Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Mai 2000 - 4 StR 105/00

bei uns veröffentlicht am09.05.2000

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 105/00
vom
9. Mai 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Mai 2000 gemäß
§§ 154 Abs. 2, 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Das Verfahren wird gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte wegen schwerer räuberischer Erpressung zum Nachteil der N. inG. v erurteilt worden ist. Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 22. Oktober 1999
a) dahin geändert, daß der Angeklagte wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wird,
b) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in neun Fällen und wegen versuchten Raubes unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Gladbeck vom 20. Januar 1999 (Az.: 6 Cs 20 Js 979/98) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden ist. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die insoweit entstandenen Kosten des Rechtsmittes, an das Amtsgericht - Schöffengericht - Oberhausen zurückverwiesen. 4. Die weiter gehende Revision wird verworfen. 5. Der Angeklagte hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in neun Fällen und wegen versuchten Raubes unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Gladbeck vom 20. Januar 1999 (Az.: 6 Cs 20 Js 979/98) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten sowie wegen schwerer räuberischer Erpressung und wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision . Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg. 1. Der Senat stellt das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, soweit der Angeklagte wegen schwerer räuberischer Erpressung zum Nachteil der N. inG. verurteilt worden ist. Damit entfallen die für diese Tat verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten.
Die Verurteilung wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren Freiheitsstrafe weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der Senat ändert das Urteil daher entsprechend ab. 2. Soweit der Angeklagte wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in neun Fällen und wegen versuchten Raubes unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Gladbeck vom 20. Januar 1999 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wurde, kann das Urteil nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht für die Entscheidung nicht zuständig war. Dieser Mangel ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 232 m.w.N.). Das Landgericht Essen hat das insoweit beim Amtsgericht - Schöffengericht - Oberhausen rechtshängige Verfahren nach Vorlage durch dieses Gericht übernommen und mit dem bei ihm anhängigen Verfahren verbunden. Dieser Verbindungsbeschluß war jedoch rechtsunwirksam, da er nicht von dem hierfür zuständigen Gericht erlassen worden ist. Die Verbindung, die nicht nur die örtliche , sondern auch die sachliche Zuständigkeit betraf, konnte nicht durch Vereinbarung der beteiligten Gerichte (§ 13 Abs. 2 StPO), sondern nur durch Entscheidung des gemeinschaftlichen Oberen Gerichts (§ 4 Abs. 2 StPO) herbeigeführt werden (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 13
Rdn. 4). Gemeinschaftliches Oberes Gericht ist hier, da das Amtsgericht Oberhausen und das Landgericht Essen zum Bezirk verschiedener Oberlandesgerichte gehören, der Bundesgerichtshof. Da es mithin an einer Entscheidung des für die Verbindung zuständigen Gerichts fehlt, ist das Verfahren beim Amtsgericht Oberhausen rechtshängig geblieben; an dieses verweist der Senat die Sache in entsprechender Anwendung des § 355 StPO zurück (vgl. BGH aaO; BGH, Beschluß vom 21. März 2000 - 1 StR 609/99). RiBGH Maatz und RiBGH Athing sind wegen Urlaubs verhindert, ihre Unterschrift beizufügen. Meyer-Goßner Meyer-Goßner Kuckein Ernemann

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Strafprozeßordnung - StPO | § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten


(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

Strafprozeßordnung - StPO | § 4 Verbindung und Trennung rechtshängiger Strafsachen


(1) Eine Verbindung zusammenhängender oder eine Trennung verbundener Strafsachen kann auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten oder von Amts wegen durch gerichtlichen Beschluß angeordnet werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 13 Gerichtsstand bei zusammenhängenden Strafsachen


(1) Für zusammenhängende Strafsachen, die einzeln nach den Vorschriften der §§ 7 bis 11 zur Zuständigkeit verschiedener Gerichte gehören würden, ist ein Gerichtsstand bei jedem Gericht begründet, das für eine der Strafsachen zuständig ist. (2) Sind

Strafprozeßordnung - StPO | § 355 Verweisung an das zuständige Gericht


Wird ein Urteil aufgehoben, weil das Gericht des vorangehenden Rechtszuges sich mit Unrecht für zuständig erachtet hat, so verweist das Revisionsgericht gleichzeitig die Sache an das zuständige Gericht.

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(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Für zusammenhängende Strafsachen, die einzeln nach den Vorschriften der §§ 7 bis 11 zur Zuständigkeit verschiedener Gerichte gehören würden, ist ein Gerichtsstand bei jedem Gericht begründet, das für eine der Strafsachen zuständig ist.

(2) Sind mehrere zusammenhängende Strafsachen bei verschiedenen Gerichten anhängig gemacht worden, so können sie sämtlich oder zum Teil durch eine den Anträgen der Staatsanwaltschaft entsprechende Vereinbarung dieser Gerichte bei einem unter ihnen verbunden werden. Kommt eine solche Vereinbarung nicht zustande, so entscheidet, wenn die Staatsanwaltschaft oder ein Angeschuldigter hierauf anträgt, das gemeinschaftliche obere Gericht darüber, ob und bei welchem Gericht die Verbindung einzutreten hat.

(3) In gleicher Weise kann die Verbindung wieder aufgehoben werden.

(1) Eine Verbindung zusammenhängender oder eine Trennung verbundener Strafsachen kann auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten oder von Amts wegen durch gerichtlichen Beschluß angeordnet werden.

(2) Zuständig für den Beschluß ist das Gericht höherer Ordnung, wenn die übrigen Gerichte zu seinem Bezirk gehören. Fehlt ein solches Gericht, so entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht.

