Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Juni 2009 - 5 StR 174/09

bei uns veröffentlicht am25.06.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 174/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 25. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Juni 2009

beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 12. Dezember 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Es wird davon abgesehen, der Angeklagten die durch ihr Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen aufzuerlegen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision , die nur hinsichtlich der Höhe der festgesetzten Jugendstrafe Erfolg hat und im Übrigen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO ist.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Die 1990 geborene Angeklagte wuchs in geordneten familiären Verhältnissen auf. Bereits in der dritten Klasse zeigte sie in der Schule solche Verhaltensauffälligkeiten, dass die normal intelligente Angeklagte auf eine „Schule für Erziehungshilfe“ wechseln musste. Auch der familiäre Umgang mit ihr wurde ab dem Alter von elf Jahren zunehmend schwerer, sie stahl, beschimpfte ihre Mutter und trank viel Alkohol. Die zum Herbst 2003 erfolgte Umsetzung auf eine Regelmittelschule misslang, da es durch das Verhalten der Angeklagten zu Konflikten mit den Lehrern kam. Deshalb wechselte sie im folgenden Jahr erneut die Schule, wurde dieser aber wenige Wochen später verwiesen. Auch aus der nächsten Schule wurde sie aus disziplinarischen Gründen entlassen. Innerhalb der Familie nahmen die Spannungen ebenfalls zu. Wegen selbstverletzender Handlungen befand sich die Angeklagte 2004 und 2005 mehrmals in stationärer psychiatrischer Behandlung, im September 2004 zog sie in eine Jugendhilfeeinrichtung. Innerhalb eines besonders pädagogisch geförderten Schulprojekts gelang es ihr schließlich, die neunte Klasse zu absolvieren. Fördermaßnahmen zur beruflichen Eingliederung scheiterten hingegen. Im März 2007 zog die Angeklagte wieder bei ihren Eltern ein, da sie dem erzieherischen Einfluss in der Jugendhilfeeinrichtung nicht mehr zugänglich war. Im Frühjahr 2007 ging sie eine Liebesbeziehung zu einem sieben Jahre älteren Mann ein. Diesem gegenüber gab sie wahrheitswidrig an, sie nehme die Antibabypille. Nachdem die Angeklagte zu ihrem Freund gezogen war, scheiterte die Beziehung nach nur zwei Wochen an der Unwilligkeit der Angeklagten, im Haushalt Aufgaben zu übernehmen.
4
Zu Beginn des Jahres 2008 bemerkte die Angeklagte bei sich eine Schwangerschaft, die sie jedoch nicht „wahr haben“ wollte. Sie versuchte, die Schwangerschaft vor ihrer Umwelt zu verbergen, Nachfragen aufgrund figürlicher Veränderungen wich sie aus. Am Morgen des 19. April 2008 setzten bei ihr Unterleibskrämpfe und Erbrechen ein. Sie zog sich in ihr Zimmer im elterlichen Wohnhaus zurück, wo in den Nachmittagsstunden eine Ge- burtstagsfeier stattfand. Den sie in ihrem Zimmer besuchenden Geburtstagsgästen , darunter auch die ihr Vertrauen genießende Großmutter, offenbarte sie sich nicht. Als sie schließlich in den Abendstunden bemerkte, dass die Geburt unmittelbar bevorstand, ging sie in das Badezimmer. Dort brachte sie in der Badewanne einen gesunden Jungen zur Welt. Die Angeklagte versetzte ihm mittels stumpfer Gewalt zahlreiche Verletzungen an Kopf, insbesondere Gesicht und Hals, Armen, Rücken sowie am äußeren Genitale. Sodann versperrte sie dem Kind Mund und Nase, so dass es keine Luft mehr bekam und nach wenigen Minuten erstickte. Anschließend spülte die Angeklagte die Badewanne aus, wickelte das tote Kind samt Nachgeburt in Handtücher und legte es in die sogenannte Gelbe Tonne. Später wurde es auf dem Sortierband gefunden.
