Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juni 2018 - 4 StR 645/17

bei uns veröffentlicht am21.06.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 645/17
vom
21. Juni 2018
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:210618B4STR645.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 21. Juni 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 17. Juli 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Schuldspruch, soweit der Angeklagte in den Fällen II.5 bis 7 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, und
b) im Gesamtstrafenausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in fünf Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in elf Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die nicht ausge- führte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Nach den Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten und der am 5. Juli 1991 geborenen Tochter der Ehefrau des Angeklagten, der gegenüber der Angeklagte im Einvernehmen mit seiner Ehefrau Erziehungsaufgaben wahrnahm, im Zeitraum von Frühjahr 2001 bis zum 14. Geburtstag der Geschädigten am 5. Juli 2005 zu vielfältigen sexuellen Übergriffen des Angeklagten , von denen fünf näher konkretisierte Vorfälle der Verurteilung zugrunde liegen.
3
Im Juni 2007 kehrte die Geschädigte, die zwischenzeitlich bei ihrem Vater gelebt hatte, in den Haushalt ihrer Mutter und des Angeklagten zurück. Dabei hoffte sie, dass der Angeklagte, der ihr stets Aufmerksamkeit und Zuwendung , wenn auch um den Preis unerwünschter sexueller Handlungen, gezeigt hatte, sie vielleicht in Ruhe lassen würde, war aber notfalls bereit, ihn gewähren zu lassen. Aus ihrer Sicht hatte der Angeklagte die Macht, ihr durch Verbote, Strafen und die Nichtzuweisung von ihm verwalteter Finanzmittel das Leben schwer zu machen. Der Geschädigten und dem Angeklagten war aus der über Jahre gewonnenen Erfahrung bewusst, dass der Angeklagte am längeren Hebel saß. Der Angeklagte nutzte diese Machtverhältnisse aus, um die Geschädigte zur Duldung seiner Übergriffe zu bewegen.
4
In der Folgezeit kam es nach dem 16. und vor dem 18. Geburtstag der Geschädigten am 5. Juli 2009 erneut zu einer Vielzahl unterschiedlicher sexuel- ler Handlungen zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten, darunter die elf abgeurteilten Taten. Im Vorfeld einer Klassenfahrt der Geschädigten im Oktober 2007 unternahm der Angeklagte unter dem Vorwand, der Geschädigten sexuelle Erfahrungen für einen möglichen sexuellen Kontakt mit einem Klassenkameraden zu vermitteln, den vergeblichen Versuch, mit dem Penis in die Scheide der Geschädigten einzudringen, und ließ sich anschließend von der Geschädigten mit der Hand befriedigen (Tat II.5 Fall 7 der Anklage). In mindestens zehn Fällen führte der Angeklagte anschließend den vaginalen Geschlechtsverkehr mit der Geschädigten aus (Taten II.5 Fälle 8 und 9 der Anklage , II.6 und 7). Der Angeklagte machte die Geschädigte zu keiner Zeit durch gezielte Drohungen, unmittelbare Belohnungen oder Versprechungen gefügig. Wenn sie sich weigerte – was nicht häufig vorkam – akzeptierte er dies vielmehr eine Zeitlang, reagierte aber verärgert. Er stellte sich dann bei Streitigkeiten nicht auf ihre Seite und verhängte Hausarrest oder andere Strafen. Zudem erhielt die Geschädigte die sonst üblichen Zuwendungen nicht mehr. Der Angeklagte begann jeweils schnell wieder, die Geschädigte zunächst flüchtig und dann intensiver zu berühren, was die Geschädigte seiner Erwartung entsprechend hinnahm, um seine Gunst wiederzuerlangen.
5
Auch nach der Volljährigkeit der Geschädigten kam es weiter regelmäßig zum Geschlechtsverkehr zwischen der Geschädigten und dem Angeklagten, der sein Verhältnis zur Geschädigten als feste Beziehung betrachtete und eifersüchtig reagierte, wenn sie Kontakt zu anderen Männern hatte. Nachdem ihre Mutter Anfang 2011 die Familie verlassen hatte, zog die Geschädigte, die sich fortan um ihre jüngeren Halbgeschwister und den Haushalt kümmerte, zu dem Angeklagten in das Elternschlafzimmer und führte innerhalb der eigenen Wohnung eine äußerlich eheähnliche Beziehung mit dem Angeklagten.

