Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Sept. 2015 - 4 StR 301/15

bei uns veröffentlicht am23.09.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR301/15
vom
23. September 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat zu 1. mit Zustimmung des Generalbundesanwalts
und im Übrigen nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 23. September 2015 gemäß §§ 154a Abs. 2,
349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Das Verfahren wird gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf die Vorwürfe des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und des sexuellen Missbrauchs eines Kindes beschränkt. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 20. Januar 2015
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und des sexuellen Missbrauchs eines Kindes schuldig ist;
b) im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 4. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Vergewaltigung und wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verfahrensbeschwerde dringt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 10. Juli 2015 nicht durch.
3
2. Der Senat nimmt mit Zustimmung des Generalbundesanwalts die Vorwürfe der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung (§ 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 StGB) von der Verfolgung aus und beschränkt insoweit das Verfahren auf den Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§ 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB aF – Fall II. 1) bzw. des sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB aF – Fall II. 2). Der Senat könnte die Verurteilung in diesen Fällen nicht bestätigen, weil das Landgericht keinerlei Feststellungen zum subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten getroffen hat. Insbesondere ist nicht festgestellt, dass der Angeklagte das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der Schutzlosigkeit seiner Opfer als Bedingung für das Erreichen seiner sexuellen Handlungen erkannt und im Sinne eines bedingten Vorsatzes billigend in Kauf genommen hat, dass diese gerade wegen ihrer Schutzlosigkeit auf Widerstand verzichteten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Februar 2013 – 4 StR 544/12, NStZ-RR 2013, 207, 208; vom 8. November 2011 – 4 StR 445/11, NStZ 2012, 268; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 368).
4
Bei dieser Sachlage und der gegebenen Beweislage erscheint es dem Senat auch aus Gründen des Opferschutzes sachgerecht, das Verfahren wie geschehen zu beschränken, um den Geschädigten eine weitere, sie psychisch belastende Aussage in einer neuen Hauptverhandlung zu ersparen.
5
Der Senat ändert den Schuldspruch deshalb dahin, dass der Vorwurf der (tateinheitlich begangenen) Vergewaltigung bzw. sexuellen Nötigung entfällt.
6
3. Die der Beschränkung gemäß § 154a Abs. 2 StPO folgende Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der Einzelfreiheitsstrafen und der Gesamtstrafe.
7
4. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils auf Grund der Sachbeschwerde keinen weiteren Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke Bender Quentin

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


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Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


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Strafgesetzbuch - StGB | § 176 Sexueller Missbrauch von Kindern


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Strafprozeßordnung - StPO | § 154a Beschränkung der Verfolgung


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Strafgesetzbuch - StGB | § 176a Sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind


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Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2013 - 4 StR 544/12

bei uns veröffentlicht am 27.02.2013

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 445/11 vom 8. November 2011 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. November 2011 gemäß

Referenzen

(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind,

1.
für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder
2.
neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat,
nicht beträchtlich ins Gewicht, so kann die Verfolgung auf die übrigen Teile der Tat oder die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt werden. § 154 Abs. 1 Nr. 2 gilt entsprechend. Die Beschränkung ist aktenkundig zu machen.

(2) Nach Einreichung der Anklageschrift kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen.

(3) Das Gericht kann in jeder Lage des Verfahrens ausgeschiedene Teile einer Tat oder Gesetzesverletzungen in das Verfahren wieder einbeziehen. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einbeziehung ist zu entsprechen. Werden ausgeschiedene Teile einer Tat wieder einbezogen, so ist § 265 Abs. 4 entsprechend anzuwenden.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder
3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 544/12
vom
27. Februar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 27. Februar 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 27. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Bedrohung verurteilt worden ist (Fall II. 2 der Urteilsgründe),
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Bedrohung, wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen.
2
Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts durch Ablehnung des Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Aussage der Geschädigten Ö. -D. hat aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 19. Dezember 2012 keinen Erfolg.

II.


