Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 78/13
vom
28. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Mai 2013,
an der teilgenommen haben:
Präsident des Bundesgerichtshofs
Prof. Dr. Tolksdorf
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteildes Landgerichts Düsseldorf vom 29. November 2012 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts griff der Angeklagte nach einem Streit in einer Diskothek zusammen mit drei anderen den Geschädigten an. Dabei hielt er ein Messer in der Hand, um auf diesen einzustechen. Dass solche Stiche lebensgefährlich sein können und der Geschädigte deshalb auch zu Tode kommen könnte, nahm er billigend in Kauf. Zunächst versetzte er ihm einen vierzehn Zentimeter langen Schnitt vom Ohr bis zum Mundwinkel. Während seine Mittäter nun auf den Geschädigten einschlugen und -traten, lauerte der Angeklagte mit dem Messer, das er in der erhobenen Faust hielt, auf eine Gelegenheit, nochmals zuzustechen, was ihm erst gelang, als der Angegriffene sich seitlich wegdrehte, um zu entkommen. Mit heftigen bis über den Kopf geführten Ausholbewegungen stach der Angeklagte fünf Mal in Richtung des Oberkörpers des nur mit einem Muskelshirt bekleideten Geschädigten, auch noch, als dieser im Weglaufen strauchelte und zur Seite fiel. Er traf ihn zweimal und fügte ihm mittig im Rücken im Bereich der oberen Brustwirbel und linksseitig im vorderen Brustbereich jeweils zweieinhalb Zentimeter lange, nicht tiefgehende Hautdurchtrennungen zu, die nicht lebensgefährlich waren. Der vordere Stich hätte aber bei tieferem Stichkanal naheliegend das Herz, der hintere die Lunge treffen und zum Tode führen können. Nach dem letzten Stich war dem Angeklagten klar, dass er seinen Gegner, der "halb am Boden" lag, nun so verletzt hatte, dass er möglicherweise nicht überleben würde. Nun lief er davon.
3
2. Die Überprüfung des Urteils deckt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Rechtsfehler zulasten des Angeklagten auf. Der näheren Erörterung bedarf nur Folgendes:
4
a) Die Beweiswürdigung, auf die das Landgericht seine Überzeugung, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz zugestochen, gründet, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
5
aa) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Willensals auch das Wissenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144, 145). Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in die die objektive Gefährlichkeit der Gewalthandlung, aber auch die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motive mit einzubeziehen sind (vgl. etwa BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1525; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009,

372).


6
Überzeugt sich der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung vom Vorliegen des bedingten Tötungsvorsatzes, so hat dies das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen; denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Gleichermaßen ist es Sache des Tatrichters, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- und entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar , so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen (BGH, Urteil vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 77). Vielmehr ist die revisionsgerichtliche Überprüfung darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2010 - 3 StR 364/10, NStZ-RR 2011, 73, 74).
7
bb) Daran gemessen unterliegt die Beweiswürdigung keiner rechtlichen Beanstandung. Auch wenn die dem Geschädigten zugefügten Verletzungen nicht lebensbedrohlich waren, hat die Strafkammer das Geschehen doch wegen der konkreten Angriffsweise rechtsfehlerfrei als objektiv gefährliche Gewalthandlung gewertet. Dabei hat sie berücksichtigt, dass der Angeklagte fünf Mal weit ausholend und zielgerichtet in Richtung des Oberkörpers des Geschädigten gestochen und sein Opfer so getroffen hat, dass die Stiche bei tiefergehendem Eindringen dorsal einen Lungenflügel und brustseitig das Herz geöffnet hätten. Schließlich hat das Landgericht auch geprüft, ob in der Alkoholisierung , psychischen Verfassung oder Persönlichkeit des Angeklagten Gründe zu finden sind, die gegen den sich indiziell aus dem objektiven Vorgehen ergebenden Tötungswillen sprechen, und dies rechtsfehlerfrei verneint. Insbesondere unterliegt auch die Begründung, weshalb die Strafkammer entgegen der Auffassung des psychiatrischen Sachverständigen nicht von einem Affekt ausgegangen ist, rechtlich keiner Beanstandung.
8
b) Auch die Feststellung, dass ein beendeter Versuch des Tötungsdelikts vorliegt, findet in der Beweiswürdigung noch eine ausreichende Stütze.
9
aa) Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch auf das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung an (sogenannter Rücktrittshorizont). Bei einem Tötungsversuch liegt demnach ein beendeter Versuch vor, wenn der Täter den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich - namentlich nach besonders schweren Gewalthandlungen , die zu schweren Verletzungen geführt haben - keine Vorstellungen über die Folgen seines Handelns macht (BGH, Urteile vom 22. September 2005 - 3 StR 256/05, NStZ-RR 2006, 6; vom 8. Dezember 2010 - 2 StR 536/10, NStZ 2011, 209; vom 1. Dezember 2011 - 3 StR 337/11, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 14). Dagegen ist ein unbeendeter Versuch anzunehmen, wenn der Täter noch nicht mit dem Eintritt des Todes rechnet, seine Herbeiführung aber weiterhin für möglich hält (BGH, Beschluss vom 9. August 2011 - 4 StR 367/11, StV 2012, 15).
10
bb) Nach den Feststellungen des Landgerichts erkannte der Angeklagte nach der letzten Ausführungshandlung, dass der Geschädigte die Stiche möglicherweise nicht überleben würde. Dazu wird zwar nicht bei der Beweiswürdigung , aber bei der rechtlichen Würdigung ausgeführt, dass bei "Einwirkungen der hier gegebenen Art, nämlich gezielten und wuchtigen Stichen in die Herzund Lungenregion eines Menschen", die Möglichkeit des Versterbens des Opfers auf der Hand liege. Damit lässt sich den Urteilsausführungen noch hinreichend entnehmen, auf welche Tatsachen und Schlussfolgerungen das Landgericht seine Überzeugung stützt. Dass der Angeklagte den Umstand, dass er dem Geschädigten eher oberflächliche, keinesfalls lebensgefährliche Stiche zugefügt hatte, alsbald erkannt und seinen Irrtum hinsichtlich eines möglichen Eintritts des Todes beim Weglaufen korrigiert hätte (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 3 StR 337/11, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 14), findet in den Feststellungen keine Stütze. Vielmehr liegt dies nach dem festgestellten Sachverhalt so fern, dass nähere - dies ausdrücklich ausschließende - Ausführungen hierzu im Urteil nicht veranlasst waren. Dies gilt umso mehr, als der stark blutende Geschädigte zu dem Zeitpunkt, als der Angeklagte den Tatort verließ, ins Straucheln geraten war und jedenfalls "halb am Boden" lag.
Tolksdorf Hubert Schäfer RiBGH Gericke ist im Spaniol Urlaub und daher gehindert zu unterzeichnen. Tolksdorf

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

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Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 24 Rücktritt


(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft be

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 533/09
vom
28. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Januar
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin in der Verhandlung,
Staatsanwalt bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 18. Juni 2009 werden verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt; der Angeklagte trägt die Kosten seiner Revision und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie bestimmt, dass hiervon ein Jahr wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt. Vom Vorwurf, dem Nebenkläger eine Halskette gestohlen zu haben, hat es ihn freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zum Nachteil des Angeklagten eingelegten, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, dass das Landgericht keinen Tötungsvorsatz angenommen hat. Der Angeklagte wendet sich mit einer nicht ausgeführten Formalund der allgemeinen Sachrüge gegen seine Verurteilung. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts gerieten der Angeklagte und der Nebenkläger H. in einer Diskothek in Streit. Bei der sich anschließenden tätlichen Auseinandersetzung wurde der Angeklagte im Gesicht verletzt und ging zu Boden. Um sich zu revanchieren, verabredete er mit dem Zeugen I. sowie zwei weiteren männlichen Personen, vor der Diskothek auf den Nebenkläger zu warten und diesen zu verletzen. Als der Nebenkläger die Diskothek verließ, schlugen der Zeuge I. und die zwei weiteren Personen mit den Fäusten auf ihn ein. Er wehrte sich. Während der turbulenten Auseinandersetzung fuchtelte der Angeklagte mit einem Klappmesser vor dem Nebenkläger herum und fügte ihm vier Stichverletzungen zu. Er traf ihn in den oberen Rückenbereich, den linken Oberschenkel, den rechten Oberarm sowie in die linke Halsseite im Bereich des Übergangs von Schulter und Hals. Der Nebenkläger fiel mehrfach zu Boden und blieb schließlich liegen. Der Angeklagte schlug weiter auf ihn ein und sagte zu ihm: "Leg dich niemals mit einem Albaner an, sonst wirst du sehen, was passiert." Sodann wurde er von einer anderen Person weggezogen und flüchtete. Die dem Nebenkläger zugefügten Stiche verursachten keine akut lebensgefährlichen Verletzungen.
3
I. Revision der Staatsanwaltschaft
4
Die Beweiswürdigung, auf welche die Überzeugung der Strafkammer gründet, es sei lediglich ein Körperverletzungs-, nicht aber ein - auch nur bedingter - Tötungsvorsatz festzustellen, weist nach den Maßstäben sachlichrechtlicher Überprüfung durch das Revisionsgericht (s. allgemein BGH NJW 2005, 2322, 2326) einen durchgreifenden Rechtsfehler nicht auf. Hierzu gilt:
5
1. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes liegt es bei äußert gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz grundsätzlich möglich. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer auch in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkennt oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen, unüberlegten , in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das - selbstständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (st. Rspr.; s. BGH NStZ 2009, 91 m. w. N.).
6
2. Den sich hieraus ergebenden Anforderungen entspricht das angefochtene Urteil.
7
a) Das Landgericht hat die gebotene Gesamtschau der bedeutsamen objektiven und subjektiven Tatumstände vorgenommen und dabei insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Verletzungshandlungen, den Tathergang, die Motivationslage des Angeklagten sowie sein Nachtatverhalten bedacht. Bei seiner Bewertung der Beweistatsachen hat es sich nicht mit allgemeinen, formelhaften Wendungen begnügt; vielmehr hat es seine Überzeugung, es sei lediglich der subjektive Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 StGB feststellbar, mit auf den konkreten Fall abgestellten Erwägungen begründet.
8
b) Die von dem Angeklagten gegenüber dem am Boden liegenden Nebenkläger abgegebene Erklärung hat das Landgericht rechtsfehlerfrei dahin interpretiert, der Angeklagte habe einschüchternd, erzieherisch und belehrend auf den Nebenkläger einwirken wollen. Hieraus hat es den - möglichen - Schluss gezogen, die Äußerung spreche für das Vorliegen lediglich des Vorsatzes zur Verletzung, nicht aber zur Tötung des Nebenklägers; denn die Warnfunktion der Erklärung habe nur dann Erfolg haben können, wenn dieser überlebt. Dass eine andere Interpretation ebenfalls in Betracht gekommen wäre, gefährdet den Bestand des Urteils selbst dann nicht, wenn diese näher gelegen hätte. Soweit die Staatsanwaltschaft die Äußerung als "verbalisiertes Tötungsmotiv" qualifiziert, das für die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes spreche, ersetzt sie lediglich die tatrichterliche Bewertung durch eine eigene. Hiermit kann sie im Revisionsverfahren nicht mit Erfolg gehört werden.
9
c) Es ist weiter nicht zu besorgen, das Landgericht habe bei der Würdigung der Bemerkung verkannt, dass zur Beurteilung der Frage des Vorsatzes der Tatzeitpunkt maßgebend ist; denn die Strafkammer hat im Rahmen der Beweiswürdigung ausdrücklich sowohl den Zeitpunkt, in dem der Angeklagte dem Nebenkläger die Messerstiche beibrachte, als auch denjenigen in den Blick genommen, in dem der Angeklagte den am Boden liegenden Nebenkläger verließ und flüchtete.
10
d) Das Landgericht war entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft auch nicht gehalten, in die Erwägungen zum Tötungsvorsatz ausdrücklich einzustellen , dass der Angeklagte durch eine weitere Person von dem Nebenkläger weggezogen wurde; denn zu diesem Zeitpunkt hatte er den potentiell tödlichen Angriff mit dem Messer bereits beendet ohne erkannt zu haben, dass er den Nebenkläger tödlich verletzt haben könnte, und schlug "nur noch" mit den Händen auf ihn ein.
11
e) Die Hinweise der Strafkammer, aus bestimmten Umständen könnten "nicht zwingend" bestimmte Schlüsse auf den Tötungsvorsatz gezogen werden, begründen hier nicht die Besorgnis, das Tatgericht habe zu hohe Anforderungen an seine für eine Verurteilung notwendige Überzeugung gestellt. Zwar müssen die vom Tatrichter gezogenen Schlüsse nicht "zwingend" sein; die Feststellung von Tatsachen verlangt keine absolute, von niemandem anzweifelbare Gewissheit (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urt. vom 21. Dezember 2006 - 3 StR 427/06 m. w. N.). Jedoch hat das Landgericht zu Beginn seiner Beweiswürdigung zum Tötungsvorsatz ausgeführt, die Feststellungen genügten nicht, den "für eine Verurteilung erforderlichen sicheren - vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietenden - Schluss" zu ziehen, der Angeklagte habe mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt. Damit hat die Strafkammer zunächst deutlich gemacht, dass sie für die Überzeugungsbildung ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit als genügend ansieht, das vernünftige , nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht aufkommen lässt; sodann hat sie die einzelnen relevanten Umstände einer näheren Betrachtung unterzogen. Der Senat schließt vor diesem Hintergrund trotz der - allerdings für sich betrachtet rechtlich bedenklichen - späteren Formulie- rungen aus, dass der Strafkammer bei der konkreten Bewertung der einzelnen Beweistatsachen der zuvor zutreffend angegebene Maßstab aus dem Blick geraten sein könnte.
12
II. Revision des Angeklagten
13
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Überprüfung des Urteils aufgrund der allgemein erhobenen Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Becker von Lienen Hubert Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 558/11
vom
22. März 2012
in der Strafsache
gegen
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
____________________________
Zur "Hemmschwellentheorie" bei Tötungsdelikten.
BGH, Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11 - LG Saarbrücken
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. März
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Juni 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist,
b) in den Aussprüchen über die Gesamtfreiheitsstrafe, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtstrafe vor der Unterbringung.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben ,
a) soweit der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und
c) im gesamten Ausspruch über die verhängten Maßnahmen.
3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und einem Monat verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtstrafe angeordnet sowie Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB verhängt. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist mit Einzelausführungen zur Verneinung des Tötungsvorsatzes und zur Anordnung der Unterbringung in dem angefochtenen Urteil näher begründet; im danach verbleibenden Umfang hat ihre Revision Erfolg. Der Angeklagte erzielt mit seinem Rechtsmittel einen Teilerfolg.

A.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
I. Nach den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen war der Angeklagte vor den hier abgeurteilten Taten u.a. bereits wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten: Am 8. Juni 2009 ordnete das Amtsgericht Saarbrücken gegen ihn wegen gefährlicher Körperverletzung eine Erziehungsmaßregel und ein Zuchtmittel an. Der Angeklagte hatte im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung zweimal mit einem Schraubenzieher in den linken Mittelbauch des Geschädigten gestochen. Wegen einer etwa sechs Wochen nach dieser Ahndung begangenen (ersichtlich: vorsätzlichen) Körperverletzung verhängte das Amtsgericht Saarbrücken gegen ihn mit Strafbefehl vom 2. Oktober 2009 eine Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen. Er hatte seine damalige Lebensgefährtin so lange gewürgt, bis diese Angst hatte zu ersticken; von ihr hatte er erst abgelassen, als sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Sechs Tage vor dem hier abgeurteilten Angriff auf den Nebenkläger (nachfolgend zu Ziff. III.) stellte die Staatsanwaltschaft Saarbrücken ein gegen den Angeklagten geführtes Ermittlungsverfahren mangels öffentlichen Interesses ein; der Angeklagte hatte einem Besucher der Saarbrücker Diskothek „ “ angedroht, er werde ihn „abstechen, wenn er herauskomme“.
4
Bei der konkreten Strafzumessung teilt das Landgericht mit, dass der Angeklagte sich darauf berufen habe, in sämtlichen Fällen von den Zeugen bewusst der Wahrheit zuwider belastet worden zu sein.
5
II. Am 12. Oktober 2010 befuhr der Angeklagte mit einem entliehenen und abredewidrig weiter genutzten Pkw Smart gegen 5.45 Uhr öffentliche Straßen in Saarbrücken, u.a. die Straße in Saarbrücken-St. Johann. Infolge seiner alkoholischen Beeinflussung – er wies bei der Tat einen Blutalko- holgehalt von mindestens 1,35 ‰ auf – verkannteer den Straßenverlauf und überfuhr ein Stopp-Schild. Es kam beinahe zu einem Zusammenstoß mit dem Kleinbus des V. , der die vorfahrtberechtigte straße befuhr. An der Kreuzung Straße/ straße stieß der Angeklagte an ei- nen eisernen Begrenzungspfosten und riss diesen um; er kam mit dem von ihm gefahrenen, schwer beschädigten Fahrzeug erst auf einem angrenzenden Schulhof zum Stehen. Seine Fahrunsicherheit hätte er bei gewissenhafter Prüfung vor Antritt der Fahrt erkennen können.
6
III. In der Nacht zum 18. November 2010 beobachtete der Angeklagte in der Saarbrücker Diskothek „ “ einen Streit zwischen zwei ihm nicht näher bekannten Personen. Als der Nebenkläger diesen Streit schlichten wollte, mischte sich auch der Angeklagte in die Auseinandersetzung ein und geriet mit dem Nebenkläger in Streit. Es kam zu wechselseitigen Beleidigungen; der Angeklagte schlug dem Nebenkläger ins Gesicht. Anschließend trennten die Türsteher die Streitenden. Etwa 20 Minuten später lebte die Auseinandersetzung vor der Diskothek erneut auf; nach weiteren wechselseitigen Beleidigungen schlug nunmehr der Nebenkläger dem Angeklagten ins Gesicht. Auch dieses Mal trennten die Türsteher die Streitenden. Nachdem man sich kurzzeitig in unterschiedliche Richtungen entfernt hatte, setzte der Nebenkläger dem Angeklagten nach und schlug ihm ein weiteres Mal ins Gesicht; im Rahmen der sich anschließenden Rangelei blieb der Angeklagte der körperlich Unterlegene. Ein drittes Mal trennten die herbeigeeilten Türsteher die Streitenden. Der Angeklagte entfernte sich. Der Nebenkläger begab sich in Begleitung eines Freundes zu einem Taxistand, an dem sich eine Gruppe von „Nachtschwärmern“ ver- sammelt hatte.
7
Nach etwa 15 Minuten kam der Angeklagte plötzlich hinter einer Ecke hervor. Er lief unmittelbar auf den Nebenkläger zu und stach seinem nichts ahnenden Opfer sofort von seitlich hinten kommend in den Rücken. Mit den Wor- ten „Verreck‘, du Hurensohn“ rammte er ihm ein 22 cm langesdoppelklingiges Messer mit einer Klingenlänge von 11 cm derart heftig in den Rücken, dass die achte Rippe des Opfers durchtrennt wurde und die Klinge anschließend noch in die Lunge eindrang. Der Nebenkläger sackte auf dem Boden zusammen. Es entwickelten sich tumultartige Zustände; der Begleiter des Nebenklägers brachte den Angeklagten zu Boden und hielt ihn bis zum Eintreffen der Polizei fest. Die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit betrug beim Angeklagten maximal 1,58 ‰.
8
Der Nebenkläger erlitt einen Hämatopneumothorax; es bestand akute Lebensgefahr. Ohne eine sofort durchgeführte Notoperation wäre er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verstorben. Er leidet nach wie vor unter erheblichen physischen und psychischen Beeinträchtigungen.

B.


9
Die Revision des Angeklagten
10
I. Der Angeklagte hat mit seinem Revisionsangriff Erfolg, soweit er sich gegen seine Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wendet.
11
1. Die Feststellungen des Landgerichts belegen die für die Annahme einer Tat nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert nicht. Nach gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der - was nach all- gemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist - die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 f., zu § 315 c StGB, und vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f., zu § 315 b StGB; vgl. weiter SSW-Ernemann, StGB, § 315 c Rn. 22 ff.).
12
Da für den Eintritt des danach erforderlichen konkreten Gefahrerfolgs das vom Angeklagten geführte fremde Fahrzeug nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1976 – 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40; Beschluss vom 19. Januar 1999 – 4 StR 663/98, NStZ 1999, 350, 351), auch der Verkehrswert und die Höhe des Schadens an dem Begrenzungspfosten nicht festgestellt sind (vgl. OLG Stuttgart DAR 1974, 106, 107; OLG Jena OLGSt § 315 c StGB Nr. 16; zur maßgeblichen Wertgrenze s. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215), kommt es auf die Begegnung mit dem Kleinbus des V. an. Nach den in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäben genügen die hierauf bezogenen Feststellungen des Landgerichts den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr nicht. Einen Verkehrsvorgang, bei dem es zu einem "Beinahe-Unfall" gekommen wäre - also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, "das sei noch einmal gut gegangen" (Senat, Urteile vom 30. März 1995 und vom 4. September 1995, jew. aaO) -, hat das Schwurgericht nicht mit Tatsachen belegt. Dass sich beide Fahrzeuge beim Querverkehr in enger räumlicher Nähe zueinander befunden haben, genügt für sich allein nicht. Insbesondere ergeben die bisher getroffenen Feststellungen nicht, dass es dem Angeklagten und V. etwa nur auf Grund überdurchschnittlich guter Re- aktion sozusagen im allerletzten Moment gelungen ist, einer sonst drohenden Kollision durch Ausweichen zu begegnen.
13
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs entzieht der hierwegen verhängten Einzelstrafe, der Gesamtstrafe und den Maßnahmen nach §§ 69, 69 a StGB die Grundlage.
14
3. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht ist „vollumfänglich“ der psychiatrischen Sachverständigen gefolgt, welche die negative Gefahrenprognose mit „seiner (des Angeklagten) offenkundigen sich steigernden Neigung zu körperlichen Übergriffen“ begründet hat.Im Rahmen der konkreten Strafzumessung teilt das Schwurgericht mit, dass es, nachdem der Angeklagte behauptet hatte, früherer Aggressionsdelikte bewusst wahrheitswidrig beschuldigt worden zu sein, „die Anträge der Verteidigung auf Sachverhaltsaufklärung aller vorheriger Verfahren zurückgewiesen“ und „lediglich die Warn- funktion der beiden Vorstrafen“ berücksichtigt hat. Danach findet die die Prog- nose tragende Erwägung in den getroffenen Feststellungen keine ausreichende Grundlage.
15
II. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
16
III. 1. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird zunächst die Verkehrssituation, in der sich die beiden beteiligten Fahrzeuge bei ihrer Annäherung im Vorfallszeitpunkt befanden, näher aufzuklären haben. Auch wenn an die diesbezüglichen Feststellungen im Urteil keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 1995, aaO), wird sich der Tatrichter um nähere Ermittlung der von beiden Fahrzeugen im Vorfallszeitpunkt gefahrenen Geschwindigkeiten, ihrer Entfernung zueinander, zur Beschaffenheit des Straßenverlaufs und der Kreuzung sowie der am Vorfallsort bestehenden Ausweichmöglichkeiten zu bemühen und das Ergebnis in einer Weise im Urteil darzulegen haben, die dem Revisionsgericht eine Nachprüfung ermöglicht, ob eine - wie beschrieben - konkrete Gefahr im Sinne eines "Beinahe -Unfalls" bereits vorlag.
17
2. Der neue Tatrichter wird auch die Einwendungen der revisionsführenden Staatsanwaltschaft und des Generalbundesanwalts gegen die Unterbringungsanordnung zu berücksichtigen haben.

C.


