Bundesgerichtshof Beschluss, 12. März 2013 - 4 StR 337/12
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Am 12. Juli 2011 verurteilte das Landgericht Essen (II. Große Strafkammer ) den Angeklagten A. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäu- bungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen (Fälle II. 1. b., II. 4., II. 5. und II. 7. der Urteilsgründe), davon in drei Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fälle II. 4., II. 5. und II. 7. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten und sprach ihn im Übrigen frei. Der Angeklagte P. wurde wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (Fälle II. 1. b. und II. 7. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den nicht revidierenden Angeklagten R. verurteilte das Landgericht wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (Fälle II. 4. und II. 5. der Urteilsgründe), davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II. 5. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren.
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- Der Senat hob dieses Urteil mit Beschluss vom 7. Dezember 2011 (4 StR 517/11) hinsichtlich der Angeklagten A. und R. im Fall II. 5. der Urteilsgründe im Schuldspruch mit den Feststellungen auf. Außerdem wurden bei den Angeklagten A. , R. und P. alle (weiteren) Einzelstrafen und die jeweils verhängte Gesamtstrafe mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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- Das Landgericht Essen (VI. Große Strafkammer) hat nunmehr den Angeklagten A. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Fall II. 1. b. der Urteilsgründe) sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fälle II. 4. und II. 7. der Urteilsgründe) und in einem Fall in Tateinheit mit versuchter unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II. 5. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten, den Angeklagten P. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen (Fälle II. 1. b. und II. 7. der Urteilsgründe ), davon in einem Fall in nicht geringer Menge (Fall II. 7. der Urteilsgründe ), zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten R. wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (Fälle II. 4. undII. 5. der Urteilsgründe), davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II. 5. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die hiergegen eingelegte, auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten A. und die unbeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten P. haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg und führen zu einer Erstreckung der Aufhebung auf den nicht revidierenden Angeklagten R. (§ 357 Satz 1 StPO).
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- 1. Der Senat stellt das Verfahren im Fall II. 1. b. der Urteilsgründe auf Antrag des Generalbundesanwalts nach § 154 Abs. 2 StPO hinsichtlich der Angeklagten A. und P. ein, weil die für diese Tat jeweils zu erwartende Einzelstrafe neben der zu erwartenden Strafe für die übrigen Taten nicht mehr wesentlich ins Gewicht fällt. Der Umstand, dass der Angeklagte A. seine Revision auf den Strafausspruch beschränkt hat, steht der Verfahrenseinstellung nicht entgegen (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 4 StR 633/10, StraFo 2011, 184; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 154 Rn. 19).
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- 2. Soweit die Angeklagten A. und R. im Fall II. 5. der Urteilsgründe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit versuchter unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (A. ) bzw. Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (R. ) verurteilt worden sind, hat das Urteil keinen Bestand, weil das Landgericht keine den Schuldspruch tragenden Feststellungen getroffen hat.
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- a) Der Senat hat mit Beschluss vom 7. Dezember 2011 (4 StR 517/11) das im ersten Durchgang ergangene Urteil vom 12. Juli 2011 im Fall II. 5. der Urteilsgründe hinsichtlich beider Angeklagter im Schuldspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben (§ 353 Abs. 2 StPO). Danach konnte ein erneuter Schuldspruch nur auf der Grundlage von neuen, in prozessordnungsgemäßer Weise getroffenen Feststellungen ergehen. Hieran fehlt es, weil das Landgericht nach der Zurückverweisung rechtsfehlerhaft davon ausgegangen ist, dass es auch im Fall II. 5. der Urteilsgründe von den (insoweit aufgehobenen ) Feststellungen zur Sache im Urteil vom 12. Juli 2011 „auszugehen“ (UA 5 bis 7) und diese seiner Entscheidung unverändert zugrunde zu legen habe. Es hat deshalb die Feststellungen aus dem Urteil vom 12. Juli 2011 in die Urteilsgründe hineinkopiert und in Bezug auf Fall II. 5. lediglich die „ergänzende Feststellung“ getroffen (UA 11 und 12), dass es sich bei dem von dem Angeklagten A. zusammen mit dem früheren Mitangeklagten S. und unter Mithilfe des Angeklagten R. in den Niederlanden angekauften und nach Deutschland verbrachten Gemisch nicht um eine Amphetaminzubereitung, sondern um ein Falsifikat gehandelt habe. Zwar wird im Rahmen der Beweiswürdigung mitgeteilt, dass sich die Angeklagten erneut geständig eingelassen und die Feststellungen zu den einzelnen Taten im Urteil vom 12. Juli 2011 bestätigt haben (UA 13), doch kann dem angesichts der eindeutigen Formulierungen auf UA 5, 7 und 11 nicht entnommen werden, dass sich das Landgericht doch seiner umfassenden Kognitionspflicht bewusst war und im Fall II. 5. lediglich gleichlautende eigene Feststellungen zur Sache getroffen hat.
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- b) Da sich allein auf der Grundlage der „ergänzenden Feststellung“ die Art und der Umfang der Schuld nicht erkennen lässt, ist die von dem Angeklagten A. erklärte Beschränkung seiner Revision auf den Rechtsfolgenausspruch insoweit unwirksam und steht deshalb der Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 5. der Urteilsgründe nicht entgegen (BGH, Urteil vom 4. November 1997 – 1 StR 273/97, BGHSt 43, 293, 300; Beschluss vom 14. Juli 1993 – 3 StR 334/93, NStZ 1994, 130).
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- 3. Der Strafausspruch ist bei allen Angeklagten insgesamt aufzuheben, weil das Landgericht keine eigenen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen und zu den Vorstrafen der Angeklagten getroffen hat.
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- Durch den Beschluss des Senats vom 7. Dezember 2011 wurden bei den Angeklagten alle (weiteren) gegen sie verhängten Einzelstrafen und die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Dadurch sind sämtliche Feststellungen entfallen, die für die Rechtsfolgenseite von Bedeutung sind und die nicht als sog. doppelrelevante Tatsachen auch zum Unterbau der aufrechterhaltenen Schuldsprüche gehören (BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2003 – 4 StR 467/03, NStZ-RR 2005, 66 bei Becker; Urteil vom 15. April 1997 – 5 StR 24/97, NStZ-RR 1997, 237). Es wäre daher die Aufgabe des neuen Tatrichters gewesen, bei allen Angeklagten in prozessordnungsgemäßer Weise neue Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen sowie den Vorstrafen zu treffen und diese in den Urteilsgründen mitzuteilen (BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2003 – 4 StR 467/03, NStZ-RR 2005, 66 bei Becker; KK-StPO/ Kuckein, 6. Aufl., § 353 Rn. 30 mwN). Dies ist nicht geschehen. Stattdessen hat sich das Landgericht auch hier an die aufgehobenen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten und ihren Vorstrafen im Urteil vom 12. Juli 2011 gebunden gesehen (UA 5 ff.) und lediglich ergänzende Feststellungen getroffen (UA 11).
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- 4. Die Urteilsaufhebung bei dem Angeklagten R. beruht auf § 357 Satz 1 StPO, weil die aufgezeigten Rechtsfehler auch ihn betreffen und sich zugunsten der revidierenden Angeklagten auswirken. Die weiter gehende Revision des Angeklagten P. ist offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Bender Quentin
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(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,
- 1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder - 2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.
(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.
(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.
(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.
Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.
(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,
- 1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder - 2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.
(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.
(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.
(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.
Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.