5
2. Die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
6
Das sachverständig beratene Landgericht hat bei der Angeklagten „psychiatrisch relevante Symptome“ und das Vorliegen einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen festgestellt. Die Voraussetzungen des § 21 StGB hat es vor allem unter dem Gesichtspunkt einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung aufgrund eines Affekts geprüft und verneint, da die Angeklagte nicht aus einer „Konfliktlage“ heraus gehandelt habe, sondern keine „emotionale Beziehung zu dem ungeborenen Kind entwickelt“, es nur als Belastung empfunden habe. Das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB hat das Landgericht abgelehnt, da die diagnostizierte Störung „nach dem Gutachten“ nicht hierunter falle.
7
Diese Bewertung entbehrt einer nachvollziehbaren und damit revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglichen Begründung. Zwar führt allein die psychische Ausnahmesituation einer Mutter, die ihr Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, nicht zur Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB (BGH, Urteil vom 23. April 2009 – 3 StR 100/09). Angesichts der zahlreichen Auffälligkeiten im bisherigen Werdegang der zur Tatzeit 17 Jahre alten Angeklagten , die weder im privaten noch im schulischen Bereich ihren Möglichkeiten gerecht werden konnte und hierunter litt, liegt aber eine unabhängig hiervon bestehende geistig-seelische Beeinträchtigung nicht fern. Dies hätte eine eingehende Prüfung und Erörterung, ob bei der Angeklagten – trotz ihres jungen Alters – eine andere schwere seelische Abartigkeit vorliegt, erforderlich gemacht. Allein der nicht weiter begründete Hinweis darauf, dass die diagnostizierte Störung die Voraussetzungen hierfür nicht erfülle, genügt nicht. So fehlt es bereits an der erforderlichen Gesamtschau der Persönlichkeit der Angeklagten und ihrer Entwicklung (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 4, 9, 16, 24, 29; BGH NStZ 2007, 518). Vor allem aber lassen die Erwägungen eine Auseinandersetzung mit dem ungewöhnlichen Tatbild vermissen. Dieses ist durch die zahlreichen, nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Tötungshandlung stehenden Verletzungshandlungen, auch gegen das Geschlechtsteil des neugeborenen Kindes, geprägt.
8
Die Ausführungen des Landgerichts im Rahmen der Prüfung eines Affekts sind nicht geeignet, eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit grundsätzlich auszuschließen. So ist die Wertung, die Angeklagte habe nach der Tat durch „vernünftige Handlungen“ gezeigt, dass ihre Steuerungsfähigkeit unbeeinträchtigt gewesen sei, für sich nicht tragfähig. Denn jedenfalls angesichts der auf sichere Entdeckung hinauslaufenden Entsorgung der Leiche fehlt es an den für diesen Schluss hinreichenden Anzeichen (vgl. zur Bedeutung planvollen und gezielten Tatverhaltens BGH NStZ 2002, 476; NStZ-RR 2002, 230).
9
3. Der Senat kann zwar eine Aufhebung der Schuldfähigkeit sicher ausschließen, nicht hingegen, dass die Jugendstrafe, deren Verhängung wegen Schwere der Schuld außer Frage steht (§ 17 Abs. 2 JGG), milder ausgefallen wäre. Er hat daher das Urteil nur hinsichtlich der Höhe der Jugendstra- fe aufgehoben. Angesichts der Bestätigung des Schuldspruchs kann der Senat trotz der Zurückverweisung der Hauptsache die auf § 74 JGG gestützte Kostenentscheidung bereits jetzt treffen. Das neue Tatgericht wird moralisierende Wertungen im Rahmen der Strafzumessung zu vermeiden haben.
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Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Juni 2009 - 5 StR 174/09 zitiert 6 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 74 Kosten und Auslagen


