Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

Nachschlagewerk: nein
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Wird in der Hauptverhandlung ein Vermerk über ein außerhalb
der Hauptverhandlung geführtes Verständigungsgespräch verlesen
, ist der Protokollierungspflicht des § 273 Abs. 1a Satz 2
StPO genügt, wenn der Vermerk durch die Angabe der Aktenfundstelle
unverwechselbar bezeichnet wird.
BGH, Beschluss vom 30. Juli 2019 – 5 StR 288/19
LG Flensburg –
ECLI:DE:BGH:2019:300719B5STR288.19.0
BESCHLUSS 5 StR 288/19 vom 30. Juli 2019 in der Strafsache gegen

wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge

ECLI:DE:BGH:2019:300719B5STR288.19.0
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 30. Juli 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 sowie entsprechend § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 24. Januar 2019 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass er hinsichtlich der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 18.135 Euro gesamtschuldnerisch haftet.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 28.135 Euro angeordnet. Die mit einer Verfahrens- und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen geringfügigen Teilerfolg und ist im Übrigen im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
2
1. Die Rüge eines Verstoßes gegen die Protokollierungs- und Dokumentationspflicht aus § 273 Abs. 1a Satz 2 i.V.m. § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO ist unbegründet. Ihr liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
3

a) Nach Beginn der Hauptverhandlung wurde diese auf Anregung des Instanzverteidigers für ein Rechtsgespräch unterbrochen, in dem es um die Frage einer Verständigung (§ 257c StPO) ging. Der Vorsitzende fertigte über den Inhalt des Gesprächs einen zweiseitigen, inhaltlich vollständigen Vermerk und nahm ihn zu den Akten. Der Vermerk wurde den Verfahrensbeteiligten zugesandt. Zu Beginn des nächsten Hauptverhandlungstages erklärten zunächst der Vertreter der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger ihre Zustimmung zu dem Vermerk. Anschließend berichtete der Vorsitzende darüber, dass im Anschluss an den letzten Hauptverhandlungstag ein Rechtsgespräch stattgefunden habe. Er verlas zur Mitteilung über dessen Inhalt den darüber aufgenommenen Vermerk.
4
Protokolliert wurde dieser Vorgang wie folgt: „Der Vorsitzende informierte über den Inhalt des Rechtsgesprächs am 03.01.2019 und verlas hierzu den Vermerk vom 03. Januar 2019 (Blatt 649 ff. d. A.).“ Der Vermerk wurde nicht als Anlage zu Protokoll genommen. Die Revision sieht hierin einen Verstoß gegen § 273 Abs. 1a Satz 2 i.V.m. § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO sowie eine Verletzung des Anspruchs des Angeklagten auf ein faires Verfahren.
5
b) Einen Rechtsverstoß zeigt die Revision damit nicht auf.
6
aa) Ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO liegt nicht vor. Die Revision legt selbst dar, dass die ausführliche Mitteilung in der Hauptverhandlung über den Inhalt des außerhalb der Hauptverhandlung geführten Verständigungsgesprächs durch Verlesung des Vermerks inhaltlich zutreffend war und den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2018 – 2 StR 417/18, StV 2019, 377 mwN) entsprach. Die Mitteilung des Vorsitzenden stellte keinen unzu- reichenden bloßen Verweis auf den über das Gespräch aufgenommenen Vermerk dar (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. September 2015 – 4 StR 54/15), vielmehr wurde dieser vollständig in der Hauptverhandlung zur Kenntnis gebracht.
7
bb) Eine Verletzung von Protokollierungspflichten ist ebenfalls nicht dargetan. Nach § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO muss das Protokoll die Beachtung der in § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Mitteilungen dokumentieren. Hierfür bietet sich an, über ein außerhalb der Hauptverhandlung geführtes Verständigungsgespräch alsbald einen entsprechenden Vermerk zu fertigen (vgl. §§ 202a, 212 StPO), diesen – wie vorliegend geschehen – in der Hauptverhandlung zu verlesen und anschließend als Anlage zu Protokoll zu nehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 – 5 StR 180/18, NStZ-RR 2018, 355 m. Anm. Müller-Metz).
8
Die Protokollierungspflicht des § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO ist aber auch dann erfüllt, wenn über die Verlesung hinaus der Vermerk durch Angabe der Aktenfundstelle so unverwechselbar bezeichnet wird, dass eine eindeutige Identifizierung des Schriftstücks möglich ist. Dies entspricht der gesetzlichen Regelung über die Protokollierung beim Urkundenbeweis (§ 273 Abs. 1 Satz 1 StPO). Reicht bei der Beweiserhebung im Strengbeweisverfahren die Bezeichnung einer eindeutigen Aktenfundstelle aus, um nicht nur die Tatsache, sondern auch den Inhalt der Beweiserhebung ausreichend zu dokumentieren (vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. Juli 2018 – 3 StR 204/18, StraFo 2019, 38 mwN zur deshalb möglichen Inbegriffsrüge beim Urkundenbeweis), muss Gleiches für die Erfüllung prozessualer Mitteilungspflichten gelten. Entscheidend ist, dass sich nicht nur die Tatsache einer Mitteilung, sondern auch deren Inhalt dem Protokoll in Verbindung mit den Akten zuverlässig entnehmen lässt (vgl. zum Gleichlauf von Mitteilungs- und Protokollierungspflicht BGH, Urteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 195/12, BGHSt 58, 310, 313; Beschluss vom 8. Oktober 2013 – 4 StR 272/13). Mit dem Wortlaut von § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO ist dies ebenso vereinbar (vgl. Mosbacher, NStZ 2013, 722, 723 f.) wie mit dem Schutzkonzept der Verständigungsvorschriften (dazu näher BVerfGE 133, 168).
9
2. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge gibt dem Senat Anlass, in Höhe von 18.135 Euro die gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten für die Einziehung des Wertes von Taterträgen neben dem gesondert verfolgten K. anzuordnen (vgl. Antragsschrift des Generalbundesanwalts und BGH, Urteil vom 5. Juni 2019 – 5 StR 670/18).
10
3. Angesichts des nur geringfügigen Teilerfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (vgl. § 473 Abs. 4 StPO).
Mutzbauer Schneider König
Berger Mosbacher

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(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.

(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.

(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.

