Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Juli 2008 - 4 StR 157/08


Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in neun Fällen (Fälle 1 bis 8 und 10 der Urteilsgründe) sowie der Zusatz "von denen drei besonders schwere Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern darstellen" entfallen;
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, aa) soweit der Angeklagte im Fall 15 verurteilt worden ist; bb) in den Strafaussprüchen in den Fällen 1 bis 8 und 10 sowie im Ausspruch über die die Fälle 1 bis 15 betreffende Gesamtstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer als Jugendschutzkammer des Landgerichts Saarbrücken zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "sexuellen Missbrauchs von Kindern in 15 Fällen, davon neun in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, von denen drei besonders schwere Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern darstellen" (Fälle 1 bis 15 der Urteilsgründe) unter Einbeziehung von Strafen aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat nur den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen ausgeführt hat, muss die tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in neun Fällen (Fälle 1 bis 8 und 10 der Urteilsgründe ) entfallen, weil insoweit Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist. Zu entfallen hat auch der die Fälle 2, 8 und 10 betreffende Zusatz in der Urteilsformel "von denen drei besonders schwere Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern darstellen", weil es sich bei § 176 Abs. 3 StGB a.F. nicht um einen Qualifizierungstatbestand handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2000 - 2 StR 612/99; Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 260 Rdn. 25).
- 3
- 2. Soweit der Angeklagte im Fall 15 der Urteilsgründe (Tat zum Nachteil des Dominic R. ) verurteilt worden ist, muss das Urteil aufgehoben werden, weil nicht rechtsfehlerfrei festgestellt ist, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat wusste oder zumindest billigend in Kauf nahm, dass der Geschädigte noch nicht 14 Jahre alt war. Als Tatzeit ist ein "nicht näher bestimmbarer Tag zwischen dem 11.03.1998 und dem 10.03.2002" (vermutlich dem 14. Geburtstag des Kindes) festgestellt (UA 13). In der rechtlichen Würdigung ist im Hinblick auf die Kenntnis des Angeklagten vom Alter des Tatopfers ausgeführt, dass der Angeklagte "wissen musste, dass der geschädigte Dominic R. als Klassenkamerad seiner Pflegetochter auch ungefähr das gleiche Alter haben würde" (UA 37). Abgesehen davon, dass die Formulierung, er habe "wissen müssen", einen (zumindest) bedingten Vorsatz nicht belegt, ist festgestellt, dass die Pflegetochter des Angeklagten am 16. September 1985 geboren ist (UA 6), sie also am Ende des möglichen Tatzeitraums bereits 16 ½ Jahre alt war.
- 4
- In der neuen Verhandlung werden daher - sofern das Verfahren insoweit nicht nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt werden kann - nähere Feststellungen zum subjektiven Tatbestand des § 176 Abs. 1 StGB und möglichst auch zur Tatzeit zu treffen sein. Insoweit muss jedenfalls sicher feststehen, dass der Geschädigte noch nicht 14 Jahre alt war.
- 5
- 3. Da das Landgericht mehrfach die jeweils (verjährte) tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen strafschärfend herangezogen hat (UA 40 f.), müssen die Einzelstrafen in den Fällen 1 bis 8 und 10 der Urteilsgründe aufgehoben werden. Dies zieht - auch weil die Verurteilung im Fall 15 keinen Bestand hat - die Aufhebung der für die Fälle 1 bis 15 (und die einbezogenen Strafen) gebildeten Gesamtstrafe nach sich.
Solin-Stojanović Ernemann


Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,
- 1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder - 2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.
(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.
(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.
(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.