4
1. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung (Fall II. 1 der Urteilsgründe) sowie wegen gefährlicher Körperverletzung (Fall II. 3 der Urteilsgründe) verurteilt hat, hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
5
2. Die Verurteilung wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Bedrohung (Fall II. 2 der Urteilsgründe) kann indes nicht bestehen bleiben.
6
a) Insoweit hat die Strafkammer im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
7
Am 25. Juni 2011 gegen 14.30 Uhr wollte die Ehefrau des Angeklagten, die Geschädigte Ö. -D. , die Familienwohnung verlassen, um sich mit ihrem neuen Lebensgefährten zu treffen, weshalb es zum wiederholten Male zu einem heftigen Streit mit dem Angeklagten kam, der sie zu einer Wiederaufnahme der ehelichen Beziehung überreden wollte. Nachdem die Geschädigte sich geweigert hatte, die Beziehung zu ihrem neuen Lebensgefährten aufzugeben , schloss der Angeklagte die Wohnungstür ab und nahm der Geschädigten ihren Wohnungsschlüssel sowie ihr Mobiltelefon ab, um sie so am Verlassen der Wohnung zu hindern. Er drohte ihr an, sie nunmehr umzubringen, was die verängstigte Zeugin in dieser Situation auch glaubte, schleifte sie ins Wohnzimmer und warf sie auf die Couch, auf der bereits ihr stark verängstigter, sechs Jahre alter Sohn saß. Wegen des unter II. 1 der Urteilsgründe festgestellten Vorfalls, bei dem der Angeklagte die Geschädigte mit Faustschlägen und Tritten gegen Oberkörper und Kopf derart misshandelt hatte, dass sie sich in stationäre Behandlung hatte begeben müssen, hatte sie nach wie vor große Angst vor ihm. Deshalb kam sie seiner Aufforderung nach, gegenüber ihrem Sohn die Schuld für die Beziehungsprobleme zwischen ihr und dem Angeklagten zu übernehmen und ihrem neuen Lebensgefährten mitzuteilen, dass man sich nicht mehr sehen werde; für das erforderliche Telefonat erhielt die Geschädigte vom Angeklagten kurzfristig ihr Mobiltelefon zurück. Möglichkeiten, Hilfe zu holen, bestanden während dieses Vorfalles nicht. Das im Schlafzimmer befindliche Festnetztelefon war für die Geschädigte nicht erreichbar, Hilfeschreie unterließ sie, weil sie unter anderem Angst vor weiteren Schlägen des Angeklagten hatte.
8
Nunmehr zog der Angeklagte die Geschädigte ins Schlafzimmer und forderte sie auf, sich zu entkleiden, während der Sohn verängstigt im Wohnzimmer zurückblieb. Dem folgte die Geschädigte aus Angst vor dem Angeklagten; sie ging davon aus, dass dieser an ihrem Körper nach Spuren sexueller Handlungen suchen wollte und möglicherweise vorhatte, sie zu verprügeln. Erst auf die Aufforderung hin, sich aufs Bett zu legen, erkannte die Geschädigte, dass der Angeklagte beabsichtigte, nun gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr zu vollziehen, woraufhin sie äußerte: „Bitte nicht!“ und zu weinen begann. Sie fügte sich jedoch dem Wunsch des Angeklagten aus Angst vor Schlägen. Dieser vollzog daraufhin mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss.
9
b) Die Annahme des Landgerichts, das Verhalten des Angeklagten erfülle die Voraussetzungen einer Vergewaltigung im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
10
aa) Das Landgericht ist zwar mit tragfähiger Begründung zu der Überzeugung gelangt, dass sich die Geschädigte bei Beginn und während der Durchführung des Geschlechtsverkehrs mit dem Angeklagten objektiv in einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB befunden hat. Auch die Annahme der Strafkammer, sie habe nur unter dem Eindruck ihres schutzlosen Ausgeliefertseins aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Angeklagten auf den ihr grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, ist vor dem Hintergrund der dazu getroffenen Feststellungen aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Jedoch werden im angefochtenen Urteil die Voraussetzungen eines dahingehenden Vorsatzes des Angeklagten nicht hinreichend belegt.
11
bb) Der subjektive Tatbestand im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt zumindest bedingten Vorsatz dahingehend voraus, dass das Tatopfer in die sexuellen Handlungen nicht eingewilligt hat und dass es gerade im Hinblick auf seine Schutzlosigkeit auf möglichen Widerstand verzichtet (Senatsbeschluss vom 8. November 2011 – 4 StR 445/11, NStZ 2012, 268; BGH, Beschluss vom 12. November 2008 – 2 StR 474/08).
12
Feststellungen dazu, ob der Angeklagte diese Umstände in seinen zumindest bedingten Vorsatz aufgenommen hat, hat das Landgericht indes nicht getroffen. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, zu welchem Zeitpunkt innerhalb des sich länger hinziehenden Tatgeschehens der Angeklagte den Vorsatz fasste, mit der Geschädigten notfalls auch gegen deren Willen den Geschlechtsverkehr auszuüben. Vielmehr beschränkt sich das Urteil insoweit auf die Mitteilung, dass die Geschädigte dieses Vorhaben realisierte, als der Angeklagte sie aufforderte sich auf das Bett zu legen.
13
3. Da die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind, kann der Senat sie aufrechterhalten. Ergänzende Feststellungen, die den getroffenen nicht widersprechen, sind möglich.
14
Für die neue Verhandlung und Entscheidung merkt der Senat an:
15