(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 417/18
vom
23. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
ECLI:DE:BGH:2018:231018B2STR417.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 23. Oktober 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 12. April 2018 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in - nach dem schriftlichen Urteilstenor - drei Fällen, Missbrauchs von Kindern in 24 Fällen und Besitzes kinderpornografischer Schriften in Tateinheit mit Verbreitung kinderpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Rüge eines Verstoßes gegen §§ 257c, 243 Abs. 4 Satz 2 StPO Erfolg.
2
Der Generalbundesanwalt hat zutreffend in seiner Antragsschrift vom 13. September 2018 ausgeführt: „Der gerügte Verfahrensverstoß liegt vor. Das Landgericht hat seine Informationspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO verletzt. (1) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende des Gerichts mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben. Die Pflicht zur Mitteilung der mit dem Ziel einer Verständigung über den Verfahrensausgang geführten Gespräche erstreckt sich deshalb auch auf die Darlegung, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde, welche Standpunkte gegebenenfalls von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden und auf welche Resonanz diese bei den anderen am Gespräch Beteiligten jeweils gestoßen sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10, BVerfGE 133, 168, 215 f.; Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2016 - 2 StR 367/16, NStZ 2017, 244; Senatsurteil vom 5. Juni 2014 - 2 StR 381/13, NStZ 2014, 601; BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 - 1 StR 315/14, BGHSt 60, 150, 152; vom 25. Februar 2015 - 4 StR 470/14, NStZ 2015, 353). Dementsprechend hat der Vorsitzende zur Gewährleistung einer effektiven Kontrolle Verlauf und Inhalt der Gespräche in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen (§ 273 Abs. 1a Satz 2 StPO), wobei die Dokumentationspflicht auch für erfolglos geführte Gespräche gilt, in deren Verlauf keine Verständi- gung zustande gekommen ist (vgl. Senatsurteil vom 5. Juni 2014 - 2 StR 381/13, Rn. 10, BGHSt 59, 252). Diesen Anforderungen genügen die im vorliegenden Fall erfolgten Mitteilungen über während zweier Unterbrechungen der Hauptverhandlung mit dem Ziel einer Verständigung geführten Gespräche nicht, weil lediglich deren Ergebnisse mitgeteilt wurden (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2016 - 2 StR 367/16, NStZ 2017, 244; BGH, Beschlüsse vom 11. Januar 2018 - 1 StR 532/17, Rn. 14, NStZ 2018, 363; vom 25. Februar 2015 - 4 StR 470/14, NStZ 2015, 353). Es blieb jeweils offen, welche Standpunkte von den Teilnehmern der Gespräche, insbesondere von der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft, vertreten wurden, und ob sie bei den anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sind. Auch fehlt die Mitteilung, dass der Vorsitzende – bei beiden Erörterungen – auf (erhebliche) 'Beweisprobleme' in Bezug auf die angeklagten Taten zum Nachteil der Nebenklägerin, der Geschädigten R. , hingewiesen hatte. (2) Bei Verstößen gegen die Mitteilungspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO ist regelmäßig davon auszugehen, dass das Urteil darauf beruht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2015 - 2 BvR 878/14, NStZ 2015, 170, 172 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2018 - 1 StR 532/17, NStZ 2018, 363), da sich – bis auf eng begrenzte Ausnahmefälle – nicht ausschließen lässt, dass das Gericht bei gesetzesmäßigem Vorgehen infol- ge eines anderen Prozessverlaufs zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. So liegt der Fall hier. Das Landgericht hat seiner Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten maßgeblich dessen geständige Einlassung zugrunde gelegt (UA S. 8), die der Angeklagte – über seinen Verteidiger und von ihm bestätigt – im unmittelbaren Anschluss an die Verständigung und seiner Belehrung nach § 257c StGB abgegeben hatte (RB S. 5). […] Wegen des Einlassungsverhaltens des Angeklagten hatte die Strafkammer auch ausdrücklich von einer Vernehmung der – teilweise noch kindlichen – Geschädigten abgesehen (UA S. 14/15). Aus eigener Anschauung hatte der Angeklagte, der an den verständigungsbezogenen Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung nicht beteiligt war, keine Kenntnis vom wesentlichen Inhalt der Gespräche, insbesondere den unterschiedlichen Strafmaßvorstellungen der Verfahrensbeteiligten und der vom Gericht geäußerten vorläufigen Sachverhaltsbewertung. In derartigen Fällen ist nicht von vornherein auszuschließen, dass sich der Angeklagte bei einer ordnungsgemäßen Information zu einem anderen Verteidigungsverhalten entschlossen hätte und deshalb andere, für ihn günstigere Feststellungen , hätten getroffen werden können. Daran vermag auch der Umstand, dass der Angeklagte – wie die Revision selbst vorträgt (RB S. 4) – von seinem Verteidiger über den Inhalt der Verständigungsgespräche unterrichtet wurde. Diese von Verständnis und Wahrnehmung des Verteidigers beeinflusste Information vermag die erforderliche Unterrichtung durch das Gericht grundsätzlich nicht zu ersetzen (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2016 - 2 StR 367/16, NStZ 2017, 244; Senatsurteil vom 5. Juni 2014 - 2 StR 381/13, Rn. 20, BGHSt 59, 252).“
3
Dem schließt sich der Senat an und bemerkt, dass der neue Tatrichter im Falle einer Verurteilung die Bildung einer Gesamtstrafe nicht dem Beschlussverfahren nach §§ 460 ff. StPO überlassen darf. Liegen die entsprechenden Voraussetzungen für eine Gesamtstrafenbildung vor, ist der Tatrichter hierzu grundsätzlich verpflichtet (BGH, Beschluss vom 18. September 1974 - 3 StR 217/74, BGHSt 25, 382, 383).
Schäfer Appl Eschelbach Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR54/15
vom
23. September 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 23. September 2015 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 12. August 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei in neun Fällen und versuchter gewerbsmäßiger Bandenhehlerei schuldig gesprochen und zu Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils drei Jahren verurteilt. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben in vollem Umfang Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieben die Angeklagten seit März 2013 im Innenverhältnis gleichberechtigt eine Firma zum An- und Verkauf von Metall in der Rechtsform einer GmbH mit Sitz in B. . Spätestens Anfang November 2013 erkannten sie, dass ihre Geschäfte „auch“ Metallzum Gegenstand hatten, das rumänische Banden zuvor bei gewerbsmäßigen Diebstählen entwendet hatten, was sie billigten, um sich aus den Verkäufen eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu erschließen.
3
Den Verurteilungen liegen insgesamt neun Fälle zu Grunde, in denen die Angeklagten zwischen dem 2. November 2013 und dem 6. Januar 2014 in arbeitsteiligem Zusammenwirken zuvor von unbekannten Tätern entwendetes Buntmetall im Wert zwischen 5.000 € und 160.000 € erwarben, um es anschließend gewinnbringend weiterzuverkaufen (Fälle III. 1 bis 9 der Urteilsgründe). In einem weiteren Fall wurde der Ankauf einer weiteren Menge von gestohlenem Buntmetall in der Nacht zum 5. Februar 2014 wegen des Erscheinens von Polizeibeamten auf dem Gelände des Betriebs der Angeklagten abgebrochen (Fall III. 10 der Urteilsgründe).

II.


4
Das angefochtene Urteil hat keinen Bestand, da ihm insbesondere hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes der §§ 259 Abs. 1, 260a StGB eine tragfähige Beweisgrundlage fehlt. Da das Revisionsgericht dies schon auf Sachrüge hin zu beachten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2013 – 2 StR 265/13, NStZ 2014, 170), kommt es auf die von den Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen nicht an.
5
1. Wie sich der Tatrichter die hinreichende Überzeugung vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der von ihm angewendeten Strafvorschriften verschafft, unterliegt seiner freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO). In welchem Umfang er sie in den Urteilsgründen mitzuteilen hat, hängt von den Gegebenheiten des jeweiligen Falles ab (vgl. Senatsurteil vom 22. Mai 2014 – 4 StR 430/13, NStZ 2014, 459, Rn. 16). Das gilt regelmäßig auch dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Verurteilung auf Geständnissen der Angeklagten beruht. Der Tatrichter ist daher nicht gehindert, auf der Grundlage der vom Täter glaubhaft eingeräumten objektiven Tatumstände im Wege eines Indizschlusses auf das Vorliegen von Umständen zu schließen, die außerhalb seiner unmittelbaren Wahrnehmung liegen. So gibt es etwa keinen Rechtssatz des Inhalts, Feststellungen zu einem Irrtum beim Betrug könnten nicht auf der Grundlage geständiger Angaben des Täters getroffen werden (BGH, Beschluss vom 4. September 2014 – 1 StR 314/14, NStZ 2015, 98; in der Tendenz differenzierend BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 – 2 StR 658/13, NStZ 2014, 644; vgl. auch Senatsurteil vom 22. Mai 2014 aaO). Entsprechendes gilt für den im vorliegenden Fall herangezogenen Tatbestand der Hehlerei (§ 259 Abs. 1 StGB), der neben der Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern, das Vorliegen zumindest bedingten Vorsatzes auch in Bezug auf die Vortat im Sinne des § 259 Abs. 1 StGB voraussetzt. Der Tatrichter muss aber in den Urteilsgründen darlegen, auf welcher Grundlage er sich die Überzeugung davon verschafft hat, dass der Täter es als möglich und nicht ganz fernliegend erkannt und sich wenigstens damit abgefunden hat, dass die jeweiligen Gegenstände durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete Vortat erlangt wurden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 23. November 1999 – 4 StR 491/99, BGHR StGB § 259 Abs. 1 Vortat 6; Beschluss vom 13. Novem- ber 2012 – 3 StR 364/12, NStZ-RR 2013, 78).
6
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
7
Die Urteilsausführungen zu den erhobenen Beweisen teilen lediglich mit, die getroffenen Feststellungen zum Tatgeschehen beruhten auf den Einlassun- gen der Angeklagten, „die ihre jeweiligen Taten in Einzelheiten glaubhaft, soweit sie Gegenstand ihrer Wahrnehmung waren, gestanden“ hätten. Die Ange- klagten hätten „kein Motiv, sich zu Unrecht zu belasten“. Dies allein vermag die Verurteilung der Angeklagten wegen Hehlerei hier nicht zu tragen.
8
Zwar ist die genaue Kenntnis des Hehlers von der Vortat nicht erforderlich ; es genügt vielmehr, dass dieser sich eine strafbare Handlung vorstellt, die als Vortat für eine Hehlerei prinzipiell geeignet ist (vgl. Senatsbeschluss vom 10. April 2008 – 4 StR 443/07, BGHR StGB § 259 Abs. 1 Vortat 9). Zu den entsprechenden Vorstellungen der Angeklagten, die von den Taten berichteten, soweit sie „Gegenstand ihrer Wahrnehmung waren“, verhält sich das Urteil je- doch nicht. Dazu hätte indes Anlass bestanden. Nach den Feststellungen kauf- ten die Angeklagten seit März 2013 „auch“ – d.h.nicht ausschließlich – Metall zur gewinnbringenden Weiterveräußerung an, das aus Diebstahlstaten Dritter stammte. Bewusst wurde ihnen dies Anfang November 2013. Es hätte daher der Darlegung bedurft, weshalb die Angeklagten in den der Verurteilung zugrunde liegenden Fällen wussten oder es zumindest für möglich hielten und billigten, dass das in diesen Fällen angekaufte Metall aus Diebstahlstaten herrührte , zumal die Diebstahlstäter (mit Ausnahme des früheren Mitangeklagten M. im Fall III. 4. der Urteilsgründe) unbekannt geblieben sind. Da das Landgericht zum Inhalt der Geständnisse nichts mitteilt, ist dem Senat eine Überprüfung, ob die Feststellungen durch die Geständnisse hinreichend belegt werden, nicht möglich.

III.


9
Im Hinblick auf die von allen Angeklagten gerügte Verletzung verfahrensrechtlicher Bestimmungen über die Regelung der Verständigung bemerkt der Senat:
10
Ausweislich des von den Beschwerdeführern im Revisionsverfahren vorgelegten Vermerks des Vorsitzenden wurde in dem Gespräch zwischen den Kammermitgliedern und den Verteidigern nach Anklageerhebung und vor Eröffnung des Hauptverfahrens am 3. Juli 2014 eine „Übereinkunft“ über die in Betracht kommenden Rechtsfolgen im Falle von Geständnissen der Angeklagten erzielt, der die Staatsanwältin telefonisch zustimmte. In der neuen Hauptverhandlung wird der Vorsitzende daher gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht nur diesen Umstand, sondern auch den wesentlichen Inhalt der in die Übereinkunft mündenden Gespräche mitteilen müssen (zu den Anforderungen an eine solche Mitteilung und zum weiteren Verfahren vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 5 StR 255/15; SSW-StPO/Franke, 2. Aufl., § 243 Rn. 17 mwN). Ein bloßer Verweis auf den Vermerk vom 11. Juli 2014 in der Hauptverhandlung reicht für die erforderliche Mitteilung über den Inhalt dieser Gespräche und der Übereinkunft nicht aus.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Bender Quentin

(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.

(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.

(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.

(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

Erwägt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, kann es den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterung ist aktenkundig zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 180/18
vom
5. Juli 2018
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:050718B5STR180.18.1

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 5. Juli 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 9. November 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung und mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Zudem hat es gegen ihn die Einziehung des Wertes des Tatertrages angeordnet. Die Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg ; einer Entscheidung über die ebenfalls erhobene Sachbeschwerde bedarf es daher nicht.
2
1. Der Beschwerdeführer beanstandet mit Recht eine Verletzung der Mitteilungspflichten nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO.
3
a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
4
Kurz vor Beginn der Hauptverhandlung fand auf Initiative der Verteidigung ein Rechtsgespräch zwischen der Vorsitzenden der Strafkammer, dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft sowie den Verteidigern des Beschwerdeführers und der Mitangeklagten über die Möglichkeiten einer Verständigung nach § 257c StPO statt. Hinsichtlich des Beschwerdeführers stellte die Vorsitzende für den Fall eines Geständnisses eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren bis zu vier Jahren und sechs Monaten in Aussicht. Der Staatsanwalt lehnte eine Verständigung auf dieser Grundlage ab, da seiner Auffassung nach die schuldangemessene Strafe „eher bei fünf Jahren“ zu finden sei. Auf Nach- frage des Verteidigers des Beschwerdeführers erklärte er, im Falle einer Strafobergrenze von fünf Jahren einer Verständigung zustimmen zu können. Die Vorsitzende kündigte an, das Gesprächsergebnis mit den weiteren Mitgliedern der Strafkammer zu erörtern.
5
In der Hauptverhandlung teilte die Vorsitzende mit, dass nach einem Rechtsgespräch mit den Verteidigern und dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft eine Verständigung in Betracht komme, die für den Beschwerdeführer im Falle eines Geständnisses eine Freiheitsstrafe zwischen vier und fünf Jahren vorsah. Die von ihr zu Beginn des Vorgespräches in Aussicht gestellte Strafobergrenze von vier Jahren und sechs Monaten sowie die insoweit ablehnende Stellungnahme der Staatsanwaltschaft erwähnte die Vorsitzende nicht. Anschließend schlug die Strafkammer eine Verständigung vor, die dem in der Hauptverhandlung mitgeteilten Ergebnis des Rechtsgespräches entsprach. Der Beschwerdeführer stimmte dem Vorschlag zu und räumte in der Folge die Anklagevorwürfe ein.
6
b) Die Mitteilung über das Rechtsgespräch genügt nicht den Informationspflichten nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO. Denn die Vorsitzende hat lediglich das Ergebnis des Vorgespräches mitgeteilt, nicht aber ihren anfänglichen Vorschlag und den hierzu vertretenen (ablehnenden) Standpunkt der Staatsanwaltschaft (vgl. BVerfGE 133, 168, 217; BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 3 StR 216/16, NStZ 2017, 363, 364). Dass an dem Gespräch lediglichdie Vorsitzende der Strafkammer teilgenommen hat, nimmt ihm nicht den Charakter einer die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO auslösenden Erörterung über die Möglichkeit einer Verständigung nach §§ 202a, 212 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2017 – 3 StR 470/14, NStZ 2016, 221, 222; Beschluss vom 12. Juli 2016 – 1 StR 136/16).
7
2. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils. Nach der insoweit von der herkömmlichen Dogmatik zum Beruhen (§ 337 StPO) abweichenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Niemöller NStZ 2015, 489, 490, 494) kann der Senat nicht ausschließen, dass der Schuldspruch auf der Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO beruht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 2 BvR 2055/14, NStZ 2015, 172, 173 f.; vom 23. Mai 2016 – 2 BvR 2477/15).
8
3. Ergänzend bemerkt der Senat:
9
Um die Aufhebung materiell-rechtlich fehlerfreier Urteile allein wegen einer Verletzung der Mitteilungspflichten nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO zu vermeiden , empfiehlt es sich, den über ein Verständigungsgespräch (alsbald) zu fertigenden, den Erfordernissen des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO genügenden Aktenvermerk (§ 202a Satz 2, § 212 StPO) in der Hauptverhandlung zu verlesen und als Anlage zum Sitzungsprotokoll zu nehmen.
Mutzbauer Sander Berger
RiBGH Prof. Dr. Mosbacher Köhler ist infolge Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer

(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.

(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.

(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.

(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 204/18
vom
10. Juli 2018
in der Strafsache
gegen
alias:
wegen Mordes in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen
ECLI:DE:BGH:2018:100718B3STR204.18.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 10. Juli 2018 einstimmig
beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 16. Oktober 2017 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

