Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Aug. 2009 - 5 StR 253/09

published on 04/08/2009 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Aug. 2009 - 5 StR 253/09
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate
5 StR 253/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 4. August 2009
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. August 2009

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 5. März 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO gesamten Strafausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge , wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruches; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Revision des Angeklagten ist im Hinblick auf den Strafausspruch begründet.
3
a) Das Landgericht hat es abgelehnt, hinsichtlich der ausgeurteilten Taten eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung anzuerkennen. Die 1993 und 1994 begangenen Taten bezogen sich auf die Einfuhr von Haschisch und das Handeltreiben hiermit. Sie seien zwar im Jahre 2003 entdeckt worden; gegen den Angeklagten habe man schließlich am 8. Juni 2004 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das Verfahren sei jedoch nicht von den Justizbehörden verzögert worden. Der Angeklagte, der sich zwischenzeitlich nach Spanien abgemeldet habe, sei am 11. Juli 2004 nach Berlin zurückgezogen , wo er sich auch ordnungsgemäß angemeldet habe. Da trotz Suchvermerks die Meldebehörden diese Adresse nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet hätten, liege allerdings kein Fehlverhalten der Justizbehörden, sondern nur ein solches der Ordnungsbehörden vor. Dies könne aber keinen ausgleichspflichtigen Verstoß gegen Art. 6 MRK begründen.
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b) Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
aa) Das Landgericht verengt seine Prüfung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung unzulässigerweise allein auf die Justizbehörden. Diese sind zwar die wesentlichen Adressaten dieses Gebots gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK. In diesem Sinne wird deshalb auch in der strafgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich danach unterschieden, ob die Verzögerung in den Verantwortungsbereich der Justizbehörden oder des Angeklagten fällt (BVerfG [Kammer] StV 2006, 73 ff.; BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 9, 21, 25, 27).
6
Das Gebot richtet sich aber nicht ausschließlich nur an die Justizbehörden , sondern an den Vertragsstaat an sich, der dafür Sorge zu tragen hat, dass die Strafverfahren in angemessener Frist mit einer Entscheidung enden. Dies ergibt sich schon aus der Zielrichtung der Menschenrechtskonvention , die den Vertragsstaat zur Einhaltung bestimmter menschenrechtlicher Standards verpflichtet, es ihm aber überlässt, wie er diese innerstaatlich im Einzelnen umsetzt. Dementsprechend spricht auch der Europäische Ge- richtshof für Menschenrechte von den „nationalen Behörden“, denen die Wahrung des Konventionsgebots der besonderen Zügigkeit obliegt und die im Falle ihrer Verletzung hierfür Wiedergutmachung leisten müssen (EGMR StV 2006, 474, 478 f.). Darauf nimmt auch der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs Bezug, der vom „Verantwortungsbereich des Staates“ (BGHSt [GS] 52, 124 Tz. 18) und von der Verpflichtung der „innerstaatlichen Behörden“ spricht, Ausgleich für „Verfahrensunrecht“ zu leisten (BGHSt aaO Tz. 35, 39). Maßgeblich ist deshalb nicht, ob die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von einer Justizbehörde, sondern ob sie von einer staatlichen Stelle zu verantworten ist.
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bb) Dies wird auch aus einer weiteren Erwägung deutlich. Die Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung (§ 131a Abs. 1 StPO) ist der Sache nach ein Amtshilfeersuchen an die Meldebehörde, den zur Aufenthaltsermittlung ausgeschriebenen Verdächtigen mit seinem gemeldeten Wohnsitz den Ermittlungsbehörden namhaft zu machen (vgl. Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 131a Rdn. 2 ff.). Eine entsprechende Mitteilung ist Amtshilfe gegenüber der Ermittlungsbehörde, ihre Unterlassung ist die rechtswidrige Verweigerung von Amtshilfe. Demnach ist die Meldebehörde insoweit als hilfeleistende Behörde in die Strafverfolgung einbezogen. Ein Fehler, der ihr insoweit in diesem Aufgabenbereich unterläuft, ist deshalb auch den Justizbehörden zuzurechnen, für die sie insoweit tätig wird. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist demnach das Verhalten der Berliner Meldebehörde (rechtswidriges ) staatliches Handeln im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK.
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c) Der unzutreffende rechtliche Ansatz des Landgerichts nötigt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der neue Tatrichter wird zu überprüfen haben , ob staatliches Fehlverhalten hier zu einer Verzögerung von knapp vier Jahren geführt hat. Der Senat kann dabei den Strafausspruch auch nicht deshalb bestehen lassen, weil eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nur zu einer Kompensation über eine Anrechnung führen kann. Es ist hier nämlich nicht auszuschließen, dass die Strafkammer schon den allge- meinen Strafzumessungsgesichtspunkt der überlangen Verfahrensdauer (BGHSt [GS] 52, 124 Tz. 45) nicht zutreffend gewürdigt hat.
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Daher kann offen bleiben, ob das Landgericht im Rahmen seiner Strafzumessung dem Gesichtspunkt das gebotene Gewicht eingeräumt hat, dass der unbestrafte 45-jährige Angeklagte seine kriminellen Handlungen vor 15 Jahren von sich aus beendet und seither sozial eingeordnet gelebt hat. Dann hätte vor dem Hintergrund eines kaum mehr vorhandenen Bedürfnisses nach spezialpräventiver Einwirkung die besondere Härte, die eine Haftverbüßung für den Angeklagten nunmehr mit sich gebracht hätte (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB), gleichfalls noch näherer Erörterung bedurft. In diesem Zusammenhang wird angesichts der bisherigen Einsatzstrafe von einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe für die Bemessung der Gesamtstrafe auf BGHR StGB § 54 Abs.1 Bemessung 8, 12, auf Fischer, StGB 56. Aufl. § 54 Rdn. 7, 7a sowie auf Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung , 4. Aufl. Rdn. 661 ff., 669, verwiesen.
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2. Die Feststellungen können, da nur ein Wertungsfehler vorliegt, bestehen bleiben. Der neue Tatrichter ist jedoch nicht gehindert, ergänzende Feststellungen – insbesondere zu der Verfahrensverzögerung – zu treffen, die den aufrechterhaltenen nicht widersprechen.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um
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published on 23/08/2011 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 153/11 vom 23. August 2011 BGHSt: ja zu A II. 3. a BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja ___________________________________ MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Art. 34 Nach Übernahme eines Ermittlungsver
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung eines Beschuldigten oder eines Zeugen darf angeordnet werden, wenn sein Aufenthalt nicht bekannt ist.

