Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Aug. 2011 - 4 StR 367/11

published on 09/08/2011 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Aug. 2011 - 4 StR 367/11
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 367/11
vom
9. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 9. August 2011 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 23. März 2011 1. mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall B. 5.) der Urteilsgründe wegen versuchter Nötigung rechtlich zusammentreffend mit Beleidigung verurteilt worden ist; 2. mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts München vom 26. Oktober 2010 zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden ist. II. Die weiter gehende Revision wird verworfen. III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Der Angeklagte wurde vom Landgericht München I wegen Nötigung, Fahrens ohne Fahrerlaubnis in fünf Fällen, einer weiteren Nötigung rechtlich zusammentreffend mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, mit Fahren ohne Fahrerlaubnis, mit einem weiteren Fall der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs, mit einer weiteren Nötigung und mit Beleidigung, sachlich zusammentreffend mit einer versuchten Nötigung, diese rechtlich zusammentreffend mit Beleidigung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts München vom 15. Februar 2010 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts München vom 26. Oktober 2010 zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Zugleich wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von drei Jahren und sechs Monaten festgesetzt. Seine hiergegen eingelegte Revision hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.


2
Nach den vom Landgericht im Fall B. 5.) der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen forderte der Angeklagte die Zeugin A. auf, ihm ein I-Phone herauszugeben, das er ihr einige Zeit zuvor geliehen hatte. Die Zeugin A. befand sich zu diesem Zeitpunkt in Begleitung des Zeugen S. . Nachdem er eine von der Zeugin mitgeführte Tasche durchsucht hatte, ohne das I- Phone finden zu können, beschimpfte er die Zeugin mit den Worten: „Du Schlampe, du Miststück“. Anschließend zog er eine geladene Schreckschuss- pistole aus dem Hosenbund und richtete sie auf den Unterkörper des Zeugen S. . Zugleich forderte er den Zeugen auf, sich „zu verpissen“ und drohte ihn „abzuknallen“. Dabei kam es dem Angeklagten darauf an, wegen des I- Phones allein mit der Zeugin A. reden zu können. Die Zeugin A. drückte die Hand des Angeklagten, in der er die Pistole führte, nach unten und bat ihn aufzuhören und zur Vernunft zu kommen. Daraufhin steckte der Angeklagte die Schreckschusspistole wieder in seinen Hosenbund. Der Zeuge S. entfernte sich, nachdem ihn die Zeugin A. dazu aufgefordert hatte und verständigte die Polizei. Bis zu deren Eintreffen unterhielt sich die Zeugin A. weiter mit dem Angeklagten, der dabei seine Waffe entlud.
3
Das Landgericht hat das auf das I-Phone gerichtete „Herausgabeverlangen unter Vorhaltung einer Waffe“ als versuchte Nötigung gewertet und in den Beschimpfungen der Zeugin A. eine in Tateinheit hierzu begangene Beleidigung gesehen.

II.


4
Die Feststellungen des Landgerichts tragen die Verurteilung wegen versuchter Nötigung nicht, weil ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch in Betracht kommt.
5
Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative StGB wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. Voraussetzung ist, dass der Täter zu diesem Zeitpunkt (Rücktrittshorizont) noch nicht mit einem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges rechnet (unbeendeter Versuch), seine Herbeiführung aber noch für möglich hält (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227f.). Außerdem muss die Aufgabe der weiteren Tatausführung freiwillig erfolgen, also auf einer autonom getroffenen Willensentscheidung beruhen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Februar 2007 – 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399, 400). Autonom ist jede Rücktrittsentscheidung, die dem Täter nicht durch die gegebenen Umstände aufgezwungen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 1956 – 5 StR 352/55, BGHSt 9, 48, 51; Urteil vom 17. Dezember 1992 – 4 StR 532/92, NStZ 1993, 279). Die Tatsache, dass sich ein affektiv erregter Täter erst unter dem beruhigenden Einfluss eines Dritten zur Aufgabe der weiteren Tatausführung entschlossen hat, stellt für sich genommen die Autonomie seiner Entscheidung nicht in Frage (BGH, Urteil vom 10. November 1987 – 5 StR 534/87, NStZ 1988, 69, 70; Urteil vom 14. April 1955 – 4 StR 16/55, BGHSt 7, 296, 299).
6
Der Angeklagte hat die zur Bedrohung des Zeugen S. verwendete Pistole wieder in den Hosenbund gesteckt, nachdem die Zeugin A. seine Hand nach unten gedrückt und beruhigend auf ihn eingeredet hatte. Zu diesem Zeitpunkt war der Zeuge S. der Aufforderung des Angeklagten sich zu entfernen, noch nicht nachgekommen. Bei dieser Sachlage wäre es erforderlich gewesen, einen strafbefreienden Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB zu prüfen und weitere Feststellungen insbesondere zum Vorstellungsbild des Angeklagten zu treffen. Dies ist nicht geschehen. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.

III.


7
Die nach § 55 Abs. 1 StGB mit den Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts München vom 26. Oktober 2010 gebildete Gesamtstrafe war schon deshalb aufzuheben, weil die Verurteilung wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung keinen Bestand hat.
8
Auch hat das Landgericht bei der Bestimmung der zweiten Gesamtstrafe nicht erkennbar in seine Erwägungen einbezogen, dass aufgrund der Zäsurwirkung des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts München vom 15. Februar 2010 nicht im Ganzen auf eine einheitliche Gesamtstrafe erkannt werden konnte. Wird wegen einer Zäsurwirkung die Verhängung zweier oder mehrerer getrennter Strafen erforderlich, darf dies nicht dazu führen, dass die Strafen in ihrer Gesamtheit nicht mehr in einem schuldangemessenen Verhältnis zu den Straftaten stehen. Führt die Bildung mehrerer Gesamtstrafen zu einem zu hohen Gesamtstrafenübel, ist der darin liegende Nachteil auszugleichen. Das Gericht muss erkennen lassen, dass es sich dieser Sachlage bewusst war und darlegen, warum das Gesamtmaß der Strafen schuldangemessen ist (BGH, Beschluss vom 9. November 1995 – 4 StR 650/95, BGHSt 41, 310, 312f.; SSWStGB /Eschelbach § 55 Rn. 21).

IV.

9
Die weiter gehende Revision ist offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
10
Die Maßregelanordnungen nach den §§ 69, 69a StGB konnten bestehen bleiben, weil sie an die rechtsfehlerfreien Schuldsprüche wegen der unter B. 1.) bis 4.) festgestellten Taten anknüpfen. Der neue Tatrichter kann die unterbliebene Einziehung des Führerscheins ohne Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius nachholen (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 1953 – 3 StR 504/53, BGHSt 5, 168, 178).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen h
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published on 13/02/2019 00:00

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Annotations

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Einer weiteren Prüfung nach § 62 bedarf es nicht.

(2) Ist die rechtswidrige Tat in den Fällen des Absatzes 1 ein Vergehen

1.
der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c),
1a.
des verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d),
2.
der Trunkenheit im Verkehr (§ 316),
3.
des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142), obwohl der Täter weiß oder wissen kann, daß bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist, oder
4.
des Vollrausches (§ 323a), der sich auf eine der Taten nach den Nummern 1 bis 3 bezieht,
so ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen.

(3) Die Fahrerlaubnis erlischt mit der Rechtskraft des Urteils. Ein von einer deutschen Behörde ausgestellter Führerschein wird im Urteil eingezogen.

(1) Entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis, so bestimmt es zugleich, daß für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre). Die Sperre kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Hat der Täter keine Fahrerlaubnis, so wird nur die Sperre angeordnet.

(2) Das Gericht kann von der Sperre bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen ausnehmen, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel dadurch nicht gefährdet wird.

(3) Das Mindestmaß der Sperre beträgt ein Jahr, wenn gegen den Täter in den letzten drei Jahren vor der Tat bereits einmal eine Sperre angeordnet worden ist.

(4) War dem Täter die Fahrerlaubnis wegen der Tat vorläufig entzogen (§ 111a der Strafprozeßordnung), so verkürzt sich das Mindestmaß der Sperre um die Zeit, in der die vorläufige Entziehung wirksam war. Es darf jedoch drei Monate nicht unterschreiten.

(5) Die Sperre beginnt mit der Rechtskraft des Urteils. In die Frist wird die Zeit einer wegen der Tat angeordneten vorläufigen Entziehung eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Im Sinne der Absätze 4 und 5 steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.

(7) Ergibt sich Grund zu der Annahme, daß der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, so kann das Gericht die Sperre vorzeitig aufheben. Die Aufhebung ist frühestens zulässig, wenn die Sperre drei Monate, in den Fällen des Absatzes 3 ein Jahr gedauert hat; Absatz 5 Satz 2 und Absatz 6 gelten entsprechend.