1
1. Der Senat bemerkt ergänzend zur Verfahrensrüge des Angeklagten, mit welcher er einen Widerspruch zwischen den Urteilsfeststellungen und dem Inhalt eines verlesenen Sektionsprotokolls beanstandet (Inbegriffsrüge nach § 261 StPO, S. 111 - 150 der Revisionsbegründung):
2
a) Das Landgericht hat bezüglich beider Tatopfer jeweils die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe als erfüllt angesehen (§ 211 Abs. 2 StGB). Nach der Überzeugung des Tatgerichts sprach für einen überraschenden Angriff des Angeklagten auf das erste Tatopfer W. u.a. "das Fehlen jeglicher Abwehrverletzungen". Dies widerspricht dem Inhalt des rechtsmedizinischen Sektionsprotokolls vom 6. Januar 2015, in welchem der Privatdozent Dr. med. A. und der Assistenzarzt J. eine Schnittverlet- zung an W. s linkem Unterarm als passive Abwehrverletzung sowie eine scharfrandige Verletzung am Daumen und Zeigefinger ihrer linken Hand als eine aktive Abwehrverletzung werteten. Zu diesen beiden Punkten verhalten sich die Urteilsgründe nicht.
3
b) Ohne Verstoß gegen das Rekonstruktionsverbot hat der Beschwerdeführer mit seiner Verfahrensrüge damit einen Widerspruch zwischen dem Wortlaut einer verlesenen Urkunde und dem Urteilsinhalt aufgezeigt (siehe nur BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 2010 - 4 StR 401/10, StV 2012, 67, 68; vom 19. August 2008 - 3 StR 252/08, NStZ 2009, 404; vom 22. November 1988 - 1 StR 559/88, BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 15). Auf diesem Verfahrensmangel beruht das Urteil indes nicht (§ 337 Abs. 1 StPO); denn nach den im Übrigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen würde sich an der Bewertung des Vorgehens des Angeklagten gegen die beiden Tatopfer als heimtückisch (§ 211 Abs. 2 2. Gruppe 1. Merkmal StGB) auch dann nichts ändern , wenn das Tatopfer W. noch in der Lage gewesen sein sollte, mit bloßen Händen Abwehrversuche gegen die Messerstiche des Angeklagten zu unternehmen.
4
aa) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Heimtückisches Handeln erfordert jedoch kein "heimliches" Vorgehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen. Maßgebend für die Beurteilung ist die La- ge bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (siehe nur BGH, Urteil vom 3. September 2015 - 3 StR 242/15, NStZ 2016, 340, 341; Beschluss vom 28. Juni 2016 - 3 StR 120/16, NJW 2016, 2899, jeweils mwN). Ein solcher Fall ist zum Beispiel anzunehmen, wenn der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz in einen Hinterhalt lockt, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, und die entsprechenden Vorkehrungen und Maßnahmen bei Ausführung der Tat noch fortwirken (siehe nur BGH, Urteil vom 17. Januar 1968 - 2 StR 523/67, BGHSt 22, 77, 79 f.; Beschlüsse vom 7. April 1989 - 3 StR 83/89, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 8; vom 24. Januar 2017 - 2 StR 459/16, juris Rn. 11). Mithin stehen Abwehrversuche, die der überraschte und in seinen Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkte Geschädigte im letzten Moment unternimmt, in solchen Konstellationen der Annahme von Heimtücke nicht entgegen (st. Rspr.; siehe BGH, Urteile vom 22. August 1995 - 1 StR 393/95, NJW 1996, 471 [insoweit in BGHSt 41, 222 nicht abgedruckt]; vom 16. Juni 1999 - 2 StR 68/99, NStZ 1999, 506, 507; vom 3. September 2002 - 5 StR 139/02, NStZ 2003, 146, 147; vom 11. Oktober 2005 - 1 StR 250/05, NStZ 2006, 96).
5
bb) So liegt es hier. Der Angeklagte lockte sowohl seine Ehefrau als auch deren Freundin W. in die Familienwohnung im 5. Stock, indem er beide darüber belog, er wolle ein Versöhnungsgespräch führen. Tatsächlich fasste er bereits zuvor den Tötungsvorsatz und schloss, um beiden Opfern jegliche Möglichkeit zur Flucht oder zum Hilferuf zu nehmen, die Wohnungstür ab und zog den Stecker des Telefonanschlusses. Derart in eine Falle gelockt, waren beide Tatopfer, die beim Messerangriff des Angeklagten auf dem Ecksofa saßen, zu diesem Zeitpunkt überrascht und dem Angriff ausgeliefert. Die im rechtsmedizinischen Gutachten aufgezeigten kleineren Abwehrverletzungen ändern demnach nichts an der heimtückischen Vorgehensweise des Angeklagten.
6
2. Soweit der Angeklagte innerhalb dieser Verfahrensrüge weiter beanstandet , dass sich das Urteil nicht mit einem verlesenen Bericht über die Untersuchung von am Tatort aufgefundenen Kleidungsstücken, namentlich eines abgerissen Knopfs, einer aufgefundenen Stofflasche und eines Oberhemds mit Stoffdefekten, auseinandersetze, gelten die obigen Ausführungen entsprechend. Becker Gericke Tiemann Hoch Leplow

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 195/12
vom
10. Juli 2013
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
------------------------------
1. Die Grundsätze zur Unzulässigkeit einer bloßen Protokollrüge gelten nicht, wenn
ein Verfahrensfehler behauptet wird, der in seinem Kern darin besteht, dass das
Hauptverhandlungsprotokoll den Inhalt außerhalb der Verhandlung geführter Verständigungsgespräche
nicht wiedergibt. Insoweit hat der Gesetzgeber eine Sonderregelung
getroffen.
2. Eine entgegen § 273 Abs. 1a StPO fehlende oder inhaltlich unzureichende Dokumentation
von außerhalb der Hauptverhandlung geführten Verständigungsgesprächen
im Sinne von § 243 Abs. 4 StPO führt in der Regel dazu, dass das Beruhen
des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht auszuschließen ist.
BGH, Urteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 195/12 – LG Koblenz
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Betrugs u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
3. Juli 2013 in der Sitzung am 10. Juli 2013, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
als Verteidiger,
der Angeklagte T. in der Verhandlung in Person,
Justizangestellte in der Verhandlung,
Justizangestellte bei der Verkündung
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 6. September 2011 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Betrugs in zwei Fällen, Gründungschwindels in zwei Fällen, Bankrotts in sechs Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit falscher Versicherung an Eides statt, und wegen Gläubigerbegünstigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachbeschwerde und Verfahrensrügen. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg, so dass es auf die weiteren Rügen nicht mehr ankommt.

I.

2
Dem Urteil ist eine Verständigung im Sinne von § 257c Abs. 3 StPO vorangegangen. Im Protokoll der Hauptverhandlung ist ausgeführt: "Der Vorsitzende gab bekannt, dass in der Verhandlungspause eine tatsächliche Verständigung nach § 257c StPO erörtert worden ist. Das Gericht hat für den Fall eines Geständnisses eine Strafobergrenze von drei Jahren und eine Strafuntergrenze von zwei Jahren und zehn Monaten Gesamtfreiheitsstrafe in Aussicht gestellt. … Die Vertreter der Staatsanwaltschaft stimmten zu. Die Hauptverhandlung wurde von 12.40 Uhr bis 12.46 Uhr unterbrochen. Der Angeklagte und der Verteidiger erklärten Zustimmung. …"
3
Der Beschwerdeführer macht dazu geltend, die "formellen Anforderungen an eine Verständigung" seien nicht eingehalten worden, "da insbesondere die erforderlichen Protokollierungsanforderungen nicht beachtet" worden seien. Er trägt vor, anhand des Protokolls müssten zumindest die Fragen beantwortet werden können, von wem die Initiative zur Verständigung ausgegangen sei, ob alle Verfahrensbeteiligten an dem Gespräch beteiligt gewesen und von welchem Sachverhalt sie ausgegangen seien, ferner welche Vorstellungen sie vom Ergebnis der Verständigung gehabt hätten. Das Protokoll besage nichts darüber.

II.

