Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Feb. 2017 - 3 StR 532/16

bei uns veröffentlicht am07.02.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 532/16
vom
7. Februar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:070217B3STR532.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 7. Februar 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 22. August 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf prozess- und materiellrechtliche Beanstandungen gestützte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen fühlte sich der Angeklagte durch eine Äußerung seiner Schwester provoziert. Er holte ein Messer mit einer Klingenlänge von neuneinhalb Zentimetern, stellte sich im Flur des Elternhauses frontal vor seine Schwester und versetzte dieser mit bedingtem Tötungsvorsatz zwei Stiche in den Bauch sowie die linke Seite. Daraufhin wich die Geschädigte zurück. Ihr Ehemann, der Schwager des Angeklagten, der das Geschehen beobachtet hatte, rief: "Bist du wahnsinnig, hör auf, das darfst du nicht" und ging auf den Angeklagten zu. Dieser erkannte, dass er den Angriff auf seine Schwester nicht mehr ungehindert fortsetzen konnte. Daher wandte er sich zunächst seinem Schwager zu und versetzte auch diesem mit dem Messer mehrere Stiche. Der Schwester des Angeklagten gelang es, durch die Haustür zu den Nachbarn zu fliehen. Der Schwager des Angeklagten flüchtete in die Waschküche des Hauses. Der Angeklagte, dem bewusst war, dass er den Angriff gegen seinen Schwager ohne Weiteres fortsetzen konnte, kehrte gleichwohl schließlich in sein Zimmer zurück, wo er später festgenommen wurde.
3
Die Strafkammer hat den Angriff des Angeklagten auf seine Schwester als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 212 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, §§ 22, 23 Abs. 1, § 12 Abs. 1 StGB) gewertet und ausgeführt, ein strafbefreiender Rücktritt (§ 24 Abs. 1 StGB) vom versuchten Totschlag komme nicht in Betracht. Der Angeklagte habe aufgrund des Dazwischentretens seines Schwagers erkannt, dass es nicht mehr möglich gewesen sei, den Angriff auf seine Schwester fortzusetzen. Deshalb sei der Versuch fehlgeschlagen und der Angeklagte habe die weitere Ausführung der Tat nicht freiwillig aufgegeben.
4
2. Das Urteil hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn die Beweiswürdigung ist auch mit Blick auf den eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstab (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326) lücken- und damit rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat seine Überzeugung, der Angeklagte habe den Angriff auf seine Schwester aufgrund des Dazwischentretens des Schwagers nicht fortsetzen können, nicht belegt. Die Ausführungen in der Beweiswürdigung zu der Tat zum Nachteil der Schwester des Angeklagten verhalten sich vielmehr lediglich zu dessen Einlassung , er habe nicht gemerkt, dass er seine Schwester mit dem Messer getroffen habe und sie nicht töten wollen. Diese Angaben widerlegend hat die Strafkammer nur die von ihr getroffenen Feststellungen zu dem aktiv geführten Angriff des Angeklagten und seinem Tötungsvorsatz begründet. Weitere Ausführungen zu ihrer Überzeugung von dem festgestellten Sachverhalt hat sie nicht gemacht. Damit ist die für die Frage des Rücktritts vom Tötungsversuch bedeutsame Feststellung nicht belegt, der Angeklagte sei nach seiner Vorstellung zum Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung nicht in der Lage gewesen, den Angriff auf seine Schwester fortzusetzen. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe. Danach ist es nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte trotz des Verhaltens seines Schwagers etwa seiner Schwester hätte hinterherlaufen und ihr weitere Messerstiche versetzen können , dies aber aus autonomen Motiven unterließ.
5
3. Der aufgezeigte Rechtsfehler betrifft zwar unmittelbar nur das Geschehen zum Nachteil der Schwester des Angeklagten. Er bedingt gleichwohl die Aufhebung des gesamten Urteils einschließlich der - für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen zu der Tat zum Nachteil des Schwagers des Angeklagten; denn das Geschehen überschneidet sich teilweise und weist insgesamt einen derart engen Zusammenhang auf, dass die isolierte Aufhebung nur eines Teils der Feststellungen die Gefahr von Widersprüchen begründen würde. Dem neuen Tatgericht ist es deshalb zu ermöglichen , insgesamt einheitliche Feststellungen zu treffen. Die Sache bedarf somit in vollem Umfang neuer Verhandlung und Entscheidung.
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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Strafgesetzbuch - StGB | § 223 Körperverletzung


(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Strafgesetzbuch - StGB | § 23 Strafbarkeit des Versuchs


(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt. (2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1). (3) Hat der Täter aus grobem Unv

Strafgesetzbuch - StGB | § 22 Begriffsbestimmung


Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

Strafgesetzbuch - StGB | § 24 Rücktritt


(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft be

Strafgesetzbuch - StGB | § 12 Verbrechen und Vergehen


(1) Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind. (2) Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht si

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

(1) Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.

(2) Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind.

(3) Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind, bleiben für die Einteilung außer Betracht.

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.