Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Jan. 2013 - 4 StR 380/12

bei uns veröffentlicht am30.01.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 380/12
vom
30. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 30. Januar 2013 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 27. Februar 2012 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit schwerem Raub, gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung in zwei tateinheitlichen Fällen, Kennzeichenmissbrauch, Amtsanmaßung und Missbrauch von Abzeichen zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt.
2
1. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 13. September 2012 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
2. Zur Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts durch Zurückweisung des Antrags auf Einholung eines kinder- und jugendärztlichen sowie eines kinderpsychiatrischen und -psychologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass aus den Ergebnissen der vor der Einschulung mit dem Angeklagten durchgeführten Tests sicher geschlossen werden könne, dass dieser zum Tatzeitpunkt nicht 21, sondern lediglich 20 Jahre alt war, bemerkt der Senat ergänzend:
4
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs betrifft das Alter eines Angeklagten eine doppelrelevante Tatsache, sofern die Beweisaufnahme darüber zu dem Ergebnis führen kann, dass statt der für allgemeine Strafsachen zuständigen Strafkammer das Jugendgericht zuständig ist bzw. dass Erwachsenenstrafrecht statt Jugendstrafrecht angewendet werden kann. In einem derartigen Fall darf sich das Gericht für die Feststellung des Alters nicht mit dem Freibeweisverfahren begnügen; diese hat vielmehr im Strengbeweisverfahren zu erfolgen (BGH, Beschluss vom 11. November 1981 – 2 StR 596/81, StV 1982, 101). Stellt der Angeklagte einen dahingehenden Beweisantrag, darf dieser nur aus einem der in § 244 Abs. 3, 4 StPO genannten Gründe abgelehnt werden (BGH aaO).
5
b) Gemessen daran ist die Ablehnung des Antrags mit der Begründung, die Einholung der beantragten Gutachten verspreche keinen weiteren Erkenntnisgewinn , sei also völlig ungeeignet, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
6
aa) Völlig ungeeignet i.S.d. § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ist ein Beweismittel , wenn das Gericht ohne jede Rücksicht auf das bisherige Beweisergebnis sagen kann, das sich mit dem Beweismittel das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nach sicherer Lebenserfahrung nicht erzielen lässt (BGH, Beschluss vom 31. Mai 1994 – 1 StR 86/94, NStZ 1995, 97 mwN). Ob das vorhandene Material dem Sachverständigen genügend Anknüpfungstatsachen wenigstens für ein Möglichkeits- oder Wahrscheinlichkeitsurteil bietet, kann das Gericht nötigenfalls im Wege des Freibeweises klären (BGH aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Oktober 1982 – 1 StR 219/82, NJW 1983, 404; LöweRosenberg /Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 231).
7
bb) Die Strafkammer hat die in dem Beweisantrag genannten Testergebnisse beigezogen und dem Leiter eines schulmedizinischen Dienstes sowie der Schulärztin, die den Angeklagten 1994 auf seine Schulfähigkeit untersucht hatte , zur Stellungnahme vorgelegt. Beide haben unabhängig voneinander übereinstimmend erklärt, dass diese Unterlagen keinen Schluss auf das Alter des Angeklagten zuließen. Die Strafkammer hat dies in ihrem ablehnenden Beschluss im Einzelnen dargelegt.
8
c) Die Anträge auf Vernehmung der Zeugen A. D. , S. U. und T. T. zum Beweis der Fehlerhaftigkeit des beurkundeten Geburtsdatums des Angeklagten hat das Landgericht rechtsfehlerfrei wegen Unerreichbarkeit der Zeugen D. und T. sowie gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO deshalb abgelehnt, weil die Beweiserhebungen zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich waren.
9
d) Der Umstand, dass nicht die gemäß § 108 JGG zuständige Jugendkammer , sondern die allgemeine Strafkammer entschieden hat, ist im Revisionsverfahren nur auf Grund einer Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 4 StPO zu beachten, die der Beschwerdeführer nicht erhoben hat (BGH, Beschluss vom 11. April 2007 – 2 StR 107/07, NStZ-RR 2007, 282 mwN).
Mutzbauer Cierniak Franke
Bender Quentin

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Jan. 2013 - 4 StR 380/12

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Jan. 2013 - 4 StR 380/12

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Jan. 2013 - 4 StR 380/12 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Strafprozeßordnung - StPO | § 338 Absolute Revisionsgründe


Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswid

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 108 Zuständigkeit


(1) Die Vorschriften über die Zuständigkeit der Jugendgerichte (§§ 39 bis 42) gelten auch bei Verfehlungen Heranwachsender. (2) Der Jugendrichter ist für Verfehlungen Heranwachsender auch zuständig, wenn die Anwendung des allgemeinen Strafrechts

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Die Vorschriften über die Zuständigkeit der Jugendgerichte (§§ 39 bis 42) gelten auch bei Verfehlungen Heranwachsender.

(2) Der Jugendrichter ist für Verfehlungen Heranwachsender auch zuständig, wenn die Anwendung des allgemeinen Strafrechts zu erwarten ist und nach § 25 des Gerichtsverfassungsgesetzes der Strafrichter zu entscheiden hätte.

(3) Ist wegen der rechtswidrigen Tat eines Heranwachsenden das allgemeine Strafrecht anzuwenden, so gilt § 24 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes. Ist im Einzelfall eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe oder die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus, allein oder neben einer Strafe, oder in der Sicherungsverwahrung (§ 106 Absatz 3, 4, 7) zu erwarten, so ist die Jugendkammer zuständig. Der Beschluss einer verminderten Besetzung in der Hauptverhandlung (§ 33b) ist nicht zulässig, wenn die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.