4
Diese Verfahrensrüge ist zulässig und begründet.
5
1. Das Vorbringen unterliegt der Auslegung. Soweit der Beschwerdeführer Ausführungen im Protokoll zur Mitteilung des Inhalts von Gesprächen mit dem Ziel einer Verständigung vermisst, die außerhalb der Hauptverhandlung geführt worden waren, geht es der Sache nach um die Nichtbeachtung der §§ 243 Abs. 4 Satz 2, 273 Abs. 1a Satz 2 StPO.
6
Nach dem Rechtsgedanken des § 300 StPO, der auf die Auslegung von Verfahrensrügen entsprechend angewendet wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 25. Januar 2005 – 2 BvR 656/99 u.a., BVerfGE 112, 185, 211), schadet es nicht, dass der Beschwerdeführer nur auf § 257c StPO verweist, denn die Regelungen der §§ 243 Abs. 4 Satz 2, 273 Abs. 1a Satz 2 StPO betreffen das Verfahren auf dem Weg zu einer Verständigung im Sinne von § 257c Abs. 3 StPO. Insoweit ist die Angriffsrichtung des Rügevorbringens eindeutig erkennbar.
7
Das Vorbringen des Beschwerdeführers genügt den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Zwar ist eine Verfahrensrüge im Allgemeinen unzulässig, wenn sich dem Revisionsvorbringen nicht die bestimmte Behauptung entnehmen lässt, dass ein Verfahrensfehler vorliegt, sondern nur, dass er sich aus dem Protokoll ergebe (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 13. Juli 2011 – 4 StR 181/11, StV 2012, 73). Dies kann aber ausnahmsweise dann nicht gelten, wenn ein Verfahrensfehler behauptet wird, der in seinem Kern gerade darin besteht, dass das Protokoll den Inhalt der Gespräche, die außerhalb der Hauptverhandlung mit dem Ziel einer Verständigung geführt wurden, nicht mitteilt. Denn dazu hat der Gesetzgeber eine Sonderregelung getroffen.
8
Die Herstellung von Transparenz und die Dokumentation aller mit dem Ziel der Verständigung geführten Erörterungen entsprechen dem Sinn und Zweck des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren (VerstStVfÄndG, BGBl. 2009 I, S. 2353; Regierungsentwurf in BT-Drucks. 16/12310). Sie sind Elemente eines einheitlichen Konzepts (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1067 f., Tz. 96 f.). Die Einheitlichkeit dieses Regelungskonzepts hat auch Auswirkungen auf die Darlegungspflichten eines Revisionsführers gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Sein Vorbringen genügt, wenn Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung geführt wurden und eine Mitteilung des Vorsitzenden über deren wesentlichen Inhalt entweder tatsächlich nicht erfolgt ist oder jedenfalls nicht im Protokoll dokumentiert wurde, bereits dann den Anforderungen an eine hinreichend substantiierte Verfahrensrüge, wenn er nur auf das Fehlen einer Dokumentation hinweist. Denn ein Protokoll, das alleine die Tatsache einer außerhalb der Hauptverhandlung geführten Erörterung oder nur deren Ergebnis mitteilt, ist fehlerhaft, und schon dieser Verfahrensfehler kann erhebliche Auswirkungen auf das Prozessverhalten des Angeklagten entfalten (s. unten II.2.b). Mitteilungs - und Dokumentationsmängel im Hinblick auf die Anforderungen an das Verständigungsverfahren aus den §§ 243 Abs. 4, 273 Abs. 1a StPO sind dann aber auch im Sinne der Darlegungsanforderungen nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gleich zu behandeln.
9
2. Es liegt ein Verfahrensfehler vor, auf dem das Urteil beruht.
10
a) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen im Sinne der §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, und gegebenenfalls deren wesentlichen Inhalt (vgl. dazu auch Senat , Urteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 47/13). Diese Mitteilungspflicht ist gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO weiter zu beachten, wenn Erörterungen erst nach Beginn der Hauptverhandlung stattgefunden haben (vgl. BT-Drucks. 16/12310 S. 12; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl. 2013, § 243 Rn. 18c). Das Gesetz will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in der öffentlichen Hauptverhandlung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich dokumentiert wird. Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung dürfen kein informelles und unkontrollierbares Verfahren eröffnen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, StV 2011, 72 f.). Alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit sollen nicht nur darüber informiert werden, ob solche Erörterungen stattgefunden ha- ben, sondern auch darüber, welche Standpunkte gegebenenfalls von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BVerfG aaO NJW 2013, 1058, 1065, Tz. 85; BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, StV 2011, 72 f.). Zur Gewährleistung der Möglichkeit einer effektiven Kontrolle ist die Mitteilung des Vorsitzenden hierüber gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen. Das Fehlen der Protokollierung ist ein Rechtsfehler des Verständigungsverfahrens (vgl. BVerfG aaO NJW 2013, 1058, 1067, Tz. 97); er wird durch das Protokoll der Hauptverhandlung bewiesen.
11
Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob der Dokumentationspflicht nur dann ausreichend Genüge getan worden wäre, wenn der Protokollvermerk verlesen und genehmigt wurde (vgl. § 273 Abs. 3 Satz 3 StPO), wie es sinnvoll sein kann, weil ein erhebliches Interesse des Angeklagten (vgl. unten II.2.b) an der Feststellung des Wortlauts der Mitteilung besteht.
12
b) Ein Mangel des Verfahrens an Transparenz und Dokumentation der Gespräche, die mit dem Ziel der Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung geführt wurden, führt – ebenso wie die mangelhafte Dokumentation einer Verständigung – regelmäßig dazu, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht auszuschließen ist (vgl. BVerfG aaO NJW 2013, 1058, 1067, Tz. 97).
13
Das Gesetz will die Transparenz der Gespräche, die außerhalb der Hauptverhandlung geführt werden, durch die Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts in der Verhandlung für die Öffentlichkeit und alle Verfahrensbeteiligten, insbesondere aber für den Angeklagten herbeiführen. Der Angeklagte als ei- genverantwortliches Prozesssubjekt soll zuverlässig und in nachprüfbarer Form über den Ablauf und Inhalt derjenigen Verständigungsgespräche informiert werden, die außerhalb der Hauptverhandlung – in der Praxis meist in seiner Abwesenheit – geführt wurden. Durch die Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO und durch deren Protokollierung gemäß § 273 Abs. 1a StPO wird nicht nur das Ergebnis der Absprache, sondern auch der dahin führende Entscheidungsprozess festgeschrieben und der revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglich gemacht. Die Mitteilung und deren Dokumentation sowie die Nachprüfbarkeit in einem einheitlichen System der Kontrolle sind jeweils Grundlage einer eigenverantwortlichen Entscheidung des Angeklagten darüber, ob er dem Vorschlag des Gerichts gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO zustimmt. Für die Entscheidung des Angeklagten, die meist mit der Frage nach einem Geständnis in der Hauptverhandlung verbunden wird, ist es von besonderer Bedeutung, ob er über die Einzelheiten der in seiner Abwesenheit geführten Gespräche nur zusammenfassend und in nicht dokumentierter Weise von seinem Verteidiger nach dessen Wahrnehmung und Verständnis informiert wird oder ob ihn das Gericht unter Dokumentation seiner Mitteilungen im Protokoll der Hauptverhandlung unterrichtet. Schon durch das Fehlen der Dokumentation kann das Prozessverhalten des Angeklagten beeinflusst werden.
14
Es mag nicht ausgeschlossen sein, dass der Angeklagte im Einzelfall auch bei fehlerhaftem Hauptverhandlungsprotokoll durch eine ebenso zuverlässige Dokumentation in anderer Weise so unterrichtet wird, dass das Beru- hen des Urteils auf dem Protokollierungsfehler ausgeschlossen werden kann. Anhaltspunkte dafür liegen hier aber nicht vor.
Fischer Appl Schmitt Eschelbach Ott

