Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Okt. 2019 - 4 StR 515/19

published on 23.10.2019 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Okt. 2019 - 4 StR 515/19
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 515/19
vom
23. Oktober 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:231019B4STR515.19.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 23. Oktober 2019 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 18. Juni 2019 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen M. am 13. Februar 2019 vor einer Flüchtlingsunterkunft in D. zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Angeklagte den Zeugen schubste und mit den Fäusten schlug. Dabei nahm er billigend in Kauf, dass er dem Zeugen dadurch erhebliche Schmerzen zufügen würde. Als der Zeuge wegzulaufen versuchte, stürzte er und verlor dabei sein Handy, ohne dies zu bemerken. Der Angeklagte und ein hinzugekommener Bewohner rannten dem Zeugen schnell hinterher, wobei der Angeklagte möglicherweise erneut auf den gestürzten Zeugen einschlug. Schließlich konnte der Zeuge weglaufen. Das herausgefallene Handy nahm der Angeklagte an sich und verwendete es für sich.
3
Der Angeklagte hat bestritten, den Zeugen M. geschlagen zu haben. Die Strafkammer hat ihre Überzeugung „vom Tatablauf“ auf die Angaben des Zeugen Do. gestützt, die „mit den ursprünglichen Angaben des Geschädigten M. “ übereingestimmt hätten (UA 6). Die Feststellungen „zur Täter- schaft“ des Angeklagten hat das Landgericht „insbesondere“ aufgrund der Angaben des Zeugen M. in der Hauptverhandlung getroffen, der den Angeklagten wiedererkannt habe (UA 7).
4
2. Die Beweiswürdigung leidet an einem durchgreifenden Erörterungsmangel , weil nicht mitgeteilt wird, ob und wie sich der Zeuge M. in der Hauptverhandlung zum Tatgeschehen geäußert hat und warum dies ohne Einfluss auf das Beweisergebnis geblieben ist.
5
a) Nach der Rechtsprechung müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen können , erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 159; Miebach in: MünchKommStPO , 1. Aufl., § 261 Rn. 108 mwN). Stützt er seine Überzeugung auf die Bekundungen nur eines von mehreren vernommenen unmittelbaren Tatzeugen, hat er in der Regel darzulegen, welche Angaben die anderen Zeugen gemacht haben und warum diese die Überzeugungsbildung nicht beeinflussen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 1995 – 2 StR 58/95, StV 1995, 340; Beschluss vom 10. August 1994 – 4 StR 274/94, StV 1995, 6, 7). Ändert ein Zeuge seine Angaben und folgt der Tatrichter seinen früheren Bekundungen, ist im Allgemeinen auch die geänderte Aussage mitzuteilen und erkennbar zu machen, warum dieser Änderung keine durchgreifende Bedeutung zukommt (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 1989 – 2 StR 205/89, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Beweisergebnis 5 – Darstellungsmangel).
6
b) Danach hätte die Strafkammer in den Urteilsgründen darlegen müssen , ob der Zeuge M. in der Hauptverhandlung die Bekundungen des Zeugen Do. zum Tatablauf ebenfalls bestätigt und seine hierzu gemachten Angaben gegenüber der Polizei aufrechterhalten hat oder hiervon abgewichen ist. Sollte Letzteres der Fall gewesen sein, was nach den Ausführungen im Urteil naheliegt, hätten sich hieran weitere klärende Erörterungen anschließen müssen. Offensichtlich hat sich der Zeuge auch zum Tatablauf geäußert, denn sonst ließe sich die Annahme des Landgerichts, die Feststellungen zur Täterschaft des Angeklagten beruhten auf entsprechenden Bekundungen des Zeugen M. in der Hauptverhandlung, nicht erklären.
7
3. Auch die Strafzumessung weist Rechtsfehler zum Nachteil des Ange- klagten auf. Soweit ihm angelastet wird, er habe „sich durch eine kurz zuvor verbüßte längere Haftstrafe nicht abschrecken lassen“ (UA 9 f.), findet sich da- für in den Urteilsgründen kein Beleg. Gegen den Angeklagten wurden zwar in den Jahren 2016 und 2017 Freiheitsstrafen verhängt; ob und wann diese vollstreckt wurden, ergeben die Feststellungen aber nicht. Auch für die zur Begründung der Versagung einer Bewährung herangezogene Erwägung, der Ange- klagte habe „bislang keineder ihm eingeräumten Bewährungschancen zu nut- zen“ vermocht (UA 10), findet sich in den Urteilsgründen keine Stütze.Bezüg- lich keiner der festgestellten Vorverurteilungen zu Freiheitsstrafen ist eine Strafaussetzung zur Bewährung festgestellt.
8
4. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Sollte der neue Tatrichter wiederum zu der Feststellung gelangen, dass dem Zeugen M. das Handy unbemerkt aus der Tasche fiel, bevor es der Angeklagte aufnahm und sich zueignete, wird er zu prüfen haben, ob der Zeuge dadurch seinen Gewahrsam verloren hatte (vgl. dazu BGH, Urteil vom 10. Mai 1968 – 4 StR 116/68, GA 1969, 25; Bosch in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 242 Rn. 28; Wittig in: BeckOK StGB, 43. Edition, § 242 Rn. 17; Kudlich in: SSW-StGB, 4. Aufl., § 242 Rn. 21; Vogel in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 242 Rn. 66 mwN).
Sost-Scheible Bender Quentin
Feilcke Bartel
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.