Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Okt. 2019 - 5 StR 448/19
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 8. Oktober 2019 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels, die insoweit durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die dem Neben- und Adhäsionskläger in der Revisionsinstanz erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Im Blick auf das außerordentlich schwere Tatbild und die gravierenden gesundheitlichen Folgen für den Nebenkläger sowie angesichts dessen, dass die Zubilligung einer Strafrahmenmilderung wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung nach §§ 21, 49 StGB auf dieselbe Wurzel zurückzuführen wäre wie der von der Revision geltend gemachte Milderungsgrund nach § 213 1. Alt. StGB, schließt der Senat aus, dass das Landgericht einen minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung angenommen und dann auf eine noch geringere Strafe erkannt hätte, wenn es die Provokationslage ausdrücklich gewürdigt hätte (vgl. auch BGH, Urteil vom 19. Januar 1994 – 2 StR 560/93, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 5; Beschluss vom 30. Juli 2008 – 2 StR 270/08). Bei einer Anwendung der Provokationsalternative des § 213 StGB wäre die Wahl des minder schweren Falls der gefährlichen Körperverletzung auch nicht etwa zwingend (vgl. LK-StGB/Rissing-van Saan/Zimmermann, 12. Aufl., § 213 Rn. 5 mit zahlreichen Nachweisen).
Sander Schneider König Mosbacher Köhler
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person
- 1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert, - 2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder - 3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
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Ergänzend bemerkt der Senat: Auch die Strafrahmenwahl begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat zu Recht die Voraussetzungen des § 213 Fall 1 StGB bejaht. Nach dieser Vorschrift ist die Strafmilderung zwingend und unabhängig davon geboten, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert war (BGH BGHR StGB § 213 Alt. 1 Misshandlung 4; StraFo 2007, 125). Mit Recht hat das Landgericht sodann die Möglichkeit einer weiteren Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB geprüft. Denn die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geht davon aus, dass der über die in dem Provokationstatbestand umschriebene Erregung hinausgehende Affekt, der zu einer von diesem nicht vorausgesetzten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung rechtfertigen kann; ihr steht § 50 StGB nicht entgegen (BGH NStZ 1986, 115; BGHR StGB § 50 Mehrfachmilderung 3; § 226 Strafrahmenwahl 2). Bedenken gegen diese Rechtsprechung könnten sich daraus ergeben, dass eine Abstufung von Affektgraden - zumindest bei Tötungsdelikten - schwerlich durchführbar ist (vgl. BGH StV 1994, 315). Dies bedarf jedoch hier keiner Entscheidung, weil es jedenfalls im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters liegt, ob er von der Möglichkeit der Doppelmilderung Gebrauch macht. Dabei darf er insbesondere berücksichtigen, ob die beiden Milderungsgründe auf dieselbe Wurzel zurückzuführen sind (BGH NStZ 1986, 71; BGHR StGB § 213 1. Alt. Beleidigung 5 und 8; StraFo 2007, 125). Daher ist die Begründung, mit der das Schwurgericht eine Doppelmilderung hier abgelehnt hat, im Ergebnis frei von Rechtsfehlern: Zwar hat es einerseits seine Annahme, "der zur Provokationssituation gemäß § 213 StGB hinzutretende § 21 StGB (hatte) keine selbständige sachliche Grundlage", mit der Stärke des „provokationsbedingten“ Affekts begründet (UA 48). Andererseits hat es sich der Auffassung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen , dass ein Auslöser für den beim Angeklagten festgestellten Affektsturm "nicht sicher ausgemacht werden" könne (UA S. 39). Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnimmt der Senat jedoch, dass der Affekt jedenfalls Folge des Verhaltens der Geschädigten nach Rückkehr in die Wohnung war, auf Grund dessen er auch in Wut und Zorn geriet. Im Blick auf diesen Umstand durfte das Schwurgericht die in seinem Ermessen stehende weitere Strafrahmenverschiebung ablehnen. Richter am Bundesgerichtshof Roggenbuck Appl Rothfuß befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Roggenbuck Cierniak Schmitt
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.