Auch frühere Drohungen können wie frühere Misshandlungen eine in die Tatgegenwart fortwirkende Drohwirkung entfalten, sodass im Einzelfall auch das Ausnutzen eines „Klimas der Gewalt“ ausreichen kann, wenn durch eine ausdrückliche oder konkludente Erklärung des Täters eine finale Verknüpfung mit dem sexuellen Übergriff hergestellt, dies vom Opfer als Drohung empfunden wird und der Täter dies zumindest billigt (vgl. Senatsbeschluss vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, StV 2012, 534, Tz. 14; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 177 Rn. 20 mN zur Rspr.; vgl. auch SSW-StGB/Wolters, § 177 Rn. 12). Sollte die neue Verhandlung daher ergeben, dass der Angeklagte seinen Tatvorsatz spätestens zu dem Zeitpunkt fasste, als er die Zeugin ins Schlafzimmer zog, wird vor dem Hintergrund einer möglicherweise hierin liegenden Gewaltanwendung bzw. des vorangegangenen Geschehens zu erwägen sein, ob der Angeklagte bereits die Voraussetzungen von § 177 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB erfüllt hat.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 445/11
vom
8. November 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. November 2011 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 27. April 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte im Fall II. 2. (1) der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen , in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und sexuellem Missbrauch von Jugendlichen, und wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt; von weiteren Vorwürfen hat es ihn freigesprochen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB im Fall II. 2. (1) der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
a) Nach den zu diesem Fall getroffenen Feststellungen sprach der Angeklagte im „Ausbauhaus“ eines größeren Anwesens in Z. im November 2000 die zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alte K. B. darauf an, ob er sie als Modell für ein Tattoo zeichnen dürfe. Nachdem das Mädchen sein Einverständnis erklärt hatte, forderte er es auf, „sich mit auseinander gestellten Beinen und an der Wand abgestützten Armen mit dem Gesicht zur Wand zu stellen.“ Das Mädchen kam dieser Aufforderung nach. Kurze Zeit später trat der Angeklagte – von K. B. unbemerkt – hinter sie, zog ihr plötzlich und für sie völ- lig unerwartet die Jogginghose und den Slip herunter; er drang von hinten mit seinem erigierten Penis ohne Kondom in ihre Scheide ein und führte den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durch. Er wusste, dass dies gegen den Willen des „paralysierten Mädchens“ geschah. Hierbei nutzte er plangemäß den Umstand, dass beide in dem Anwesen allein waren, sowie das Überraschungsmoment aus.
4
b) Diese Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte K. B. unter Ausnutzung einer Lage, in der das Mädchen seiner Einwirkung schutzlos ausgeliefert gewesen ist, genötigt hat, die Vollziehung des Beischlafs zu dulden (§ 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB). Der objektive Tatbestand dieser Variante setzt voraus, dass das Tatopfer unter dem Eindruck seines schutzlosen Ausgeliefertseins aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet. Der subjektive Tatbestand setzt zumindest bedingten Vorsatz dahingehend voraus, dass das Tatopfer in die sexuellen Handlungen nicht einwilligt und dass es gerade im Hinblick auf seine Schutzlosigkeit auf möglichen Widerstand verzichtet (BGH, Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359). Der hierzu erforderliche Zwangszusammenhang ergibt sich nicht schon allein daraus, dass das betroffene Opfer dem Täter körperlich unterlegen ist oder dass der sexuelle Übergriff in einer Tatsituation begangen wird, in welcher das Opfer sich eines solchen nicht versieht (vgl. hierzu auch BGH aaO S. 368). Feststellungen dazu, dass der Angeklagte vorsätzlich eine konkretisierte Furcht der Geschädigten vor körperlicher Gewalteinwirkung nötigend ausgenutzt hätte, hat das Landgericht nicht getroffen (vgl. dazu auch BGH, Beschlüsse vom 4. April 2007 - 4 StR 345/06, BGHSt 51, 280, 284, vom 12. November 2008 – 2 StR 474/08 und vom 4. Dezember 2008 – 3 StR 494/08, NStZ 2009, 443).
5
Der Wegfall von Schuld- und Strafausspruch im Fall II. 2. (1) der Urteilsgründe nötigt zur Aufhebung der Gesamtstrafe.
6
2. Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird auch zum Vorliegen einer schutzlosen Lage des Opfers eingehendere Feststellungen zu treffen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2008 – 5 StR 193/08, NStZ 2009, 263 m.w.N.).
Ernemann Cierniak Franke
Mutzbauer Quentin

(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind,

1.
für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder
2.
neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat,
nicht beträchtlich ins Gewicht, so kann die Verfolgung auf die übrigen Teile der Tat oder die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt werden. § 154 Abs. 1 Nr. 2 gilt entsprechend. Die Beschränkung ist aktenkundig zu machen.

(2) Nach Einreichung der Anklageschrift kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen.

(3) Das Gericht kann in jeder Lage des Verfahrens ausgeschiedene Teile einer Tat oder Gesetzesverletzungen in das Verfahren wieder einbeziehen. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einbeziehung ist zu entsprechen. Werden ausgeschiedene Teile einer Tat wieder einbezogen, so ist § 265 Abs. 4 entsprechend anzuwenden.