(2) Absatz 1 gilt auch für Ausschreibungen des Beschuldigten, soweit sie zur Sicherstellung eines Führerscheins, zur erkennungsdienstlichen Behandlung, zur Anfertigung einer DNA-Analyse oder zur Feststellung seiner Identität erforderlich sind.

(3) Auf Grund einer Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung eines Beschuldigten oder Zeugen darf bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung auch eine Öffentlichkeitsfahndung angeordnet werden, wenn der Beschuldigte der Begehung der Straftat dringend verdächtig ist und die Aufenthaltsermittlung auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre.

(4) § 131 Abs. 4 gilt entsprechend. Bei der Aufenthaltsermittlung eines Zeugen ist erkennbar zu machen, dass die gesuchte Person nicht Beschuldigter ist. Die Öffentlichkeitsfahndung nach einem Zeugen unterbleibt, wenn überwiegende schutzwürdige Interessen des Zeugen entgegenstehen. Abbildungen des Zeugen dürfen nur erfolgen, soweit die Aufenthaltsermittlung auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

(5) Ausschreibungen nach den Absätzen 1 und 2 dürfen in allen Fahndungshilfsmitteln der Strafverfolgungsbehörden vorgenommen werden.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Dabei werden die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.

(2) Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Sie darf bei zeitigen Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre und bei Geldstrafe siebenhundertzwanzig Tagessätze nicht übersteigen.

(3) Ist eine Gesamtstrafe aus Freiheits- und Geldstrafe zu bilden, so entspricht bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe.