Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2013 - 4 StR 557/12

bei uns veröffentlicht am13.02.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 557/12
vom
13. Februar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 13. Februar 2013 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 21. September 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr und sechs Monate der verhängten Freiheitsstrafe vorweg zu vollziehen sind. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der unter anderem wegen Trunkenheit im Verkehr mehrfach vorbestrafte Angeklagte, der nach eigenen Angaben in der Zeit vor der Tat täglich etwa zehn Flaschen Bier und gelegentlich Schnaps konsumierte, befand sich in der Nacht zum 8. April 2012 mit seinem Bekannten F. , dem späteren Tatopfer, allein in dessen Wohnung. Während beide Bier und Schnaps tranken, kam es im Verlauf des Abends zu einem auch unter dem Einsatz von Fäusten geführten Streit um "alte Geschichten", der jedoch mit einer Versöhnung zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten endete. Zwischen 2.00 Uhr und 3.00 Uhr kam es sodann ohne erkennbaren Anlass zu einem lautstarken , allein von der Stimme des Angeklagten dominierten Geschehen, in dessen Verlauf der Angeklagte dem Geschädigten mit einem 18 cm langen Gemüsemesser und einem 17 cm langen Schälmesser ohne rechtfertigenden Grund mit Tötungsvorsatz zwei Stiche in die Brust und drei Stiche in den Rücken beibrachte, die lebensgefährliche Verletzungen verursachten. Der Wohnungsnachbar des Tatopfers, der Zeuge A. , verständigte kurz nach 4.30 Uhr die Polizei, nachdem der Angeklagte zuvor mit nacktem Oberkörper an der Wohnungstür des Zeugen A. geklingelt und gegen die Tür geschlagen und getreten hatte. Den eintreffenden Polizeibeamten öffnete der vollkommen unbekleidete und an Armen und Beinen blutverschmierte Angeklagte die Wohnungstür und eilte daraufhin sofort ins Bad, wo er versuchte, sich mit angefeuchteten Handtüchern das Blut abzuwaschen. Danach lief er kreuz und quer durch die Wohnung und drängte sich mehrfach mit den Worten: "Meine Frau, meine Frau, ich will die jetzt ficken" zu dem Geschädigten hin, der blutüberströmt vor der Couch im Wohnzimmer auf dem Boden lag. Da der Angeklagte von seinem Tun nicht abließ und nach einem der eingesetzten Polizeibeamten schlug und trat, wurden ihm Handfesseln angelegt. Während des Einsatzes der Polizei bot der Angeklagte den Beamten immer größer werdende Geldbeträge bis hin zu 500.000 € an, damit sie ihn laufen ließen; ferner drohte er ihnen, anderenfalls würden andere kommen und ihre Familien auslöschen. Am 8. April 2012 um 5.58 Uhr wurde bei dem Angeklagten eine Blutalkoholkonzentration von 2,97 ‰ gemessen. Der Geschädigte verstarb im Krankenhaus am 18. April 2012 an einer trotz ordnungsgemäßer Thromboseprophylaxe eingetretenen Lungenembolie auf Grund der durch die Verletzungen erzwungenen Bettlägerigkeit.
4
2. Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte infolge seines Alkoholkonsums bei Begehung der Tat in seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert, nicht jedoch schuldunfähig gewesen sei. Dem rechnerisch ermittelten Wert der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit in Höhe von 3,77 ‰ komme angesichts der Alkoholgewöhnung des Angeklagten nur geringe Aussagekraft zu. Die Bewertung der psychodiagnostischen Kriterien ergebe kein einheitliches Bild. Eine mittelgradige Berauschung des Angeklagten mit der Folge eingeschränkter kognitiver Fähigkeiten sei nicht sicher belegbar, aber auch nicht auszuschließen. Für einen solchen Rauschzustand spreche seine Situationsverkennung dahin, dass er angenommen habe, in der Wohnung liege seine Frau. Seine Versuche, sich das Blut abzuwaschen, belegten demgegenüber das Vorhandensein guter kognitiver Fähigkeiten, ebenso die Tatsache, dass er den Polizeibeamten immer höhere Geldsummen angeboten habe, damit sie ihn laufen ließen.

II.


5
Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten durch die Strafkammer begegnet insbesondere im Hinblick auf die Bewertung der TatzeitBlutalkoholkonzentration durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
6
1. Die Strafkammer hat zum Nachteil des Angeklagten eine zu niedrige Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt zu Grunde gelegt.
7
Ausgehend vom BAK-Wert der nur vier Stunden nach Beginn des von der Strafkammer angenommenen Tatzeitraums beim Angeklagten entnommenen Blutprobe (zur Bedeutung des Zeitraums zwischen Tat und Blutentnahme vgl. BGH, Urteil vom 9. August 1988 – 1 StR 231/88, BGHSt 35, 308, 315, 317; Senatsbeschluss vom 24. Januar 2008 – 4 StR 542/07, StraFo 2008, 334, Tz. 8) ergibt sich als Tatzeit-Blutalkoholkonzentration nicht, wie der Sachverständige meint, der vom Landgericht angenommene Wert von 3,77 ‰, sondern ein solcher von 3,97 ‰, da nach ständiger Rechtsprechung bei der Prüfung der Schuldfähigkeit ein stündlicher Abbauwert von 0,2 ‰ und ein Sicherheitszuschlag von 0,2 ‰ zugrunde zu legen ist (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom 24. Januar 2008 aaO, Tz. 7 mwN).
8
2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Indizwirkung der Tatzeit -Blutalkoholkonzentration vor dem Hintergrund der Alkoholgewöhnung des Angeklagten und seines Verhaltens während und nach der Tat bewertet hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gibt es zwar keinen Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration die Schuldfähigkeit regelmäßig aufgehoben ist; Entsprechendes gilt für die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit (BGH, Urteil vom 29. April 1997 – 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 72 ff.; Urteil vom 22. Oktober 2004 – 1 StR 248/04, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 37). So ist es dem Tatrichter auch nicht verwehrt, die Alkoholgewöhnung des Täters bei der Bewertung der festgestellten Tatzeit-Blutalkohol- konzentration zu berücksichtigen (Senatsbeschluss vom 9. November 1999 – 4 StR 521/99, NStZ 2000, 136). Gleichwohl hat diese insofern Bedeutung, als sie – unter Beachtung des Zweifelssatzes – Aufschluss über die Stärke der alkoholischen Beeinflussung gibt und in diesem Sinne ein zwar nicht allgemein gültiges, aber gewichtiges Beweisanzeichen neben anderen ist (Senatsbeschluss vom 9. November 1999 aaO). Zwar kann die Schuldfähigkeit auch bei Werten, die deutlich über 3 ‰ liegen, insbesondere bei Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit noch (möglicherweise eingeschränkt ) erhalten geblieben sein (vgl. SSW-StGB/Schöch, § 20 Rn. 36 mN zur Rspr.). In einem solchen Fall ist jedoch regelmäßig die Prüfung einer Aufhebung der Schuldfähigkeit veranlasst (BGH, Beschluss vom 13. Januar2010 – 2 StR 447/09, BGHR StGB § 20 Blutalkoholkonzentration 20). Die Bewertung und Gewichtung der dafür entscheidungserheblichen Indizien im Rahmen der Gesamtwürdigung des Beweisstoffes ist im Wesentlichen Aufgabe des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann in diese Würdigung nur eingreifen, wenn sie auf fehlerhaften Erwägungen oder Vorstellungen beruht (BGH, Urteil vom 31. Oktober 1989 – 1 StR 419/89, BGHSt 36, 286, 293). So verhält es sich hier.
10
b) Die vom Landgericht in diesem Zusammenhang angestellte Gesamtwürdigung ist bereits lückenhaft.
11
Nach den Urteilsfeststellungen stieß der Angeklagte im unmittelbaren Zusammenhang mit der Tat im Treppenhaus mit unbekleidetem Oberkörper ohne erkennbaren Anlass unter lautem Schreien eine Drohung aus und zerschlug eine Flasche, die er dann dort liegen ließ. Ferner öffnete er beim Eintreffen der Polizei vollständig unbekleidet die Wohnungstür. Diese Umstände können nach Lage des Falles jeder für sich oder im Zusammenwirken für die Frage der Schuldfähigkeit von Bedeutung sein; sie hätten daher nicht unerörtert bleiben dürfen.