II.


6
Die Verurteilung wegen elf Taten des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Taten II.5 bis 7 der Urteilsgründe ) hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Urteilsfeststellungen eine Tatbegehung jeweils unter Missbrauch einer mit dem Erziehungsverhältnis verbundenen Abhängigkeit der Geschädigten nicht tragfähig belegen.
7
a) Nach § 174 Abs. 1 Nr. 2 1. Alternative StGB wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person unter 18 Jahren, die ihm zur Erziehung anvertraut ist, unter Missbrauch einer mit dem Erziehungsverhältnis verbundenen Abhängigkeit vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen lässt. Die das Schutzalter von Schutzbefohlenen bis zum 18. Lebensjahr ausdehnende Vorschrift setzt über das Bestehen eines Obhutsverhältnisses hinaus die Feststellung voraus, dass die sexuellen Handlungen gerade unter Missbrauch einer aus dem festgestellten Obhutsverhältnis resultierenden Abhängigkeit des Schutzbefohlenen vorgenommen wurden (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2017 – 5 StR 112/17, NStZ-RR 2017, 276, 277; Beschluss vom 17. Juni 1997 – 5 StR 232/97, NStZ-RR 1997, 293; Renzikowski in MK-StGB, 3. Aufl., § 174 Rn. 33; Hörnle in LK-StGB, 12. Aufl., § 174 Rn. 30). Ein Missbrauch der Abhängigkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gegeben, wenn der Täter offen oder versteckt seine Macht und Überlegenheit in einer für den Jugendlichen erkennbar werdenden Weise als Mittel einsetzt, um sich diesen gefügig zu machen. Ausreichend ist aber auch, dass der Täter seine Macht gegenüber dem Schutzbefohlenen erkennt und die auf ihr beruhende Abhängigkeit zu sexuellen Handlungen ausnutzt, wobei der Zusammenhang des Abhängigkeitsverhältnisses mit den sexuellen Handlungen beiden Teilen bewusst sein muss (vgl. BGH, Urteile vom 4. April 1979 – 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 367; vom 4. Mai 1982 – 1 StR 88/82, NStZ 1982, 329; vom 24. Oktober 1990 – 3 StR 257/90, NStZ 1991, 81, 82; vom 28. Januar 1992 – 1 StR 336/91, bei Miebach, NStZ 1993, 223; vom 23. Januar 1997 – 4 StR 591/96, BGHR StGB § 174 Abs. 1 Missbrauch 2; Beschluss vom 17. Juni 1997 – 5 StR 232/97 aaO; Urteil vom 11. Juli 2017 – 5 StR 112/17 aaO). Ob eine Abhängigkeit des Jugendlichen bestand und diese zur Tat ausgenutzt wurde, beurteilt sich mithin nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 1982 aaO).
8
b) Der Sachverhaltsschilderung des angefochtenen Urteils ist der Missbrauch einer sich aus dem Erziehungsverhältnis ergebenden Abhängigkeit der Geschädigten bei Begehung der einzelnen Taten nicht hinreichend zu entnehmen.
9
Nach den Feststellungen übte der Angeklagte im Vorfeld der sexuellen Handlungen in keinem Fall Druck auf die Geschädigte aus, um sich diese jeweils gefügig zu machen. Die Strafkammer hat zwar pauschal festgestellt, dass der Angeklagte die bestehenden Machtverhältnisse nutzte, um die Geschädigte zur Duldung seiner Übergriffe zu bewegen, ohne dies jedoch einzelfallbezogen mit konkreten Umständen zu belegen. Ob und wie sich die mit dem Erziehungsverhältnis verbundene Abhängigkeit der Geschädigten in den abgeurteilten Fällen, die sich über einen Zeitraum von nahezu zwei Jahren hinzogen und nur einen Teil der Sexualkontakte zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten darstellten, auf die jeweilige Vornahme der sexuellen Handlungen auswirkte , lassen die Urteilsgründe offen. Damit ist der für die Annahme eines Missbrauchs in objektiver und subjektiver Hinsicht erforderliche Zusammenhang zwischen Abhängigkeitsverhältnis einerseits und der jeweiligen Vornahme von sexuellen Handlungen andererseits nicht dargetan. Angesichts der Begleitumstände der ersten nach Vollendung des 16. Lebensjahres abgeurteilten Tat und vor dem Hintergrund des für die Zeit nach der Volljährigkeit der Geschädigten festgestellten Beziehungsgeschehens zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten ergibt sich ein jeweils tatbezogener Missbrauch der Abhängigkeit schließlich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe.
10
c) Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II.5 bis 7 der Urteilsgründe hat daher keinen Bestand. Dies entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 174 Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen


(1) Wer sexuelle Handlungen 1. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist,2. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm im Rahmen eines Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsver

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Bundesgerichtshof Urteil, 11. Juli 2017 - 5 StR 112/17

bei uns veröffentlicht am 11.07.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 112/17 vom 11. Juli 2017 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. ECLI:DE:BGH:2017:110717U5STR112.17.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer sexuelle Handlungen

1.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist,
2.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm im Rahmen eines Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Missbrauch einer mit dem Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder
3.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die sein leiblicher oder rechtlicher Abkömmling ist oder der seines Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt,
vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Ebenso wird bestraft, wer unter den Voraussetzungen des Satzes 1 den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen an oder vor einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt.

(2) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird eine Person bestraft, der in einer dazu bestimmten Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung von Personen unter achtzehn Jahren anvertraut ist, und die sexuelle Handlungen

1.
an einer Person unter sechzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder
2.
unter Ausnutzung ihrer Stellung an einer Person unter achtzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.
Ebenso wird bestraft, wer unter den Voraussetzungen des Satzes 1 den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen an oder vor einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt.

(3) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 2

1.
sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, oder
2.
den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, daß er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(4) Der Versuch ist strafbar.

(5) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 oder des Absatzes 3 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder mit Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn das Unrecht der Tat gering ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 112/17
vom
11. Juli 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:110717U5STR112.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juli 2017, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter Dr. Mutzbauer, Richter Prof. Dr. Sander, Richterin Dr. Schneider, Richter Dölp, Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt C. als Verteidiger,
Rechtsanwältin T. als Vertreterin der Nebenklägerin A. M. ,
Rechtsanwältin S. als Vertreterin der Nebenklägerin D. M. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 29. September 2016 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in fünf Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in vier Fällen – unter Freispruch im Übrigen – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Seine in der Hauptverhandlung auf die Fälle 6 bis 9 der Urteilsgründe beschränkte Revision hat keinen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen lebte der Angeklagte von Anfang 2000 bis Ende 2013 in häuslicher Gemeinschaft mit seiner Ehefrau und seinen Stieftöchtern , den Nebenklägerinnen D. M. , geboren am 2. Oktober 1993, und A. M. , geboren am 6. Januar 1997.
3
In Absprache mit seiner Ehefrau, der Mutter der Nebenklägerinnen, nahm er gegenüber den Stieftöchtern von Beginn an die Vaterrolle wahr, indem er Betreuungs- und Erziehungsaufgaben übernahm. In der Familie übte er eine beherrschende Rolle aus. Diese nutzte der Angeklagte mit der Zeit auch dazu, um seine sexuellen Wünsche gegenüber den beiden kindlichen Stieftöchtern durchzusetzen. Ab einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt zwischen Herbst 2003 und Februar 2004 näherte er sich D. M. in unterschiedlicher Weise, indem er sie beim morgendlichen Wecken oder Ankleiden häufig mit der Hand an der Brust oder ihrer unbedeckten Scheide berührte und gelegentlich Nacktfotos von ihr fertigte, für die sie eigens vor einer Art Leinwand posieren musste; diese Taten sind nicht Gegenstand der Anklage. Ab dem Jahr 2009 richteten sich die „sexuellen Anwandlungen“ des Angeklagten vorwiegend ge- gen seine jüngere Stieftochter A. . Regelmäßig an den Sonntagen wuscher sie im Badezimmer und nutzte dies jeweils dazu aus, das nackte Mädchen – auch gegen dessen erklärtenWunsch – im Intimbereich zu massieren und einen Finger in ihre Scheide und ihren Anus einzuführen, um sich sexuell zu erregen. Auf vereinzelte Ablehnungen seines sonntäglichen „Duschrituals“ durch A. reagierte er mit Vorhaltungen, Beschimpfungen und Drohungen gegenüber den Stiefkindern und seiner Ehefrau; er beruhigte sich in der Regel erst wieder, wenn A. seinem Verlangen nachkam. A. gab seinen Forderungen zumeist nach, um den Hausfrieden nicht zu gefährden.
4
Das Landgericht konnte eine konkrete Tat zwischen Ende Dezember 2006 und Anfang August 2008 zulasten der damals dreizehn- oder vierzehnjährigen D. M. feststellen, der gegenüber der Angeklagte vorgab, sie auf das Vorliegen einer Schwangerschaft untersuchen zu wollen. Gegen seinen Versuch, mit seinem Finger in ihre Scheide einzudringen, wehrte sie sich zunächst. Nachdem der Angeklagte ihr eine häusliche Strafe angedroht hatte, ließ sie es zu.
5
Die Strafkammer hat weitere acht Taten zulasten der Nebenklägerin A. M. festgestellt. In der Zeit zwischen Anfang 2009 und dem 5. Januar 2011 drang der Angeklagte in vier Fällen im Rahmen des geschilderten „Duschrituals“ mit seinem Finger in die Scheide oder denAfter des Kindes ein (Fälle 2 bis 5). An einem nicht mehr näher feststellbarem Tag zwischen dem 7. Januar 2011 und Dezember 2013 forderte der Angeklagte die damals „vierzehn - bis sechzehnjährige“ A. auf, sie solle sich mit entblößtem Unterleib in gebückter Haltung in eine „Hündchenstellung“ begeben, und führte sein erigier- tes Glied an den After des Mädchens (Fall 6). An mindestens zwei unterschiedlichen Tagen im Zeitraum zwischen Anfang 2011 und Ende 2013 forderte der Angeklagte seine Stieftochter A. auf, ihre Brüste zu entblößen, weil er sie zur Brustkrebsvorsorge abtasten wolle. Als die Jugendliche „sich fügte“, streichelte und massierte der Angeklagte einige Minuten ihre Brüste, um sich sexuell zu erregen (Fälle 7 und 8). Schließlich duschte der Angeklagte zwischen Ende November 2013 und dem 15. Dezember 2013 seine Stieftochter A. letztmals im Badezimmer der Familienwohnung in üblicher Weise ab. Wieder führte er seinen Finger in die Scheide des Mädchens ein. Im Anschluss an diese Tat offenbarte A. sich einem Sozialarbeiter eines Jugendzentrums.
6
2. Das Urteil hat im Ergebnis – entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts – Bestand.
7
