Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Juli 2019 - 4 StR 238/19

published on 30/07/2019 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Juli 2019 - 4 StR 238/19
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 238/19
vom
30. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:300719B4STR238.19.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 30. Juli 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 357 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 23. Oktober 2018, auch soweit es den Mitangeklagten B. betrifft, aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen – mit Ausnahme derjenigen zur Beschaffenheit und zum Ladezustand der verwendeten Schreckschusspistole – aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „gemeinschaftlicher versuchter schwerer räuberischer Erpressung“ in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung unter Einbeziehung der Urteile des Amtsgerichts Dortmund vom 19. Mai 2015 [(608 Ls 162/14)] und vom 3. Januar 2017 [(606 Ls 124/16)] zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die unausgeführte Formal- und Sachrüge gestütz- ten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Der Schuldspruch wegen versuchter – „besonders“ – schwerer räuberischer Erpressung gemäß §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
a) Nach den Feststellungen trat der Angeklagte gemeinsam mit seinem Mittäter, dem nicht revidierenden Mitangeklagten B. , von hinten an den Geschädigten heran und forderte ihn auf, ihm eine Zigarette zu geben. Er drängte den Geschädigten, der wahrheitsgemäß erklärte, keine Zigarette zu haben, gemeinsam mit dem Mitangeklagten B. gegen eine Wand, wiederholte seine Forderung nach einer Zigarette und holte eine Schreckschusspistole hervor, die er dem Geschädigten an die Schläfe hielt, um die Herausgabe der begehrten Zigarette zu erzwingen. Der Geschädigte erlitt infolge des Drucks – für den Angeklagten vorhersehbar – eine oberflächliche Hautverletzung an der Schläfe. Schließlich ließen der Angeklagte und sein Mittäter vom Geschädigten ab, nachdem dieser ihnen erneut versicherte, keine Zigarette zu haben.
4
b) Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass es sich bei der gelade- nen und „im Vorfeld der Tat […] mehrfach abgefeuerte[n] Schreckschusspistole“ um eine Waffe im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB handelt. Die Voraussetzungen des Qualifikationstatbestands sind jedoch nicht tragfähig belegt.
5
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterfällt eine – geladene – Schreckschusspistole nur dann dem Waffenbegriff des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB, wenn feststeht, dass beim Abfeuern der Waffe der Explosionsdruck nach vorne aus dem Lauf austritt und die Waffe deshalb nach ihrer Beschaffenheit geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2003 – GSSt 2/02, BGHSt 48, 197, 201 f.). Hierzu hat das Tatgericht regelmäßig Feststellungen zu treffen, denn der Austritt des Explosionsdrucks nach vorne mag zwar üblich sein, kann aber nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2015 – 2 StR 12/15, juris Rn. 5; vom 9. Februar 2010 – 3 StR 17/10, NStZ 2010,

390).

6
bb) Nähere Feststellungen zur Beschaffenheit der Waffe fehlen. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts vermag der Senat auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe die Funktionsweise der eingesetzten Waffe nicht zu entnehmen.
7
Darüber hinaus ist die Annahme, dass die Schreckschusspistole zum Zeitpunkt des Tatgeschehens (noch) geladen war, beweiswürdigend nicht belegt. Hierin liegt ungeachtet des Umstands, dass der Angeklagte geraume Zeit vor dem Tatgeschehen mit der Schreckschusswaffe Schüsse in die Luft abgegeben und kurz vor dem Tatgeschehen einem Zeugen die Waffe und mindestens eine lose Schreckschuss-Patrone gezeigt hatte, ein weiterer, den Bestand des Schuldspruchs gefährdender Erörterungsmangel.
8
b) Da Feststellungen zur Funktionsweise und zum Ladezustand der verwendeten Schreckschusswaffe trotz der fehlenden Sicherstellung der Waffe nicht ausgeschlossen erscheinen, hebt der Senat den Schuldspruch auf. Von der Aufhebung werden nur die Feststellungen zur Beschaffenheit und zum Ladezustand der Tatwaffe erfasst; hingegen können die Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatgeschehen im Übrigen bestehen bleiben, da sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2017 – 4 StR 167/17, juris Rn. 6). Die Aufhebung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; ungeachtet der – hypothetischen – Einordnung der Tat als minder schwerer Fall (§ 250 Abs. 3 StGB) hat das Landgericht aus- drücklich zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt, dass er ein „schweres Verbrechen“ begangen habe, das „bei einer Tatvollendung im Normalfall nach allgemeinem Strafrecht mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren“zu ahnden wäre.
9
c) Die Urteilsaufhebung ist auf den nicht revidierenden Mitangeklagten B. zu erstrecken (§ 357 StPO), da der Rechtsfehler auch ihn betrifft.
10
2. Der Rechtsfolgenausspruch hätte jedoch auch aus anderen Gründen sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht standgehalten. Das Landgericht hat – worauf der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift hingewiesen hat, auf de- ren Inhalt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt – nicht erkennbar geprüft, ob die Voraussetzungen für die Maßregelanordnung nach § 64 StGB vorlagen, obwohl hierzu Anlass bestand.
11
Auch dies zieht die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs nach sich (vgl. § 5 Abs. 3 JGG). Zwar liegt nach den bisherigen Feststellungen die Annahme , dass die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt die Ahndung seiner Tat durch die Verhängung einer Jugendstrafe entbehrlich machen könnte, fern. Der Senat kann aber gleichwohl nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG davon abgesehen hätte, Jugendstrafe zu verhängen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Mai 2009 – 4 StR 99/09, NStZ-RR 2009, 277).
12
3. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Prüfung der Frage, ob der Angeklagte A. in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist, bedarf der Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn 1. der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub a) eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,b) sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Wider

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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt und dadurch dem Vermögen des Genötigten oder eines anderen Nachteil zufügt, um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung einer Erpressung verbunden hat.

Wird die Erpressung durch Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begangen, so ist der Täter gleich einem Räuber zu bestrafen.

(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet,
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder
3.
eine andere Person
a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.

(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.

(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.