Im Verfahren gegen einen Jugendlichen kann davon abgesehen werden, dem Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen.

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 17 Form und Voraussetzungen


(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung. (2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder

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Bundesgerichtshof Urteil, 23. Apr. 2009 - 3 StR 100/09

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
3 StR 100/09
vom
23. April 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. April
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 14. August 2008 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen der Tötung ihres neugeborenen Kindes des Totschlags für schuldig befunden und gegen sie eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, ist - wie die Revisionsbegründung deutlich macht - ungeachtet des umfassend gestellten Aufhebungsantrags wirksam auf den Strafausspruch beschränkt (BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3).
2
Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Die zur Tatzeit 22jährige Angeklagte ist kongolesischer Herkunft und, obwohl sie sich in Deutschland gut integriert hat, stark von den traditionellen Vorstellungen Zentralafrikas geprägt. Dies kommt insbesondere im Verhältnis zu ihren Eltern zum Ausdruck, in deren Haushalt sie lebt und deren Entscheidungen sie sich bis heute unterordnet. Als sie im Jahr 2003 nach einer kurzen Beziehung mit einem aus Angola stammenden Mann schwanger geworden war, sah sie sich heftigen Vorwürfen ihrer Eltern ausgesetzt, die sie zunächst des Hauses verwiesen, worunter die Angeklagte sehr litt. Nachdem ihre Rückkehr ins Elternhaus geduldet worden war, versprach sie, dass "so etwas nie wieder vorkommen werde", und empfand tiefe Scham, ihre Eltern derart enttäuscht zu haben. Ende Dezember 2003 wurde ihr Sohn Michael geboren. Auf Grund anhaltender Schuldgefühle zog sich die Angeklagte, obwohl sie ihre Ausbildung fortsetzte und das Fachabitur erlangte, immer mehr zurück, hielt sich zumeist zu Hause auf und kümmerte sich um ihren Sohn, hatte jedoch außerhalb der Familie kaum Kontakte. Im November 2005 bemerkte sie, dass sie auf Grund eines einmaligen sexuellen Kontakts erneut schwanger geworden war. Aus Angst vor ihren Eltern ließ sie, ohne sich jemandem zu offenbaren, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen.
5
Im Sommer 2006 lernte die Angeklagte den Zeugen M. kennen, von dem sie ein weiteres Mal ungewollt schwanger wurde. Bereits Ende des Jahres 2006 beendete sie von sich aus die Beziehung, weil sie sich von dem Zeugen ausgenutzt fühlte. Als sie im Februar 2007 die Schwangerschaft feststellte, war diese, was ihr klar war, bereits zu weit fortgeschritten, um noch einen Abbruch vornehmen zu können. Auf Grund ihrer introvertierten, von hoher Selbstunsicherheit geprägten Persönlichkeit und aus Angst vor ihren Eltern empfand sie ihre Situation als subjektiv ausweglos, verdrängte die Schwangerschaft sowie die bevorstehende Geburt vollständig und ging, wie gewohnt, ihrer Arbeit nach. Ihre Familie und ihr soziales Umfeld bemerkten ihre sichtbar fortschreitende Schwangerschaft, die sie nicht zu verbergen versuchte, entweder nicht, oder wollten sie nicht bemerken.
6
An einem Sonntag zwischen Mitte und Ende Mai 2007 setzte während einer vorübergehenden Abwesenheit der übrigen Familienmitglieder für die Angeklagte überraschend der Geburtsvorgang ein. Die Angeklagte legte sich in die Badewanne und brachte ein lebendes Mädchen zur Welt. Aus Angst und Verzweiflung, ihre Eltern könnten sie mit dem Kind vorfinden und sie dann aus der Familie verstoßen, geriet sie in einen starken Erregungszustand, in welchem sie einem spontanen Entschluss folgend, das neugeborene Kind tötete, indem sie diesem zwei bis dreimal Mund und Nase zuhielt bis es sich nicht mehr bewegte. Anschließend verbarg sie die Leiche des Neugeborenen und die Nachgeburt, verpackt in einer Plastiktüte, im Keller des Hauses und beseitigte sodann im Bad die Spuren der Geburt. Zwar wurde sie von heftigen Schuldgefühlen gequält, ging aber bereits am nächsten Tag wieder wie gewohnt ihrer Arbeit nach. Die Leiche des Kindes wurde erst ca. ein halbes Jahr später in stark verwestem Zustand aufgefunden.
7
2. Das Landgericht hat eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit der Angeklagten zur Tatzeit im Sinne des § 21 StGB bejaht und die Strafe dem zusätzlich nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des minder schweren Falles des Totschlags (§ 213 2. Alt. StGB) entnommen.

II.


8
Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Da bereits die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit durchgreifenden Bedenken unterliegt, kommt es auf die Einwendungen, die die Beschwerdeführerin gegen die doppelte Milderung des Strafrahmens des § 212 StGB und die Bewilligung der Strafaussetzung zur Bewährung erhebt, nicht an.
9
1. In Übereinstimmung mit der psychiatrischen Sachverständigen ist die Strafkammer davon ausgegangen, die Angeklagte habe sich bei Begehung der Tat vor dem Hintergrund ihrer selbstunsicheren, leicht beeinflussbaren und mit einem mangelhaften Problemlösungskonzept ausgestatteten Persönlichkeit, ferner mit Blick auf ihre spezielle familiäre Situation, insbesondere ihre tief verwurzelte Angst, von ihren Eltern mit dem Kind entdeckt und sodann verstoßen zu werden, sowie unter Berücksichtigung der stark belastenden Situation der überraschenden und heimlichen Geburt in einem "psychischen Ausnahmezustand" befunden, der "in seiner Schwere dem Eingangsmerkmal einer 'schweren anderen seelischen Abartigkeit' " entsprochen habe. Infolge übermächtig gewordener Gefühle der Angst, Verzweiflung und Ausweglosigkeit sei die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten im Tatzeitpunkt sicher erheblich eingeschränkt gewesen.
10
2. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der "psychische Ausnahmezustand" der Angeklagten einem Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB zuzuordnen ist. Die Voraussetzungen erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit sind daher nicht festgestellt, so dass sich die Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB als rechtsfehlerhaft erweist.
11
Das Landgericht hat, der Sachverständigen folgend, zunächst eine psychische Erkrankung der Angeklagten ausgeschlossen. Es ist ferner - ohne dies freilich im Einzelnen zu begründen, jedoch mit Blick auf die hierdurch nicht schwerwiegend beeinträchtigte Lebensführung der Angeklagten im Ergebnis rechtsfehlerfrei (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 274 m. w. N.) - davon ausgegangen, dass die Persönlichkeitsdefizite der Angeklagten lediglich Merkmale einer akzentuierten Persönlichkeit seien, jedoch "keinerlei Krankheitswert" aufwiesen. Auch war der festgestellte Erregungszustand nicht von Dauer, sondern trat nur akut in der konkreten Belastungssituation auf. Damit schieden eine krankhafte seelische Störung und eine schwere andere seelische Abartigkeit infolge einer Persönlichkeitsstörung als Eingangsmerkmale im Sinne des § 20 StGB für die Annahme einer verminderten Steuerungsfähigkeit aus (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 20 Rdn. 39).
12
Der aus Sicht der Strafkammer für die verminderte Steuerungsfähigkeit ausschlaggebende, auf mehreren Ursachen beruhende psychische Ausnahmezustand , in dem sich die Angeklagte bei Begehung der Tat befunden haben soll, wird im Urteil auch einer anderen Eingangsvoraussetzung des § 20 StGB nicht zugeordnet. In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass bei einem in äußerster Erregung handelnden Täter eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung vorliegen kann, wenn der hochgradige affektive Ausnahmezustand eine Intensität erreicht, die in ihrer Auswirkung auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit den krankhaften seelischen Störungen im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichwertig ist, wobei dies vor dem Hintergrund des Verhaltens des Täters vor, während und nach der Tat zu untersuchen und zu beurteilen ist (vgl. BGHR StGB § 21 Bewusstseinsstörung 4). Vom Vorliegen dieses nach den getroffenen Feststellungen einzig in Betracht kommenden Eingangsmerkmals im Sinne der §§ 20, 21 StGB ist das Landgericht nach den insoweit eindeutigen Ausführungen im Urteil indes ausdrücklich nicht ausgegangen. Vielmehr hat es in Übereinstimmung mit der Sachverständigen dargelegt, im Tatzeitraum hätten bei der Angeklagten keine Hinweise auf eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung, etwa im Sinne eines Affekts, bestanden, da die Angeklagte die Geschehnisse wahrgenommen und detailliert erinnert habe.
13
Zwar kann im Einzelfall offen bleiben, welchem der sich teilweise überschneidenden Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB ein die Schuldfähigkeit beeinträchtigender psychischer Zustand zuzurechnen ist, wenn jedenfalls feststeht , dass er einem der Merkmale unterfällt und deswegen die Schuldfähigkeit aufgehoben oder erheblich vermindert ist. Dies kann den Urteilsfeststellungen indes nicht entnommen werden. Das Landgericht hat vielmehr gerade offen gelassen , ob überhaupt ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB vorliegt.
14
3. Bei der erneuten Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB wird zu beachten sein, dass bei Kindstötungen im Sinne des § 217 StGB aF eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit kaum in Betracht kommen wird, wenn bei der Täterin außer der Belastung durch die Geburt keine schon unabhängig hiervon bestehenden geistig-seelischen Beeinträchtigungen festzustellen sind (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Kindstötung 1; BGH NStZ-RR 2008, 308). Die psychische Ausnahmesituation einer Mutter, die ihr Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, kann in einem solchen Fall jedoch bei der Anwendung des § 213 StGB Berücksichtigung finden (BGH NStZ-RR 2004, 80).
15
Es wird sich empfehlen, für die neue Hauptverhandlung einen anderen Sachverständigen hinzuzuziehen.
Becker von Lienen Sost-Scheible
Hubert Schäfer

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung.

(2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.

Im Verfahren gegen einen Jugendlichen kann davon abgesehen werden, dem Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen.