Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Dez. 2010 - 3 StR 401/10

bei uns veröffentlicht am21.12.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 401/10
vom
21. Dezember 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. Dezember 2010 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 22. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen drang der Angeklagte in die Wohnung der als Prostituierte tätigen F. ein und erzwang durch Drohungen und Ausnutzen ihrer "schutz- und ausweglosen Lage" zweimal den vaginalen Geschlechtsverkehr. Dabei verwendete er jeweils ein Kondom. Er hat eingeräumt, mit der Geschädigten den Geschlechtsverkehr ausgeübt zu haben, sich jedoch dahin eingelassen, sie sei hiermit einverstanden gewesen. Er habe jeweils im voraus 80 € für Oral- und Vaginalverkehr gezahlt. Das Landgericht hat diese Einlassung als in sich unstimmig gewertet und aufgrund der Aussagen mehre- rer Zeugen als widerlegt angesehen; die Geschädigte selbst hat es in der Hauptverhandlung nicht vernommen.
3
2. Vor diesem Hintergrund beanstandet die Revision mit Recht, dass das Landgericht einen in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag rechtsfehlerhaft zurückgewiesen hat.
4
a) Die Verteidigung hatte die Vernehmung der in Litauen befindlichen Geschädigten zum Beweis dafür beantragt, dass der Angeklagte ihr jeweils vor Durchführung des Geschlechtsverkehrs einen Geldbetrag in Höhe von 80 € übergeben habe. Diesen Antrag hat die Strafkammer gestützt auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO abgelehnt, "da aufgrund der bisherigen eindeutigen Beweisaufnahme eine Vernehmung der in Litauen aufhältigen Zeugin F. nicht zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist."
5
b) Diese Begründung trägt die Zurückweisung nicht.
6
aa) Der Antrag erfüllt die inhaltlichen Voraussetzungen eines Beweisantrags. Mit Blick auf die von der Revision vorgetragenen Umstände des vorliegenden Falles - etwa die in den Akten befindliche Kopie des litauischen Personalausweises der Geschädigten - ist die Angabe des Namens der Zeugin mit dem Zusatz "wohnhaft Litauen in der Gemeinde Jonava" als ausreichend bestimmte Bezeichnung des Beweismittels anzusehen.
7
bb) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn dessen Anhörung nach pflichtgemäßer Beurteilung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Ob die Ladung und Vernehmung eines Auslandszeugen geboten ist, richtet sich somit nach der Aufklärungspflicht des Gerichts im Sinne des § 244 Abs. 2 StPO. Bei deren Prüfung hat der Tatrichter namentlich die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen. In diesem Rahmen ist er von dem sonst geltenden Verbot der Beweisantizipation befreit. Daher darf er prognostisch berücksichtigen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu würdigen wären. Kommt er dabei unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse mit rechtsfehlerfreier Begründung zu dem Ergebnis, dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht werde bestätigen können oder dass ein Einfluss der Aussage auf seine - des Tatrichters - Überzeugungsbildung auch dann sicher ausgeschlossen sei, wenn der Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist die Ablehnung des Beweisantrags in aller Regel nicht zu beanstanden (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2006 - 3 StR 374/06, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 13; Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2323 mwN).
8
cc) Die auf eine derartige antizipierende Würdigung gestützte Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Auslandszeugen bedarf eines Gerichtsbeschlusses (§ 244 Abs. 6 StPO), der zu begründen ist. Diese Begründung hat die Funktion, den Antragsteller davon zu unterrichten, wie das Gericht den Antrag bewertet, damit er in der Lage ist, sich in seiner Verteidigung auf die Verfahrenslage einzustellen, die durch die Ablehnung entstanden ist. Zugleich soll durch die Gründe des Ablehnungsbeschlusses dem Revisionsgericht die rechtliche Überprüfung der tatrichterlichen Entscheidung ermöglicht werden. Hieraus folgt, dass das Tatgericht in seinem Beschluss die für die Ablehnung wesentlichen Gesichtspunkte, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in ihrem wesentlichen Kern nachvollziehbar darlegen muss (BGH, Urteil vom 18. Januar 1994 - 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 63; Beschluss vom 19. Januar 2010 - 3 StR 451/09, StraFo 2010, 155).
9
Diesen Anforderungen wird der genannte Beschluss nicht gerecht. Er enthält ausschließlich einen pauschalen Hinweis auf die "bisherige eindeutige Beweisaufnahme" und damit noch nicht einmal im Ansatz eine antizipierende Würdigung des zu erwartenden Beweisergebnisses vor dem Hintergrund der bis dahin erhobenen Beweise. Damit ließ er zum einen den Antragsteller über die Einschätzung der Beweislage durch die Strafkammer und die insoweit bestehende Verfahrenssituation im Ungewissen. Zum anderen ist dem Senat die rechtliche Nachprüfung dahin verwehrt, ob das Landgericht die Voraussetzungen des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO rechtsfehlerfrei angenommen und ohne Rechtsfehler von einer Vernehmung der Geschädigten in der Hauptverhandlung abgesehen hat. Auf diese Rechtsprüfung ist der Senat beschränkt; er kann insbesondere die notwendige vorweggenommene Beweiswürdigung des Tatgerichts nicht durch eine eigene Bewertung ersetzen (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2323).
10
3. Das Urteil beruht auf dem dargelegten Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer abweichenden Beweiswürdigung gelangt wäre, wenn es die benannte Zeugin vernommen und diese die Beweisbehauptungen bestätigt hätte.
11
4. Mit Blick auf die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat:
12
Die vom Landgericht in beiden Fällen ohne nähere Ausführungen angenommene Tatvariante des Ausnutzens einer Lage, in der das Opfer einer Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB), erfasst diejenigen Fälle, in denen zwar weder Gewalt ausgeübt noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht wird, dieses aber aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, weil es sich in einer hilflosen Lage befindet und ihm Widerstand gegen den überlegenen Täter aussichtslos erscheint. Erforderlich ist dabei stets, dass sich das Opfer aus Angst vor körperlicher Beeinträchtigung, also vor Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen, nicht gegen den Täter zur Wehr setzt; es genügt nicht, dass es dies aus Furcht vor der Zufügung anderer Übel unterlässt (BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2008 - 3 StR 494/08, NStZ 2009, 443; Beschluss vom 7. Juli 2009 - 3 StR 223/09, NStZ 2010, 149 jeweils mwN).
13
Da der Angeklagte nach den Feststellungen in dem aufgehobenen Urteil die Geschädigte im ersten Fall auf das Bett drückte und im zweiten Fall zum Bett zerrte, könnte gegebenenfalls eine nähere Betrachtung dahin veranlasst sein, ob der Angeklagte die Geschädigte unter Einsatz von Gewalt nötigte (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB).
Becker von Lienen Hubert
Schäfer Mayer

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Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

Strafprozeßordnung - StPO | § 337 Revisionsgründe


(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. (2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

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(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 451/09
vom
19. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 19. Januar 2010 gemäß § 349 Abs.
4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten T. C. wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 18. Mai 2009, soweit es ihn betrifft , mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit zwei Verfahrensrügen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts organisierte der Angeklagte den Transport von etwa 10 kg Heroin in einem LKW aus der Türkei nach Deutschland, um das Rauschgift gewinnbringend weiter zu verkaufen. Nach der Ankunft der Betäubungsmittel in K. veranlasste er den Mitangeklagten A. , das Heroin abzuholen. Nach der Übergabe wurden A. und der Fahrer des LKW festgenommen. Zeitgleich erfolgte die Festnahme des im Bereich des K. er Hauptbahnhofs wartenden Angeklagten sowie des Mitangeklagten Ab. C. .