12
c) Durchgreifende Bedenken erweckt auch die Erwägung, der Versuch des Angeklagten, sich nach Erscheinen der Polizeibeamten das Blut abzuwaschen , lasse auf erhalten gebliebene gute kognitive Fähigkeiten schließen. Schon dies lässt für sich genommen besorgen, dass das Landgericht einem Verhalten, das eher dem Kreis einfacher Handlungsmuster zuzuordnen ist, für die Entkräftung der Indizwirkung der erheblichen Tatzeit-Blutalkoholkonzentration eine zu große Bedeutung beigemessen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 1999 – 4 StR 521/99, NStZ 2000, 136). Dass den Geldangeboten des Angeklagten den einschreitenden Beamten gegenüber eine solche Indizwirkung ebenfalls zukommt, liegt angesichts des fernliegenden Erfolges der Bestechungsversuche und des Umstandes, dass der Angeklagte die Angebote mit haltlosen Drohungen verband, eher fern.

III.


13
Die Schuldfähigkeit des Angeklagten bedarf daher neuer Prüfung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen medizinischen Sachverständigen. Da der Senat nicht ausschließen kann, dass der neue Tatrichter zur Annahme der Voraussetzungen des § 20 StGB gelangt, hat das angefochtene Urteil insgesamt keinen Bestand.
14
Für den Fall, dass auch die neue Verhandlung eine lediglich erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten (§ 21 StGB) ergeben sollte, wird Folgendes zu bedenken sein:
15
1. Im Hinblick darauf, dass die Strafkammer die Voraussetzungen eines minder schweren Falls des Totschlags im Sinne von § 213 StGB auf Grund der "massiven Einwirkung" des Angeklagten auf den Geschädigten abgelehnt hat, merkt der Senat an, dass auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich ist, sodass für eine derartige strafschärfende Erwägung zwar grundsätzlich Raum bleibt, indes nur nach dem Maß der geminderten Schuld. Dass dem Tatrichter diese Problematik bewusst war, muss das Urteil erkennen lassen (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2002 – 5 StR 365/02, NStZ-RR 2003, 104).
16
2. Die vom Landgericht angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB begegnet mit der bisherigen Begründung ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
17
Zwar liegt der für die Unterbringungsanordnung erforderliche Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, beim Angeklagten nach den Urteilsfeststellungen auf der Hand. Auch kann die von § 64 Abs. 1 StGB geforderte Gefahr weiterer erheblicher Straftaten schon allein durch die Anlasstat begründet werden (Senatsbeschluss vom 20. Januar 2004 – 4 StR 464/03, NStZ-RR 2004, 204). Die Urteilsgründe beschränken sich indes zur Gefährlichkeitsprognose auf die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes, was dem Senat die Prüfung, ob die Strafkammer insoweit von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist, unmöglich macht. Eine Darlegung der "detaillierten und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen" zu den Anordnungsvoraussetzungen wäre im vorliegenden Fall umso mehr geboten gewesen , als die Einzelheiten des zur Tat führenden Geschehens ebenso wenig eindeutig festgestellt werden konnten wie das Motiv des Angeklagten für die Tat.
Die für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht sprechenden Gesichtspunkte, zu denen auch der – vom Landgericht nicht erörterte – Grad der Therapiewilligkeit des Angeklagten zum Urteilszeitpunkt gehört (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2009 – 3 StR 516/09, NStZ-RR 2010, 141), hätten hier ebenfalls einer eingehenderen Darlegung in den Urteilsgründen bedurft.
