Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Sept. 2000 - 4 StR 337/00
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Beschuldigten ist unzulässig.
Der Beschuldigte hat im Anschluß an die Urteilsverkündung und nach einer Rechtsmittelbelehrung - ebenso wie sein Verteidiger und die Vertreterin der Staatsanwaltschaft - auf die Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil verzichtet. Die Erklärung ist ihm, wie sich aus der Sitzungsniederschrift ergibt , vorgelesen und von ihm genehmigt worden. Damit ist sie bewiesen (§ 274 StPO).
Der Verzicht auf Rechtsmittel kann nicht widerrufen, wegen Irrtums angefochten oder sonst zurückgenommen werden (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 302 Rdn. 21 m.w.N.); er setzt allerdings Verhandlungsfähigkeit des Erklärenden voraus (BGH NStZ 1999, 526, 527). Ob er verhandlungsfähig
war, ist vom Revisionsgericht im Freibeweisverfahren zu klären (BGH NStZ 1999, 258). Die Verhandlungsfähigkeit ist hier indes zu bejahen:
Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß dem Beschuldigten im Hinblick auf seinen geistigen Zustand die genügende Einsichtsfähigkeit für seine Prozeßhandlung und deren Tragweite gefehlt hätte. Zwar hat das Tatgericht bei dem Beschuldigten eine krankhafte seelische Störung in Form eines paranoiden Wahns festgestellt und die Voraussetzungen des § 20 StGB für die Tatzeit bejaht. Dadurch wird jedoch die nach anderen Grundsätzen zu beurteilende prozessuale Fähigkeit, sich sachgerecht zu verteidigen und Verfahrenshandlungen in ihrer Wirkung und Bedeutung zu erfassen, nicht infrage gestellt. Weder aus den Urteilsgründen noch aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt sich irgendein Hinweis darauf, daß Bedenken an der Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten bestanden haben. Er hat aktiv an der Verhandlung mitgewirkt und Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und zur Sache gemacht. Wenn während der Verhandlung, die in Anwesenheit zweier psychiatrischer Sachverständiger stattgefunden hat, das Landgericht keine Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten hatte und auch solche von dem Verteidiger nicht geäußert wurden, kann die Verhandlungsfähigkeit grundsätzlich auch vom Revisionsgericht bejaht werden (BGH NStZ 1999, 526, 527).
Die trotz wirksamen Rechtsmittelverzichts eingelegte Revision ist unzulässig und muß verworfen werden.
Meyer-Goßner Maatz Kuckein Athing Ernemann
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.