a) Hinsichtlich der Fälle 6 bis 9 hat das Landgericht zwar in rechtsfehlerhafter Weise eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB bejaht. Der Generalbundesanwalt hat insoweit in seiner Stellungnahme zu Recht darauf hingewie- sen, dass die Nebenklägerin bei den Taten 6 bis 8 zumindest nicht ausschließbar das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatte und dies für die Tat 9 sicher feststeht. Entgegen diesen Feststellungen ist das Landgericht in seiner rechtlichen Würdigung davon ausgegangen, dass die Nebenklägerin A. M. bei die- sen Taten „noch nicht“ 16 Jahre alt gewesen sei (UA S. 30). Dieser Wider- spruch ist nicht auflösbar. Eine Verurteilung nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB, die ein unter 16 Jahre altes Opfer voraussetzt, ist deshalb nicht möglich.
8
b) Gleichwohl kann der Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen bestehen bleiben.
9
aa) Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass der Angeklagte bei den Taten 6 bis 9 – entsprechend der Wertung der Anklage (vgl. § 265 StPO) – die Variante des § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt hat.
10
Diese Vorschrift dehnt das Schutzalter von Schutzbefohlenen bis zum 18. Lebensjahr aus, setzt allerdings voraus, dass die sexuellen Handlungen unter Missbrauch einer mit dem festgestellten Obhutsverhältnis verbundenen Abhängigkeit des Schutzbefohlenen vorgenommen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 1997 – 5 StR 232/97). Ein Missbrauch der Abhängigkeit liegt vor, wenn der Täter seine Macht und Überlegenheit in einer für den Jugendlichen erkennbar werdenden Weise als Mittel einsetzt, um diesen gefügig zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1979 – 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 366 f.). Das ist insbesondere der Fall, wenn für den Jugendlichen eine Drucksituation besteht (vgl. BGH, aaO und Urteil vom 24. Oktober 1990 – 3 StR 257/90, NStZ 1991, 81, 82). BeidenBeteiligten muss dabei der Zu- sammenhang des Abhängigkeitsverhältnisses mit den sexuellen Handlungen bewusst sein.
11
Zwar hat das Landgericht nicht geprüft, ob der Angeklagte ein Abhängigkeitsverhältnis in diesem Sinne missbraucht hat. Dies ergibt sich jedoch aus einer Gesamtschau der Urteilsgründe. Die Feststellungen belegen eine beherr- schende Rolle des „cholerischen und bestimmenden“ Angeklagten, der die Fa- milie zumeist „nach seinem Belieben“ lenkte (UA S. 4). Nach der im Urteil mitgeteilten und vom Landgericht ohne Rechtsfehler als glaubhaft erachteten Aus- sage der Nebenklägerin habe der Angeklagte „umgehend seine schlechte Laune gezeigt und seinen Unmut an der ganzen Familie ausgelassen“, wenn sie versucht habe, ihm am Sonntag zu entgehen. Aus diesem Grund habe sie sich ihm nicht widersetzt (UA S. 20). Sie habe „es als völlig entwürdigend erachtet ..., sich mit 16 Jahren vom Stiefvater an Brust und Scheide betatschen und be- fingern zu lassen“ (UA S. 21). Dementsprechend wertet es die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung für die gegen die Nebenklägerin A. M. noch in kindlichem Alter begangenen Taten 2 bis 5 zulasten des Angeklagten, dass er „die Geschädigte über einen längeren Zeitraum mehrmals sexuell missbrauchte und dies in einem eigens geschaffenem Klima der Einschüchterung geschah, das er systematisch und rücksichtslos für sich ausnutzte“ (UA S. 31). Hinsichtlich der Taten 6 bis 9 stellt das Landgericht im Rahmen der Prüfung des § 174 Abs. 5 StGB mit darauf ab, dass „die Initiative zu den sexuellen Handlungen vom Angeklagten ausging und von den geschädigten Stieftöchtern unerwünscht war“ (UA S. 31).
12
Die Gesamtschau der Urteilsgründe ergibt demnach, dassA. M. die sexuellen Handlungen des Angeklagten, was diesem bewusst war, auch nach ihrem 16. Geburtstag entgegen ihrem Willen nur aufgrund der vom Angeklagten aufgebauten familiären Machtverhältnisse duldete, die ihm eine beherrschende Stellung zuwiesen.
Mutzbauer Sander Schneider
Dölp König