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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 213 Minder schwerer Fall des Totschlags


War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minde

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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 248/04
vom
22. Oktober 2004
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
20. Oktober 2004 in der Sitzung am 22. Oktober 2004, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger
- in der Verhandlung vom 20. Oktober 2004 -,
Rechtsanwalt
als Verteidiger
- in der Sitzung am 22. Oktober 2004 -,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29. Januar 2004 wird verworfen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten greift mit einer Verfahrensrüge und der Sachrüge die Verneinung erheblich verminderter Schuldfähigkeit an. Sie bleibt ohne Erfolg. 1. Das Landgericht hat festgestellt: Der Angeklagte begann im Alter von 13 Jahren mit dem Trinken von Alkohol. Bereits mit 17 Jahren befand er sich in einer Entziehungskur, die ebenso ergebnislos blieb wie spätere Entgiftungen und Therapien. Am 25. Juli 2003 tranken der Angeklagte und seine Lebensgefährtin R. , die Geschädigte, in ihrer gemeinsamen Wohnung ab etwa
16.00 Uhr zusammen mit dem Mitangeklagten S. in erheblichem Umfang Wein.Als R. gegen 21.00 Uhr, nur mit einem Achselshirt und einem Slip bekleidet, aufreizend vor S. tanzte, entschloß sich der Angeklagte aus Wut und Verärgerung hierüber sowie aufgrund bereits in der Vergangenheit erfolgter Demütigungen seitens der Geschädigten, seine Lebensgefährtin zu töten. Er holte, verborgen vor der Geschädigten, aus der Küche ein Fleischermesser und stachelte den S. mehrfach leise mit den Worten "Komm, die stechen wir jetzt ab; sie hat es verdient" an. S. ergriff schließlich das Messer und stieß es der auf dem Sessel sitzenden Geschädigten wuchtig in den Unterbauch. Sodann verließ er fluchtartig die Wohnung. Der Angeklagte zog das Messer aus der Wunde und wusch es in der Spüle ab. Anschließend verständigte er per Notruf das DRK. Eine 45 Minuten nach der Tat entnommene Blutprobe des Angeklagten ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,92 o/oo. Seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit war zum Tatzeitpunkt jedoch nicht erheblich eingeschränkt. 2. Mit einer Aufklärungsrüge macht der Angeklagte geltend, das Landgericht hätte den Arzt Dr. L. , der auf dem Polizeirevier bei dem Angeklagten die Blutprobe entnommen und ein Protokoll über den Zustand des Angeklagten gefertigt hatte, als sachverständigen Zeugen vernehmen müssen. Die Rüge ist unbegründet. Durch das Unterlassen der Einvernahme des Arztes hat das Landgericht nicht gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen. Es hat zwar die Feststellungen in dem Protokoll der Blutentnahme u.a. mit der Begründung in Frage gestellt, derartige Feststellungen geschähen "zumeist unter Zeitdruck und lediglich oberflächlich", was im vorliegenden Fall durch die hohe Zahl der ausgelassenen Untersuchungen bestätigt werde. Es hat aber rechts-
fehlerfrei den Angaben des Protokolls keinen wesentlichen Indizwert beigemessen. Die in dem Protokollsformular vorgesehenen Untersuchungen bezüglich Puls, Blutdruck, Romberg-Test, Drehnystagmus, Gang geradeaus und plötzliche Kehrtwendung wurden bei dem Angeklagten überhaupt nicht vorgenommen. Auch deuten einige der getroffenen Feststellungen eher auf eine nicht eingeschränkte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten hin. So wird das Befinden des Angeklagten als "normal", der Alkoholeinfluß auf den Angeklagten nur als "deutlich" und nicht als "stark" oder "sehr stark" gekennzeichnet. Bei dieser Sachlage mußte das Landgericht sich nicht zu der ergänzenden Vernehmung des Arztes gedrängt sehen. 3. Auch die Sachrüge ist nicht begründet. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht angenommen, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht alkoholbedingt erheblich vermindert war.
a) Bei einer Blutalkoholkonzentration in der festgestellten Höhe ist die Möglichkeit einer krankhaften seelischen Störung durch einen akuten Alkoholrausch zu erörtern. Einen Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration regelmäßig vom Vorliegen dieses Merkmals auszugehen ist, gibt es jedoch nicht. Entscheidend ist vielmehr eine Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände aus der Persönlichkeitsstruktur des Täters, seinem Erscheinungsbild vor, während und nach der Tat und dem eigentlichen Tatgeschehen. Die Blutalkoholkonzentration ist in diesem Zusammenhang ein zwar gewichtiges, aber keinesfalls allein maßgebliches oder vorrangiges Beweisanzeichen, wobei deren Bedeutung auch von der - hier sehr hohen - Alkoholgewöhnung des Täters beeinflußt sein kann (vgl. BGHSt 43, 66, 70; BGH NStZ 2002, 532).
Ob die Steuerungsfähigkeit wegen des Vorliegens einer krankhaften seelischen Störung bei Begehung der Tat "erheblich" im Sinne des § 21 StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage. Diese hat der Tatrichter ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortun g zu beantworten. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen , die die Rechtsordnung auch an einen berauschten Täter stellt (vgl. BGHSt 43, 66, 77; BGH NStZ-RR 1999, 295, 296). Diese Anforderungen sind um so höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist (BGH NStZ 2004, 437).
b) Diesen Grundsätzen ist die sachverständig beratene Strafkammer gerecht geworden (zum Maßstab revisionsrechtlicher Überprüfung tatrichterlicher Entscheidungen zum Einfluß von Alkohol auf die Schuldfähigkeit vgl. auch Maatz/Wahl BGH-FS S. 531, 553). Der Revision ist zwar einzuräumen, daß der Blutalkoholwert hier sehr tatzeitnah - 45 Minuten nach der Tat - gemessen wurde und deshalb eine zuverlässige Aussage mit nicht geringer Beweisbedeutung darstellt. Das Landgericht war gleichwohl aus Rechtsgründen nicht gehindert, trotz dieses Blutalkoholwertes die festgestellten psychodiagnostischen Beweisanzeichen dahin zu würdigen, daß eine krankhafte seelische Störung nicht vorgelegen hatte. Die psychodiagnostischen Beweisanzeichen sind hier sogar besonders aussagekräftig. Der alkoholabhängige Angeklagte ist in hohem Maße trinkgewohnt. Sein Verhalten vor, während und nach der Tat hat in sich schlüssige Handlungssequenzen mit motorischen Kombinationsleistungen gezeigt, die so nicht möglich gewesen wären, wenn diese Fähigkeiten erheblich beeinträchtigt gewesen wären. Er brachte das Messer mit dem Unterarm verdeckt in das Wohnzimmer, verbarg es dort vor der Geschädigten und sprach bewußt so lei-
se auf den Mitangeklagten S. ein, daß der Geschädigten seine Worte verborgen blieben. Er rief unmittelbar nach der Tat bei der Polizeidirektion an und erfragte die Telefonnummer des DRK. Auf dem Notrufband des DRK ist die Stimme des Angeklagten - wie die Strafkammer aufgrund eigener Wahrnehmung festgestellt hat - deutlich und ohne Anzeichen einer verwaschenen Aussprache zu vernehmen. Er antwortete schnell und angepaßt auf Nachfragen und legte bei der Angabe seiner Telefonnummer sogar bewußt Pausen ein, um das Mitschreiben zu erleichtern. Die Geschädigte wie der Mitangeklagte S. schilderten den Angeklagten als "ganz normal", und auch der am Tatort eintreffende Polizeibeamte Polizeihauptmeister Ri. stellte bei dem Angeklagten "keinerlei Ausfallerscheinungen" fest. Hinzu kommt das genaue, auch die Motivationslage einschließende Erinnerungsvermögen des Angeklagten. Soweit das kontrollierte Vorgehen des Angeklagten, das über "eingeschliffenes" Verhalten und schlichte Verhaltensmuster hinausging, nach der Tat geschah, brauchte das Landgericht angesichts seines Verhaltens vor und bei Ausführung der Tat auch keinen relevanten Ernüchterungseffekt in Rechnung zu stellen. Er hat die Tat weder in einem Zustand der Erregung oder in einem seelischen Ausnahmezustand noch unüberlegt begangen. Er hat sie vielmehr im einzelnen geplant und das Tatwerkzeug besorgt. Er hat die Lage, in der die Geschädigte sich aufgrund der entspannten Atmosphäre keines Angriffs auf ihr Leben versah, bewußt zur Tat ausgenutzt. Diese - das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllende - Vorgehensweise läßt die Annahme, das differenzierte Verhalten des Angeklagten nach der Tat sei auf einen Ernüchterungseffekt zurückzuführen, als fernliegend erscheinen. Das Landgericht durfte daher - "nach eingehender Prüfung" - die Indizwirkung der gemessenen hohen Blutalkoholkonzentration als entkräftet anse-
hen, ohne den ihm insoweit zustehenden Beurteilungsspielraum (BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 13) zu überschreiten. Da das Landgericht damit das Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung rechtsfehlerfrei verneint hat, kommt es auf die Frage der "Erheblichkeit" einer verminderten Steuerungsfähigkeit nicht mehr an.