18
Die Revision der Staatsanwaltschaft
19
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg.
20
I. Das Rechtsmittel ist zulässig.
21
1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft entgegen § 344 Abs. 1 StPO innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 Satz 2 StPO) keinen Revisionsantrag gestellt. Sie hat bis zu diesem Zeitpunkt lediglich die bereits in ihrer Einlegungsschrift vorgebrachte allgemeine Sachrüge erhoben. Diese – auch Nr. 156 Abs. 2 RiStBV widersprechende – Verfahrensweise ist in dem hier gegebenen Einzelfall aber unschädlich. Freilich hat der Bundesgerichtshof wie- derholt Revisionen der Staatsanwaltschaft, die ohne Antragstellung lediglich mit der allgemeinen Sachrüge begründet waren, für unzulässig gehalten. Dies betraf jedoch Strafverfahren, in denen einem (BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 – 5 StR 69/03, bei Becker NStZ-RR 2004, 228) oder mehreren Angeklagten (BGH, Beschluss vom 7. November 2002 – 5 StR 336/02, NJW 2003, 839) eine Vielzahl von Straftaten zur Last gelegt oder in denen der Angeklagte teilweise freigesprochen worden war und die Angriffsrichtung des Rechtsmittels bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist unklar blieb (BGH, Beschluss vom 5. November 2009 – 2 StR 324/09, NStZ-RR 2010, 288). So verhält es sich hier nicht: Gegenstand des von der Staatsanwaltschaft angefochtenen Urteils sind lediglich zwei Taten; in der Erhebung der uneingeschränkten allgemeinen Sachrüge ist daher die Erklärung der revisionsführenden Staatsanwaltschaft zu sehen, dass das Urteil insgesamt angefochten werde (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 344 Rn. 3 m.w.N.).
22
2. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat die Staatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 12. September 2011 einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt. Mit ihren Einzelausführungen hat sie sodann jedoch lediglich gerügt, dass das Landgericht in dem oben unter A. III. geschilderten Fall zu Unrecht den Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint hat; außerdem hat sie die Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beanstandet. Dies ist als Teilrücknahme gemäß § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO zu werten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2005 – 5 StR 86/05 und vom 6. Juli 2005 – 2 StR 131/05) und führt dazu, dass der Schuldspruch wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, die dieserhalb verhängte Einzelstrafe und die Maßnahmen nach §§ 69, 69 a StGB nicht (mehr) auf Revision der Staatsanwaltschaft zu überprüfen sind.
23
II. In dem vorgenannten Umfang erweist sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft als begründet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
24
1. Nach Auffassung des Schwurgerichts sprechen zwar nicht unerhebliche Gesichtspunkte für einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz, nämlich insbesondere die erhebliche Wucht des von dem Ausspruch „Verreck‘, du Hurensohn“ begleiteten Messerstichs. Dagegenstehe indes die Tatsache, dass der Angeklagte lediglich einen Stich ausgeführt habe und darüber hinaus auch nicht unerheblich alkoholisiert gewesen sei. „Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Hemmschwellentheorie sieht die Kammer im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten einen Tötungsvorsatz als nicht mit letzter Sicherheit erwiesen an.“
25
2. Diese Beweiserwägungen halten – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11, m.w.N.) – rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Begründung, mit der das Landgericht meinte, dem Angeklagten nicht wenigstens bedingten Tötungsvorsatz nachweisen zu können, ist lückenhaft und teilweise widersprüchlich.
26
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, Urteil vom 9. Mai 1990 – 3 StR 112/90, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7 m.w.N.). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 5StR 300/92, NStZ 1992, 587, 588). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 4 StR 326/96, StV 1997, 7; Schroth NStZ 1990, 324, 325) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f., vom 20. Dezember 2011 – VI ZR 309/10, WM 2012, 260, 262, und vom 21. Dezember 2011 – 1StR 400/11) darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; vgl. zusammenfassend zuletzt BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11 m.w.N.).
27
b) Diese Prüfung lässt das Landgericht vermissen. Seinen knappen Ausführungen kann der Senat schon nicht die erforderliche Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände entnehmen. Es wird darüber hinaus nicht erkennbar, ob das Schwurgericht bereits Zweifel daran hatte, dass der Angeklagte den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkannte, oder nur daran, dass er ihn billigte oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfand.
28
aa) Soweit die Alkoholisierung des Angeklagten angesprochen wird, könnte dies für Zweifel des Landgerichts auch am Wissenselement sprechen. Abgesehen davon jedoch, dass eine maximale Alkoholkonzentration von 1,58 ‰ bei dem zur Tatzeit trinkgewohnten Angeklagten keinen Anhalt für solche Zweifel begründet, leidet das angefochtene Urteil an dieser Stelle – wie der Generalstaatsanwalt in Saarbrücken zu Recht geltend macht – an einem inneren Widerspruch: Während die Alkoholisierung bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes als „nicht unerheblich“ bezeichnet wird, geht das Schwurgericht im Zusammenhang mit § 64 StGB – in Übereinstimmung mit der gehörten Sachverständigen – von einer „lediglich geringe(n) Beeinträchtigung durch Alkohol“ aus. Auch bei der Prüfung verminderter Schuldfähigkeit gelangt das sachverständig beratene Landgericht „nicht zu der Annahme einer erheblichen Beeinflussung“ des Angeklagten. Es legt auch nicht dar, wieso die den Stich begleitende Bemerkung überhaupt Raum für Zweifel daran lässt, dass der Angeklagte, dem die Lebensgefährlichkeit des Messerstichs bewusst war (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB), die Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs erkannt hat. Insgesamt ergeben sich aus den bisherigen Feststellungen keine Anhaltspunkte, die die Annahme rechtfertigen könnten, eine psychische Beeinträchtigung habe dem Angeklagten die Erkenntnis einer möglichen tödlichen Wirkung seines in den oberen Rückenbereich zielenden, in hohem Maße lebensgefährlichen Angriffs verstellt (vgl. zur Allgemeinkundigkeit dieses Umstands BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08 und zur Entbehrlichkeit medizinischen Detailwissens BGH, Urteil vom 13. Dezember 2005 – 1 StR 410/05, NStZ 2006, 444, 445).
29
bb) Die Annahme einer Billigung liegt nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2005 – 4 StR 109/05, NStZ-RR 2005, 372; Urteil vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.). Hierbei sind die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise –, die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Mo- tivation in die Beweiswürdigung mit einzubeziehen (vgl. BGH, Urteile vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372, und vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolgs regelmäßig dann zu verneinen, wenn der vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (BGH, Urteile vom 16. September 2004 – 1 StR 233/04, NStZ 2005, 92, vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630, und vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 360/11).
30
Rechtlich tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte trotz der Lebensgefährlichkeit des Messerstichs ernsthaft und nicht nur vage (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Oktober 1990 – 3 StR 332/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24) darauf vertraut haben könnte, der Nebenkläger würde nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festgestellt und liegen bei dem Tatgeschehen auch fern (vgl. BGH, Urteile vom 6. März 1991 – 2 StR 333/90, NStE Nr. 27 zu § 212 StGB, und vom 18. Oktober 2006 – 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151). Entgegen der Meinung des Landgerichts spricht insbesondere das Unterlassen weiterer Angriffe nicht gegen die Billigung des Todes. Nach dem Messerstich sackte der – nach dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen konkret lebensbedrohlich verletzte – Nebenkläger zu Boden; es ist schon nicht festgestellt, ob der Angeklagte davon ausging, ihn bereits tödlich verletzt zu haben, so dass es aus seiner Sicht weiterer Stiche nicht bedurfte (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08). Außerdem brachte der Begleiter des Nebenklägers den Angeklagten mit Gewalt zu Boden und hielt ihn bis zum Eintreffen der Polizei fest; auch brach infolge der Tat ein Tumult aus. Danach liegt es nicht nahe, dass der Angeklagte überhaupt noch die Gelegenheit zu einem weiteren Messerstich auf sein am Boden liegendes Opfer hatte.
31
cc) Soweit das Landgericht sich ergänzend auf eine „Hemmschwellentheorie“ berufen hat, hat es deren Bedeutung für die Beweiswürdigung verkannt.
32
Es hat schon nicht mitgeteilt, was es darunter im Einzelnen versteht und in welchem Bezug eine solche „Theorie“ zu dem von ihm zu beurteilenden Fall stehen soll. Die bloße Erwähnung dieses Schlagworts wird vom Generalstaatsanwalt in Saarbrücken und vom Generalbundesanwalt daher mit Recht als „pauschal“ bzw. „formelhaft“ bezeichnet. Zwarhat auch der Bundesgerichtshof immer wieder auf die „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ hin- gewiesen (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; abl. z.B. Brammsen JZ 1989, 71, 78; Fahl NStZ 1997, 392; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 212 Rn. 15 f.; Geppert Jura 2001, 55, 59; SSW-StGB/Momsen § 212 Rn. 12; Paeffgen, FS für Puppe, 791, 797 Fn. 25, 798 Fn. 30; NKStGB /Puppe, 3. Aufl., § 212 Rn. 97 ff.; Rissing-van Saan, FS für Geppert, 497, 505 f., 510; Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, 4. Aufl., § 12 Rn. 79 ff.; MünchKommStGB /Schneider § 212 Rn. 48 f.; SK-StGB/Sinn § 212 Rn. 35; Trück NStZ 2005, 233, 234 f.; Verrel NStZ 2004, 233 ff.; vgl. auch Altvater NStZ 2005, 22, 23), allerdings auch gemeint, in Fällen des Unterlassens bestünden „generell keine psychologisch vergleichbaren Hemmschwellen vor einem Tötungs- vorsatz“ (BGH,Urteil vom 7. November 1991 – 4 StR 451/91, NJW 1992, 583, 584; dazu Puppe NStZ 1992, 576, 577: „Anfang vom Ende der Hemm- schwellentheorie“).Für Fälle des positiven Tuns hat er an das Postulat einer Hemmschwelle anknüpfend weiter ausgeführt, dass selbst die offen zutage tretende Lebensgefährlichkeit zugefügter Verletzungen ein zwar gewichtiges Indiz, nicht aber einen zwingenden Beweisgrund für einen (bedingten) Tötungsvorsatz des Täters bedeute, der Tatrichter vielmehr gehalten sei, in seine Beweiserwägungen alle Umstände einzubeziehen, welche die Überzeugung von einem Handeln mit (bedingtem) Tötungsvorsatz in Frage stellen könnten (BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 1997 – 3 StR 569/97, NStZ-RR 1998, 101, vom 8. Mai 2001 – 1 StR 137/01, NStZ 2001, 475, 476, und vom 2. Februar 2010 – 3 StR 558/09, NStZ 2010, 511, 512);sachlich vergleichbar fordern andere Entscheidungen vom Tatrichter, immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen , dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut habe, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2008 – 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91, und vom 22. April 2009 – 5 StR 88/09, NStZ 2009, 503; Urteil vom 25. März 2010 – 4 StR 594/09 m.w.N.). Wieder andere Entscheidungen verlangen „eine eingehende Prüfung anhand aller Umstände des Einzelfalles“ (BGH, Urteil vom 8. März 2001 – 4 StR 477/00, StV 2001, 572; ähnlich bereits BGH, Beschluss vom 27. November 1975 – 4 StR 637/75, VRS 50, 94, 95).
33
An den rechtlichen Anforderungen ändert sich indessen nichts, wenn die zur Annahme oder Verneinung bedingten Tötungsvorsatzes führende Beweiswürdigung ohne Rückgriff auf das Postulat einer Hemmschwelle überprüft wird (BGH, Urteile vom 3. Juli 1986 – 4 StR 258/86, NStZ 1986, 549, 550, und vom 7. August 1986 – 4 StR 308/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3 [jeweils: sorgfältige Prüfung], sowie vom 11. Dezember 2001 – 1 StR 408/01, NStZ 2002, 541, 542 [Ausführungen zu einer Hemmschwelle bei stark alkoholisiertem Täter ohne Motiv nicht geboten]; ebenso für Fälle affektiv erregter, alkoholisierter , ohne Motiv, spontan oder unüberlegt handelnder Täter BGH, Beschlüsse vom 21. Oktober 1986 – 4 StR 563/86, StV 1987, 92, vom 7. Juli 1999 – 2 StR 177/99, NStZ 1999, 507, 508,und vom 7. November 2002 – 3 StR 216/02, NStZ 2004, 51; Urteil vom 14. November 2001 – 3 StR 276/01; Beschluss vom 2. Dezember 2003 – 4 StR 385/03, NStZ 2004, 329, 330; Urteil vom 14. Dezember 2004 - 4 StR 465/04; Beschluss vom 20. September2005 – 3StR 324/05, NStZ 2006, 169, 170; Urteile vom 30. August 2006 – 2 StR 198/06, NStZ-RR 2007, 43, 44 [zusätzlich gruppendynamischer Prozess], vom 18. Januar 2007 – 4 StR 489/06, NStZ-RR 2007, 141, 142, und vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630; Beschluss vom 6. Dezember 2011 – 3 StR 398/11; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Januar 2003 – 4 StR 526/02, NStZ 2003, 369).
34
Im Verständnis des Bundesgerichtshofs erschöpft sich die „Hemmschwellentheorie“ somit in einem Hinweis auf § 261 StPO (BGH, Urteil vom 11. Januar 1984 – 2 StR 615/83, StV 1984, 187, Beschluss vom 27. Juni 1986 – 2 StR 312/86, StV 1986, 421, Urteile vom 22. November 2001 – 1 StR 369/01, NStZ 2002, 314, 315, vom 23. April 2003 – 2 StR 52/03, NStZ 2003, 603, 604, und vom 16. Oktober 2008 – 4 StR 369/08, NStZ 2009, 210, 211: jeweils sorgfältige Prüfung; vgl. weiter BGH, Urteil vom 25. November 1987 – 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175; Beschlüsse vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, NStZ 1994, 585, und vom 25. November 2010 – 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338, 339; Urteil vom 15. Dezember 2010 – 2 StR 531/10, NStZ 2011, 210, 211; MünchKommStGB/Schneider § 212 Rn. 48: „prozessuale Selbstver- ständlichkeit“).Der Bundesgerichtshof hat demgemäß immer wieder hervorgehoben , dass durch sie die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensge- fährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen (BGH, Urteil vom 24. April 1991 – 3 StR 493/90) in der praktischen Rechtsanwendung nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden solle (BGH, Urteile vom 24. März 1993 – 3 StR 485/92, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35, vom 12. Januar 1994 – 3 StR 636/93, NStE Nr. 33 zu § 212 StGB, vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51, und vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372), auch nicht bei Taten zum Nachteil des eigenen Kindes (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 305). Zur Verneinung des voluntativen Vorsatzelements bedarf es vielmehr in jedem Einzelfall tragfähiger Anhaltspunkte dafür, dass der Täter ernsthaft darauf vertraut haben könnte, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen (BGH, Urteile vom 24. März 2005 – 3 StR 402/04, vom 9. August 2005 – 5 StR 352/04, NStZ 2006, 98, 99, vom 25. Mai 2007 – 1 StR 126/07, NStZ 2007, 639, 640, und vom 16. Oktober 2008 aaO; Trück aaO S. 239 f.). Daran fehlt es hier (vgl. vorstehend unter bb).
35
Der Hinweis des Landgerichts auf eine „Hemmschwellentheorie“ entbehrt somit jedes argumentativen Gewichts. Im Übrigen hätte das Schwurgericht sich – von seinem Standpunkt aus – damit auseinander setzen müssen, dass schon der festgestellte Handlungsablauf, nämlich das wuchtige und zielgerichtete Stechen eines Messers aus schnellem Lauf in den Rücken eines ahnungslosen Opfers, das Überwinden einer etwa vorhandenen Hemmschwelle voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08). Auch ist eine erhebliche Alkoholisierung (oder ein Handeln in affektiver Erregung und aufgrund spontanen Entschlusses) nach sicherer Erfahrung gerade besonders geeignet, eine etwa vorhandene Hemmschwelle auch für äußerst gefährliche Gewalthandlungen herabzusetzen (BGH, Urteil vom 24. Februar 2010 – 2 StR 577/09, NStZ- RR 2010, 214, 215; NK-StGB/Puppe, 3. Aufl., § 15 Rn. 93; Rissing-van Saan, aaO, S. 515; Roxin, aaO, Rn. 81; MünchKommStGB/Schneider § 212 Rn. 50; Trück aaO S. 238; Verrel aaO S. 311).
36
dd) Nach alledem kann der Senat offen lassen, ob die zusammenfassende Bemerkung des Landgerichts, es sehe „einen Tötungsvorsatz als nicht mit letzter Sicherheit erwiesen an“, nicht auf eine Überspannung der Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung hindeutet. Auch bedarf es keiner Entscheidung, ob hier nicht – etwa im Blick auf die den Messerstich begleitende Äußerung des Angeklagten – die Annahme direkten Tötungsvorsatzes näher liegt.
37
3. Auf der fehlerhaften Beweiswürdigung beruht der Schuldspruch wegen der Tat zum Nachteil des Nebenklägers. Nach den bisherigen Feststellungen liegt die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom Tötungsversuch nicht nahe (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10, NStZ 2011, 209).
38
III. Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung , weil ein versuchtes Tötungsdelikt hierzu in Tateinheit stünde (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, NStZ 1997, 276; Beschluss vom 27. Juni 2000 – 4 StR 211/00). Dies entzieht der hierwegen verhängten Einzelfreiheitsstrafe , der Gesamtfreiheitsstrafe und der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nebst teilweisem Vorwegvollzug der Gesamtstrafe die Grundlage.
39
IV. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von der Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs zum Tötungsvorsatz ab. Er legt ihr vielmehr die sog. Hemmschwellentheorie in dem in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Verständnis zu Grunde (vgl. oben C. II. 2. b) cc).
Ernemann Cierniak Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 608/11
vom
23. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23.Februar
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger,
die Nebenkläger V. und T. V. in Person,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 27. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung , begangen in den Varianten des § 224 Abs. 1 Nr. 2 (Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeuges) und Nr. 5 StGB (Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft und die Eltern des Geschädigten als Nebenkläger beanstanden mit ihren Rechtsmitteln die Verletzung materiellen Rechts. Die Revisionen führen zur Aufhebung des Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts.
2
1. Nach den Feststellungen hielt sich der Angeklagte am frühen Morgen des 12. Dezember 2010 gegen 03.45 Uhr mit drei Freunden auf dem Parkplatz einer Diskothek auf. Als es im Eingangsbereich zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit wechselseitigen Faustschlägen zwischen den Zeugen A. und C. kam, lief der Angeklagte in Richtung der Streitenden, um zu schlichten (UA 6/7). Etwa zum gleichen Zeitpunkt trat der ebenfalls um eine Streitschlichtung bemühte D. V. zwischen die Kontrahenten und wurde von dem Zeugen A. mit der Faust zu Boden geschlagen. Ob sich D. V. danach noch einmal zu erheben vermochte oder sofort regungslos liegenblieb, konnte das Landgericht nicht zweifelsfrei feststellen. Wenige Sekunden nachdem D. V. zu Boden gegangen war, trat ihm der Angeklagte ohne nachvollziehbaren Grund aus der Körperdrehung heraus mit seiner rechten Innenfußseite gegen die rechte Wange. Zu diesem Zeitpunkt lag D. V. auf der Seite oder auf dem Rücken, sodass sein Gesicht zur Seite oder nach oben ge- richtet war. Infolge des „mit nicht genau feststellbarer Intensität“ geführten Tritts wurde der Kopf des erheblich alkoholisierten Geschädigten nach hinten ge- schleudert und „im Radius von etwa 1/2 Meter in Trittrichtung gedreht. Die Fü- ße blieben am Ort liegen“. Dabei trug der Angeklagte geschnürte Sportschuhe, deren Innenseite so hart war, dass es dadurch bei Tritten zu erheblichen Verletzungen kommen konnte (UA 7).
3
Der Zeuge C. und andere Umstehende bemühten sich sofort um eine Erstversorgung des Geschädigten und alarmierten um 3.53 Uhr den Rettungsdienst. Der Angeklagte zeigte sich ebenfalls besorgt und überließ dem Zeugen C. seine Telefonnummer. Danach fuhr er mit seinen Freunden nach Hause.
4
Als der Rettungsdienst um 4.02 Uhr eintraf, war der Geschädigte bewusstlos und ohne eigene Atmung. Bei einem Intubationsversuch stellte der kurze Zeit später hinzu gekommene Notarzt fest, dass der Deckel der Luftröhre durch einen Kaugummi verlegt und deshalb keine Versorgung mit Sauerstoff über die Atemwege mehr möglich war. Nachdem er den Kaugummistreifen mit einem Spezialinstrument entfernt hatte, konnte der Tubus gelegt und eine maschinelle Beatmung eingeleitet werden. D. V. hatte daraufhin wieder ei- nen Spontankreislauf und einen stabilen Puls. Bis zu diesem Zeitpunkt war er etwa 15 Minuten ohne Bewusstsein. Nach dem Transport ins Krankenhaus wurde bei ihm eine bis dahin unbemerkt gebliebene massive Einblutung in die weiche Hirnhaut (Subarachnoidalblutung) festgestellt, die noch am 12. Dezember 2010 eine operative Entfernung knöcherner Schädelteile erforderlich machte (Entlastungscraniektomie). D. V. verstarb am 16. Dezember 2010 an einer irreversiblen Hirnschädigung in Folge einer akuten schwersten globalen Minderversorgung des Gehirns mit Blut und Sauerstoff.
5
Das medizinisch-sachverständig beratene Landgericht geht davon aus, dass der Geschädigte auf Grund des Faustschlages des Zeugen A. seinen Kaugummi in einer Weise verschluckt hat, dass dadurch sowohl der Kehlkopf als auch die Luftröhre verlegt wurden. In der Folge kam es zu einem reflektorischen Herz-Kreislauf-Stillstand (sog. Bolustod). Die Einblutung unter die weiche Hirnhaut ist nach Ansicht des Landgerichts „am ehesten durch den Sturz des Geschädigten ausgelöst worden und kann nicht zwangsläufig auf den Tritt des Angeklagten zurückgeführt werden“. Sie wurde zudem „wohl vom Bolustod überholt“ und ist „jedenfalls nicht mehr todesursächlich geworden“.
6
2. Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte billigend in Kauf nahm, dass durch seinen Tritt „das Leben des Geschädigten potentiell gefährdet würde“. Eshat deshalb einen bedingten Vorsatz in Bezug auf eine das Leben gefährdende Körperverletzungshandlung entsprechend § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB für gegeben erachtet (UA 24).
7
Einen bedingten Tötungsvorsatz hat das Landgericht verneint, weil die Feststellungen nicht belegen, dass der Angeklagte bei der Ausführung des Trittes den Tod des Geschädigten billigend in Kauf nahm. Dabei hat es auf die folgenden Punkte abgestellt (UA 26):
8
Die Intensität des Trittes konnte nicht ausreichend festgestellt werden und war deshalb ohne Aussagekraft. Das Fehlen knöcherner Schädelverlet- zungen spricht eher gegen „eine besonders starke Intensität“(UA 27).
9
Eine „deutliche Motivation“ für den Tritt ist nicht feststellbar, weil der An- geklagte an der vorausgegangenen Auseinandersetzung nicht beteiligt war. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte gegenüber dem ihm unbekannten Geschädigten eine „grundsätzlich feindliche Willensrichtung“ eingenommen hatte, bestehen nicht. Eine Solidarisierung mit dem Zeugen A. , die die Annahme rechtfertigen könnte, der Angeklagte habe ihn auch um den Preis des Todes eines Menschen unterstützen wollen, ist nicht anzunehmen. A. war dem Angeklagten nur flüchtig bekannt und wurde von D. V. zuvor nicht angegriffen.
10
Der Umstand, dass dem Angeklagten seine Tat sofort Leid tat und er sich in der Folgezeit mehrfach für das Befinden des Geschädigten interessierte, ist ein „weiteres Indiz“ gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes (UA 27).
11
3. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes abgelehnt hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
12
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, wenn sie möglich sind. Ein revisionsgerichtliches Eingreifen ist erst dann veranlasst , wenn dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 1 StR 400/11, Rn. 23; Urteil vom 14. Dezember 2011 – 1 StR 501/11; KK-StPO/Schoreit, 6. Aufl., § 261 Rn. 51 mwN).
13
Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699 Rn. 34 f. mwN.). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1999 – 1 StR 26/99, NJW 1999, 2533, 2534; NK-StGB/Neumann 3. Aufl., § 212 Rn. 12 f.; Mößner, Die Überprüfung des bedingten Tötungsvorsatzes in der Revision S. 6 ff., jew. mwN). Bei der Würdigung des Willenselements ist neben der konkreten Angriffsweise regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die Betrachtung einzubeziehen (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51; Beschluss vom 1. Juni 2007 – 2 StR 133/07, NStZ-RR 2007, 267, 268; Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372 jew. mwN).
14
b) Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht.
15
Die Ausführungen des Landgerichts zur objektiven Gefährlichkeit des vom Angeklagten geführten Angriffs sind schon deshalb lückenhaft, weil sie sich nicht mit der von dem Angeklagten selbst geschilderten erheblichen Wirkung seines Tritts auf die Lage des Körpers des Geschädigten auseinanderset- zen (UA 7 und 14). Auch hätte an dieser Stelle nochmals erkennbar Berücksichtigung finden müssen, dass der Angeklagte die Trittwirkung gefährlich verstärkende Schuhe trug (UA 7) und auf den Geschädigten zu einem Zeitpunkt eintrat, als dieser – jedenfalls nach seiner Wahrnehmung (UA 13) – in Folge des Schlags des Zeugen A. regungslos am Boden lag. Bei seinen Erörterungen zum inneren Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB hat das Landgericht diese Umstände als Beleg dafür ausreichen lassen, dass der Angeklagte eine potentielle Gefährdung des Lebens seines Opfers in Kauf nahm (UA

24).


16
Die Annahme des Landgerichts, der Tritt des Angeklagten könne nicht von „besonders starker Intensität“ (UA 27) oder „nicht von übermäßiger Wucht“ (UA 19) gewesen sein, weil bei dem Geschädigten keine knöchernen Schädelverletzungen festzustellen waren, stellt einseitig auf die ex post feststellbaren Verletzungsfolgen ab (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 1 StR 400/11 Rn. 28) und lässt die generelle Gefährlichkeit derartiger Tritte außer Acht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2011 – 1 StR 179/11, Rn. 10). Sie ist zudem nicht mit der an anderer Stelle getroffenen Feststellung vereinbar, dass die Knochenbrücke zwischen den Knochendeckeln des Schädelknochens einen nicht unterbluteten Bruch aufwies (UA 11). Zwar liegt es nicht fern, dass dieser Bruch auf die später durchgeführte Entlastungscraniektomie zurückzuführen ist, doch hätte dies einer ausdrücklichen Erörterung bedurft.
17
Der Umstand, dass dem Angeklagten sein Tritt sofort Leid tat und er sich in der Folgezeit mehrfach für das Befinden des Geschädigten interessierte, durfte vom Landgericht nicht ohne weitere Darlegungen als Indiz gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gewertet werden.
18
Nachträgliches Bedauern und Rettungsversuche sagen nur bedingt etwas über die innere Haltung des Täters im Tatzeitpunkt aus, da sie nicht selten auf einer spontanen Ernüchterung beruhen und mit Blick auf die Tatfolgen von der Sorge um das eigene Wohl geleitet sind (BGH, Urteil vom 8. August2001 – 2StR 166/01, NStZ-RR 2001, 369, 370; Urteil vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630). Der Angeklagte hat hierzu angegeben, nach dem Tritt „wach geworden“ zu sein. Dabei habe er begriffen, dass er etwas ge- tan habe, was nicht in Ordnung gewesen sei (UA 14). Der Angeklagte – dessen Einlassung das Landgericht im Übrigen gefolgt ist – hat damit selbst eingeräumt , dass sein Nachtatverhalten nicht mehr Ausdruck der ihn beherrschenden inneren Einstellung im Tatzeitpunkt gewesen ist, sondern auf einer veränderten Sicht der Dinge beruhte. Hieran durfte das Landgericht nicht vorübergehen.
19
Bedenken bestehen schließlich auch insoweit, als das Landgericht in dem Umstand, dass es „keine deutliche Motivation für den Tritt“ festzustellen vermochte, ein Indiz gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gesehen hat.
20
Mit bedingten Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv , sondern gehen einem anderen Handlungsantrieb nach (BGH, Urteil vom 30. November 2005 – 5 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318). Allerdings kann sich aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 1990 – 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs.1 Vorsatz, bedingter 22; Urteil vom 30. November 2005 – 3 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317,

318).


21
Das Landgericht hat mit der Verneinung einer feindlichen Grundhaltung gegenüber dem Geschädigten einerseits und einer unbedingten Solidarität mit seinem Kontrahenten A. andererseits lediglich zwei mögliche starke Handlungsantriebe ausgeschlossen. Dies allein lässt jedoch noch nicht den Schluss zu, dass es dem Angeklagten deshalb an der Bereitschaft gefehlt hat, auch schwerste Tatfolgen in Kauf zu nehmen. Stattdessen wäre es an dieser Stelle erforderlich gewesen, näher auf die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Verhältnis zur Anwendung körperlicher Gewalt und seine Fähigkeit zur Kontrolle aggressiver Impulse einzugehen. Wie das Landgericht im Rahmen seiner Erwägungen zu § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG zutreffend festgestellt hat, lässt die Art und Weise, wie sich der Angeklagte zu der Tat hinreißen ließ, auf einen starken Mangel an Ausgeglichenheit und Besonnenheit schließen (UA 29). Auch musste er in der Vergangenheit bereits zweimal wegen Körperverletzung geahndet werden, wobei er seinen Opfern jeweils knöcherne Verletzungen des Gesichtsschädels zufügte (UA 4 f.). Mangelnde Impulskontrolle, wie sie bei dem Angeklagten schon mehrfach zutage getreten ist, führt nicht selten dazu, dass es bereits bei geringsten Anlässen zu massiven Gewalthandlungen kommt, bei denen dem Täter die Konsequenzen seines Handelns gleichgültig sind und deshalb selbst tödliche Folgen in Kauf genommen werden (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08, Rn. 9).
22
4. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Ein Eingehen auf die von der Revision erhobenen Einwände gegen die unterbliebene Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge ist unter diesen Umständen ebenso wenig erforderlich wie die Erörterung einer Strafbarkeit nach § 231 Abs. 1 Alt. 2 StGB.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 246/09
vom
27. August 2009
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. August
2009, an der teilgenommen haben:
Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible
als Vorsitzende,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 5. Dezember 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten sowie dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zum Nachteil des Angeklagten eingelegten, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, dass das Landgericht den Angeklagten nicht wegen versuchten Totschlags verurteilt hat. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts geriet der erheblich alkoholisierte (BAK von maximal 2,5 ‰) Angeklagte in einer Diskothek mit einem anderen Gast in Streit. Als der Nebenkläger mit Blick zum Angeklagten zwischen die Kontrahenten trat, um die Auseinandersetzung zu beenden, drang der Angeklagte auf ihn ein, zog ein Messer und stach damit in Richtung von dessen Kopf. Er traf ihn am Kinn und verursachte dort eine Stichverletzung. Ein Ein- dringen des Messers in den Hals wurde dadurch verhindert, dass das Messer auf den Kieferknochen traf. Dem Nebenkläger gelang es, dem Angeklagten, der weiterhin auf ihn einstach und ihm noch zwei kleinere Stichwunden an der Hand zufügte, das Messer zu entwinden.
3
Das Landgericht hat direkten Verletzungsvorsatz angenommen, sich hingegen von einem (auch nur bedingten) Tötungsvorsatz nicht zu überzeugen vermocht. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die generelle Gefährlichkeit von Stichverletzungen im Kopfbereich zwar für einen solchen Vorsatz sprechen könnte; wegen der erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten im Tatzeitpunkt , des Fehlens eines (nachvollziehbaren) Tötungsmotivs und der bei der Begehung von Tötungsdelikten generell hohen Hemmschwelle könne die Kammer jedoch nicht ausschließen, dass der Angeklagte auf das Ausbleiben tödlicher Verletzungen vertraut habe.
4
1. Die Ablehnung des bedingten Tötungsvorsatzes hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sorgfältig zu prüfen, ob der Täter, der sein gefährliches Handeln durchführt, obwohl er mit der Möglichkeit tödlicher Verletzungen rechnet, den Tod des Opfers billigend in Kauf nimmt, wobei dies bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe liegt. Ferner sind vor allem die konkrete Angriffsweise, die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motivation in die Beweiswürdigung mit einzubeziehen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51 m. w. N.).
6
Diese sorgfältige Prüfung lässt das Landgericht vermissen. Es wird schon nicht erkennbar, ob die Kammer bereits Zweifel daran hatte, dass der Angeklagte den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkannte, oder nur daran, dass er ihn billigte oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfand (zur Bedeutung des Wissens- und des Willenselements bei der Prüfung des bedingten Vorsatzes vgl. BGH NStZ-RR 2006, 9 m. w. N.). Soweit die Alkoholisierung des Angeklagten angesprochen wird, könnte dies für Zweifel der Strafkammer auch am Wissenselement sprechen; die Erörterung der Motivlage und der Hemmschwelle könnte sich auf das Willenselement beziehen. Erkannte der Angeklagte jedoch, wozu sich das Urteil nicht verhält, trotz seiner Alkoholisierung die äußerste Gefährlichkeit eines mit einem Messer geführten Stiches in Richtung der für tödliche Verletzungen in hohem Maße anfälligen Kinn- und Halspartie, dann liegt bei der hier gegebenen Tatgestaltung auch die Billigung des Todes durchaus nahe. Denn der Angeklagte "fuchtelte" nicht etwa ziellos mit dem Messer herum und traf dabei (zufällig) mit dessen Spitze das Kinn des Nebenklägers, sondern stach nach den Feststellungen zielgerichtet in Richtung des Kopfes des Nebenklägers.
7
Soweit das Landgericht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur hohen Hemmschwelle bei Tötungsdelikten abstellt, darf diese nicht dahin missverstanden werden, dass durch sie die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als einem gewichtigen, auf einen Tötungsvorsatz hinweisenden Beweisanzeichen in der praktischen Rechtsanwendung in Frage gestellt werden soll und dieser Beweisgrund den Schluss auf einen Tötungsvorsatz in aller Regel nicht tragen kann (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51 m. w. N.).
8
Hinzu kommt, dass die Erwägung des Landgerichts, für den Angeklagten habe es "keinen Grund" gegeben, den die Auseinandersetzung schlichtenden Nebenkläger zu töten, nicht gegen eine Billigung des Todes spricht und deshalb für die Überzeugungsbildung hinsichtlich eines (lediglich) bedingten Tötungsvorsatzes an Bedeutung verliert. Der für möglich erkannte Erfolg muss den Wünschen des Täters nicht entsprechen (vgl. BGHSt 7, 363, 369). Allenfalls hochgradig interessenwidrige Tatfolgen widerstreiten der Annahme einer Billigung des Erfolges durch einen in der Steuerungsfähigkeit beeinträchtigten, ohnehin überaus unüberlegt handelnden Täter (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz , bedingter 51, 61 jew. m. w. N.). Zuletzt lässt das Landgericht außer Betracht , dass der Angeklagte nicht nur einmal, sondern mit dem Messer noch weiter in Richtung des Nebenklägers stach; dies hätte als ein Indiz dafür, dass er nicht auf einen glimpflichen Ausgang vertraute, erörtert werden müssen.
9
2. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass sich sowohl eine nähere Beschreibung des Tatwerkzeugs als auch eine Darstellung der Taten empfehlen wird, die zu den erheblichen Vorstrafen des Angeklagten wegen zahlreicher Gewaltdelikte geführt haben; letzteres auch mit Blick darauf, dass das Landgericht wegen der nicht ausschließbaren erheblich verminderten Schuldfähigkeit aufgrund des Alkoholkonsums eine Strafrahmenverschiebung vorgenommen und sich dabei nicht damit auseinandergesetzt hat, dass nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei selbstverschuldeter Trunkenheit eine Strafrahmenverschiebung in der Regel nicht mehr in Betracht kommt (vgl. BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31, 33, 37; einschränkend BGHR aaO 35; BGH NStZ 2008, 619). Für einen Ausnahmefall (vgl. hierzu NStZ-RR 2009, 230) bestehen bislang keine Anhaltspunkte. Sost-Scheible Pfister Hubert Schäfer Mayer