Wird ein Urteil aufgehoben, weil das Gericht des vorangehenden Rechtszuges sich mit Unrecht für zuständig erachtet hat, so verweist das Revisionsgericht gleichzeitig die Sache an das zuständige Gericht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 609/99
vom
21. März 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Verabredung zum Mord u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. März 2000 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 16. Juli 1999, soweit es ihn betrifft, aufgehoben
a) im Schuldspruch mit den Feststellungen, soweit der Angeklagte wegen Diebstahls in zwei Fällen, wegen Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen Beleidigung (Fälle II. 1a bis d der Urteilsgründe) verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Jugendstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen
a) hinsichtlich der Fälle II. 1a bis d der Urteilsgründe an das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Regensburg ,
b) hinsichtlich des Falles II. 2 der Urteilsgründe (Verabredung zum Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge und Raub) an eine andere Jugendkammer des Landge- richts Traunstein, die auch über die Kosten des Rechtsmittels zu entscheiden hat.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht Traunstein hat den Angeklagten wegen in Regensburg und Umgebung begangenen Diebstahls in zwei Fällen, wegen Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung, wegen Beleidigung (Fälle II. 1a bis d der Urteilsgründe ) sowie wegen einer in der Justizvollzugsanstalt Laufen-Lebenau begangenen Verabredung zum Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge und Raub zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg.
1. Der Schuldspruch in den Fällen II. 1a bis d der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben. Die Jugendkammer des Landgerichts Traunstein war für die Entscheidung nicht zuständig. Die Verbindung von Strafsachen, die nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit betrifft, kann nicht durch eine Vereinbarung der beteiligten Gerichte nach § 13 Abs. 2 StPO verbunden werden (BGHSt 22, 232; Pfeiffer in KK 4. Aufl. § 13 Rdn. 3). Eine die sachliche Zuständigkeit verändernde Verbindung kann nur durch Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts herbeigeführt werden (§ 4 Abs. 2 StPO). Daran fehlt es, so daß die Verbindung der beiden Verfahren unwirksam ist (vgl. BGHR StPO § 4 Verbindung 9, 12; vgl. zu allem auch
Felsch NStZ 1996, 163 ff.). Das Verfahren ist deshalb noch beim Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Regensburg rechtshängig.
2. Die Überprüfung des Schuldspruchs im Fall II. 2 der Urteilsgründe aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt. Der Ausspruch über die verhängte Jugendstrafe hat schon wegen des Wegfalls der Verurteilung in den Fällen II. 1a bis d der Urteilsgründe keinen Bestand. Im übrigen rügt die Revision zu Recht, das Landgericht habe der erziehungsberechtigten Mutter des Angeklagten nicht das ihr zustehende letzte Wort gewährt.
Hierzu hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:
”Neben einem jugendlichen Angeklagten ist gemäß § 67 Abs. 1 JGG i.V. m. § 258 Abs. 2 und 3 StPO dessen Erziehungsberechtigten oder gesetzlichem Vertreter stets von Amts wegen - und nicht nur auf Verlangen – das letzte Wort zu erteilen (BGHSt 21, 288, 289; BGH NStZ 1996, 612). Angesichts der dienstlichen Stellungnahmen des Richters am Landgericht Dr. S. sowie der Urkundsbeamtin Justizsekretärin L. ist davon auszugehen , dass die Mutter des Angeklagten nach Schließung der Beweisaufnahme am 16. Juli 1999 in der Hauptverhandlung anwesend war, als dem Angeklagten nach den Schlussvorträgen das letzte Wort erteilt wurde. Da die (negative ) Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 StPO sich nicht auf die Abwesenheit von Personen, deren Anwesenheit das Gesetz nicht zwingend vorschreibt , erstreckt, kann daraus, dass dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht eindeutig zu entnehmen ist, ob die Mutter des Angeklagten bis zum Ende der Hauptverhandlung anwesend war, nicht geschlossen werden, dass sie den
Sitzungssaal vorzeitig verlassen hat. Im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Schlussvorträge und des letzten Wortes sowie des anschließend verkündeten Urteils ist es vielmehr nahe liegend, dass die Mutter des Angeklagten der Hauptverhandlung bis zu deren Schluss beigewohnt hat (vgl. hierzu BGH NStZ 1999, 426). Ihr hätte als Erziehungsberechtigter (§ 1626 Abs. 1 BGB) daher ebenfalls das letzte Wort erteilt werden müssen.
Dieser Verfahrensverstoß führt jedoch nur zur Aufhebung des Strafausspruchs , weil das Urteil lediglich insoweit auf ihm beruhen kann. Den Schuldspruch lässt er unberührt. Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten - auch hinsichtlich des Falles II. 2 - weitgehend eingeräumt. Die Mutter des Angeklagten war nicht Zeugin der Geschehnisse in der Justizvollzugsanstalt Laufen-Lebenau. Auch dem Revisionsvorbringen ist nicht zu entnehmen, welche entlastenden Umstände zur Schuldfrage die Mutter des Angeklagten - die im übrigen in der Hauptverhandlung angehört wurde (SA Bd. II Bl. 185) - hätte vortragen können. Der Verfahrensverstoß kann sich aber auf die Entscheidung zum Strafausspruch ausgewirkt haben. Die Schlussvorträge hätten der Mutter des Angeklagten möglicherweise Anlass zu ihre bisherigen Angaben ergänzenden Ausführungen gegeben, wäre ihr das letzte Wort erteilt worden. Das Landgericht hat bei der Strafzumessung, vor allem bei der Feststellung
schädlicher Neigungen, ausdrücklich auf die Lebensumstände des Angeklagten Bezug genommen. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die diesbezüglichen Erwägungen der Jugendkammer anders ausgefallen wären , wäre der Mutter des Angeklagten das letzte Wort gewährt worden."
Maul Granderath Boetticher Schomburg Schluckebier