c) Der von der Revision hilfsweise beantragten Vorlage der Sache an den Großen Senat für Strafsachen nach § 132 Abs. 2, 3 GVG bedarf es nicht, da kein Strafsenat des Bundesgerichtshofs an der Auffassung festhält, es gebe einen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungssatz, wonach ab einem bestimmten Grenzwert des Blutalkoholgehalts die Steuerungsfähigkeit in aller Regel erheblich vermindert ist (vgl. BGHSt 43, 66, 76). Dementsprechend hat der Senat auch bereits entschieden, daß in einem Fall, in dem die Blutalkoholkonzentration bis zu 3,54 o/oo betragen haben kann, eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens kurz nach der Tat zu Recht ausgeschlossen wurde (BGH NStZ 2002, 532). Gleichermaßen hat z.B. auch der 4. Strafsenat für den Fall einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 3,23 o/oo den Ausschluß einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit aufgrund psychodiagnostischer Beurteilungskriterien für möglich erklärt (BGH, Urteil vom 11. September 2003 - 4 StR 139/03). Soweit in den Entscheidungen der einzelnen Senate möglicherweise Unterschiede in der auf den jeweiligen Einzelfall bezogenen Bewertung und Gewichtung einzelner psychodiagnostischer Kriterien aufgetreten sind, nötigt dies nicht zur Vorlage dieser Sache an den Großen Senat für Strafsachen , da es sich insoweit nicht um verbindliche Entscheidungen eines anderen Senats in einer Rechtsfrage im Sinne von § 132 Abs. 2 GVG handelt.
Es bestehen schließlich keine Anhaltspunkte dafür, die der Rechtsprechung des Senats zugrundeliegenden medizinischen Erfahrungssätze in Frage zu stellen, so daß es auch der von der Revision ebenfalls hilfsweise beantragten Anhörung eines Sachverständigen nicht bedarf. Nack Wahl Kolz Elf Graf

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

5 StR 365/02

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 8. Oktober 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Oktober 2002

beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. März 2002 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

G r ü n d e Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
Es begegnet schon Bedenken, daß die Strafkammer bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, offensichtlich nur die zweite Alternative des § 213 StGB in Betracht gezogen hat. Ob das Verhalten des Tatopfers (Drohen mit dem Messer) angesichts der Vorgeschichte als Provokation im Sinne der ersten Alternative des § 213 StGB zu bewerten ist, kann indes dahinstehen. Denn der Strafausspruch hat aus anderem Grund keinen Bestand : Das Landgericht hält der Angeklagten zugute, daß ihre Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit aufgrund erheblicher affektiver Erregung in Verbindung mit akutem Alkohol- und Medikamentenmißbrauch erheblich eingeschränkt war (§ 21 StGB). Bei der Strafzumessung wertet es das „massive, äußerst brutale und nachhaltige“ Vorgehen zu ihren Lasten. Sie habe ihrem Opfer mehrere , teilweise ganz erhebliche Stich- und Schnittverletzungen zugefügt.
Dies hält unter den gegebenen Umständen rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nur dann strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenen geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt. Allerdings ist auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich, so daß für eine strafschärfende Verwertung durchaus Raum bleibt, jedoch nur nach dem Maß der geminderten Schuld (vgl. BGH NJW 1993, 3210, 3211 f.; BGH NStZ 1992, 538; Tröndle /Fischer, StGB 50. Aufl. § 46 Rdn. 28 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen ). Doch muß das Urteil erkennen lassen, daß sich der Tatrichter dieser Problematik bewußt war und ihr Rechnung getragen hat. Daß dies hier der Fall gewesen wäre, ergeben die Urteilsgründe, in denen die Tatintensität als maßgeblicher Strafschärfungsgrund uneingeschränkt hervorgehoben wird, weder ausdrücklich noch in ihrer Gesamtschau. Der Senat vermag daher nicht mit Sicherheit auszuschließen, daß die Strafkammer der Art der Tatausführung zum Nachteil der Angeklagten ein zu großes Gewicht beigemessen hat.
Angesichts des bloßen Wertungsfehlers bedarf es der Aufhebung von Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) nicht. Der neue Tatrichter wird die Strafrahmenwahl und die anschließende Strafzumessung auf der Grundlage der bislang rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen vorzunehmen haben, die er allenfalls durch weitere Feststellungen ergänzen darf, die den bisherigen nicht widersprechen.
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Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 464/03
vom
20. Januar 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 20. Januar 2004 einstimmig beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Neubrandenburg vom 24. April 2003 mit
Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Sachverhalt
aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt; eine Unterbringung nach § 64 StGB hat es abgelehnt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Sachverhalt; eines Eingehens auf die Verfahrensrügen, die die Nichtanordnung der Unterbringung betreffen, bedarf es deshalb nicht.
1. Nach den Feststellungen nahm der Angeklagte seit Jahren regelmäßig alkoholische Getränke im Übermaß zu sich. Auch am Tattag trank er mit
dem später Geschädigten Manfred W. und weiteren Personen erhebliche Mengen Alkohol, bevor er sich am späten Nachmittag schlafen legte. Etwa zwei Stunden später wurde er von dem ebenfalls hochgradig alkoholisierten Manfred W. geweckt, der lautstark weiteren Alkohol forderte. Um ihn zur Ruhe zu bringen, wollte der Angeklagte, wie er es schon öfter getan hatte, Manfred W. in dessen Wohnung einschließen; er stieß ihn hinein und schlug ihn mehrfach mit der Faust. Es entwickelte sich eine Rangelei, in deren Verlauf Manfred W. ein Messer mit feststehender Klinge zog und dem Angeklagten vor das Gesicht hielt. Der Angeklagte, der eine BAK von 3,72 ‰ hatte, nahm ihm das Messer ab, wie er dies in der Vergangenheit bereits mehrfach problemlos getan hatte. Aus Wut über das Verhalten des Geschädigten und um dafür zu sorgen , daß dieser ihn künftig nicht nochmals so bedrohen werde, stach der Angeklagte das Messer dreimal mit erheblicher Intensität in den Rücken beziehungweise die Flanke des Geschädigten. Einer der Stiche verursachte eine Lungenverletzung, die zum alsbaldigen Tod des Opfers führte. Der Angeklagte begab sich in seine eigene Wohnung und teilte der Polizei telefonisch mit, er sei von Manfred W. angegriffen worden und befürchte eine weitere Bedrohung.
2. Der Schuldspruch wegen Totschlags hat keinen Bestand, weil der Tötungsvorsatz nicht ausreichend festgestellt ist. Das Landgericht hat das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes allein aus der besonders gefährlichen Gewaltanwendung gefolgert. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der Schluß auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz nahe liegt, doch ist dieser nur dann rechtsfehlerfrei , wenn der Tatrichter alle nach Sachlage in Betracht kommenden Tatumstände in seine Erwägungen einbezogen hat, die dieses Ergebnis in Frage
stellen können (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 50 m.w.N.). Hier fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten, der zur Tatzeit eine BAK von 3,72 ‰ aufwies. Wegen dieser Alkohol-intoxikation hat das Landgericht - den Ausführungen des zur Schuldfähigkeitsbeurteilung gehörten Sachverständigen folgend - eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB angenommen. Bei dieser Sachlage versteht es sich nicht von selbst, daß der über das Verhalten des Manfred W. in Wut geratene Angeklagte trotz seiner erheblichen Alkoholisierung erkannt hat, daß seine Gewalthandlungen zum Tode des Opfers führen könnten, und diese Folge auch billigend in Kauf genommen hat (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 26, 55). Wenn ein Täter durch Alkohol oder andere Rauschmittel in seiner Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt war, bedarf es besonderer Begründung, wenn der Tatrichter das Wissenselement des bedingten Vorsatzes aus der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung herleiten will. Eine solche Begründung läßt das angefochtene Urteil vermissen: Das Landgericht hat sich mit der erheblichen Alkoholisierung nur bei der Schuldfähigkeitsprüfung, nicht aber bei der Erörterung des Vorsatzes auseinandergesetzt. Das Urteil ist deswegen aufzuheben.
Da die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf, insbesondere zum Fehlen einer Notwehrlage, von diesem Rechtsfehler nicht betroffen sind, können sie aufrechterhalten bleiben.
3. Der neu entscheidende Tatrichter wird auch über die Frage einer Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB zu befinden haben, und zwar, wie § 246 a StPO vorschreibt, unter Hinzuziehung eines Sachverständigen. Eine Unterbringungsentscheidung ist - wie die Revision zu Recht gerügt hat -
rechtsfehlerhaft, wenn das Gericht es unterläßt, in der Hauptverhandlung einen Sachverständigen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen (vgl. BGHR StPO § 246 a Satz 1 Sachverständiger 1). Sowohl bei der Feststellung eines Hanges als auch bei der erforderlichen Gefährlichkeitsprognose ist das Gericht gehalten, sich sachverständiger Hilfe zu bedienen. Dieses Verfahrenserfordernis kann nicht etwa durch die in anderen Verfahren erworbenen und andere Angeklagte betreffende "eigene Sachkunde" des Gerichts ersetzt werden (BGH, Beschluß vom 15. Juli 1999 - 4 StR 231/99; vgl. auch Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 246 a Rdn. 1).