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 140/12
vom
20. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
20. September 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 29. September 2011 werden verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten hierdurch und durch das Rechtsmittel des Nebenklägers entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Der Nebenkläger trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren durch die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen jedoch die Staatskasse und der Nebenkläger je zur Hälfte. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger stützen ihre zu Unguns- ten des Angeklagten eingelegten Revisionen auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts; der Nebenkläger beanstandet zudem das Verfahren. Beide erstreben eine Verurteilung des Angeklagten auch wegen tateinheitlich hinzutretenden versuchten Totschlags. Der Nebenkläger ist außerdem der Meinung, dass das Landgericht den Angeklagten nicht der gefährlichen, sondern der schweren Körperverletzung hätte schuldig sprechen müssen. Sämtliche Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
2
I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der sich unwohl fühlende Angeklagte nahm am Morgen des 20. Mai 2011 zwei Tabletten zu je 10 mg Diazepam ein. Um die Mittagszeit ging er zum Angeln. Nach seiner Rückkehr gegen 16.30 Uhr nahm er nochmals ein bis zwei dieser Tabletten zu sich und begab sich kurz darauf in eine Gaststätte, wo er Bier in nicht mehr feststellbarer Menge trank. Von dort ließ er sich zwischen 22.00 und 23.00 Uhr in bereits angetrunkenem Zustand mit dem Taxi zu einem Vereinslokal bringen. Das mittags eingesteckte Anglermesser, ein Klappmesser mit 7 cm langer Klinge, befand sich noch in seiner Hosentasche.
4
In dem Vereinslokal traf der Angeklagte auf den ihm flüchtig bekannten Nebenkläger. Dessen Cousin unterhielt, wie der Angeklagte wusste, eine Beziehung zu einer Frau C. , mit der sich der Angeklagte in seiner frühen Jugendzeit mehrfach getroffen hatte. Der Angeklagte trank Bier und Korn und unterhielt sich dabei über längere Zeit hinweg in freundschaftlicher Weise mit dem Nebenkläger. Auf wiederholte Versuche des Angeklagten, das Gespräch auf den Cousin und Frau C. zu lenken, reagierte der Nebenkläger indes abweisend. Hierdurch geriet der Angeklagte zunehmend "in Rage". Eine sich deswegen entwickelnde verbale Auseinandersetzung konnte ein anderer Gast durch beruhigendes Einwirken auf den Angeklagten zunächst beenden. Anschließend sprachen der Angeklagte und der Nebenkläger wiederum gemeinsam , zeitweise Arm in Arm an der Theke stehend, dem Alkohol zu.
5
Gegen 2.00 Uhr flammte der Streit zwischen dem mittlerweile stark betrunkenen Angeklagten und dem Nebenkläger jedoch erneut auf. Der Nebenkläger wandte sich schließlich ab und ging zur Toilette. Als er den Gastraum wieder betrat, schnitt ihm der Angeklagte unvermittelt mit dem Anglermesser in die rechte Gesichtshälfte. Der Nebenkläger empfand dies wie einen Schlag, fiel zu Boden und versuchte wegzukrabbeln. Der Angeklagte folgte ihm und stach, ohne ein Wort zu äußern, über ihm stehend insgesamt dreizehn Mal wahllos im Bereich des Gesichts, der Schulter, des Rückens und des Gesäßes auf ihn ein. Anschließend lief er weg, ohne sich um den am Boden liegenden Verletzten zu kümmern. Ein Stich unterhalb des linken Schulterblatts drang mindestens 2,6 cm tief ein, eröffnete den Brustkorb, verletzte die Lunge und rief einen TeilPneumothorax hervor, der indes erfolgreich notfallmedizinisch behandelt werden konnte. Akute Lebensgefahr bestand nicht. Die weiteren Stiche, deren Tiefe das Landgericht nicht hat feststellen können, waren demgegenüber auch potentiell nicht lebensbedrohlich. Dem Nebenkläger verblieben vierzehn Narben im Rückenbereich, zwei davon aufgrund der bei der Notfallbehandlung angelegten Drainage, eine deutlich sichtbare 3 cm lange und ca. 0,5 cm breite Narbe an der rechten Wange sowie eine weitere von der Wange zum Halsbereich hinabführende Narbe im Gesicht.
6
Infolge des genossenen Alkohols und der eingenommenen Medikamente war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit erheblich eingeschränkt. Gleichwohl erkannte der Angeklagte, dass die Messerstiche gegen den Nebenkläger allgemein geeignet waren, dessen Leben zu gefährden, da sie Körperhöhlen eröffnen, lebenswichtige innere Organe verletzen oder Arterien perforieren konnten.
7
2. Demgegenüber hat sich das Landgericht nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte bei seinem Handeln mit tödlichen Verletzungen des Nebenklägers wenigstens rechnete und solche billigend in Kauf nahm. Seine Zweifel hieran gründet es auf die nachfolgenden Erwägungen:
8
Zwar sei es zunächst ein deutliches, für einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz sprechendes Beweisanzeichen, dass der Angeklagte dem Nebenkläger insgesamt vierzehn, überwiegend gegen den Rumpfbereich gerichtete Messerstiche beigebracht habe, denn damit habe er Gewalthandlungen verübt, deren Lebensbedrohlichkeit allgemein bekannt sei. Insgesamt zeige der äußere Geschehensablauf jedoch auch Umstände auf, die gegen einen Tötungsvorsatz des Angeklagten sprächen. Diese seien mit in Bedacht zu nehmen, denn die Entscheidung über die innere Tatseite könne nicht allein anhand der Gefährlichkeit der Tathandlung getroffen werden, sondern erfordere eine umfassende Würdigung des gesamten objektiven und subjektiven Tatbildes.
9
Eingeleitet habe der Angeklagte den Angriff mit einem Schnitt in die Wange des Nebenklägers, der für sich schon nicht als eine lebensbedrohliche Gewalthandlung angesehen werden könne. Von einem Einsatz des Messers gegen den Oberkörper des Nebenklägers habe er, obwohl möglich, abgesehen. Dies belege, dass es dem Angeklagten jedenfalls zunächst nur darum gegangen sei, dem Nebenkläger eine äußerlich sichtbare Verletzung beizubringen. Es sei aber auch nicht erweislich, dass der Angeklagte, als er anschließend auf den Körper des am Boden befindlichen Nebenklägers eingestochen habe, ent- gegen seiner ursprünglichen Willensrichtung nunmehr mit tödlichen Verletzungen des Nebenklägers gerechnet und solche billigend in Kauf genommen habe. Gegen einen solchen Vorsatzwechsel spreche einmal, dass die Stiche insgesamt unkoordiniert geblieben seien und sich auch gegen Körperteile gerichtet hätten, bei denen lebensbedrohliche Verletzungen nicht zu erwarten gewesen seien. Weiter habe die Länge der Messerklinge lediglich 7 cm betragen; nach deren Beschaffenheit sei auch die Einstichbreite verhältnismäßig gering geblieben. Zudem habe sich der Angeklagte einer bei einer Körpergröße von 1,76 m und einem Gewicht von 125 kg stark fettleibigen Person gegenüber gesehen, bei der vermehrt schützendes Fettgewebe zu erwarten gewesen sei. Schließlich sei, was den Stich in den Brustkorb betreffe, lediglich eine Tiefe von 2,6 cm sicher nachzuweisen; zugunsten des Angeklagten müsse davon ausgegangen werden, dass auch die anderen Stiche nicht tiefer reichten. Zumindest nicht für einen Tötungsvorsatz spreche, dass der Angeklagte die Tat ohne Sicherungstendenzen begangen, sich in einer alkoholenthemmten Atmosphäre spontan und ohne vorherige Planung zur Tat entschlossen und nicht über einen einsichtigen Beweggrund für die Tötung eines Menschen verfügt habe.
10
Die Einlassung des Angeklagten bleibe unergiebig, denn dieser habe lediglich erklärt, sich an das Tatgeschehen nicht erinnern zu können. Ebenso wenig seien tatbegleitende Äußerungen des Angeklagten festzustellen, die einen Schluss auf seine Willensrichtung erlaubt hätten.
11
II. Revision der Staatsanwaltschaft
12
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet, denn die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge deckt keine Rechtsfehler zugunsten oder zulasten (§ 301 StPO) des Angeklagten auf. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin begegnet die Beweiswürdigung, auf welcher die Überzeugung der Strafkammer gründet, es sei lediglich ein Körperverletzungs -, nicht aber ein auch nur bedingter Tötungsvorsatz festzustellen, keinen rechtlichen Bedenken.
13
1. a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt , weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement , umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144, 145). Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind (BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1525; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372).
14
b) Kann der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel an der subjektiven Tatseite nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. April 2012 - 4 StR 599/11 mwN).
15
c) Gleichermaßen Sache des Tatrichters ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326). Dies muss insbesondere auch dann gelten, wenn der Tatrichter im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes Gewalthandlungen des Täters festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich sind. Zwar hat der Bundesgerichtshof die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlichen Indikator sowohl für das Wissens - als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes angesehen (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443) und bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente als naheliegend bezeichnet (BGH, Urteile vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZ- RR 2010, 144; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge vielmehr eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines im Zusammenhang mit derartigen Delikten immer wieder auftretenden Indizes, die einer unzulässigen Beweisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) widerspräche.
16
d) Nach alledem ist es bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven , für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten. Dies gilt auch für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nachdem, wie er sie im Einzelfall bewertet , rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen. So kann eine Alkoholbeeinflussung des Täters von Rechts wegen den Schluss auf eine verminderte Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen oder auf fehlendes Bewusstsein von Umständen, die gegen einen tödlichen Ausgang des Geschehens sprechen, ebenso tragen wie umgekehrt den Schluss auf ein unüberlegtes Handeln, bei dem sich der Täter nahe liegender tödlicher Folgen nicht bewusst wird. Eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Der Tatrichter kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, den- selben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen, sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326).
17
2. Daran gemessen ist gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts nichts zu erinnern. Sie beruht auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles. Die von der Strafkammer in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen sind weder lückenhaft, widersprüchlich oder unklar noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze.
18
Das Landgericht hat zunächst eine objektiv gefährliche Gewalthandlung des Angeklagten festgestellt und darin ein deutliches Indiz sowohl für das Wissens - als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes gesehen. Gleichwohl hat es sich im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung aller Tatumstände vom Vorliegen des - wie sich aus den Urteilsgründen hinreichend erschließt - erforderlichen Willenselementes nicht überzeugen können. Seine Zweifel hat es nicht nur auf die Beschaffenheit des verwendeten Messers gegründet , sondern auch darauf, dass der den Stichen gegen den Rumpf des Nebenklägers unmittelbar vorausgegangene Stich in die Wange offensichtlich nur von Verletzungsvorsatz getragen war, dass der Angeklagte die weiteren Stiche eher ungezielt führte, dass der Nebenkläger erkennbar über schützendes Fettgewebe verfügte und dass die nachweisbare Stichtiefe im Verhältnis zur Klingenlänge eher gering blieb, was ohne weiteres gegen wuchtig geführte Stiche spricht. Schließlich hat das Landgericht auch geprüft, ob die Motivlage, tatbegleitende Äußerungen oder Sicherungsmaßnahmen des Angeklagten zu einer anderen Beurteilung führen, und in diesem Zusammenhang Umstände, die für einen Tötungsvorsatz sprechen, rechtsfehlerfrei verneint.
19
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts hat das Landgericht in hinreichender Weise auch den Umstand in seine Betrachtung mit einbezogen, dass der Angeklagte unter dem Einfluss von Alkohol stand. In der Gesamtschau der Beweisanzeichen hat es die alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten als Hinweis auf eine unüberlegte Spontantat gesehen, die nicht für einen bedingten Tötungsvorsatz spreche. Diese tatrichterliche Bewertung ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Danach bedurfte es auch keiner besonderen Prüfung mehr, ob die Alkoholbeeinflussung - im Gegensatz dazu - deshalb ein den Angeklagten belastendes Indiz darstellt, weil er möglicherweise nicht mehr in der Lage war, die festgestellten gefahrmindernden Umstände zu erkennen, oder weil seine Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen herabgesetzt gewesen sein könnte.
20
III. Revision des Nebenklägers
21
Auch die Revision des Nebenklägers bleibt ohne Erfolg.
22
1. Die Rüge, das Landgericht habe seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) dadurch verletzt, dass es davon absah, die in dem Vereinslokal zur Tatzeit als Bedienung tätige Zeugin Z. in der Hauptverhandlung zu vernehmen, ist unbegründet.
23
a) Der Rüge liegt zugrunde: Die Zeugin war zum Hauptverhandlungstermin am 24. August 2008 trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen. Die Strafkammer beschloss zunächst die Vorführung der Zeugin, regte später aber an, stattdessen die Niederschriften über deren polizeiliche und richterliche Vernehmungen im Ermittlungsverfahren zu verlesen. Hiermit erklärten sich sämtliche Verfahrensbeteiligte einverstanden, weshalb die genannten Niederschriften nach entsprechendem Gerichtsbeschluss gemäß "§ 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO" verlesen wurden.
24
Nach Ansicht des Beschwerdeführers wäre das Landgericht gehalten gewesen, die Zeugin in der Hauptverhandlung zur Beschaffenheit der Tatwaffe zu vernehmen. Insoweit habe es sich ausweislich der Urteilsgründe ausschließlich auf die Einlassung des Angeklagten gestützt, der zwar geltend gemacht habe, sich an eine Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger nicht erinnern zu können, aber eingeräumt habe, es könne sein, dass er sein Anglermesser mit orangefarbenem Griff und mit einer Klinge von ca. 7 cm Länge noch bei sich gehabt habe. Demgegenüber habe die Zeugin bei ihrer richterlichen Vernehmung ausgesagt, sie habe vor der Tat einen "gelb-silbernen" Gegenstand, nach ihrem Eindruck ein Klappmesser, "etwa 5 - 10 cm" aus der Hosentasche des Angeklagten herausragen gesehen. Wäre die Zeugin in der Hauptverhandlung vernommen worden, hätte sie - so der Beschwerdeführer - ausgesagt, dass es sich bei dem mitgeführten Messer nicht um das ihr bekannte orangefarbene Anglermesser des Angeklagten gehandelt habe, sondern um dessen ihr ebenfalls bekanntes gelbes, mit silbernen Verzierungen versehenes "Ausgehmesser". Dieses habe eine ca. 12 cm lange Klinge und diene dem Angeklagten nach eigenem Bekunden dazu, sich "Probleme vom Hals" zu halten.
25
b) Anders als behauptet kann der Beschwerdeführer nicht aufzeigen, dass sich das Landgericht aufgrund des Inhalts der verlesenen Niederschriften dazu hätte gedrängt sehen müssen, durch Vernehmung der Zeugin weitere Ermittlungen zur Beschaffenheit der Tatwaffe anzustellen. Weder aus der Aussage der Zeugin bei der Polizei noch aus ihrer Aussage vor dem Ermittlungsrichter ergeben sich greifbare Anhaltspunkte dafür, dass sie Kenntnis davon gehabt hätte, über welche Messer der Angeklagte verfügte, wie diese im einzelnen beschaffen waren und wozu sie ihm dienten. Vor diesem Hintergrund ist das Landgericht nach Würdigung der Einlassung des Angeklagten und der Bekundungen der Zeugin zu dem revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Ergebnis gelangt, dass die der Zeugin mögliche Beschreibung der Tatwaffe der vom Angeklagten hierzu abgegebenen Erklärung nicht den Boden zu entziehen vermag.
26
2. Soweit der Beschwerdeführer mit der Sachrüge die Beweiswürdigung des Landgerichts zur inneren Tatseite des Angeklagten beanstandet, verweist der Senat auf die Ausführungen zur Revision der Staatsanwaltschaft (oben II.).
27
3. Die Rüge, das Landgericht hätte den Angeklagten statt der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) der schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB) schuldig sprechen müssen, bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
28
IV. Revision des Angeklagten
29
Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Becker Schäfer Mayer
Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
3 StR 364/10
vom
25. November 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. November
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Mayer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Stade vom 10. Mai 2010 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision beanstandet der Nebenkläger, dass das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz verneint und den Angeklagten deshalb nicht auch wegen tateinheitlichen versuchten Totschlags verurteilt hat. Das zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen schubsten sich der Angeklagte sowie der Nebenkläger und beleidigten sich gegenseitig. Der Nebenkläger war bereit, sich gegen die von ihm erwarteten Schläge des Angeklagten zu wehren und sich mit ihm zu schlagen. Der Angeklagte drohte dem Nebenkläger, ihn abzustechen und nahm ein mitgeführtes Klappmesser in die Hand. Als der Nebenkläger, der anfangs die Drohung nicht ernst genommen und weiterhin die Konfrontation gesucht hatte, das Messer sah, wich er aus Furcht nach hinten aus und beendete die Beleidigungen. Der Angeklagte folgte ihm und versetzte ihm mit einer schlagenden Bewegung einen Messerstich in den linken Brustkorb. Das Messer drang von oben unterhalb der linken Achsel durch die Rippenbögen in den Körper ein und verletzte den Geschädigten schwer.
3
Das Landgericht ist in seiner Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass der Angeklagte mit direktem Körperverletzungsvorsatz zugestochen hat. Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es im Wesentlichen mit folgender Begründung verneint: Der Angeklagte habe zwar durch den Stich in den Brustkorb des Geschädigten eine hochgradig gefährliche Gewalthandlung vorgenommen und auch erkannt, dass diese tödlich sein könne. Bei umfassender Würdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände könne daraus jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf eine Billigung des Todes geschlossen werden. Der Angeklagte habe sich bei der Tatbegehung in einem Zustand beträchtlicher affektiver Erregung befunden, sei durch den Konsum von Alkohol und Rauschgift erheblich enthemmt gewesen und durch die Beleidigungen seitens des Nebenklägers spontan zu dem Messerstich hingerissen worden, wobei er diesen vom Herzen weg geführt habe. Aufgrund seiner körperlichen Unterlegenheit habe er gemeint, sich nur mit dem Messer Respekt verschaffen zu können. Er habe erst zugestochen, nachdem der Geschädigte seine Drohung nicht ernst genommen habe. Zudem sei kein Motiv für eine Tötung ersichtlich. Die Äußerung "ich steche dich ab" sei nur eine Machtdemonstration gewesen und habe keine Indizwirkung für einen bedingten Tötungsvorsatz. Der Angeklagte habe lediglich einen einzelnen Messerstich ausgeführt und sei unmittelbar nach der Tat nicht geflüchtet.
4
2. Die Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
5
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsge- richtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - 3 StR 500/86, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2). Die Abgrenzung des bedingten Tötungsvorsatzes vom Körperverletzungsvorsatz erfordert bei schwerwiegenden Gewalttaten eine sorgfältige Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Der Täter handelt mit bedingtem Tötungsvorsatz, wenn er den Eintritt des Todes als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt sowie ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfindet. Dabei stellt die offensichtliche Lebensgefährlichkeit einer Handlung für den Nachweis einen Umstand von erheblichem Gewicht dar, sodass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der subjektive Tatbestand eines Tötungsdelikts sehr nahe liegt. Angesichts der hohen Hemmschwelle bei solchen Delikten bedarf die Frage der Billigung des Todes indes einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, in die vor allem auch die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motive mit einzubeziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.; BGH, Urteil vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4; BGH, Urteil vom 31. Oktober 1990 - 3 StR 332/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24; BGH, Urteil vom 24. März 1993 - 3 StR 485/92, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35; BGH, Urteil vom 7. November 2002 - 3 StR 216/02, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 55; BGH, Beschluss vom 26. August 2005 - 3 StR 259/05, NStZ-RR 2006, 9 f.). Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (BGH, Beschluss vom 23. April 2003 - 2 StR 52/03, NStZ 2003, 603; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, NStZ 2009,

91).

6
b) Diesen rechtlichen Anforderungen an eine sorgfältige Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes werden die Ausführungen des Landgerichts gerecht. Es hat alle bedeutsamen objektiven und subjektiven Umstände der Tat in seine Überlegungen einbezogen und insbesondere ges ehen, dass der Messerstich in den Brustkorb des Tatopfers eine hochgradig lebensgefährliche Gewalthandlung war, die ein gewichtiges Indiz dafür ist, dass der Angeklagte den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes auch billigte. Auch hat es sich mit der ausgesprochenen Drohung "ich steche dich ab, du bist tot" auseinandergesetzt. Soweit es wegen des in affektiver Erregung und unter der enthemmenden Wirkung von Alkohol und Rauschgift spontan ausgeführten einzelnen Messerstichs , der körperlichen Unterlegenheit des Angeklagten, der vom Herzen wegführenden Stichbewegung, des fehlenden Tötungsmotivs und des Nachtatverhaltens des Angeklagten seine Zweifel am Vorliegen des voluntativen Elements des bedingten Tötungsvorsatzes nicht hat überwinden können, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar hat das Landgericht - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen dargestellt hat - die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB unzureichend begründet. Dieser Rechtsfehler schlägt jedoch nicht auf die Beweiswürdigung zum Tötungsvorsatz durch; denn entscheidend ist insoweit, dass der Angeklagte, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben sind, nach den Urteilsfeststellungen die Tat aus einem spontanen, intoxikationsbedingten Handlungsimpuls heraus begangen hat. Die gegen die Überzeugungsbildung der Strafkammer vorgebrachten Beanstandungen des Be- schwerdeführers erschöpfen sich in einer eigenen Beweiswürdigung mit zum Teil urteilsfremdem Vorbringen und zeigen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausführlich dargestellten Gründen keinen Rechtsfehler auf.
7
3. Für die Entscheidung kann offen bleiben, ob die sachverständig beratene Strafkammer rechtsfehlerhaft eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten bejaht und deshalb der Strafzumessung zu Unrecht den gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen der gefährlichen Körperverletzung zugrunde gelegt hat. Denn die Nachprüfung des Revisionsgerichts erstreckt sich bei der Revision eines Nebenklägers lediglich darauf, ob der Schuldspruch wegen eines Nebenklagedelikts rechtsfehlerhaft unterblieben ist, nicht aber auf die Fehlerfreiheit der Strafzumessung. Dies folgt daraus, dass der Strafausspruch des abgeurteilten Nebenklagedeliktes gemäß § 400 Abs. 1 StPO selbst nicht Gegenstand einer zulässigen Revisionsrüge eines Nebenklägers sein kann. Diesem Anliegen des Gesetzgebers würde es widersprechen, wenn eine solche Nachprüfung des Strafmaßes allein dadurch erreicht werden könnte, dass die fehlerhafte Nichtaburteilung eines (weiteren) tateinheitlich begangenen - möglicherweise völlig fern liegenden - Nebenklagedelikts gerügt wird (BGH, Beschluss vom 23. April 2002 - 3 StR 106/02, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Prüfungsumfang 3; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 400 Rn. 7). Becker von Lienen Sost-Scheible Hubert Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 256/05
vom
22. September 2005
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. September
2005, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Winkler
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
von Lienen,
Becker,
Hubert
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Staatsanwalt bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 24. Januar 2005 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist (Ziff. I. 4. der Urteilsgründe) sowie
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und die Maßregel. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten (Einzelstrafen von sechs Monaten sowie von drei Jahren und vier Monaten) verurteilt und ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet. Mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten, auf die Sachrüge gestützten Revision, die wirksam auf die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen P. und die Maßregelanordnung beschränkt ist, erstrebt die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung auch wegen versuchten Totschlages sowie die Aufhebung der Unterbringungsentscheidung. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Kurze Zeit nachdem sie einen ihr bis dahin unbekannten Mann heftig geschlagen und getreten hatte (Fall I. 3. der Urteilsgründe), brachte die erheblich alkoholisierte Angeklagte dem Zeugen P. mit einem Küchenmesser drei Stichverletzungen bei: über dem linken Auge, im Bereich der linken Schulter und im Bereich der linken Brustkorbvorderseite; dieser mehrere Zentimeter tiefe Stich war akut lebensbedrohlich und erforderte eine operative Eröffnung der linken Brusthöhle mit Teilentfernung des linken Lungenoberlappens. Bevor die Angeklagte nach der Tat mit ihrem Fahrrad flüchtete, hatte sie die beiden blutenden Verletzungen im Brustbereich ihres Opfers noch wahrgenommen.
Das Landgericht hat offen gelassen, ob die Angeklagte mit Tötungsvorsatz gehandelt hat. Von einem etwa vorliegenden Tötungsversuch sei sie jedenfalls mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten.
1. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen zum Rücktritt sind nicht ausreichend und lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Annahme seiner Voraussetzungen von einem unrichtigen Maßstab ausgegangen ist.
Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Abgrenzung eines unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein strafbefreiender Rücktritt gegeben ist, darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont ; vgl. BGHSt 39, 221, 227 f. m. w. N.) oder sich - namentlich nach besonders gefährlichen Gewalthandlungen, die zu schweren Verletzungen geführt haben - keine Vorstellungen über die Folgen seines Handelns macht (vgl.
Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 24 Rdn. 15, 16 m. w. N.). Das Landgericht geht zwar im rechtlichen Ansatz zutreffend davon aus, dass es für die Beurteilung dieser Abgrenzungsfrage auf die Vorstellung der Angeklagten ankommt, trifft hierzu aber keine ausreichenden Feststellungen. Insoweit teilt das Urteil im Sachverhalt lediglich mit, die Angeklagte könne auch bemerkt haben, dass der Verletzte die nach dem letzten Stich an ihn herantretende Zeugin H. , die ihn stützen oder ihm irgendwie beistehen wollte, weggestoßen hat. Die Frage, ob und gegebenenfalls welche Schlüsse die Angeklagte hieraus hinsichtlich des möglichen Todes ihres Opfers gezogen hat, bleibt indes offen.
Die im Rahmen der rechtlichen Würdigung zum Rücktritt angestellten Erwägungen lassen besorgen, das Landgericht könne verkannt haben, welche Maßstäbe für das Vorliegen eines strafbefreienden Rücktritts anzulegen sind. Denn der beschriebene Eindruck und die unterstellte Vorstellung stellen keine Voraussetzungen für das Vorliegen des persönlichen Strafaufhebungsgrundes dar. Dies gilt entsprechend für die zusätzliche Erwägung, die Angeklagte habe annehmen dürfen, dass die beiden neben dem Opfer anwesenden Personen für lebenserhaltende medizinische Maßnahmen sorgen werden.
Die Teilaufhebung erfasst auch die - für sich gesehen rechtsfehlerfreie - Maßregelanordnung.
Winkler Miebach von Lienen Hubert RiBGH ist durch Urlaub
an der Unterschrift gehindert. Becker Winkler