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 272/13
vom
8. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 8. Oktober 2013 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 14. Februar 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 30 Fällen unter Einbeziehung einer noch nicht erledigten Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es ihn wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 38 Fällen zu der weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
3
Der Verteidiger des Angeklagten bat nach Verlesung der Anklageschrift und der Belehrung des Angeklagten über sein Schweigerecht um ein Rechtsgespräch. Weiter heißt es im Protokoll über den Verlauf der Hauptverhandlung vom 8. Februar 2013: „Die Hauptverhandlung wurde um 09.25 Uhr unterbrochen und um 10.37 Uhr fortgesetzt.
Die Kammer stellte dem Angeklagten nach Beratung in Aussicht, dass sie gegen ihn im Falle einer vollumfänglich geständigen Einlassung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil vom 06.05.2011 zwei Gesamtstrafen verhängen werde, die in ihrer Summe in einem Rahmen von 6 Jahren 6 Monaten bis 7 Jahren 6 Monaten insgesamt liegen werden.“
4
Nach Belehrung des Angeklagten gemäß § 257c Abs. 5 StPO stimmten dieser und der Vertreter der Staatsanwaltschaft dem Vorschlag der Strafkammer zu. Der Verteidiger gab eine Einlassung im Namen des Angeklagten ab, welche dieser sich „voll umfänglich zu eigen“ machte.
5
Der Beschwerdeführer rügt einen „Verstoß gegen § 257c i.V.m. § 244 Abs. 2 und § 243 Abs. 4 StPO“ und macht hierzu u.a. geltend, der wesentliche Inhalt des „immerhin mehr als einstündigen Rechtsgesprächs“ hätte im Rahmen der öffentlichen Hauptverhandlung im Einzelnen dargelegt und protokolliert werden müssen.
6
2. Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet.
7
a) Es handelt sich nicht um eine unzulässige Protokollrüge (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 13. Juli 2011 – 4 StR 181/11, StV 2012, 73); denn der Beschwerdeführer leitet einen Verfahrensfehler aus dem Umstand her, dass die Sitzungsniederschrift den Inhalt der Gespräche, die außerhalb der Hauptverhandlung mit dem Ziel einer Verständigung geführt wurden, nicht mitteilt. Eine solche Rüge ist zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 195/12, NJW 2013, 3046).
8
b) Der vom Beschwerdeführer in der Sache gerügte Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO liegt vor.
9
aa) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 47/13, NStZ 2013, 610). Diese Mitteilungspflicht ist gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO weiter zu beachten, wenn Erörterungen erst nach Beginn der Hauptverhandlung stattgefunden haben (vgl. BT-Drucks. 16/12310, S. 12; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., 2013, § 243 Rn. 18c). Das Gesetz will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in der öffentlichen Hauptverhandlung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich dokumentiert wird. Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung dürfen kein informelles und unkontrollierbares Verfahren eröffnen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, StV 2011, 72 f.). Alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit sollen nicht nur darüber informiert werden, ob solche Erörterungen stattgefunden haben, sondern auch darüber, welche Standpunkte gegebenenfalls von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Ge- sprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BVerfG, NJW 2013, 1058, 1065; BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, StV 2011, 72 f.). Zur Gewährleistung einer effektiven Kontrolle ist die Mitteilung des Vorsitzenden hierüber gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen.
10
bb) Hier weist die Niederschrift über die Hauptverhandlung vom 8. Februar 2013 den wesentlichen Inhalt des Rechtsgesprächs in dem vorstehend dargestellten Sinn nicht aus. Das Fehlen der Protokollierung ist ein Rechtsfehler des Verständigungsverfahrens (vgl. BVerfG, NJW 2013, 1058, 1067); er wird durch das Protokoll der Hauptverhandlung bewiesen.
11
c) Ein Mangel an Transparenz und Dokumentation der Gespräche, die mit dem Ziel der Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung geführt wurden , führt – ebenso wie die mangelhafte Dokumentation einer Verständigung – regelmäßig dazu, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BVerfG, NJW 2013, 1058, 1067).
12
Wie der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seiner Grundsatzentscheidung vom 10. Juli 2013 (2 StR 195/12, NJW 2013, 3046, 3048) näher ausgeführt hat, will das Gesetz die Transparenz der Gespräche, die außerhalb der Hauptverhandlung geführt werden, durch die Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts in der Verhandlung für die Öffentlichkeit und alle Verfahrensbeteiligten, insbesondere aber für den Angeklagten, herbeiführen: Durch die Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO und durch deren Protokollierung gemäß § 273 Abs. 1a StPO werde nicht nur das Ergebnis der Absprache, sondern auch der dahin führende Entscheidungsprozess festgeschrieben und der revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglich gemacht. Die Mitteilung und deren Dokumentation sowie die Nachprüfbarkeit in einem einheitlichen System der Kontrolle seien jeweils Grundlage einer eigenverantwortlichen Entscheidung des Angeklagten darüber, ob er dem Vorschlag des Gerichts gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO zustimme. Schon durch das Fehlen der Dokumentation könne das Prozessverhalten des Angeklagten beeinflusst werden.
13
Umstände, wonach es im vorliegenden Fall ausnahmsweise anders liegen könnte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
14
3. Der Senat neigt dazu, dass das Gericht in einem Fall wie dem hier zu entscheidenden, in dem die Zäsurwirkung einer rechtskräftigen, noch nicht erledigten Vorverurteilung die Bildung mehrerer Gesamtstrafen erfordert, zunächst diesen Umstand bekannt geben muss (§ 257c Abs. 3 Satz 1 StPO). Will es nach seinem Ermessen Angaben zu der zu erwartenden Strafe machen (§ 257c Abs. 3 Satz 2 StPO), muss es für jede Gesamtstrafe gesondert die jeweilige Ober- und Untergrenze bezeichnen. Nur dies – und nicht die Angabe eines einheitlichen Rahmens für ein im Gesetz nicht vorgesehenes „Gesamtstrafübel“ – entspricht dem Wortlaut des § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.