Bezüglich der Frage, ob bei dem bisher nicht bestraften Angeklagten infolge seines Hanges die Gefahr künftiger erheblicher Straftaten besteht, wird der neu entscheidende Tatrichter zu bedenken haben, daß die von § 64 Abs. 1 StGB geforderte Gefahr allein durch die Anlaßtat begründet werden kann (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 2; BGH, Beschluß vom 18. Juli 2000 - 5 StR 289/00; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 64 Rdn. 11 m.w.N.).
Tepperwien Kuckein Athing

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 516/09
vom
15. Dezember 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
15. Dezember 2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 29. Juni 2009 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 44 Fällen, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln sowie wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung unter Einbeziehung einer zweimonatigen Freiheitsstrafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten sowie zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Das Urteil kann jedoch keinen Bestand haben, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) anzuordnen.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der 33-jährige Angeklagte bereits im Alter von 12 Jahren Cannabis und - nach verschiedenen anderen Betäubungsmitteln - alsbald auch größere Mengen Amphetamin. In der Zeit von 1991 bis 2003 wurden gegen ihn insgesamt sechs strafrechtliche Sanktionen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verhängt, darunter eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten wegen 66 Fällen der Einfuhr von und des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Nach einer im August 2003 regulär abgeschlossenen sechsmonatigen Entwöhnungstherapie wurde er wieder rückfällig. Spätestens seit 2007 konsumierte er drei bis vier Gramm Amphetamin täglich.
3
Trotz der Feststellung, dass der Angeklagte die verfahrensgegenständlichen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgrund einer bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit und zur Finanzierung seines Eigenkonsums beging , hat das Landgericht - ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen - die Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgelehnt, weil für eine solche Maßnahme keine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht bestehe. Nach Darlegung der Modalitäten einer Unterbringung im Maßregelvollzug habe der Angeklagte erklärt, nicht bereit zu sein, sich auf eine mehrjährige Behandlung einzulassen und sich gegenüber einem Therapeuten zu öffnen. Wegen seiner kompromisslos ablehnenden Haltung lasse sich eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht einer Entwöhnungsbehandlung nicht feststellen.
4
2. Diese Begründung trägt das Absehen von der Maßregelanordnung nach § 64 Satz 2 StGB nicht.
5
Das bloße Abstellen auf das Fehlen eines Therapiewillens lässt außer Acht, dass dieser Umstand die Unterbringung nach § 64 StGB nicht ohne weiteres hindert. Zwar kann eine nicht vorhandene Therapiemotivation ein Indiz für unzureichende Erfolgschancen der Entwöhnungsbehandlung sein. Ob der Schluss von einem Mangel an Therapiebereitschaft auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Behandlung gerechtfertigt ist, lässt sich aber nur aufgrund einer - vom Landgericht hier nicht vorgenommenen - Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände beurteilen (BGH NStZ-RR 1997, 34; NJW 2000, 3015, 3016; Beschl. vom 24. März 2005 - 3 StR 71/05; Fischer, StGB 57. Aufl. § 64 Rdn. 20 m. w. N.). Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug kann es gerade auch sein, die Therapiebereitschaft beim Angeklagten überhaupt erst zu wecken (BGH R&P 2008, 55; NStZ-RR 1997, 34). Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hängt nicht vom Therapiewillen des Betroffenen ab (BTDrucks. 16/1110 S. 13).
6
3. Da der Angeklagte die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Landgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen hat (vgl. BGHSt 38, 362 f.) und die Maßregel auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts auch nicht aus anderem Grunde ausscheidet, bedarf die Frage ihrer Anordnung der nochmaligen Prüfung durch einen neuen Tatrichter. Unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO) werden hierzu insgesamt neue Feststellungen zu treffen sein. Dabei werden auch bisherige Therapieverläufe - der Angeklagte hat 2003 eine Entwöhnungsbehandlung regulär abgeschlossen - sowie die besonderen Bedingungen einer Behandlung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB in den Blick zu nehmen sein.
7
Einer etwaigen Nachholung der Unterbringung steht nicht entgegen, dass ausschließlich der Angeklagte Revision eingelegt hat (vgl. BGHSt 37, 5).
8
Der Strafausspruch wird durch die Teilaufhebung des Urteils nicht berührt. Der Senat kann ausschließen, dass im Falle der Unterbringung gegen den Angeklagten auf eine niedrigere Strafe erkannt worden wäre.
Becker Pfister von Lienen Hubert Mayer