3
Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er sei davon ausgegangen, dass es sich um eine Ladung geschmuggelter Antiquitäten gehandelt habe, die er für einen erkrankten Bekannten habe entgegennehmen wollen. Dies sei auch Gegenstand der Telefonate gewesen, die er mit Verwandten in der Türkei geführt habe; bei diesen sei es außerdem um illegale Grenzübertritte eines Verwandten gegangen. Das Landgericht hat diese Einlassung - aufgrund einer für sich fehlerfreien Beweiswürdigung - für widerlegt gehalten und dabei auch aus dem Inhalt mehrerer Telefonate des Angeklagten mit Gesprächspartnern in der Türkei auf seine Tatbegehung geschlossen.
4
2. Vor diesem Hintergrund beanstandet die Revision mit Recht, dass das Landgericht drei in der Hauptverhandlung gestellte Beweisanträge rechtsfehlerhaft zurückgewiesen hat.
5
a) Die Verteidigung hatte die Vernehmung des in der Türkei befindlichen Neffen des Angeklagten zum Beweis dafür beantragt, dass es bei den Telefonaten mit dem Angeklagten entsprechend seiner Einlassung tatsächlich um einen Freundschaftsdienst im Zusammenhang mit dem Schmuggel von Antiquitäten gegangen sei. Diesen Antrag hat die Strafkammer gestützt auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO ohne weitere Begründung mit der Erwägung abgelehnt, auch bei Erwiesenheit der unter Beweis gestellten Tatsache sei kein direkter Schluss darauf möglich, ob der Angeklagte die Tat begangen habe oder nicht.
6
Mit zwei weiteren Anträgen hatte die Verteidigung die Vernehmung von zwei Zeugen aus der Türkei zum Beweis dafür begehrt, dass Gesprächsinhalt verschiedener Telefonate mit dem Angeklagten der heimliche Transport eines nahen Verwandten aus der Türkei nach Griechenland gewesen sei; die Telefongespräche hätten somit nicht die angeklagte Tat betroffen. Diese Anträge hat das Tatgericht ebenfalls nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO abgelehnt und ausgeführt, die unter Beweis gestellten Tatsachen ließen nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zu. Ein zwingender Schluss ließe sich auch dann nicht ziehen, wenn die Gesprächspartner tatsächlich davon ausgegangen wären , dass die Telefongespräche den unter Beweis gestellten Inhalt hatten, da auch in diesem Fall die Möglichkeit bestanden habe, dass sie unzutreffend informiert worden seien.
7
b) Diese Begründungen tragen die Zurückweisung der Beweisanträge nicht.
8
aa) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn dessen Anhörung nach pflichtgemäßer Beurteilung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Ob die Ladung und Vernehmung eines Auslandszeugen geboten ist, richtet sich somit nach der Aufklärungspflicht des Gerichts im Sinne des § 244 Abs. 2 StPO. Bei deren Prüfung hat der Tatrichter namentlich die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen. In diesem Rahmen ist er von dem sonst geltenden Verbot der Beweisantizipation befreit. Daher darf er prognostisch berücksichtigen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu würdigen wären. Kommt er dabei unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse mit rechtsfehlerfreier Begründung zu dem Ergebnis, dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht werde bestäti- gen können oder dass ein Einfluss der Aussage auf seine - des Tatrichters - Überzeugungsbildung auch dann sicher ausgeschlossen sei, wenn der Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist die Ablehnung des Beweisantrags in aller Regel nicht zu beanstanden (st. Rspr.; s. nur BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 13; BGH NJW 2005, 2322, 2323 m. w. N.).
9
bb) Eine dementsprechende Ablehnung eines solchen Beweisantrags bedarf eines Gerichtsbeschlusses (§ 244 Abs. 6 StPO), der zu begründen ist. Diese Begründung hat die Funktion, den Antragsteller davon zu unterrichten, wie das Gericht den Antrag bewertet, damit er in der Lage ist, sich in seiner Verteidigung auf die Verfahrenslage einzustellen, die durch die Ablehnung entstanden ist. Zugleich soll durch die Gründe des Ablehnungsbeschlusses dem Revisionsgericht die rechtliche Überprüfung der tatrichterlichen Entscheidung ermöglicht werden. Hieraus folgt, dass das Tatgericht in seinem Beschluss die für die Ablehnung wesentlichen Gesichtspunkte, wenn auch nicht in allen Einzelheiten , so doch in ihrem wesentlichen Kern nachvollziehbar darlegen muss (BGHSt 40, 60, 63).
10
Diesen Anforderungen werden die genannten Beschlüsse nicht gerecht. Sie enthalten noch nicht einmal im Ansatz eine antizipierende Würdigung des zu erwartenden Beweisergebnisses vor dem Hintergrund der bis dahin erhobenen Beweise. Damit ließen sie zum einen den Antragsteller über die Einschätzung der Strafkammer über die Beweissituation und die insoweit bestehende Verfahrenssituation völlig im Ungewissen. Zum anderen ist dem Senat die rechtliche Nachprüfung dahin verwehrt, ob das Landgericht die Voraussetzungen des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO rechtsfehlerfrei angenommen hat. Auf diese Rechtsprüfung ist der Senat beschränkt; er kann insbesondere die notwendige vorweggenommene Beweiswürdigung des Tatgerichts nicht durch eine eigene Bewertung ersetzen (BGH NJW 2005, 2322, 2323).
11
c) Es bedarf keiner näheren Betrachtung, ob die Ausführungen des Landgerichts dahin zu verstehen sein könnten, es habe trotz seines ausdrücklichen Hinweises auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO in der Sache die Beweisanträge nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO als aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung ablehnen wollen; denn die Beschlüsse genügen auch insoweit den an ihre Begründung zu stellenden Anforderungen nicht (s. hierzu Fischer in KK 6. Aufl. § 244 Rdn. 145 m. w. N.).
12
3. Das Urteil beruht auf dem dargelegten Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer abweichenden Beweiswürdigung gelangt wäre, wenn es die benannten Zeugen vernommen hätte und diese die Beweisbehauptungen bestätigt hätten.
Becker von Lienen Sost-Scheible
Schäfer Mayer

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.

(2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 494/08
vom
4. Dezember 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur Vergewaltigung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführerin am 4. Dezember 2008 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten M. P. wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 20. Februar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es die Angeklagte betrifft.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin W. hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den nicht revidierenden, zwischenzeitlich verstorbenen Mitangeklagten Wa. P. wegen Vergewaltigung in 104 Fällen, davon in 39 Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern , wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 24 Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 27 Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexueller Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Angeklagte M. P. hat es wegen Beihilfe zur Vergewaltigung in 78 Fällen, davon in 13 Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zu schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Mit ihrer Revision beanstandet die Angeklagte M. P. das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrüge kommt es danach nicht mehr an.
2
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam die am 15. Februar 1989 geborene Nebenklägerin im Jahre 1995 als Pflegekind in den Haushalt der Angeklagten. Der Mitangeklagte, der als Fernfahrer tätig war, nahm die Nebenklägerin u. a. in der Zeit vom 6. Mai 2002 bis zum 14. Februar 2005 wiederholt zu Lkw-Fahrten mit. Anlässlich dieser Fahrten steuerte er einen Rasthof oder Parkplatz an, verriegelte die Türen des Lkw, zog die Vorhänge zu und vollzog mit der Nebenklägerin in 78 Fällen den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss. In 13 der genannten Fälle war sie jünger als 14 Jahre alt. Die Angeklagte M. P. hatte seit Oktober 2001 von vorangegangenen sexuellen Übergriffen ihres Ehemannes auf die Nebenklägerin Kenntnis. Sie duldete aber gleichwohl im genannten Tatzeitraum, dass die Nebenklägerin den Mitangeklagten auf den Lkw-Fahrten begleitete und unternahm keine Anstrengungen , um sie seinem Einfluss zu entziehen. Dabei wusste die Angeklagte , dass der Mitangeklagte die Fahrten dazu nutzte, um auf Rastplätzen ungestört mit seiner Pflegetochter geschlechtlich zu verkehren, und ihr war klar, dass es für die Geschädigte aus dieser Situation kein Entrinnen geben würde. In einem Fall im Oktober 2003 sagte die Angeklagte der Nebenklägerin, die es abgelehnt hatte, den Mitangeklagten auf einer am nächsten Tag anstehenden Fahrt zu begleiten, sie solle mitfahren und packte ihr dafür eine Tasche. Auch bei dieser Fahrt führte der Mitangeklagte den Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin aus.
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II. Der Schuldspruch gegen die Angeklagte M. P. hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
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Die Annahme des Landgerichts, der Haupttäter, der Mitangeklagte Wa. P. , habe sich in den die Beschwerdeführerin betreffenden 78 Fällen wegen Vergewaltigung zum Nachteil seiner Pflegetochter strafbar gemacht, weil er sie im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage zur Duldung des Geschlechtsverkehrs genötigt habe, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Ausführungen zur rechtlichen Würdigung der festgestellten Handlungen des (Haupt-)Täters lassen besorgen, dass das Landgericht die Voraussetzungen, die nach neuerer Rechtsprechung an diese Tatbestandsalternative des § 177 Abs. 1 StGB zu stellen sind, verkannt hat.
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Von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB werden danach Fälle erfasst, in denen zwar weder Gewalt ausgeübt noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht wird, dieses aber aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, weil es sich in einer hilflosen Lage befindet und ihm Widerstand gegen den überlegenen Täter aussichtslos erscheint (BGHSt 50, 359, 364 ff.; 51, 280, 284). Erforderlich ist dabei stets, dass sich das Opfer aus Angst vor körperlicher Beeinträchtigung, also vor Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen, nicht gegen den Täter zur Wehr setzt; es genügt nicht, dass es dies aus Furcht vor der Zufügung anderer Übel unterlässt (BGHSt 51, 280, 285; BGH NStZ 2003, 533, 534).
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Eine solche Angst der Nebenklägerin vor körperlichen Beeinträchtigungen ist in dem angefochtenen Urteil nicht belegt. Den Feststellungen ist - was für die Annahme einer schutzlosen Lage nicht ausreicht - lediglich zu entnehmen , dass die Geschädigte die Übergriffe duldete, um nicht getrennt von ihrer Schwester in einem Kinderheim untergebracht zu werden. Ob darüber hinaus auch frühere Drohungen des Mitangeklagten, etwaigen körperlichen Widerstand der Nebenklägerin gegebenenfalls zu überwinden, zumindest mitursächlich für die fehlende Gegenwehr der Nebenklägerin bei den Taten waren, ergibt das Urteil hingegen nicht. Dies versteht sich auch nicht von selbst. Vielmehr hat das Landgericht einen gewalttätigen Umgang des Mitangeklagten mit der Nebenklägerin , der im Sinne eines "Klimas der Gewalt" für ein Fortwirken der Furcht vor Gewalteinwirkungen ausreichen könnte (vgl. BGH NStZ 2005, 268), gerade nicht festgestellt. Dem Urteil ist nur zu entnehmen, dass zwar die Beschwerdeführerin , nicht aber der Mitangeklagte die Nebenklägerin gelegentlich schlug.
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Damit sind für den Haupttäter bereits die objektiven Voraussetzungen für das Vorliegen von Vergewaltigungstaten im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, so dass die Verurteilung der Angeklagten wegen Beihilfe zu diesen Taten schon aus diesem Grund keinen Bestand haben kann. Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, dass das Landgericht darüber hinaus nicht erörtert hat, ob die Angeklagte von Drohungen des Mitangeklagten und entsprechenden Ängsten der Nebenklägerin vor körperlichen Beeinträchtigungen, Kenntnis hatte, mithin bei ihr ein Beihilfevorsatz hinsichtlich einer Vergewaltigung nach § 177 Ab s. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 StGB vorlag. Soweit der Haupttäter in 13 Fällen rechtsfehlerfrei wegen tateinheitlich begangenen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist, unterliegen diese Taten insgesamt der Aufhebung (BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).
