Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Jan. 2016 - 4 StR 573/15

bei uns veröffentlicht am20.01.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 573/15
vom
20. Januar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:200116B4STR573.15.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 20. Januar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 9. Oktober 2015, soweit es ihn betrifft,
a) im Schuldspruch dahin geändert und insgesamt neu gefasst , dass der Angeklagte F. des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung , der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über einen Schlagring in Tateinheit mit Führen einer Schusswaffe und des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig ist,
b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen unerlaubten Besitzes und unerlaubten Führens einer verbotenen Waffe, wegen unerlaubten Besitzes und unerlaubten Führens einer Schusswaffe sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der Strafbefehle des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen vom 16.07.2015 … und vom 19.08.2015 … zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren verurteilt“. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 15. Dezember 2015 dargelegten Gründen hat der Senat den Schuldspruch des angefochtenen Urteils geändert.
3
2. Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift Folgendes ausgeführt: „Dagegen hält der Rechtsfolgenausspruch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht – ohne Beiziehung eines Sachverständigen (UA S. 24; § 246a StPO) – mit nicht tragfähiger Begründung von der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen hat (UA S. 31-32). Nach den Urteilsfeststellungen konsumierte der Angeklagte seit 2013 regelmäßig Cannabis, seit Anfang 2014 zudem Amphetamin (UA S. 6). Grund für die Begehung des besonders schweren Raubs unter Ziffer II.1. der Urteils- gründe war, dem Geschädigten ‚Bargeld und/oder Betäubungsmittel wegzunehmen‘; die Motive lagen im Bereich vorangegangener Betäu- bungsmittelgeschäfte der Beteiligten (UA S. 19). Bei der Verhängung einer Jugendstrafe orientiert sich das Landgericht maßgeblich an dem andauernden Drogenkonsum des Angeklagten und geht von einer Tat im ‚Drogenmilieu‘ aus (UA S. 28). Eine Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung komme ferner nicht in Betracht, da aufgrund der instabilen Lebensverhältnisse des Angeklagten und des fortdauernden Drogenkonsums nicht erwartet werden könne, dass der Angeklagte ein straffreies Leben führen werde (UA S. 28). Diese Feststellungen legen nahe, dass der Angeklagte aufgrund eines Hangs zum Betäubungsmittelkonsum die abgeurteilten Taten begangen hat und die Gefahr besteht, dass er infolge des Hanges weitere erhebliche rechtswidrige Taten begeht. Die pauschale Ablehnung eines Hangs durch die Jugendkammer wird dem nicht gerecht. Anhaltspunkte dafür, dass keine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten, der sich noch keiner Drogentherapie unterzogen hat, von einem Hang gegebenenfalls zu heilen, sind nicht ersichtlich. Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a ˂Abs. 1˃ S. 2 StPO) der erneuten Prüfung und Entscheidung. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass trotz der Ausgestaltung des § 64 StGB als Ermessensvorschrift ein Absehen von der Unterbringung nach dem Willen des Gesetzgebers nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommen soll. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 S. 3 StPO; BGHSt 37, 5, 9). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362 f.).
Der zu § 64 StGB aufgezeigte Rechtsfehler nötigt mit Blick auf § 5 Abs. 3 JGG auch zur Aufhebung des Strafausspruchs. Auch wenn dies fernliegt, wird der Senat nicht ausschließen können, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG davon abgesehen hätte,
Jugendstrafe zu verhängen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. April 2003 – 4 StR 119/03 –, vom 4. März 2008 – 3 StR 30/08 – und vom 27. Ok- tober 2015 – 3 StR 314/15).“
4
Dem tritt der Senat bei.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Franke Bender

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

Strafprozeßordnung - StPO | § 246a Vernehmung eines Sachverständigen vor Entscheidung über eine Unterbringung


(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Ange

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 5 Die Folgen der Jugendstraftat


(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden. (2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen. (3) Von Zuchtmitteln un

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.

(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.

(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 119/03
vom
29. April 2003
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 29. April 2003 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 24. September 2002 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Körperverletzung in zwei Fällen unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Demmin vom 20. November 2001 zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Mit seiner auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Der Generalbundesanwalt hat ausgeführt:
"Die Revision rügt zu Recht, daß das Landgericht ein Absehen von Jugendstrafe gemäß § 5 Abs. 3 JGG nicht geprüft hat.
Wird aus Anlass der Straftat eines Jugendlichen oder Heranwachsenden dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet, so ist von Jugendstrafe abzusehen, wenn die Maßregelanordnung die Ahndung durch Jugendstrafe entbehrlich macht (§ 5 Abs. 3 JGG). Durch diese spezifisch jugendstrafrechtliche Vorschrift soll dem Gedanken der Einspurigkeit freiheitsentziehender Maßnahmen im Jugendstrafrecht Rechnung getragen werden (vgl. BGHSt 39, 92, 95 m.w.N.). Eine entsprechende Prüfung und Entscheidung ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Auch wenn das Landgericht die Vorschrift bedacht haben sollte, muss es sich in den Urteilsgründen dazu äußern, um eine Nachprüfung der getroffenen Entscheidung zu ermöglichen (vgl. Diemer in Diemer/Schoreit/Sonnen JGG 3. Aufl. § 5 Rdn. 15 m.w.N.). Wegen des Sachzusammenhangs zwischen Jugendstrafe und Unterbringung (vgl. BGHR JGG § 5 Abs. 3 Absehen
1) ist auch der - für sich gesehen - rechtsfehlerfrei begründete Ausspruch über die Unterbringung nach § 64 StGB mit den Feststellungen aufzuheben. Die Rechtsfolgen sind im Rahmen der gebotenen neuen Erwägungen, auch unter Berücksichtigung der weiteren Entwicklung des Angeklagten in der Untersuchungshaft, mit sachverständiger Hilfe nochmals sorgfältig zu prüfen."
Dem kann sich der Senat nicht verschließen. Zwar liegt nach den bisherigen Feststellungen die Annahme, daß die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt die Ahndung seiner Taten durch die Verhängung einer Jugendstrafe entbehrlich macht, eher fern. Der Senat kann aber gleichwohl
nicht ausschließen, daß das Landgericht, hätte es diese Frage, wie vom Gesetz zwingend vorgegeben, geprüft, zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.
Maatz Richter am Bundesgerichtshof Athing Dr. Kuckein ist wegen urlaubsbedingter Abwesenheit verhindert zu unterschreiben Maatz Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 30/08
vom
4. März 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Bandendiebstahls u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen
Antrag - am 4. März 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Osnabrück vom 10. Juli 2007 im Rechtsfolgenausspruch
mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "gemeinschaftlichen" räuberischen Diebstahls, schweren Bandendiebstahls in fünf Fällen und "gemeinschaftlichen" Betruges in Tateinheit mit "gemeinschaftlicher" Urkundenfälschung und "gemeinschaftlichen" Missbrauchs von Ausweispapieren (nach den Urteilsgründen gemeint: In Tateinheit mit Missbrauch von Ausweispapieren) zur Einheitsjugendstrafe von einem Jahr verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der allgemeinen Sachbeschwerde.
2
Zum Schuldspruch ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Rechtsfolgenausspruch hält indessen rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die Prüfung der Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterlassen, die sich nach den getroffenen Urteilsfeststellungen aufdrängte. Dies führt hier auch zur Aufhebung des Strafausspruches.
3
Der Angeklagte war in einem anderen Strafverfahren, das am 7. Dezember 2005 mit seiner Verurteilung zu einem Jahr und neun Monaten Jugendstrafe wegen räuberischer Erpressung, Raubes und gefährlicher Körperverletzung jeweils in zwei Fällen und anderer Straftaten endete, im November 2005 vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft unter der Auflage verschont worden, eine stationäre Drogenlangzeittherapie zu beginnen. Bereits vier Tage nach Therapiebeginn wurde der Angeklagte entlassen, weil er Alkohol konsumiert hatte. Ferner hat der Angeklagte die hier abgeurteilten Taten aufgrund seiner - nicht näher beschriebenen - Betäubungsmittelabhängigkeit begangen und den auf ihn entfallenden Beuteanteil - wenn auch nicht ausschließlich - für den Erwerb von Betäubungsmitteln ausgegeben.
4
Diese Sachlage legt nahe, dass die gegenständlichen Taten auf einen Hang des Angeklagten zurückgehen, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Daher hätte das Landgericht prüfen und entscheiden müssen, ob die Voraussetzungen für die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gegeben sind. Daran hat sich durch die Neufassung des § 64 StGB, die zum Zeitpunkt des Urteilserlasses zwar noch nicht galt, aber nach § 2 Abs. 6 StGB, § 354 a StPO in jeder Lage des Verfahrens anzuwenden ist (vgl. BGH NStZ 2008, 28), nichts geändert (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 72). Den bisher getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Maß- regelanordnung jedenfalls deswegen ausscheiden müsste, weil es an der hinreichend konkreten Aussicht eines Behandlungserfolges (§ 64 Satz 2 StGB nF) fehlt. Solches folgt nicht schon allein daraus, dass die frühere Drogenlangzeittherapie bereits kurz nach ihrem Beginn mit der Entlassung des Angeklagten wegen eines Disziplinarverstoßes abgebrochen wurde.
5
Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt hier den Strafausspruch nicht unberührt. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG davon abgesehen hätte, Jugendstrafe zu verhängen.
6
Der neue Tatrichter wird daher über den gesamten Rechtsfolgenausspruch nochmals zu befinden haben. Zur Prüfung der Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB bedarf es der Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO).
Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer