Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Aug. 2011 - 5 StR 261/11

bei uns veröffentlicht am17.08.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 261/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 17. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer Brandstiftung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. August 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 21. Dezember 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben , jedoch mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen; insoweit wird die weitergehende Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bedrohung in drei Fällen , Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, versuchter schwerer Brandstiftung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung und in einem Fall in Tateinheit mit einem Waffendelikt sowie wegen Siegelbruchs und versuchter Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete und auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Das Urteil kann – mit Ausnahme der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen – keinen Bestand haben. Die Annahme der Strafkammer, dass der Angeklagte bei sechs der ausgeurteilten Fälle nicht ausschließbar vermindert schuldfähig und bei zwei Fällen voll schuldfähig gewesen sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
a) Das Landgericht hat – sachverständig beraten – festgestellt, dass der Angeklagte unter einer Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Zügen und einer emotional instabilen Persönlichkeitsstruktur (ICD 10 F 60.3) leidet. Dieses Störungsbild sei dadurch gekennzeichnet, dass er „seine Impulse und Gefühle ohne Rücksicht auf die Konsequenzen auslebe“ (UA S. 13). Überdies deute sein selbstverletzendes Verhalten darauf hin, dass bei ihm „die Untergruppe des Borderline-Typs“ vorliege (UA S. 13). Diese psychische Auffälligkeit des Angeklagten verwirkliche zwar für sich genommen nicht die Merkmale der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB. Dies werde daran deutlich, dass der Angeklagte sich seit mehreren Jahren in Deutschland aufhalte und bisher nicht straffällig geworden sei, ferner in der Lage sei, sich in der Untersuchungshaftanstalt weitgehend unauffällig zu verhalten. Allerdings falle es ihm dadurch „schwerer als anderen, seine Emotionen zu kontrollieren, so dass er weniger Alkohol benötige, um enthemmt zu sein“ (UA S. 13). Die Strafkammer hat nicht auszuschließen vermocht, dass der Angeklagte deshalb die meisten der gegen seine frühere Lebensgefährtin und deren Eltern verübten Taten im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB begangen hat.
4
b) Diese Bewertung ist mit widersprüchlichen und lückenhaft gebliebenen Erwägungen begründet.
5
aa) Die Würdigung des Haftverhaltens des Angeklagten durch die Strafkammer steht zum einen in Widerspruch zu dem Bericht des Sachverständigen , der Angeklagte habe während der Untersuchungshaft mehrfach „Gegenstände zu sich genommen, die später zwangsweise hätten wieder abgeführt werden müssen“ (UAS. 13). Zum anderen ist dem Urteil zu entnehmen , dass der Sachverständige dem Angeklagten deshalb Sedierungs- mittel angeboten hat, die dieser seitdem „mit gutem Erfolg“ „morgens, mittags und abends“einnehme (UA S. 13). Mit Blick auf die beruhigende Wirkung des regelmäßig verabreichten Medikaments kann dem Umstand, dass der Angeklagte „in seiner derzeitigen Haftsituation recht gut zurecht kommt“ und sich „unauffällig und angepasst“ verhält (UA S. 5, 13), ohne weiteres keine tragende Bedeutung beigemessen werden. Auch versäumt es die Strafkammer in diesem Zusammenhang die – offenbar trotz der regelmäßigen Einnahme eines Beruhigungsmittels – vom Angeklagten in der Hauptverhandlung verübten Beschimpfungen und Tätlichkeiten gegen andere Verfahrensbeteiligte und Justizbedienstete sowie seine Androhung zu erörtern, „er könne sich selbst erwürgen oder die Venen durchbeißen“ (UA S. 14).
6
bb) Ferner trägt der vom Landgericht herangezogene mehrjährige straffreie Aufenthalt des Angeklagten in Deutschland die Verneinung einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB nicht. Die Urteilsgründe enthalten bereits keinen Hinweis darauf, seit wann sich der Angeklagte in Deutschland befindet. Vielmehr ist den Feststellungen zu entnehmen , dass sein Aufenthalt gerade nicht ununterbrochen war; jedenfalls „ab Januar 2008“ verbüßte er in Litauen „eine einjährige Haftstrafe“ (UA S. 6). In diesem Zusammenhang versäumt es die Strafkammer auch, in jener Haftzeit aufgetretene Besonderheiten in den Blick zu nehmen. Während dieser kam es „zeitweise zu Schwierigkeiten“ (UA S. 4); der Angeklagte befand sich „viel in Isolationshaft“ und „verletzte sich selbst, um Spannung abzubau- en“ (UA S. 4).
7
cc) Überdies beschränken sich die Urteilsgründe im Wesentlichen darauf , das Ergebnis des Sachverständigengutachtens zu referieren und sich diesem pauschal anzuschließen. Sie entbehren damit einer eigenen Überprüfung der Ausführungen und Anknüpfungstatsachen des Sachverständigen und lassen die gebotene selbständige tatrichterliche Bewertung vermissen, ob ein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB vorliegt und inwieweit dieses gegebenenfalls die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit einschränkt oder aufhebt. Die Beurteilung dieser Rechtsfragen darf das Tatgericht nicht dem Sachverständigen überlassen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2009 – 5 StR 174/09, NStZ-RR 2009, 337).
8
Zu einer näheren Auseinandersetzung gar mit der Frage aufgehobener Steuerungsfähigkeit zwang auch eine vom Landgericht – ersichtlich ebenfalls dem Sachverständigengutachten entlehnte – mehrfach in den Urteilsgründen verwendete Formulierung. Die Strafkammer führt aus, dass der Angeklagte wegen seiner Persönlichkeitsstörung Impulse und Gefühle ohne Rücksicht auf Konsequenzen auslebe (UA S. 13 und 14). Sie scheint daher selbst in Zweifel zu ziehen, dass der Angeklagte ungeachtet seiner Persönlichkeitsstörung grundsätzlich uneingeschränkt fähig war, entsprechend einer Unrechtseinsicht zu handeln.
9
dd) In den Fällen 6 und 7 verhält sich das Urteil nicht zu der Frage, worauf es die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit stützt. Mit Blick auf das festgestellte erhebliche Störungsbild des Angeklagten erscheint dies nicht ohne weiteres nachvollziehbar.
10
2. Da es nicht gänzlich fernliegt, dass die Voraussetzungen des § 20 StGB nach dem Zweifelssatz festgestellt werden müssten, hebt der Senat die Schuldsprüche insgesamt auf. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind insoweit jedoch rechtsfehlerfrei getroffen und können aufrechterhalten bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind; ergänzende Feststellungen des neuen Tatgerichts sind möglich. Das neue Tatgericht wird unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen über die Frage der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB zu entscheiden haben.
Gemäß § 358 Abs. 2 StPO wäre es nicht ausgeschlossen, dass gegen den Angeklagten, sollten die Voraussetzungen vorliegen, auch eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet werden könnte.
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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