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III. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass ein bloßes Unterlassen der Angeklagten, die Nebenklägerin der Zugriffsmöglichkeit des Mitangeklagten zu entziehen, sich nicht als eine Vielzahl rechtlich selbständiger Beihilfetaten darstellen würde. Jeder Beteiligte ist für die Frage, ob eine oder mehrere Straftaten vorliegen, nur nach seinem eigenen Tatbeitrag zu beurteilen. Besteht die Beihilfe aus einem einzigen pflichtwidrigen Unterlassen, stellt sie sich auch bei mehreren selbständigen Haupttaten als eine einheitliche Teilnahmehandlung dar (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. vor § 52 Rdn. 34 m. w. N.). Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts Bezug.
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Sollte der neue Tatrichter bei der Beschwerdeführerin erneut das Vorliegen einer Unterlassenstat annehmen, wird er zudem Gelegenheit haben, die Vorschrift des § 13 Abs. 2 StGB zu erörtern. Allerdings legen die in der ersten Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen die Anwendung der nur fakultativen Strafmilderung nicht nahe.
Becker Miebach Sost-Scheible
Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 223/09
vom
7. Juli 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 7. Juli
2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 23. Dezember 2008 aufgehoben
a) mit den jeweils zugehörigen Feststellungen, soweit der Angeklagte wegen sexueller Nötigung und wegen Vergewaltigung in jeweils einem Fall (Fälle II. 3. und 4. der Urteilsgründe ) verurteilt worden ist sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe ;
b) im Ausspruch über die Kompensation einer Verfahrensverzögerung ; jedoch bleiben insoweit die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung sowie wegen sexueller Nötigung in jeweils zwei Fällen unter Einbeziehung der Strafen aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und ausgesprochen, dass wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von dieser Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre und sechs Monate als verbüßt gelten. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen leitete der Angeklagte, ein im Tatzeitraum bei der Johanniter-Unfallhilfe beschäftigter Rettungssanitäter, eine Gruppe, die sich mit realistischen Unfalldarstellungen befasste. An vier Abenden in der Zeit zwischen Dezember 2001 und April 2002 veranlasste er jeweils ein weibliches Mitglied dieser Gruppe, mit ihm in einen Kellerraum der Johanniter-Schule in R. zu kommen. Dort nahm er an den jungen Frauen gegen deren Willen sexuelle Handlungen vor. In einem Fall (Fall II. 2. der Urteilsgründe) drang er u. a. mit einem Finger in die Vagina des Opfers ein. In einem weiteren Fall (Fall II. 4. der Urteilsgründe) führte er zunächst einen Gegenstand in die Scheide der Geschädigten ein; sodann übte er mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr aus. Im Fall II. 1. der Urteilsgründe hielt er das Opfer durch die Ausübung von Druck mit seiner Hand auf ihren Bauch davon ab, sich aufzurichten. Im Fall II. 2. der Urteilsgründe drückte er die Beine der Geschädigten auseinander. Das Landgericht hat in diesen beiden Fällen die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB und daneben diejenigen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB bejaht; die Verurteilung wegen sexueller Nötigung im Fall II. 3. der Ur- teilsgründe sowie wegen Vergewaltigung im Fall II. 4. der Urteilsgründe hat es ausschließlich darauf gestützt, dass der Angeklagte die Opfer unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage genötigt habe.
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2. Die Annahme der Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB durch das Landgericht hält in keinem Fall sachlichrechtlicher Prüfung stand; denn die Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte die Geschädigten unter Ausnutzung einer Lage, in der sie seinen Einwirkungen schutzlos ausgeliefert waren, zur Duldung der sexuellen Handlungen nötigte.
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Von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB werden diejenigen Fälle erfasst, in denen zwar weder Gewalt ausgeübt noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht wird, dieses aber aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, weil es sich in einer hilflosen Lage befindet und ihm Widerstand gegen den überlegenen Täter aussichtslos erscheint (BGHSt 50, 359, 364 ff.; 51, 280, 284). Erforderlich ist dabei stets, dass sich das Opfer aus Angst vor körperlicher Beeinträchtigung, also vor Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen, nicht gegen den Täter zur Wehr setzt; es genügt nicht, dass es dies aus Furcht vor der Zufügung anderer Übel unterlässt (BGHSt 51, 280, 285; BGH NStZ 2003, 533, 534).