(1) Wer sexuelle Handlungen

1.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist,
2.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm im Rahmen eines Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Missbrauch einer mit dem Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder
3.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die sein leiblicher oder rechtlicher Abkömmling ist oder der seines Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt,
vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Ebenso wird bestraft, wer unter den Voraussetzungen des Satzes 1 den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen an oder vor einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt.

(2) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird eine Person bestraft, der in einer dazu bestimmten Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung von Personen unter achtzehn Jahren anvertraut ist, und die sexuelle Handlungen

1.
an einer Person unter sechzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder
2.
unter Ausnutzung ihrer Stellung an einer Person unter achtzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.
Ebenso wird bestraft, wer unter den Voraussetzungen des Satzes 1 den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen an oder vor einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt.

(3) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 2

1.
sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, oder
2.
den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, daß er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(4) Der Versuch ist strafbar.

(5) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 oder des Absatzes 3 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder mit Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn das Unrecht der Tat gering ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 112/17
vom
11. Juli 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:110717U5STR112.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juli 2017, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter Dr. Mutzbauer, Richter Prof. Dr. Sander, Richterin Dr. Schneider, Richter Dölp, Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt C. als Verteidiger,
Rechtsanwältin T. als Vertreterin der Nebenklägerin A. M. ,
Rechtsanwältin S. als Vertreterin der Nebenklägerin D. M. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 29. September 2016 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in fünf Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in vier Fällen – unter Freispruch im Übrigen – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Seine in der Hauptverhandlung auf die Fälle 6 bis 9 der Urteilsgründe beschränkte Revision hat keinen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen lebte der Angeklagte von Anfang 2000 bis Ende 2013 in häuslicher Gemeinschaft mit seiner Ehefrau und seinen Stieftöchtern , den Nebenklägerinnen D. M. , geboren am 2. Oktober 1993, und A. M. , geboren am 6. Januar 1997.
3
In Absprache mit seiner Ehefrau, der Mutter der Nebenklägerinnen, nahm er gegenüber den Stieftöchtern von Beginn an die Vaterrolle wahr, indem er Betreuungs- und Erziehungsaufgaben übernahm. In der Familie übte er eine beherrschende Rolle aus. Diese nutzte der Angeklagte mit der Zeit auch dazu, um seine sexuellen Wünsche gegenüber den beiden kindlichen Stieftöchtern durchzusetzen. Ab einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt zwischen Herbst 2003 und Februar 2004 näherte er sich D. M. in unterschiedlicher Weise, indem er sie beim morgendlichen Wecken oder Ankleiden häufig mit der Hand an der Brust oder ihrer unbedeckten Scheide berührte und gelegentlich Nacktfotos von ihr fertigte, für die sie eigens vor einer Art Leinwand posieren musste; diese Taten sind nicht Gegenstand der Anklage. Ab dem Jahr 2009 richteten sich die „sexuellen Anwandlungen“ des Angeklagten vorwiegend ge- gen seine jüngere Stieftochter A. . Regelmäßig an den Sonntagen wuscher sie im Badezimmer und nutzte dies jeweils dazu aus, das nackte Mädchen – auch gegen dessen erklärtenWunsch – im Intimbereich zu massieren und einen Finger in ihre Scheide und ihren Anus einzuführen, um sich sexuell zu erregen. Auf vereinzelte Ablehnungen seines sonntäglichen „Duschrituals“ durch A. reagierte er mit Vorhaltungen, Beschimpfungen und Drohungen gegenüber den Stiefkindern und seiner Ehefrau; er beruhigte sich in der Regel erst wieder, wenn A. seinem Verlangen nachkam. A. gab seinen Forderungen zumeist nach, um den Hausfrieden nicht zu gefährden.
4
Das Landgericht konnte eine konkrete Tat zwischen Ende Dezember 2006 und Anfang August 2008 zulasten der damals dreizehn- oder vierzehnjährigen D. M. feststellen, der gegenüber der Angeklagte vorgab, sie auf das Vorliegen einer Schwangerschaft untersuchen zu wollen. Gegen seinen Versuch, mit seinem Finger in ihre Scheide einzudringen, wehrte sie sich zunächst. Nachdem der Angeklagte ihr eine häusliche Strafe angedroht hatte, ließ sie es zu.