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Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Juni 2009 - 5 StR 174/09

bei uns veröffentlicht am 25.06.2009

5 StR 174/09 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 25. Juni 2009 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Juni 2009 beschlossen: Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Che

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

5 StR 174/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 25. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Juni 2009

beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 12. Dezember 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Es wird davon abgesehen, der Angeklagten die durch ihr Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen aufzuerlegen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision , die nur hinsichtlich der Höhe der festgesetzten Jugendstrafe Erfolg hat und im Übrigen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO ist.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Die 1990 geborene Angeklagte wuchs in geordneten familiären Verhältnissen auf. Bereits in der dritten Klasse zeigte sie in der Schule solche Verhaltensauffälligkeiten, dass die normal intelligente Angeklagte auf eine „Schule für Erziehungshilfe“ wechseln musste. Auch der familiäre Umgang mit ihr wurde ab dem Alter von elf Jahren zunehmend schwerer, sie stahl, beschimpfte ihre Mutter und trank viel Alkohol. Die zum Herbst 2003 erfolgte Umsetzung auf eine Regelmittelschule misslang, da es durch das Verhalten der Angeklagten zu Konflikten mit den Lehrern kam. Deshalb wechselte sie im folgenden Jahr erneut die Schule, wurde dieser aber wenige Wochen später verwiesen. Auch aus der nächsten Schule wurde sie aus disziplinarischen Gründen entlassen. Innerhalb der Familie nahmen die Spannungen ebenfalls zu. Wegen selbstverletzender Handlungen befand sich die Angeklagte 2004 und 2005 mehrmals in stationärer psychiatrischer Behandlung, im September 2004 zog sie in eine Jugendhilfeeinrichtung. Innerhalb eines besonders pädagogisch geförderten Schulprojekts gelang es ihr schließlich, die neunte Klasse zu absolvieren. Fördermaßnahmen zur beruflichen Eingliederung scheiterten hingegen. Im März 2007 zog die Angeklagte wieder bei ihren Eltern ein, da sie dem erzieherischen Einfluss in der Jugendhilfeeinrichtung nicht mehr zugänglich war. Im Frühjahr 2007 ging sie eine Liebesbeziehung zu einem sieben Jahre älteren Mann ein. Diesem gegenüber gab sie wahrheitswidrig an, sie nehme die Antibabypille. Nachdem die Angeklagte zu ihrem Freund gezogen war, scheiterte die Beziehung nach nur zwei Wochen an der Unwilligkeit der Angeklagten, im Haushalt Aufgaben zu übernehmen.
4
Zu Beginn des Jahres 2008 bemerkte die Angeklagte bei sich eine Schwangerschaft, die sie jedoch nicht „wahr haben“ wollte. Sie versuchte, die Schwangerschaft vor ihrer Umwelt zu verbergen, Nachfragen aufgrund figürlicher Veränderungen wich sie aus. Am Morgen des 19. April 2008 setzten bei ihr Unterleibskrämpfe und Erbrechen ein. Sie zog sich in ihr Zimmer im elterlichen Wohnhaus zurück, wo in den Nachmittagsstunden eine Ge- burtstagsfeier stattfand. Den sie in ihrem Zimmer besuchenden Geburtstagsgästen , darunter auch die ihr Vertrauen genießende Großmutter, offenbarte sie sich nicht. Als sie schließlich in den Abendstunden bemerkte, dass die Geburt unmittelbar bevorstand, ging sie in das Badezimmer. Dort brachte sie in der Badewanne einen gesunden Jungen zur Welt. Die Angeklagte versetzte ihm mittels stumpfer Gewalt zahlreiche Verletzungen an Kopf, insbesondere Gesicht und Hals, Armen, Rücken sowie am äußeren Genitale. Sodann versperrte sie dem Kind Mund und Nase, so dass es keine Luft mehr bekam und nach wenigen Minuten erstickte. Anschließend spülte die Angeklagte die Badewanne aus, wickelte das tote Kind samt Nachgeburt in Handtücher und legte es in die sogenannte Gelbe Tonne. Später wurde es auf dem Sortierband gefunden.
5
2. Die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
6
Das sachverständig beratene Landgericht hat bei der Angeklagten „psychiatrisch relevante Symptome“ und das Vorliegen einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen festgestellt. Die Voraussetzungen des § 21 StGB hat es vor allem unter dem Gesichtspunkt einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung aufgrund eines Affekts geprüft und verneint, da die Angeklagte nicht aus einer „Konfliktlage“ heraus gehandelt habe, sondern keine „emotionale Beziehung zu dem ungeborenen Kind entwickelt“, es nur als Belastung empfunden habe. Das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB hat das Landgericht abgelehnt, da die diagnostizierte Störung „nach dem Gutachten“ nicht hierunter falle.
7
Diese Bewertung entbehrt einer nachvollziehbaren und damit revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglichen Begründung. Zwar führt allein die psychische Ausnahmesituation einer Mutter, die ihr Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, nicht zur Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB (BGH, Urteil vom 23. April 2009 – 3 StR 100/09). Angesichts der zahlreichen Auffälligkeiten im bisherigen Werdegang der zur Tatzeit 17 Jahre alten Angeklagten , die weder im privaten noch im schulischen Bereich ihren Möglichkeiten gerecht werden konnte und hierunter litt, liegt aber eine unabhängig hiervon bestehende geistig-seelische Beeinträchtigung nicht fern. Dies hätte eine eingehende Prüfung und Erörterung, ob bei der Angeklagten – trotz ihres jungen Alters – eine andere schwere seelische Abartigkeit vorliegt, erforderlich gemacht. Allein der nicht weiter begründete Hinweis darauf, dass die diagnostizierte Störung die Voraussetzungen hierfür nicht erfülle, genügt nicht. So fehlt es bereits an der erforderlichen Gesamtschau der Persönlichkeit der Angeklagten und ihrer Entwicklung (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 4, 9, 16, 24, 29; BGH NStZ 2007, 518). Vor allem aber lassen die Erwägungen eine Auseinandersetzung mit dem ungewöhnlichen Tatbild vermissen. Dieses ist durch die zahlreichen, nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Tötungshandlung stehenden Verletzungshandlungen, auch gegen das Geschlechtsteil des neugeborenen Kindes, geprägt.
8
Die Ausführungen des Landgerichts im Rahmen der Prüfung eines Affekts sind nicht geeignet, eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit grundsätzlich auszuschließen. So ist die Wertung, die Angeklagte habe nach der Tat durch „vernünftige Handlungen“ gezeigt, dass ihre Steuerungsfähigkeit unbeeinträchtigt gewesen sei, für sich nicht tragfähig. Denn jedenfalls angesichts der auf sichere Entdeckung hinauslaufenden Entsorgung der Leiche fehlt es an den für diesen Schluss hinreichenden Anzeichen (vgl. zur Bedeutung planvollen und gezielten Tatverhaltens BGH NStZ 2002, 476; NStZ-RR 2002, 230).
9
3. Der Senat kann zwar eine Aufhebung der Schuldfähigkeit sicher ausschließen, nicht hingegen, dass die Jugendstrafe, deren Verhängung wegen Schwere der Schuld außer Frage steht (§ 17 Abs. 2 JGG), milder ausgefallen wäre. Er hat daher das Urteil nur hinsichtlich der Höhe der Jugendstra- fe aufgehoben. Angesichts der Bestätigung des Schuldspruchs kann der Senat trotz der Zurückverweisung der Hauptsache die auf § 74 JGG gestützte Kostenentscheidung bereits jetzt treffen. Das neue Tatgericht wird moralisierende Wertungen im Rahmen der Strafzumessung zu vermeiden haben.
Basdorf Raum Brause Schaal König

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.