(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.

(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.

(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 670/18
vom
5. Juni 2019
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:050619U5STR670.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. Juni 2019, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Köhler als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 28. September 2018 dahin geändert, dass gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Ta- terträgen in Höhe von 44.750 € als Gesamtschuldner angeordnet ist.
Der Angeklagte hat die im Revisionsverfahren entstandenen Kosten und Auslagen zu tragen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Einziehung eines Geldbetrages von 4.250 € angeordnet. Mit ihrer wirksam hierauf beschränkten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe der gesamten Tatbeute (45.000 €) abzüglich eines demGeschädigten erstatte- ten Betrages von 250 €. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts ließ sich der Angeklagte auf den Vorschlag eines unbekannten Mittäters ein, sich durch einen so ge- nannten „Rip-Deal“ Geld hinzuzuverdienen. Der Angeklagte und der Geschä- digte vereinbarten, dass Letzterer für eine nicht festzustellende Gegenleistung 45.000 € in bar und gestückelt in 50- und 100-€-Scheinen an den Angeklagten entrichten solle. Gemäß dem mit dem Mittäter gefassten Tatplan war der Angeklagte jedoch nicht willens, die Gegenleistung zu erbringen.
3
Der Angeklagte und der Geschädigte trafen sich zur Übergabe in einem Restaurant. Das Geld befand sich in einem Stoffbeutel des Geschädigten. Auf Initiative des Angeklagten begaben sie sich vor das Restaurant. Dort sollte der Geschädigte das Geld dem im abfahrbereiten Auto wartenden Mittäter zeigen. Der Aufforderung des Geschädigten, den Motor auszustellen, kam der Mittäter nicht nach. Nun riss der Angeklagte an dem Beutel. „Er wollte das Geld, von dem er 10 % als Beuteanteil, mithin 4.500 €, erhalten sollte, für sich und den unbekannten Mittäter verwenden.“
4
Der Geschädigte hielt den Beutel fest. Um dessen Widerstand zu brechen , fuhr der Mittäter das Auto mehrfach ruckartig vor und zurück, wodurch die offene Beifahrertür wiederholt schmerzhaft gegen Arm und Schulter des Geschädigten schlug. Aufgrund dessen und weil er nicht von dem losfahrenden Auto mitgerissen werden wollte, ließ der Geschädigte schließlich los. Der Mittäter fuhr daraufhin gemeinsam mit dem Angeklagten mit Vollgas weg. Unter ungeklärten Umständen fielen Geldscheine der Tatbeute aus dem Fluchtfahrzeug, die von Passanten aufgesammelt wurden. Ein ehrlicher Passant lieferte 250 € bei der Polizei ab, die sie dem Geschädigten zurückgab.
5
2. Das Landgericht hat eine Wertersatzeinziehung nur in Höhe des Beu- teanteils des Angeklagten von 10 % abzüglich erstatteten 250 € angeordnet. Der Angeklagte habe entsprechend der mit dem Mittäter getroffenen Abrede keinen ungehinderten Zugriff auf die gesamte Beute erlangt. Eine Mitverfügungsmacht habe er ausnahmsweise auch nicht durch die eigenhändige Wegnahme des Beutels begründet. Der transitorische kurzfristige Zugriff während der Fahrt mit dem Fluchtauto reiche hierfür nicht aus. Zudem sei der Angeklagte erkennbar von seinen Hintermännern gesteuert worden und habe auch deshalb keine Verfügungsgewalt über die gesamte Tatbeute innegehabt.
6
3. Diese Wertungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
7
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Vermögenswert im Rechtssinne durch die Tat erlangt, wenn er dem Beteiligten in irgendeiner Phase des Tatablaufs unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann (vgl. BGH, Urteile vom 30. Mai 2008 – 1 StR 166/07, BGHSt 52, 227, 256; vom 28. Oktober 2010 – 4 StR 215/10, BGHSt 56, 39, 45 f.; vom 24. Mai 2018 – 5 StR 623/17 und 624/17, jeweils mwN). Bei mehreren Beteiligten genügt insofern, dass sie zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand erlangt haben. Dies ist der Fall, wenn sie im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf den Vermögensgegenstand nehmen können. Faktische Mitverfügungsgewalt kann aber – jedenfalls bei dem vor Ort anwesenden, die Beute oder Teile davon in den Händen haltenden Mittäter – auch dann vorliegen , wenn sich diese in einer Abrede über die Beuteteilung widerspiegelt. Denn damit „verfügt“ der Mittäter zu seinen oder der anderen Beteiligten Gunsten über die Beute, indem er in Absprache mit Diesen Teile des gemeinsam Erlang- ten sich selbst oder den anderen zuordnet (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2018 – 5 StR 645/17, NStZ-RR 2018, 278, 279 mwN).
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b) So liegt der Fall auch hier. Der Angeklagte wollte das von ihm in Hän- den gehaltene Geld „für sich und den unbekannten Mittäter“ verwenden (UA S. 6). Damit hatte er die von ihm beanspruchte Verfügungsmacht inne. Unerheblich ist bei der gebotenen gegenständlichen (tatsächlichen) Betrachtungsweise, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beteiligte eine unmittelbar durch die Tat gewonnene (Mit-)Verfügungsmacht später aufgegeben hat (vgl. BGH, Urteile vom 28. Oktober 2010 – 4 StR 215/10, aaO, S. 46; vom 18. Juli 2018 – 5 StR 645/17, aaO, jeweils mwN). Die vom Landgericht als maßgeblich erachtete Erwägung zu einer alleinigen Verfügungsgewalt der „Hintermänner“ des Angeklagten geht deshalb ebenso fehl wie die Annahme eines nur kurzfristigen oder transitorischen Erhalts der gesamten Tatbeute.
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4. Der Senat bestimmt auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen und in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den Wert des vom Angeklagten Erlangten selbst und ordnet insoweit dessen gesamtschuldnerische Haftung an (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2018 – 5 StR 645/17, aaO, mwN).
Mutzbauer Sander Schneider
König Köhler

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.