Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Nov. 2011 - 4 StR 300/11

published on 09/11/2011 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Nov. 2011 - 4 StR 300/11
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 300/11
vom
9. November 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 9. November 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 9. Februar 2011 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil der Verurteilung in einem der Fälle möglicherweise ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis entgegensteht.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: „An einem nicht näher bestimmbaren Tag Mitte November 2008 nahm der Angeklagte per SMS Kontakt zu der Nebenklägerin auf, die sich zu dieser Zeit in ihrer Wohnung aufhielt, und kündigte ihr an, sie zu besuchen. Ob es bereits bei diesem ersten Besuch zu sexuellen Handlungen seitens des Angeklagten kam, ließ sich nicht feststellen. Im Rahmen zweier folgender Besuche des Angeklagten in der Woh- nung der Nebenklägerin im Zeitraum bis zum 24.11.2008 küsste der Angeklagte die Nebenklägerin und streichelte sie unter der Kleidung an Bauch und Brüsten. Aufgrund ihrer Erkrankung war es der Nebenklägerin nicht möglich, sich dem zu widersetzen und den Angeklagten abzuwehren, was diesem bewusst war. Dem Angeklagten war überdies bekannt und bewusst, dass sexuelle Handlungen zu einer akuten Verschlechterung des Krankheitsbildes der Nebenklägerin bis hin zum Suizid führen können. Im letzten Fall küsste und streichelte der Angeklagte die Nebenklägerin, nachdem diese in einen dem Angeklagten aus der stationären Behandlung bereits bekannten dissoziativen Zustand verfallen war und deshalb auch physisch nicht in der Lage war, sich zu widersetzen.“
3
Das Landgericht hat in der Hauptverhandlung vom 9. Februar 2011 die Tat vom 24. November 2008 auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 StPO eingestellt. Mit der Einstellung durch einen Gerichtsbeschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO entsteht ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis , zu dessen Beseitigung ein förmlicher Wiederaufnahmebeschluss gemäß § 154 Abs. 5 StPO erforderlich ist (BGH, Beschluss vom 18. April 2007 – 2 StR 144/07, NStZ 2007, 476 m.w.N.). Nach den oben wiedergegebenen Feststellungen liegt nahe, dass eine der ausgeurteilten Taten am 24. November 2008 geschehen ist, denn der Erstbesuch, bei dem keine sexuellen Handlungen festgestellt werden konnten, hatte Mitte November 2008 stattgefunden und die beiden ausgeurteilten Taten danach bis zum 24. November 2008. Die Anklage hatte dem Angeklagten insgesamt drei Taten im Zeitraum vom 11. bis zum 24. November 2008 vorgeworfen; eine weitere – nicht ausgeurteilte – Tat am 24. November 2008 war danach nicht Gegenstand des Verfahrens. Der Senat vermag anhand der Urteilsfeststellungen nicht selbst zu klären, ob und ggf. hinsichtlich welcher ausgeurteilten Tat ein Verfahrenshindernis besteht. Dies führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt und zur Zurückverweisung.
4
2. Der neue Tatrichter wird auch Gelegenheit haben, die Widerstandsunfähigkeit der Nebenklägerin, soweit sie nicht in einen dissoziativen Zustand verfallen war, eingehender als bisher darzulegen.
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender
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(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes
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Annotations

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.