen Augenscheinseinnahme noch Pressevertretern und weiteren, nach dem "Zufallsprinzip" ausgewählten Personen die Anwesenheit in dem Haus gestattet. Dies belegt, dass das Landgericht sowohl überobligationsmäßig bemüht war, Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Augenscheinseinnahme in dem Haus zu ermöglichen, ebenso belegt es, dass es sich des maßgeblichen Grundsatzes bei aus faktischen Gründen nicht unbeschränkt möglicher Öffentlichkeit ("Zufallsprinzip") bewusst war. Dies erhärtet das Ergebnis, dass die nicht mit konkreten Sachverhaltsschilderungen unterlegte Behauptung, es sei das - hier nicht notwendig einzuhaltende - "Reihen-folgeprinzip" nicht beachtet und willkürlich gehandelt worden, nicht in der erforderlichen Weise aufzeigt, in welchen Tatsachen der gerügte Verfahrensmangel gesehen wird (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Der Senat sieht daher keinen Anlass, dem in Rede stehenden Vorgang in tatsächlicher Hinsicht näher nachzugehen.

II.

23
Auch im Übrigen sind die Revisionen unbegründet. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Generalsbundesanwalts Bezug, die auch durch die Erwiderungen der Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) nicht entkräftet werden. Nack Wahl Hebenstreit Elf Graf