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Eine solche Angst der Opfer gerade vor körperlichen Beeinträchtigungen , die über die sexuellen Handlungen hinausgehen, ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Die Ausführungen der Strafkammer im Rahmen der rechtlichen Würdigung, die Tatbestandsalternative sei deshalb erfüllt, weil der Angeklagte sich entsprechend dem von ihm zuvor gefassten Plan die abgeschiedene Lage des Raumes zunutze gemacht bzw. die sexuellen Handlungen in einer Lage vorgenommen habe, in der die Opfer seinem ungehemmten Einfluss preisgegeben gewesen seien, lässt vielmehr besorgen, dass das Tatgericht gemeint hat, allein diese Umstände reichten zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB aus. Vor diesem Hintergrund ist den unspezifischen Formulierungen in den Fällen II. 3. und 4. der Urteilsgründe, die Geschädigten hätten im Falle des Widerstands befürchtet, dass der Angeklagte mit ihnen "noch Schlimmeres" anstellen könne, bzw. sie würden es mit aktivem körperlichen Widerstand "noch schlimmer machen" nicht zu entnehmen, dass damit die Furcht der Opfer gerade vor Körperverletzungs- oder Tötungshandlungen festgestellt ist. Hinzu kommt, dass das Landgericht im Fall II. 4. der Urteilsgründe bei der rechtlichen Würdigung darauf abgestellt hat, der Angeklagte habe sich das von ihm zusätzlich vorgenommene Absperren der Tür zu einem Vorraum zunutze gemacht, während im Rahmen der Feststellungen ausgeführt wird, in der Hauptverhandlung habe nicht geklärt werden können, ob die Tür abgeschlossen war.
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3. Aufgrund des dargelegten Rechtsfehlers kann der Schuldspruch in den Fällen II. 3. und 4. der Urteilsgründe, in denen die Verurteilung wegen sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung allein auf § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB beruht, keinen Bestand haben. Dies nötigt zur Aufhebung der Gesamtstrafe und damit - wegen der nicht ausschließbaren Möglichkeit, dass sich im weiteren Verlauf des Verfahrens Anlass zu einer noch höheren Kompensation ergibt - auch des Ausspruchs über die Kompensation der festgestellten rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. Die diesbezüglichen Feststellungen sind allerdings ohne Rechtsfehler getroffen; sie können deshalb bestehen bleiben.
7
Demgegenüber bleibt der Schuldspruch in den Fällen II. 1. und 2. der Urteilsgründe unberührt; denn das Landgericht hat die Verurteilung wegen sexuel- ler Nötigung bzw. Vergewaltigung nicht nur auf § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB, sondern daneben auch - insoweit rechtsfehlerfrei - auf § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB gestützt. Die Einzelfreiheitsstrafen, auf die die Strafkammer in diesen beiden Fällen erkannt hat, haben ebenfalls Bestand. Das Landgericht hat bei ihrer Bemessung das Vorliegen zweier Nötigungsalternativen und den Umstand, dass nach seiner Auffassung insgesamt vier Straftaten gegeben waren, nicht strafschärfend gewertet. Der Senat schließt deshalb aus, dass es auf niedrigere Einzelstrafen erkannt hätte, wenn es zutreffend davon ausgegangen wäre, dass die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB bei keiner Tat vorlagen.
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4. Sollte das neue Tatgericht in den aufgehobenen Fällen die Voraussetzungen wenigstens einer Tatbestandsalternative des § 177 Abs. 1 StGB nicht feststellen können, wird es seinen Blick auch darauf zu richten haben, ob jeweils ein besonders schwerer Fall der Nötigung (§ 240 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB) gegeben sein könnte.
Becker Pfister von Lienen
Schäfer Mayer

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.