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 337/11
vom
1. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Dezember
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt in der Verhandlung,
Staatsanwalt (GL) bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 9. Juni 2011 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Der näheren Erörterung bedarf lediglich die Frage, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Mord verneint hat.
2
I. Nach den Urteilsfeststellungen bat der Nebenkläger K. den Angeklagten in seine Wohnung, um durch ein Gespräch eine streitige Angelegenheit zu klären. In der Wohnung begannen der Angeklagte und der Nebenkläger alsbald erneut zu streiten. Daraufhin entschloss sich der Angeklagte spätestens jetzt, K. zu töten. Er zog ein versteckt gehaltenes Messer mit einer Klingenlänge von etwa 8 - 10 cm aus seiner Jackentasche und stieß es kraftvoll und gezielt in den Herzbereich des Geschädigten, wobei er bewusst dessen von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit ausnutzte. Die Messerklinge drang bis zum Heft in den Körper ein, eröffnete den Brustkorb und verletzte den Herzmuskel. Nachdem der Angeklagte das Messer wieder aus dem Brustkorb herausgezogen hatte und der Nebenkläger aufgestanden war, stach der Angeklagte ein zweites Mal mit dem Messer in Tötungsabsicht gezielt in Richtung des Herzens, traf aber nur das Brustbein.
3
Der Angeklagte, der davon ausging, alles zur Tötung des Nebenklägers Erforderliche getan zu haben, ging nun mit dem Messer in der Hand auf den Geschädigten Ki. zu, der sich ebenfalls in der Wohnung aufhielt. K. hängte sich daraufhin von hinten an den Rücken des Angeklagten, der mit dem vor ihm stehenden Ki. rangelte. Während der Rangelei stach der Angeklagte mit dem Messer in den Bauch des Geschädigten Ki. und verursachte eine Verletzung, die er nicht als lebensgefährlich ansah. In der Folgezeit gelang es K. und Ki. , einen Arm des Angeklagten so umzudrehen, dass dieser auf dem Boden fixiert war. Nachdem K. in das Wohnzimmer gegangen war, um telefonisch Hilfe zu holen, brach er verletzungsbedingt zusammen und begann so laut zu stöhnen, dass es der Angeklagte und Ki. deutlich hören konnten. Ki. ließ den Angeklagten los, sah nach K. , der stark blutete und nicht mehr ansprechbar war, und verließ die Wohnung, um Hilfe zu holen. Der Angeklagte, der die inzwischen eingetretene Handlungsunfähigkeit des K. bemerkte und deshalb "erst Recht" davon ausging, dass dieser versterben werde, steckte das auf den Boden gefallene Messer ein und floh.
4
II. Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Mord zum Nachteil des Geschädigten K. verneint und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
5
Es habe sich um einen beendeten Mordversuch gehandelt. Der Angeklagte müsse bemerkt haben, dass er das Messer mit erheblicher Kraft bis zum Heft in die Herzgegend des Zeugen K. gerammt habe. Bei einer derart gefährlichen Gewalthandlung liege es auf der Hand, dass er davon ausgegangen sei, sein Opfer lebensgefährlich verletzt zu haben. In der Folgezeit habe der Angeklagte seine Vorstellung über die Lebensgefährlichkeit der Verletzung nicht korrigiert und keine Rettungsbemühungen entfaltet. Jedenfalls müsse der Angeklagte - wie auch Ki. - die röchelnden Geräusche aus dem Wohnzimmer sowie den Umstand wahrgenommen haben, dass K. zusammengebrochen und nicht mehr in der Lage gewesen sei, einen Notruf abzusetzen. Daraus müsse er auf die vollständige Handlungsunfähigkeit infolge der ihm beigebrachten schweren Stichverletzung und damit deren Lebensgefährlichkeit geschlossen haben. Im Übrigen sei der Versuch auch fehlgeschlagen; denn als sich K. an seinen Rücken gehängt hatte und er gleichzeitig mit dem vor ihm stehenden Ki. gekämpft habe, sei dem Angeklagten klar gewesen, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln seinen ursprünglichen Tötungsvorsatz gegen K. gar nicht mehr hätte umsetzen können.
6
III. Die Überprüfung des Urteils hat im Ergebnis keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben. Dabei kann dahinstehen, ob die Überzeugung des Landgerichts, der Angeklagte sei im gesamten Zeitraum vom ersten Stich gegen K. bis zum Verlassen der Wohnung davon ausgegangen , dass dieser aufgrund der ihm zugefügten Verletzungen versterben könne, auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruht. Ebenso kann offenbleiben , ob die Auffassung des Landgerichts, es liege jedenfalls ein fehlge- schlagener Versuch vor, rechtlicher Überprüfung standhalten könnte. Denn das Landgericht ist ohne Rechtsfehler zu der Feststellung gelangt, dass der Angeklagte spätestens ab dem Moment, als K. röchelnd und handlungsunfähig im Wohnzimmer auf dem Boden lag, sich vorstellte, dieser könne infolge der ihm beigebrachten Stiche versterben. Damit lag zumindest in diesem Zeitpunkt ein beendeter Versuch vor, von dem der Angeklagte nur unter den Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. oder Satz 2 StGB hätte zurücktreten können. Diese hat er jedoch nicht erfüllt. Im Einzelnen:
7
1. Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont (BGH, Urteil vom 12. November 1987 - 4 StR 541/87, BGHSt 35, 90, 91 f.; BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Bei einem Tötungsdelikt liegt demgemäß ein unbeendeter Versuch vor, bei dem allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch führt, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich oder zumindest ausreichend ist (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Ein beendeter Tötungsversuch, bei dem er für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist hingegen anzunehmen, wenn der Täter den Eintritt des Todes bereits für möglich hält (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227; BGH, Beschluss vom 21. März 2001 - 3 StR 535/00) oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht (BGH, Urteil vom 2. November 1994 - 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdeliktes ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtüm- lich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 225 f.; BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1991 - 3 StR 321/91, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 25). Rechnet der Täter dagegen zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang, so liegt eine umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizonts vor, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat. In diesem Fall ist ein beendeter Versuch gegeben, wenn sich die Vorstellung des Täters bei fortbestehender Handlungsmöglichkeit sogleich nach der letzten Tathandlung in engstem räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dieser ändert (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 226; BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146).
8
2. Nach diesen Maßstäben war der Mordversuch an K. beendet, als der Angeklagte in der Vorstellung die Wohnung verließ, sein Opfer könne aufgrund der Stiche versterben.
9
a) Die Feststellungen des Landgerichts zum Vorstellungsbild des Angeklagten in diesem Zeitpunkt sind rechtsfehlerfrei getroffen. Wie der Generalbundesanwalt im Ausgangspunkt zutreffend darlegt, sind die diesbezüglichen Äußerungen des Landgerichts allerdings insoweit bedenklich, als sie darauf abstellen, der Angeklagte "müsse" wahrgenommen haben, dass K. im Wohnzimmer röchelnd zusammengebrochen sei; denn entscheidend ist nicht, was er wahrnehmen oder womit er rechnen musste, sondern das, was er tatsächlich wahrnahm und welche Folgerungen er daraus zog. Danach sind Erwägungen , wie sie das Landgericht angestellt hat, zumindest missverständlich und können im Einzelfall sogar einen durchgreifenden Rechtsfehler in der Be- weiswürdigung begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2007 - 3 StR 179/07, NStZ 2007, 634 f.).
10
So liegt es hier indessen nicht. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe hat sich das Landgericht nicht nur davon überzeugt, dass es sich nach der konkreten Situation aufdrängte, der Angeklagte habe das Zusammenbrechen und Röcheln K. s wahrgenommen, sondern auch, dass er diese Wahrnehmung tatsächlich machte und daraus den Schluss auf das mögliche Versterben K. s wirklich zog. Denn das Landgericht zieht in seine Überlegungen nicht nur die objektiven Umstände und Abläufe ein, sondern stützt sich gerade auch darauf, dass Ki. die Entwicklung des Zustands von K. schon bemerkte, als er noch im Wohnungsflur den Angeklagten am Boden fixierte und sich gerade deswegen in das Wohnzimmer begab, um nach dem Tatopfer zu sehen. Daraus wird noch hinreichend deutlich, dass das Landgericht aus der Wahrnehmung Ki. s geschlossen hat, auch dem in dessen unmittelbarer Nähe befindlichen Angeklagten sei das Zusammenbrechen und Röcheln K. s nicht verborgen geblieben. Soweit es daraus weitergehend gefolgert hat, der Angeklagte habe jedenfalls jetzt erkannt, dass seine Stiche zum Tod K. s führen können, ist dagegen rechtlich ebenfalls nichts zu erinnern.
11
b) Sollte der Angeklagte aufgrund des Verhaltens des K. , insbesondere dessen Beteiligung an der Rangelei, zwischendurch zu der Vorstellung gekommen sein, es bestehe für diesen doch keine Lebensgefahr, so lag in dem rechtsfehlerfrei festgestellten erneuten Wechsel im Vorstellungsbild des Angeklagten eine nochmalige Korrektur des Rücktrittshorizonts, die zum Vorliegen eines beendeten Versuchs führt. Der erforderliche enge zeitliche und räumliche Zusammenhang zwischen den zwei Messerstichen und dem Wechsel des Vorstellungsbildes (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 226; BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146) lag noch vor. Nach den Feststellungen vergingen vom Zeitpunkt der Stiche bis zum Zusammenbruch des Tatopfers im Wohnzimmer nur wenige Sekunden, maximal eine Minute. Es handelte sich um ein ohne wesentliche Zwischenakte ablaufendes dynamisches Geschehen. Ein fehlender enger zeitlicher Zusammenhang mit einer Tötungshandlung ist von der Rechtsprechung demgegenüber erst bei einer deutlich länger andauernden Zäsur von 15 (BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146) bzw. zehn Minuten (BGH, Urteil vom 15. Juni 1988 - 2 StR 157/88, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 15) angenommen worden.
12
Da der Tod K. s ohne das Zutun des Angeklagten ausblieb und der Angeklagte auch keine Bemühungen entfaltete, den Todeseintritt zu verhindern , erweist sich der Schuldspruch wegen versuchten Mordes somit letztlich als rechtfehlerfrei. Becker von Lienen Schäfer Mayer Menges

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 367/11
vom
9. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 9. August 2011 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 23. März 2011 1. mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall B. 5.) der Urteilsgründe wegen versuchter Nötigung rechtlich zusammentreffend mit Beleidigung verurteilt worden ist; 2. mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts München vom 26. Oktober 2010 zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden ist. II. Die weiter gehende Revision wird verworfen. III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Der Angeklagte wurde vom Landgericht München I wegen Nötigung, Fahrens ohne Fahrerlaubnis in fünf Fällen, einer weiteren Nötigung rechtlich zusammentreffend mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, mit Fahren ohne Fahrerlaubnis, mit einem weiteren Fall der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs, mit einer weiteren Nötigung und mit Beleidigung, sachlich zusammentreffend mit einer versuchten Nötigung, diese rechtlich zusammentreffend mit Beleidigung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts München vom 15. Februar 2010 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts München vom 26. Oktober 2010 zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Zugleich wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von drei Jahren und sechs Monaten festgesetzt. Seine hiergegen eingelegte Revision hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.


2
Nach den vom Landgericht im Fall B. 5.) der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen forderte der Angeklagte die Zeugin A. auf, ihm ein I-Phone herauszugeben, das er ihr einige Zeit zuvor geliehen hatte. Die Zeugin A. befand sich zu diesem Zeitpunkt in Begleitung des Zeugen S. . Nachdem er eine von der Zeugin mitgeführte Tasche durchsucht hatte, ohne das I- Phone finden zu können, beschimpfte er die Zeugin mit den Worten: „Du Schlampe, du Miststück“. Anschließend zog er eine geladene Schreckschuss- pistole aus dem Hosenbund und richtete sie auf den Unterkörper des Zeugen S. . Zugleich forderte er den Zeugen auf, sich „zu verpissen“ und drohte ihn „abzuknallen“. Dabei kam es dem Angeklagten darauf an, wegen des I- Phones allein mit der Zeugin A. reden zu können. Die Zeugin A. drückte die Hand des Angeklagten, in der er die Pistole führte, nach unten und bat ihn aufzuhören und zur Vernunft zu kommen. Daraufhin steckte der Angeklagte die Schreckschusspistole wieder in seinen Hosenbund. Der Zeuge S. entfernte sich, nachdem ihn die Zeugin A. dazu aufgefordert hatte und verständigte die Polizei. Bis zu deren Eintreffen unterhielt sich die Zeugin A. weiter mit dem Angeklagten, der dabei seine Waffe entlud.
3
Das Landgericht hat das auf das I-Phone gerichtete „Herausgabeverlangen unter Vorhaltung einer Waffe“ als versuchte Nötigung gewertet und in den Beschimpfungen der Zeugin A. eine in Tateinheit hierzu begangene Beleidigung gesehen.

