Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Feb. 2014 - 5 StR 44/14
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat nicht beachtet, dass die in den Fällen 1 und 2 verkauften und im Fall 3 mitgeführten Heroinmengen naheliegend aus demselben Gesamtvorrat stammen wie die am 22. Januar 2013 in der Wohnung des Angeklagten sichergestellte Restmenge (Fall 4). In Anwendung des Zweifelssatzes sind damit sämtliche Betätigungen, die sich auf Besitz und Vertrieb dieser Menge beziehen, nach den Grundsätzen der Bewertungseinheit als einheitliche Tat anzusehen, weil bereits der ursprüngliche Erwerb und Besitz der Gesamtmenge nicht nur den Tatbestand des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, sondern hinsichtlich der zum Weiterverkauf bestimmten Men- ge auch denjenigen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln erfüllen; die späteren diese Betäubungsmittel betreffenden Veräußerungsgeschäfte (Fälle 1 und 2) gehören ebenso wie das Mitsichführen einer Teilmenge (Fall 3) als unselbständige Teilakte zu dieser Tat (vgl. BGH, Beschluss vom 6. August 2013 – 5 StR 255/13, NStZ-RR 2013, 347).
- 2
- Der Senat ändert den Schuldspruch demgemäß ab und setzt in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die bisherige Gesamtfreiheitsstrafe als Einzelstrafe fest, weil der Unrechtsgehalt der Tat von der abweichenden Bewertung der Konkurrenzen unberührt bleibt.
Berger Bellay
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige schuldig ist;
b) im gesamten Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen unerlaubten bewaffne- ten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, gewerbsmäßiger unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahren an eine Person unter 18 Jahren in 23 Fällen und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 139 Fällen“ zu einer Gesamtfrei- heitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts veräußerte der Angeklagte zwischen Januar und Oktober 2012 in insgesamt 162 Fällen jeweils etwa 1 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 5 % THC an verschiedene, in einigen Fällen minderjährige Abnehmer (Taten 1 bis 162). Des Weiteren erwarb der Angeklagte „entweder am 8. Oktober 2012 oder davor“ zum Preis von 3.000 € eine größere Menge Marihuana, von der sich am 8. Oktober 2012 noch mindestens 625 g mit einem Wirkstoffgehalt von 48 g THC in einem Schrank im Flur seiner Wohnung befanden. Im hiervon weniger als zwei Meter entfernten Badezimmerschrank verwahrte der Angeklagte griffbereit eine geladene Schreckschusspistole und ein einsatzbereites Elektroschockgerät, um sich notfalls bei seinen Betäubungsmittelgeschäften verteidigen zu können.
- 3
- 2. Die Verurteilung wegen 163 selbständiger Taten hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, da das Landgericht die Grundsätze der Bewertungseinheit nicht hinreichend beachtet hat.
- 4
- Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind sämtliche Betätigungen, die sich auf den Vertrieb derselben, in einem Akt erworbenen Betäubungsmittel beziehen, als eine Tat des unerlaubten Handeltreibens anzusehen, weil bereits ihr Erwerb und Besitz zum Zweck des gewinnbringenden Weiterverkaufs den Tatbestand des Handeltreibens in Bezug auf die Gesamtmenge erfüllen; die späteren, diese Betäubungsmittel betreffenden Veräußerungsgeschäfte gehören als unselbständige Teilakte zu dieser Tat (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2012 – 4 StR 67/12, NStZ-RR 2012, 279, und vom 11. Januar 2012 – 5 StR 445/11, NStZ-RR 2012, 121, jeweils mwN); dies gilt auch, wenn – wie zum Teil im vorliegenden Fall – die Abgabe an Minderjährige erfolgt (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2003 – 3 StR 123/03, NStZ 2004, 109). Es ist daher rechtsfehlerhaft , allein auf die Anzahl der Veräußerungsgeschäfte abzustellen, wenn sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass an sich selbständige Rauschgiftgeschäfte dieselbe Rauschgiftmenge betreffen (BGH, Beschluss vom 25. September 2003 – 4 StR 291/03). So liegt es hier.
- 5
- Das Landgericht hat den Zeitpunkt des Erwerbs der größeren Menge Marihuana, von der sich am 8. Oktober 2012 noch 625 g in der Wohnung des Angeklagten befanden, nicht näher eingrenzen können. Es liegt daher nicht fern, dass der Angeklagte sämtliche Kleinmengen, die er nach den Urteilsfeststellungen in den sieben Monaten zuvor veräußert hat, demselben bereits zuvor angeschafften Vorrat entnommen hat; dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass sich die insgesamt veräußerte Menge nur auf wenig mehr als ein Viertel der am 8. Oktober 2012 noch aufgefundenen Menge belief.
- 6
- 2. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab, da es bei dieser Sachlage ausgeschlossen erscheint, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen treffen ließen, die die Annahme einer Bewertungseinheit hindern könnten. Wenngleich aufgrund der Bewertungseinheit sämtliche Veräußerungshandlungen an sich unselbständige Teilakte der Tat nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG darstellen, steht die gewerbsmäßige unerlaubte Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige (zur Gewerbsmäßigkeit bei Vorliegen einer Bewertungseinheit vgl. Körner/Patzak, BtMG, 7. Aufl., § 29 Teil 26 Rn. 19 mwN) mit dem Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens in Tateinheit, da insoweit durch dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze mit eigenständigem Unrechtsgehalt verletzt sind (BGH, Beschluss vom 13. Juli 1994 – 3 StR 138/94, NStZ 1994, 496; Körner/Patzak, aaO, § 30 Rn. 81).
- 7
- Die Schuldspruchänderung zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich. Eine derart eindeutig für das Ausmaß der Schuld bedeutungslose abweichende Beurteilung der Konkurrenzen, dass eine Durchentscheidung auf eine Freiheitsstrafe in Höhe der verhängten Gesamtstrafe möglich wäre, liegt nicht vor. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da lediglich Wertungsfehler vorliegen. Neue Feststellungen sind möglich, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.