Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Mai 2014 - 3 StR 382/13
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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- Nach den Feststellungen griff der Angeklagte, der als Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt W. einsaß, zusammen mit dem Mitangeklagten S. einen Mitgefangenen an. Er stieß ihm ein Messer in den Rücken und verletzte ihn bei dem Versuch, nochmals zuzustechen, am Arm. Anschließend trat er zusammen mit dem Mitangeklagten mehrfach auf den am Boden liegenden Geschädigten ein.
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- Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB festgestellt und die im vorliegenden Fall fortgeltenden erhöhten Anforderungen an die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) gesehen (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2014 - 5 StR 563/13, NJW 2014, 1316; Beschluss vom 17. April 2014 - 3 StR 355/13, juris). Hingegen hat das Landgericht einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nicht tragfähig begründet. Dieses Merkmal verlangt nach der ständigen Rechtsprechung einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Sein Vorliegen hat der Tatrichter - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände in eigener Verantwortung festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09, juris; Beschluss vom 27. September 1994 - 4 StR 528/94, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8). Diese Würdigung bedarf in den Fällen von § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB, bei denen Vortaten und Vorverbüßungen fehlen, besonderer Sorgfalt (BGH, Beschlüsse vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11, juris Rn. 5).
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- Diesen Maßstäben wird das angefochtene Urteil nicht in vollem Umfang gerecht. Es teilt im Anschluss an den gehörten Sachverständigen mit, der Angeklagte entspreche auf der Grundlage der Kriteriensammlung von Habermeyer/Saß (Nervenarzt 2004, 1061, 1066 f.) bei einer Gesamtschau "keiner ganz typisch psychiatrisch zu identifizierenden Fallkonstellation eines Hangtäters", er erfülle einen Großteil ("zehn von elf", keine Psychopathie; UA S. 76), aber nicht alle Merkmale, die aus psychiatrischer Sicht für einen Hangtäter typisch seien (UA S. 72). Zwar befasst sich das Landgericht im Folgenden mit einzelnen der in dem besagten Katalog genannten Kriterien und gleicht sie mit der Persönlichkeit des Angeklagten und seinen früheren Straftaten ab; indes bleibt offen, worin genau sich die Persönlichkeit des Angeklagten aufgrund der fehlenden Psychopathie von derjenigen eines "typischen Hangtäters" unterscheidet und warum trotz dieser Unterschiede ein Hang des Angeklagten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zu bejahen ist.
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- Dieser Mangel wird auch nicht dadurch ausgeräumt, dass sich das Landgericht zur Begründung des Hanges auf die vom Sachverständigen referierten Ergebnisse der Anwendung mehrerer statistischer Prognoseinstrumente auf den Angeklagten stützt, ohne dabei allerdings in den Blick zu nehmen, dass diese Prognoseinstrumente maßgeblich nicht der Beurteilung des Hangs des Täters zur Begehung von Straftaten, sondern der Einschätzung seiner künftigen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit dienen sollen (zur Differenzierung zwischen diesen beiden Anordnungsvoraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196). Insoweit braucht sich der Senat auch hier nicht näher mit der Frage zu befassen, ob es grundsätzlich zulässig ist, aus einer Gefährlichkeitsprognose auf den Hang des Täters zur Begehung von Straftaten rückzuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2007 - 3 StR 341/07, StV 2008, 301, 302; vgl. demgegenüber etwa BGH, Urteil vom 11. Mai 2005 - 1 StR 37/05, BGHSt 50, 121, 132: naheliegend, dass die Feststellung der Gefährlichkeitsprognose im Regelfall auf das Vorliegen eines Hangs hindeutet; BGH, Urteil vom 20. Februar 2002 - 2 StR 486/01, juris Rn. 8: Bejahung der Gefährlichkeitsprognose unvereinbar mit dem Schluss, bei dem Täter liege kein "Hang" zur Begehung von Straftaten vor). Denn selbst wenn dieser Schluss regelmäßig gerechtfertigt sein sollte, so bedarf das Ergebnis statistischer Bewertung der Gefährlichkeit des Täters gerade dann, wenn es auch zum Beleg seines Hanges zur Begehung von Straftaten herangezogen werden soll, stets des konkreten Abgleichs mit dem individuell zu beurteilenden Angeklagten und seinen früheren Taten. Dies bleibt aus den schon aufgezeigten Gründen in dem angefochtenen Urteil lückenhaft, denn gerade wenn es sich bei dem Angeklagten um einen untypischen Fall handelt, bedarf die Aussagekraft rein statistischer Prognoseinstrumente schon für sich besonders gründlicher Prüfung, insbesondere aber der kritischen Gegenüberstellung mit der konkreten Analyse der Persönlichkeit des Angeklagten und seinen früheren Taten. Daran mangelt es; denn auch nach der Darstellung der einzelnen Prognoseinstrumente bleibt für das Landgericht das Fazit, dass der Angeklagte kein ganz typischer Hangtäter sei (UA S. 76). Eine Erläuterung der Unterschiede zum "typischen Hangtäter" und deren Unerheblichkeit für das Vor- liegen eines Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB unterbleibt auch hier.
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- Über den Maßregelausspruch ist deshalb nochmals zu verhandeln und zu entscheiden.
Gericke Spaniol
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn
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jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die - a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet, - b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder - c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
- 2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und - 4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.
(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.