II.


4
Die Feststellungen des Landgerichts tragen die Verurteilung wegen versuchter Nötigung nicht, weil ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch in Betracht kommt.
5
Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative StGB wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. Voraussetzung ist, dass der Täter zu diesem Zeitpunkt (Rücktrittshorizont) noch nicht mit einem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges rechnet (unbeendeter Versuch), seine Herbeiführung aber noch für möglich hält (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227f.). Außerdem muss die Aufgabe der weiteren Tatausführung freiwillig erfolgen, also auf einer autonom getroffenen Willensentscheidung beruhen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Februar 2007 – 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399, 400). Autonom ist jede Rücktrittsentscheidung, die dem Täter nicht durch die gegebenen Umstände aufgezwungen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 1956 – 5 StR 352/55, BGHSt 9, 48, 51; Urteil vom 17. Dezember 1992 – 4 StR 532/92, NStZ 1993, 279). Die Tatsache, dass sich ein affektiv erregter Täter erst unter dem beruhigenden Einfluss eines Dritten zur Aufgabe der weiteren Tatausführung entschlossen hat, stellt für sich genommen die Autonomie seiner Entscheidung nicht in Frage (BGH, Urteil vom 10. November 1987 – 5 StR 534/87, NStZ 1988, 69, 70; Urteil vom 14. April 1955 – 4 StR 16/55, BGHSt 7, 296, 299).
6
Der Angeklagte hat die zur Bedrohung des Zeugen S. verwendete Pistole wieder in den Hosenbund gesteckt, nachdem die Zeugin A. seine Hand nach unten gedrückt und beruhigend auf ihn eingeredet hatte. Zu diesem Zeitpunkt war der Zeuge S. der Aufforderung des Angeklagten sich zu entfernen, noch nicht nachgekommen. Bei dieser Sachlage wäre es erforderlich gewesen, einen strafbefreienden Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB zu prüfen und weitere Feststellungen insbesondere zum Vorstellungsbild des Angeklagten zu treffen. Dies ist nicht geschehen. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.

III.


7
Die nach § 55 Abs. 1 StGB mit den Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts München vom 26. Oktober 2010 gebildete Gesamtstrafe war schon deshalb aufzuheben, weil die Verurteilung wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung keinen Bestand hat.
8
Auch hat das Landgericht bei der Bestimmung der zweiten Gesamtstrafe nicht erkennbar in seine Erwägungen einbezogen, dass aufgrund der Zäsurwirkung des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts München vom 15. Februar 2010 nicht im Ganzen auf eine einheitliche Gesamtstrafe erkannt werden konnte. Wird wegen einer Zäsurwirkung die Verhängung zweier oder mehrerer getrennter Strafen erforderlich, darf dies nicht dazu führen, dass die Strafen in ihrer Gesamtheit nicht mehr in einem schuldangemessenen Verhältnis zu den Straftaten stehen. Führt die Bildung mehrerer Gesamtstrafen zu einem zu hohen Gesamtstrafenübel, ist der darin liegende Nachteil auszugleichen. Das Gericht muss erkennen lassen, dass es sich dieser Sachlage bewusst war und darlegen, warum das Gesamtmaß der Strafen schuldangemessen ist (BGH, Beschluss vom 9. November 1995 – 4 StR 650/95, BGHSt 41, 310, 312f.; SSWStGB /Eschelbach § 55 Rn. 21).

IV.

9
Die weiter gehende Revision ist offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
10
Die Maßregelanordnungen nach den §§ 69, 69a StGB konnten bestehen bleiben, weil sie an die rechtsfehlerfreien Schuldsprüche wegen der unter B. 1.) bis 4.) festgestellten Taten anknüpfen. Der neue Tatrichter kann die unterbliebene Einziehung des Führerscheins ohne Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius nachholen (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 1953 – 3 StR 504/53, BGHSt 5, 168, 178).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
RiBGH Bender ist infolge Urlaubs ortsabwesend und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 337/11
vom
1. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Dezember
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt in der Verhandlung,
Staatsanwalt (GL) bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 9. Juni 2011 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Der näheren Erörterung bedarf lediglich die Frage, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Mord verneint hat.
2
I. Nach den Urteilsfeststellungen bat der Nebenkläger K. den Angeklagten in seine Wohnung, um durch ein Gespräch eine streitige Angelegenheit zu klären. In der Wohnung begannen der Angeklagte und der Nebenkläger alsbald erneut zu streiten. Daraufhin entschloss sich der Angeklagte spätestens jetzt, K. zu töten. Er zog ein versteckt gehaltenes Messer mit einer Klingenlänge von etwa 8 - 10 cm aus seiner Jackentasche und stieß es kraftvoll und gezielt in den Herzbereich des Geschädigten, wobei er bewusst dessen von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit ausnutzte. Die Messerklinge drang bis zum Heft in den Körper ein, eröffnete den Brustkorb und verletzte den Herzmuskel. Nachdem der Angeklagte das Messer wieder aus dem Brustkorb herausgezogen hatte und der Nebenkläger aufgestanden war, stach der Angeklagte ein zweites Mal mit dem Messer in Tötungsabsicht gezielt in Richtung des Herzens, traf aber nur das Brustbein.
3
Der Angeklagte, der davon ausging, alles zur Tötung des Nebenklägers Erforderliche getan zu haben, ging nun mit dem Messer in der Hand auf den Geschädigten Ki. zu, der sich ebenfalls in der Wohnung aufhielt. K. hängte sich daraufhin von hinten an den Rücken des Angeklagten, der mit dem vor ihm stehenden Ki. rangelte. Während der Rangelei stach der Angeklagte mit dem Messer in den Bauch des Geschädigten Ki. und verursachte eine Verletzung, die er nicht als lebensgefährlich ansah. In der Folgezeit gelang es K. und Ki. , einen Arm des Angeklagten so umzudrehen, dass dieser auf dem Boden fixiert war. Nachdem K. in das Wohnzimmer gegangen war, um telefonisch Hilfe zu holen, brach er verletzungsbedingt zusammen und begann so laut zu stöhnen, dass es der Angeklagte und Ki. deutlich hören konnten. Ki. ließ den Angeklagten los, sah nach K. , der stark blutete und nicht mehr ansprechbar war, und verließ die Wohnung, um Hilfe zu holen. Der Angeklagte, der die inzwischen eingetretene Handlungsunfähigkeit des K. bemerkte und deshalb "erst Recht" davon ausging, dass dieser versterben werde, steckte das auf den Boden gefallene Messer ein und floh.
4
II. Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Mord zum Nachteil des Geschädigten K. verneint und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
5
Es habe sich um einen beendeten Mordversuch gehandelt. Der Angeklagte müsse bemerkt haben, dass er das Messer mit erheblicher Kraft bis zum Heft in die Herzgegend des Zeugen K. gerammt habe. Bei einer derart gefährlichen Gewalthandlung liege es auf der Hand, dass er davon ausgegangen sei, sein Opfer lebensgefährlich verletzt zu haben. In der Folgezeit habe der Angeklagte seine Vorstellung über die Lebensgefährlichkeit der Verletzung nicht korrigiert und keine Rettungsbemühungen entfaltet. Jedenfalls müsse der Angeklagte - wie auch Ki. - die röchelnden Geräusche aus dem Wohnzimmer sowie den Umstand wahrgenommen haben, dass K. zusammengebrochen und nicht mehr in der Lage gewesen sei, einen Notruf abzusetzen. Daraus müsse er auf die vollständige Handlungsunfähigkeit infolge der ihm beigebrachten schweren Stichverletzung und damit deren Lebensgefährlichkeit geschlossen haben. Im Übrigen sei der Versuch auch fehlgeschlagen; denn als sich K. an seinen Rücken gehängt hatte und er gleichzeitig mit dem vor ihm stehenden Ki. gekämpft habe, sei dem Angeklagten klar gewesen, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln seinen ursprünglichen Tötungsvorsatz gegen K. gar nicht mehr hätte umsetzen können.
6
III. Die Überprüfung des Urteils hat im Ergebnis keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben. Dabei kann dahinstehen, ob die Überzeugung des Landgerichts, der Angeklagte sei im gesamten Zeitraum vom ersten Stich gegen K. bis zum Verlassen der Wohnung davon ausgegangen , dass dieser aufgrund der ihm zugefügten Verletzungen versterben könne, auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruht. Ebenso kann offenbleiben , ob die Auffassung des Landgerichts, es liege jedenfalls ein fehlge- schlagener Versuch vor, rechtlicher Überprüfung standhalten könnte. Denn das Landgericht ist ohne Rechtsfehler zu der Feststellung gelangt, dass der Angeklagte spätestens ab dem Moment, als K. röchelnd und handlungsunfähig im Wohnzimmer auf dem Boden lag, sich vorstellte, dieser könne infolge der ihm beigebrachten Stiche versterben. Damit lag zumindest in diesem Zeitpunkt ein beendeter Versuch vor, von dem der Angeklagte nur unter den Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. oder Satz 2 StGB hätte zurücktreten können. Diese hat er jedoch nicht erfüllt. Im Einzelnen:
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1. Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont (BGH, Urteil vom 12. November 1987 - 4 StR 541/87, BGHSt 35, 90, 91 f.; BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Bei einem Tötungsdelikt liegt demgemäß ein unbeendeter Versuch vor, bei dem allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch führt, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich oder zumindest ausreichend ist (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Ein beendeter Tötungsversuch, bei dem er für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist hingegen anzunehmen, wenn der Täter den Eintritt des Todes bereits für möglich hält (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227; BGH, Beschluss vom 21. März 2001 - 3 StR 535/00) oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht (BGH, Urteil vom 2. November 1994 - 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdeliktes ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtüm- lich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 225 f.; BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1991 - 3 StR 321/91, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 25). Rechnet der Täter dagegen zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang, so liegt eine umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizonts vor, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat. In diesem Fall ist ein beendeter Versuch gegeben, wenn sich die Vorstellung des Täters bei fortbestehender Handlungsmöglichkeit sogleich nach der letzten Tathandlung in engstem räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dieser ändert (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 226; BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146).
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2. Nach diesen Maßstäben war der Mordversuch an K. beendet, als der Angeklagte in der Vorstellung die Wohnung verließ, sein Opfer könne aufgrund der Stiche versterben.
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a) Die Feststellungen des Landgerichts zum Vorstellungsbild des Angeklagten in diesem Zeitpunkt sind rechtsfehlerfrei getroffen. Wie der Generalbundesanwalt im Ausgangspunkt zutreffend darlegt, sind die diesbezüglichen Äußerungen des Landgerichts allerdings insoweit bedenklich, als sie darauf abstellen, der Angeklagte "müsse" wahrgenommen haben, dass K. im Wohnzimmer röchelnd zusammengebrochen sei; denn entscheidend ist nicht, was er wahrnehmen oder womit er rechnen musste, sondern das, was er tatsächlich wahrnahm und welche Folgerungen er daraus zog. Danach sind Erwägungen , wie sie das Landgericht angestellt hat, zumindest missverständlich und können im Einzelfall sogar einen durchgreifenden Rechtsfehler in der Be- weiswürdigung begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2007 - 3 StR 179/07, NStZ 2007, 634 f.).
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So liegt es hier indessen nicht. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe hat sich das Landgericht nicht nur davon überzeugt, dass es sich nach der konkreten Situation aufdrängte, der Angeklagte habe das Zusammenbrechen und Röcheln K. s wahrgenommen, sondern auch, dass er diese Wahrnehmung tatsächlich machte und daraus den Schluss auf das mögliche Versterben K. s wirklich zog. Denn das Landgericht zieht in seine Überlegungen nicht nur die objektiven Umstände und Abläufe ein, sondern stützt sich gerade auch darauf, dass Ki. die Entwicklung des Zustands von K. schon bemerkte, als er noch im Wohnungsflur den Angeklagten am Boden fixierte und sich gerade deswegen in das Wohnzimmer begab, um nach dem Tatopfer zu sehen. Daraus wird noch hinreichend deutlich, dass das Landgericht aus der Wahrnehmung Ki. s geschlossen hat, auch dem in dessen unmittelbarer Nähe befindlichen Angeklagten sei das Zusammenbrechen und Röcheln K. s nicht verborgen geblieben. Soweit es daraus weitergehend gefolgert hat, der Angeklagte habe jedenfalls jetzt erkannt, dass seine Stiche zum Tod K. s führen können, ist dagegen rechtlich ebenfalls nichts zu erinnern.
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b) Sollte der Angeklagte aufgrund des Verhaltens des K. , insbesondere dessen Beteiligung an der Rangelei, zwischendurch zu der Vorstellung gekommen sein, es bestehe für diesen doch keine Lebensgefahr, so lag in dem rechtsfehlerfrei festgestellten erneuten Wechsel im Vorstellungsbild des Angeklagten eine nochmalige Korrektur des Rücktrittshorizonts, die zum Vorliegen eines beendeten Versuchs führt. Der erforderliche enge zeitliche und räumliche Zusammenhang zwischen den zwei Messerstichen und dem Wechsel des Vorstellungsbildes (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 226; BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146) lag noch vor. Nach den Feststellungen vergingen vom Zeitpunkt der Stiche bis zum Zusammenbruch des Tatopfers im Wohnzimmer nur wenige Sekunden, maximal eine Minute. Es handelte sich um ein ohne wesentliche Zwischenakte ablaufendes dynamisches Geschehen. Ein fehlender enger zeitlicher Zusammenhang mit einer Tötungshandlung ist von der Rechtsprechung demgegenüber erst bei einer deutlich länger andauernden Zäsur von 15 (BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146) bzw. zehn Minuten (BGH, Urteil vom 15. Juni 1988 - 2 StR 157/88, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 15) angenommen worden.
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Da der Tod K. s ohne das Zutun des Angeklagten ausblieb und der Angeklagte auch keine Bemühungen entfaltete, den Todeseintritt zu verhindern , erweist sich der Schuldspruch wegen versuchten Mordes somit letztlich als rechtfehlerfrei. Becker von Lienen Schäfer Mayer Menges

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.