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Die Strafkammer hat weitere acht Taten zulasten der Nebenklägerin A. M. festgestellt. In der Zeit zwischen Anfang 2009 und dem 5. Januar 2011 drang der Angeklagte in vier Fällen im Rahmen des geschilderten „Duschrituals“ mit seinem Finger in die Scheide oder denAfter des Kindes ein (Fälle 2 bis 5). An einem nicht mehr näher feststellbarem Tag zwischen dem 7. Januar 2011 und Dezember 2013 forderte der Angeklagte die damals „vierzehn - bis sechzehnjährige“ A. auf, sie solle sich mit entblößtem Unterleib in gebückter Haltung in eine „Hündchenstellung“ begeben, und führte sein erigier- tes Glied an den After des Mädchens (Fall 6). An mindestens zwei unterschiedlichen Tagen im Zeitraum zwischen Anfang 2011 und Ende 2013 forderte der Angeklagte seine Stieftochter A. auf, ihre Brüste zu entblößen, weil er sie zur Brustkrebsvorsorge abtasten wolle. Als die Jugendliche „sich fügte“, streichelte und massierte der Angeklagte einige Minuten ihre Brüste, um sich sexuell zu erregen (Fälle 7 und 8). Schließlich duschte der Angeklagte zwischen Ende November 2013 und dem 15. Dezember 2013 seine Stieftochter A. letztmals im Badezimmer der Familienwohnung in üblicher Weise ab. Wieder führte er seinen Finger in die Scheide des Mädchens ein. Im Anschluss an diese Tat offenbarte A. sich einem Sozialarbeiter eines Jugendzentrums.
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2. Das Urteil hat im Ergebnis – entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts – Bestand.
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a) Hinsichtlich der Fälle 6 bis 9 hat das Landgericht zwar in rechtsfehlerhafter Weise eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB bejaht. Der Generalbundesanwalt hat insoweit in seiner Stellungnahme zu Recht darauf hingewie- sen, dass die Nebenklägerin bei den Taten 6 bis 8 zumindest nicht ausschließbar das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatte und dies für die Tat 9 sicher feststeht. Entgegen diesen Feststellungen ist das Landgericht in seiner rechtlichen Würdigung davon ausgegangen, dass die Nebenklägerin A. M. bei die- sen Taten „noch nicht“ 16 Jahre alt gewesen sei (UA S. 30). Dieser Wider- spruch ist nicht auflösbar. Eine Verurteilung nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB, die ein unter 16 Jahre altes Opfer voraussetzt, ist deshalb nicht möglich.
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b) Gleichwohl kann der Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen bestehen bleiben.
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aa) Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass der Angeklagte bei den Taten 6 bis 9 – entsprechend der Wertung der Anklage (vgl. § 265 StPO) – die Variante des § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt hat.
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Diese Vorschrift dehnt das Schutzalter von Schutzbefohlenen bis zum 18. Lebensjahr aus, setzt allerdings voraus, dass die sexuellen Handlungen unter Missbrauch einer mit dem festgestellten Obhutsverhältnis verbundenen Abhängigkeit des Schutzbefohlenen vorgenommen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 1997 – 5 StR 232/97). Ein Missbrauch der Abhängigkeit liegt vor, wenn der Täter seine Macht und Überlegenheit in einer für den Jugendlichen erkennbar werdenden Weise als Mittel einsetzt, um diesen gefügig zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1979 – 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 366 f.). Das ist insbesondere der Fall, wenn für den Jugendlichen eine Drucksituation besteht (vgl. BGH, aaO und Urteil vom 24. Oktober 1990 – 3 StR 257/90, NStZ 1991, 81, 82). BeidenBeteiligten muss dabei der Zu- sammenhang des Abhängigkeitsverhältnisses mit den sexuellen Handlungen bewusst sein.
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Zwar hat das Landgericht nicht geprüft, ob der Angeklagte ein Abhängigkeitsverhältnis in diesem Sinne missbraucht hat. Dies ergibt sich jedoch aus einer Gesamtschau der Urteilsgründe. Die Feststellungen belegen eine beherr- schende Rolle des „cholerischen und bestimmenden“ Angeklagten, der die Fa- milie zumeist „nach seinem Belieben“ lenkte (UA S. 4). Nach der im Urteil mitgeteilten und vom Landgericht ohne Rechtsfehler als glaubhaft erachteten Aus- sage der Nebenklägerin habe der Angeklagte „umgehend seine schlechte Laune gezeigt und seinen Unmut an der ganzen Familie ausgelassen“, wenn sie versucht habe, ihm am Sonntag zu entgehen. Aus diesem Grund habe sie sich ihm nicht widersetzt (UA S. 20). Sie habe „es als völlig entwürdigend erachtet ..., sich mit 16 Jahren vom Stiefvater an Brust und Scheide betatschen und be- fingern zu lassen“ (UA S. 21). Dementsprechend wertet es die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung für die gegen die Nebenklägerin A. M. noch in kindlichem Alter begangenen Taten 2 bis 5 zulasten des Angeklagten, dass er „die Geschädigte über einen längeren Zeitraum mehrmals sexuell missbrauchte und dies in einem eigens geschaffenem Klima der Einschüchterung geschah, das er systematisch und rücksichtslos für sich ausnutzte“ (UA S. 31). Hinsichtlich der Taten 6 bis 9 stellt das Landgericht im Rahmen der Prüfung des § 174 Abs. 5 StGB mit darauf ab, dass „die Initiative zu den sexuellen Handlungen vom Angeklagten ausging und von den geschädigten Stieftöchtern unerwünscht war“ (UA S. 31).
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Die Gesamtschau der Urteilsgründe ergibt demnach, dassA. M. die sexuellen Handlungen des Angeklagten, was diesem bewusst war, auch nach ihrem 16. Geburtstag entgegen ihrem Willen nur aufgrund der vom Angeklagten aufgebauten familiären Machtverhältnisse duldete, die ihm eine beherrschende Stellung zuwiesen.
Mutzbauer Sander Schneider
Dölp König